Die einzigen freien Menschen sind die Gefangenen.

Heute vor 37 Jahren starb Jean-Paul Sartre.

Zur Erinnerung: Ein Nachruf aus dem Jahre 1980.

Von Dietmar Jochum, TP Presseagentur.

Der Philosoph und Schriftsteller Jean-Paul Sartre ist am 15. April im Alter
von 74 Jahren in einem Pariser Krankenhaus gestorben.
Den Begründer des französischen Existentialismus, Großneffe des berühmten Albert Schweitzer, in einem Artikel zu würdigen, ist ganz und gar unmöglich. Sartre, Verfasser von vielen philosophischen und literarischen Schriften, politischen Essays, Theaterstücken etc., gehörte zu den bedeutendsten Vertretern der Existenzphilosophie in der heutigen Zeit. Er wurde darüber hinaus durch seine bedingungslosen humanitären Engagements im Algerien-Krieg und im Vietnam-Krieg u.a. bekannt. 1974 sorgte er für Aufsehen durch seinen Besuch bei Andreas Baader in Stuttgart-Stammheim. 1964 lehnte er die Annahme des Nobelpreises für Literatur ab.

Am 21. Juni 1905 wurde Jean-Paul Sartre in Paris geboren. Als er zwei Jahre alt war, starb sein Vater, ein Marineoffizier. Sartre wuchs bei seinen Großeltern auf, zu denen seine Mutter gezogen war. Diese heiratete wieder, als Jean Paul zwölf Jahre alt wurde.
Sartre fühlte sich in der Familie als Eindringling und Fremdling, der nur geduldet wird und sich durch sein Benehmen der Aufnahme würdig zeigen muß. Dieses Bestreben wurde zu dem Grundproblem von Sartres Auslegung der menschlichen Existenz. Er hielt die Existenz des Menschen nur insofern als möglich, als dieser sein Sein (Existenz) rechtfertigen kann. Sartres These lautet darüber:
„Der Mensch ist nur, was er aus sich selbst macht, was er leistet. Für diese Existenz, die der Mensch stets neu schaffen muß, trägt er die volle Verantwortung. Es sei daher unsinnig zu sagen, jemand habe ein Leben gehabt, das er nicht verdiente. Man hat nur das Leben, das man verdient, man hatte die Freiheit, es anders zu machen. Haben wir also versagt, sind wir eben Versager. – Eine eigene Lebensform muß sich jeder Mensch selbst wählen.“

Nach Sartres Meinung muß er sich dabei von der Vergangenheit lösen, um die Zukunft besser aufnehmen zu können. Unter Zukunft ist zu verstehen, was das Handeln des Menschen bestimmt, z.B. neue Ereignisse und Erscheinungen, die in sein Leben eintreten.
Nach Sartres Ansicht ist der Mensch in jeder Situation frei. Er hat die Freiheit zu entscheiden. Und diese Freiheit bedeute nicht, daß er sich Entscheidungen enthalten darf, sondern entscheiden muß. Der Mensch sei zur Freiheit verdammt.
In seiner Roman-Trilogie zeigte Sartre die Möglichkeiten der Freiheit auf. Besonders in seinem Buch „Die Zeit der Reife“ verdeutlicht er, daß Freiheit nicht im Hinauszögern von Entschlüssen besteht, sondern dieses Hinauszögern notwendig zu Selbsttäuschungen führen muß.

Sartres bedeutendsten Werke neben der Roman-Trilogie sind u.a.:

1. Die Fliegen
2. Die ehrbare Dirne
3. Marxismus und Existentialismus
4. Bei geschlossenen Türen

5. Das Sein und das Nichts

Nach Abschluß seines Studiums, das Examen bestand er als Bester, wurde Sartre Philosophie-Professor in Le Havre. Vier Jahre später, 1933, ging er an das Französische Institut in Berlin. Kehrte ein Jahr darauf nach Le Havre zurück. 1939 wird er zum Militärdienst einberufen und tritt 1941 der französischen Widerstandsbewegung gegen den deutschen Faschismus bei. In seinen Schriften identifizierte er sich immer wieder mit dem Widerstand.

Sartre gründete 1945 die Zeitschrift „Les Temps Modernes“, die bis zuletzt sein Organ war, in der er zu aktuellen politischen und kulturellen Problemen Stellung nahm. In „Les Temps Modernes“ wurden u.a. die Arbeiten von ihm und seiner Lebensgefährtin Simone de Beauvoir veröffentlicht.
Lange Zeit war auch Sartres engster Freund Merleau-Ponty Mitarbeiter der Zeitschrift. Mit Merleau-Ponty sowie mit Albert Camus kam es zum Bruch wegen unterschiedlichen Auffassungen zu den Kommunisten. In seiner Autobiographie „Die Wörter“ schrieb Sartre, „daß er ein Mann ist, der nichts mehr mit seinem Leben anzufangen weiß“. Denjenigen, die den Satz mißverstanden hatten, entgegnete Sartre:
„Man hatte sich über den Sinn dieses Satzes getäuscht, als man darin einen Verzweiflungsschrei zu hören glaubte. Es gibt nirgendwo Heil. Die Idee des HeiIs impliziert die Idee des Absoluten. Vierzig Jahre wurde ich in Bewegung gehalten durch die Idee des Absoluten, die Neurose. Das Absolute ist dahin. Was bleibt, sind unzählige Aufgaben, unter denen die Literatur keineswegs einen privilegierten Platz einnimmt, so ist der Satz zu verstehen.“
Sartre stand stets auf der Seite der Unterdrückten.
So sagte er auch in dem Interview mit Jacqueline Piatier in Le Monde vom 18. ApriI 1964: Der Schriftsteller muß sich auf die Seite der größeren Zahl, der zwei Milliarden Hungernden stellen, wenn er sich an alle wenden und von allen gelesen werden will. Andernfalls dient er einer privilegierten Klasse und ist ein Ausbeuter wie sie. In demselben Interview, darüber gefragt, warum er gerade ein Buch über Flaubert schreibe, sagte Sartre:
„Flaubert ist der Gegensatz zu dem, was ich bin. Man hat das Bedürfnis, sich an dem zu reiben, was einen selbst in Frage stellt. ‚Ich habe oft gegen mich selbst gedacht‘, habe ich in ‚Die Wörter‘ geschrieben. Auch dieser Satz ist mißverstanden worden. Man hat darin ein Eingeständnis von Masochismus gesehen, doch gerade so muß man denken: sich gegen das erheben, was an ‚Aufgepfropftem‘ in einem ist.“

Diese Aussage zeigt auf, daß Sartre den Protest als Grundhaltung seiner Existenz auch stets gegen sich selbst verstanden wissen wollte.

Sartres Sympathien galten lange Zeit der kommunistischen Partei, von der er sich nach den Ereignissen in Ungarn immer mehr distanzierte.
Nach dem „Prager Frühling“ brach er endgültig mit den Kommunisten. Anläßlich des Breschnew-Besuches in Frankreich 1971, sagte Sartre: „Die Sowjetunion von heute ist ein Desaster. Die einzigen freien Menschen sind die Gefangenen.“

Grab von Jean-Paul Sartre und seiner Lebensgefährtin Simon de Beauvoir in Paris, Fotoquelle: Klaus Jünschke

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