Berlin feierte #30JahreMauerfall am Brandenburger Tor.

Rede von Michael Müller
Rede von Frank-Walter Steinmeier
Rede von Marianne Birthler
Daniel Barenboim
Daniel Barenboim dirigiert Beethovens 5. Sinfonie
Als emotionaler Höhepunkt der noch bis zum Sonntagabend laufenden Festivalwoche „30 Jahre Friedliche Revolution – Mauerfall“ ging die große Bühnenshow vor dem Brandenburger Tor heute Abend mit über den Abend hinweg mehr als 100.000 Menschen vor Ort und Millionen vor dem Bildschirm zu Ende. Gemeinsam feierten sie das bedeutendste Ereignis der jüngeren Berliner, deutschen und europäischen Geschichte, den Fall der Mauer. In dem zweistündigen multimedialen Showereignis mit musikalischen Acts, Schauspiel- und Lichtperformances sowie zahlreichen Zeitzeug*innen wurde die Freiheitsgeschichte der friedlichen Revolution nacherzählt und auch mit künstlerischen Beiträgen und Statements zu den Themen Mut und Sehnsucht nach Freiheit heute eine aktuelle Perspektive aufgezeigt.
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Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Marianne Birthler hielten Ansprachen. Den musikalischen Anfang machten die aus der ehemaligen DDR stammenden Musiker Dirk Michaelis und Die Zöllner. Die Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim spielte Beethovens 5. Sinfonie, untermalt mit historischem Bild- und Filmmaterial – vom Bau der Mauer über die Zeit der getrennten deutschen Staaten bis hin zum Mauerfall. Anna Loos, Trettmann und Zugezogen Maskulin waren die weiteren musikalischen Künstler*innen, die vor einem imposanten Videodome als zentraler Projektionsfläche auftraten. Beim Finale spannten „Stimmen von heute“ den Bogen zu aktuellen weltweiten Herausforderungen: so sprach der Bürgerrechtsaktivist Peter Steudtner über Solidarität, die Flüchtlingshelferin Sarah Mardini, selbst 2015 aus Syrien nach Europa geflohen ein starkes Plädoyer für die Mitmenschlichkeit und der 16-jährige Potsdamer Klima-Aktivist Jaro Abraham darüber, mehr Gemeinsinn zum Schutz des Planeten zu entwickeln. Gemeinsam traten die Aktivisten mit mehr als 100 Menschen auf, die ihre Botschaften der Freiheit auf Bannern trugen.
 
Durch die Bühnenshow führten Anna Loos und Jochen Breyer, die live im ZDF übertragen wurde. Auch an den sechs anderen Festivalorten feierten und erinnerten sich zehntausende Besucher*innen an den historischen Tag, so zum Beispiel am Alexanderplatz oder auch am Schlossplatz beim Betrachten der 3D-Videoprojektionen.
Daniel Barenboim

Fotoquellen/Videos: TP Presseagentur Berlin

Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 9. November 2019 in der „Kapelle der Versöhnung“ in der Bernauerstraße in Berlin.

Sehr geehrter Herr Präsident des Bundestags,
sehr geehrter Herr Präsident des Bundesrats,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Parlamenten,
sehr geehrte Exzellenzen,
sehr geehrter Bischof Dröge,
sehr geehrter Herr Pfarrer Jeutner,
meine Damen und Herren,

ich möchte den Jugendlichen aus den Visegrád-Staaten für ihre Worte hier in dieser Kapelle, an deren Stelle früher die Versöhnungskirche stand, ganz herzlich danken. Die Worte regen uns zum Nachdenken an. Sie regen zum Nachdenken über das an, was hier geschah, aber vor allem auch darüber – das kam in allen Worten zum Ausdruck –, was es für die Zukunft bedeutet und was wir in der Zukunft beherzigen müssen.

Seit dem Mauerbau 1961 lag die Versöhnungskirche im Todesstreifen der Berliner Mauer, unerreichbar für alle Berliner in Ost und West. 1985 wurde sie gesprengt. Das war nichts anderes als ein Akt der Menschenverachtung. Denn die Kirche stand einem freien Schussfeld im Weg. Die eigenen Bürgerinnen und Bürger sollten ins Visier genommen werden, die lediglich eines suchten: die Freiheit. In der Sprengung der Versöhnungskirche zeigte sich gleichsam die Unversöhnlichkeit der Diktatur der DDR mit dem Grundbedürfnis des einzelnen Menschen, Freiheits- und Menschenrechte für sich in Anspruch zu nehmen.

Zu viele Menschen wurden Opfer der SED-Diktatur. Wir werden sie nicht vergessen. Ich erinnere an die Menschen, die an dieser Mauer getötet wurden, weil sie die Freiheit suchten. Ich erinnere auch an die 75.000 Menschen, die wegen Republikflucht inhaftiert waren. Ich erinnere an die Menschen, die Repressionen erlitten, weil Angehörige von ihnen geflohen waren. Ich erinnere an die Menschen, die überwacht und denunziert wurden. Ich erinnere an die Menschen, die unterdrückt wurden und ihre Träume und Hoffnungen begraben mussten, weil sie sich staatlicher Willkür nicht beugen wollten.

Der 9. November, meine Damen und Herren, ist ein Schicksalstag der deutschen Geschichte. Am heutigen Tag gedenken wir auch der Opfer der Novemberpogrome im Jahr 1938. Wir erinnern an die Verbrechen, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 an den jüdischen Menschen in Deutschland begangen wurden. Was darauf folgte, war das Menschheitsverbrechen des Zivilisationsbruchs der Shoa.

Der 9. November, in dem sich in besonderer Weise sowohl die fürchterlichen als auch die glücklichen Momente unserer Geschichte widerspiegeln, ermahnt uns, dass wir Hass, Rassismus und Antisemitismus entschlossen entgegentreten müssen. Er mahnt uns, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Freiheit und Demokratie, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen.

Am 9. November 1989, heute vor 30 Jahren, ist die Berliner Mauer gefallen. Noch kurz zuvor hatte das kaum jemand für möglich gehalten. Am Beginn des Schicksalsjahres 1989 war es noch eine kleine Minderheit, die für Bürgerrechte, Freiheit und Demokratie einstand und dafür Benachteiligungen, Verfolgung und Inhaftierung in Kauf nahm. Diese Minderheit konnte jedoch bald viele Tausende und Hunderttausende ermutigen, die dann im Herbst 1989 ihren Protest auf die Straße trugen. Andere wiederum kehrten über Ungarn, Prag oder Warschau der DDR den Rücken. Sie alle haben zum Fall der Berliner Mauer beigetragen und damit den Weg zur Einheit unseres Landes geebnet. Sie alle verdienen dafür unseren Dank.

Die friedliche Revolution in der DDR hatte mutige Vorbilder. In Polen erreichte die Solidarność erste demokratische Erfolge. In der Tschechoslowakei machte die Charta 77 Mut. In den drei baltischen Staaten machte sich die längste Menschenkette der Geschichte für Unabhängigkeit stark. Und Ungarn machte den Eisernen Vorhang durchlässig. Der Ruf nach Freiheit schuf schließlich neue Demokratien in Mittel- und Osteuropa. Deutschland und Europa konnten endlich zusammenwachsen.

Doch die Werte, auf die sich Europa gründet – Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung der Menschenrechte –, sind alles andere als selbstverständlich. Sie müssen immer wieder neu gelebt und verteidigt werden. Auch in Zukunft muss Europa für Demokratie und Freiheit, für Menschenrechte und Toleranz einstehen. Das ist in Zeiten tiefgreifender technologischer und globaler Veränderungen aktueller denn je.

Der Beitrag des Einzelnen mag dabei manchmal klein erscheinen. Aber davon dürfen wir uns nicht entmutigen lassen. Stattdessen können wir an die Worte von Václav Havel denken, wonach die Freiheit wie das Meer sei. Ich zitiere ihn: „Die einzelnen Wogen vermögen nicht viel. Aber die Kraft der Brandung ist unwiderstehlich.“

Die Berliner Mauer, meine Damen und Herren, ist Geschichte. Das lehrt uns: Keine Mauer, die Menschen ausgrenzt und Freiheiten begrenzt, ist so hoch oder so breit, dass sie nicht doch durchbrochen werden kann.

Ich möchte zum Ende ein kurzes Gedicht von Reiner Kunze zitieren, der über die Mauer geschrieben hat:

Als wir sie schleiften, ahnten wir nicht,
wie hoch sie ist
in uns.
Wir hatten uns gewöhnt
an ihren Horizont
und an die Windstille.
In ihrem Schatten warfen
alle keinen Schatten.
Nun stehen wir entblößt
jeder Entschuldigung.

Das gilt für uns alle, in Ost und West. Wir stehen entblößt jeder Entschuldigung und sind aufgefordert, das Unsere für Freiheit und Demokratie zu tun.

Herzlichen Dank.

Rede von Bundeskanzlerin A. Merkel zur „10. Europa-Rede“ der Konrad-Adenauerstiftung am 8. November in Berlin.

Lieber Norbert Lammert,
liebe Ursula von der Leyen, Kommissionspräsidentin elect – gewählt, wie eben schon gesagt wurde –,
lieber Hans-Gert Pöttering,
lieber Wolfgang Schüssel,
liebe Abgeordnete,
liebe Gäste,

ich freue mich, am Vorabend des 9. November hier zu sein. Morgen ist es 30 Jahre her, dass sich die Mauer öffnete. Interessant ist, dass ich mich noch erinnern kann, dass ich einen Tag vor diesem Ereignis, also heute vor 30 Jahren, nicht damit gerechnet hatte, dass das passiert. Ich glaube, ich war nicht die Einzige. Dennoch oder gerade deshalb war es ein Glücksmoment, den wir erleben konnten und mit dem sich sehr vieles veränderte. Deshalb ist es schön, dass die Konrad-Adenauer-Stiftung vor zehn Jahren die Tradition ins Leben gerufen hat, Europa und den Fall der Mauer mit der „Europa-Rede“ zu würdigen.

Europa konnte von der deutschen Einigung und dem, was vorher vonstattenging – mit der polnischen Solidarność, der Menschenkette in den baltischen Staaten, den Unterzeichnern der Charta 77 und den Reformern in Ungarn – nicht nur profitieren, Europa konnte endlich wieder zusammenwachsen.

Europa als Friedensgemeinschaft – dieses europäische Projekt hat ja nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen. Die Römischen Verträge waren einer auf rein nationale Interessen beschränkten Politik nachgefolgt. Das Konzept von Zusammenarbeit und Integration wurde das herrschende Konzept, verbunden – wie Norbert Lammert eben sagte – damit, nationale Souveränität an eine neue Entität abzugeben. Manche Diskussion, die wir heute wieder führen über das Ob und Wie, erinnert uns daran, dass es ja alles andere als selbstverständlich ist, dass Menschen Macht an eine andere Institution abgeben. Und deshalb ist es ja auch so wichtig, dass diese Institution Vertrauen genießt.

Der Grundgedanke war, einen Rahmen festzulegen, um Interessen zu bündeln, Interessengegensätze der Mitgliedstaaten in geordneten Verfahren zu lösen und damit eine jahrhundertelange Phase immer wiederkehrender Krisen abzulösen. Es ist ein Wunder, aber auch ein Ausdruck der Kraft der Vordenker der europäischen Einigung, dass dieses Konzept aufging. Der europäische Einigungsprozess hat das Zusammenleben in Frieden und Freiheit, in Wohlstand und sozialer Sicherheit gefördert. Er hat es nach meiner festen Überzeugung möglich gemacht. Aber ich glaube, wir müssen uns auch dessen bewusst sein: So etwas gelingt, muss aber immer wieder neu erarbeitet werden. Es darf nicht zu einer Routine werden, sonst werden es zukünftige Generationen plötzlich nicht mehr verstehen.

Und ich stimme Norbert Lammert zu: Ohne konsequente europäische Einigung wäre die Wiedervereinigung Deutschlands nicht möglich gewesen. Helmut Kohl hat mit Recht immer wieder – alle, die ihn kannten und erlebt haben, wissen das; und ich habe mein politisches Rüstzeug, zumindest sehr viel davon, von ihm bekommen – von den zwei Seiten ein und derselben Medaille gesprochen. Wiedervereinigung und europäische Einigung sind untrennbar miteinander verbunden. Sich das wieder bewusst zu machen, ist wichtig, auch weil aus meiner Sicht auch heute gilt: Deutschland wird es nur gut gehen, wenn es Europa gut geht.

Nun, liebe Ursula, wirst du nach über 50 Jahren, in denen kein deutscher Kommissionspräsident da war, auch noch als erste Frau diese Kommission leiten. Dein Vorgänger, Jean-Claude Juncker, meinte letzte Woche in seiner unnachahmlichen Art, dass es nun an dir liege – ich zitiere –, „den Laden zusammenzuhalten“. Du übernimmst dieses Amt in wahrlich unruhigen Zeiten. Denn die 30 Jahre nach dem Mauerfall sind wieder ein Geschichtsabschnitt, in dem sich Dinge grundlegend verändern konnten.

Eigentlich erleben wir jeden Tag, dass die globale Ordnung doch eine andere wird. Wir sehen die Konturen sehr viel stärker. Wir haben auf der einen Seite evident große Herausforderungen – Klimawandel, asymmetrische Konflikte, die Frage von Flucht und Vertreibung –, die globales Handeln geradezu herausfordern, es nach meiner festen Überzeugung unabdingbar machen. Im Übrigen macht das auch eine vernünftige weltwirtschaftliche Ordnung in Zeiten der Digitalisierung erforderlich. Auf der anderen Seite ist die Welt in ziemlicher Unordnung. Die Ordnungsmuster des Kalten Krieges scheinen im Vergleich dazu geradezu überschaubar zu sein.

Die Multipolarität mit den sich verändernden Kräfteverhältnissen von heute hat Europa noch nicht abschließend seinen Platz in der Geschichte zugewiesen. Dass wir an vorderster Front wären, kann man nicht sagen. Das heißt, wir sind heute im globalen Konzert nicht allzu gut hörbar. Deshalb bin ich so froh – wenn ich das sagen darf – und unterstütze das aus vollem Herzen, dass du die neue Kommission als eine geopolitische Kommission skizziert hast und in diesem Rahmen dein Programm gestaltest.

Wir werden als deutsche Bundesregierung im zweiten Halbjahr des nächsten Jahres während unserer Ratspräsidentschaft auch versuchen, diese Ambitionen zu unterstützen. Dazu gehört, dass wir das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und China zu einem Schwerpunkt machen und zum ersten Mal einen Vollgipfel abhalten werden, also alle Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen plus die chinesische Führung, den chinesischen Präsidenten, bei uns in Deutschland, in Leipzig, zu Gast haben werden, um dann zu versuchen, eine gemeinsame Antwort auf die Herausforderungen in den Beziehungen zu China zu finden, die wir heute als Mitgliedstaaten – das darf ich als Mitglied des Europäischen Rates sagen – noch nicht in hinreichender Form haben.

Wir haben auch die notwendigen Antworten zu finden – das wirst du gleich ausführlicher sagen – auf die Fragen der Digitalisierung, der künstlichen Intelligenz. Auch das große Thema Datensouveränität wird eine Rolle spielen. Was bedeutet es, die Würde des Menschen – um auch das deutsche Grundgesetz anzusprechen – in Zeiten der Digitalisierung zu wahren und trotzdem die technologischen Fortschritte mitzubestimmen?

Wir haben die riesige globale Herausforderung des Klimawandels. Europas Positionierung hierzu hast du vorgenommen. Du hast gesagt, wir müssen vorne mit dabei sein. Das wollen wir unterstützen.

Und wir haben die große Herausforderung von Migration und Flucht. Unsere Werte stehen auf dem Prüfstand. Ist all das, was wir in Sonntagsreden sagen, wirklich wahr? Wie können wir darauf reagieren? Wie können wir anderen helfen, damit nicht nur wir Wohlstand haben, sondern auch andere? Alle diese Fragen stellen sich in einer Zeit, in der ich den Eindruck habe, dass die Frage „Wie viel Kompromissbereitschaft können wir an den Tag legen?“ eine der wesentlichen Fragen geworden ist.

Wie viel Spielraum bekommen wir zum Beispiel als Regierungschefs von zu Hause mit, wenn wir zu einem Europäischen Rat fahren? Oft haben wir schon Parlamentsbeschlüsse im Gepäck. Wenn aber alle 27 – heute noch 28 – Mitgliedstaaten einander widersprechen, dann brauchen wir mit den Beratungen gar nicht erst zu beginnen. Also stellt sich die Frage: Wie kann ich die Kompromissbereitschaft – schlauere Menschen als ich sprechen von Ambiguitätstoleranz – stärken? Nur in einem Raum, der noch nicht überreguliert ist, lässt sich ein Kompromiss finden. Wenn alles festgelegt ist, kannst du auch keine Kompromisse eingehen.

Das ist vielleicht das, was mir am meisten Sorge macht: dass das Vertrauen in Europa oder schwindendes Vertrauen in Europa sich an einigen Stellen darin ausdrückt, dass die Spielräume, die wir haben, um für Europa etwas zu tun, kleiner werden. Das ist eine nationale Aufgabe; und diese nationale Aufgabe gelingt umso besser – und deshalb freue ich mich jetzt auf deine Rede –, je mehr Vertrauen wir in die Institutionen haben können, an die wir ja auch Souveränität abgeben. Als ich mir angeschaut habe, wie du diese Kommission zusammengestellt hast, habe ich festgestellt, dass das zwar ein bisschen rumpelig vonstattenging, wie überall im normalen Leben, aber auch, dass es, wie ich glaube, eine gute Kommission wird, die in den Inhalten neu gruppiert ist.

Ich wünsche dir von Herzen viel Erfolg und versuche, ein bisschen Kompromissbereitschaft mitzubringen, wenn wir uns beim Europäischen Rat treffen.

Herzlichen Dank.

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