Dokumentiert: Rede der Bundesministerin der Verteidigung Annegret Kramp-Karrenbauer auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 15. Februar 2020.

Es gilt das gesprochene Wort!

 „Den Westen verteidigen“ – unter diesem Titel steht der heutige Nachmittag.

Das Motiv prägt die gesamte Konferenz.

Und es prägt unsere Zeit, wir hören es immer wieder in verschiedenen Varianten: Der Westen steht unter Druck von innen und außen, der Westen ist kraftlos in der internationalen Ordnungspolitik, es herrscht „West-Losigkeit“.

Das ist richtig beobachtet.

Doch Beobachten reicht nicht – das gilt gerade für diejenigen, die sich als Teil des Westens verstehen.

Denn der Westen weist weit über Europa, Nordamerika, die EU oder die NATO hinaus. Der Westen umfasst Staaten in allen Erdteilen, der Westen ist mehr als eine Himmelsrichtung.

Der Westen ist eine Idee.

Die Idee der freiheitlichen Gesellschaft, der Menschenrechte, des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung. Die Idee einer partnerschaftlichen internationalen Ordnung, die der Freiheit zugetan ist – auf dem Boden des Völkerrechts.

Diese Idee wird heute nicht nur ideologisch herausgefordert, nicht nur auf dem Papier und in dramatischen Reden. Sie wird ganz konkret herausgefordert, ganz praktisch.

Wir sehen das in der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, wir sehen das im islamistischen Terrorismus. Wir sehen das im Syrien-Krieg wie in der Verbreitung von Nuklearwaffen. Wir sehen das in unrechtmäßigen Gebietsansprüchen im Indo-Pazifik.

Die Gegner der Idee des Westens sind handlungsfähig. Die Gegner der Idee des Westens haben den Willen zum Handeln – auch zum Gebrauch militärischer Gewalt. Die Gegner der Idee des Westens schaffen neue Verhältnisse, brutal und rücksichtslos.

Und was macht der Westen, was machen wir?

Wir beschreiben unsere Schwächen. Wir kommentieren das Handeln anderer. Wir beklagen uns.

Das, meine Damen und Herren, ist nicht unsere Aufgabe als Europäer, da bin ich mit Emmanuel Macron völlig einverstanden: Wir müssen nicht nur unsere Schwächen beschreiben, nicht nur das Handeln anderer kommentieren oder beklagen – sondern mehr strategischen Dialog in Europa führen. Und vor allem müssen wir nicht nur reden, sondern gemeinsam ganz konkret etwas für unsere Sicherheit tun!

Ich bin davon überzeugt: Wir können den Westen und die freiheitliche internationale Ordnung bewahren und festigen. Wir können unsere Fähigkeit zum gemeinsamen Handeln ausbauen. Wir können unseren Willen zum Handeln stärken.

Ich sehe Europa und gerade mein Land in der Pflicht, mehr Handlungsfähigkeit und mehr Willen zum Handeln zu entwickeln. Denn wir Deutsche und Europäer blicken auf eine strategische Lage, die immer stärker von der Konkurrenz großer Mächte bestimmt wird.

Das gilt besonders für das Verhältnis der Vereinigten Staaten von Amerika und der Volksrepublik China. Ein kompliziertes Verhältnis von wechselseitiger Abhängigkeit – grundiert von einem ideologischen Gegensatz, von unterschiedlichen Vorstellungen davon, wie eine geglückte gesellschaftliche und internationale Ordnung aussieht.

Als Deutsche und Europäer wissen wir, dass dieser Gegensatz uns etwas angeht. 

Wir sind nicht neutral. Wir sind nicht irgendwo „dazwischen“. Wir sind und bleiben im Westen.

Denn wir stehen fest auf der Seite der Freiheit und des Rechtsstaats, der Demokratie und Gewaltenteilung. Wir stehen zu Multilateralismus, fairem freien Handel und gesellschaftlicher Offenheit.

Wir Deutsche und wir Europäer müssen, können und wollen dafür mehr eigenes Gewicht in die Waagschale der internationalen Politik werfen. Fairness ist eben auch unter Freunden eine politische Kategorie – vor allem in der Lastenteilung.

Wir Deutsche und Europäer leisten schon heute erhebliche Beiträge zu unserer Sicherheit, zum internationalen Krisenmanagement, zur Konfliktprävention.

Aber es genügt noch nicht.

Ich möchte, dass die Wirkung der deutschen und europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik größer wird, unser Handeln international besser abgestimmt und deutlicher sichtbar.

Ich möchte, dass wir unseren eigenen Interessen folgen können und unseren eigenen Kurs halten, wenn der Wind um uns rauer wird.

Das gilt nicht nur mit Blick auf die systemische Konkurrenz zwischen USA und China. Oder den Umgang mit Russland, das durch hybride Attacken und Missachtung territorialer Souveränität europäische Staaten bedrängt – von der Ukraine über Litauen, Lettland und Estland bis zum Vereinigten Königreich und zu uns in Deutschland. Sondern es gilt auch mit Blick auf Europas südliche Nachbarschaft – Afrika und den Nahen und Mittleren Osten.

Meine Damen und Herren, an klugen Analysen und eindringlichen Absichtserklärungen mangelt es nicht.

Ich erinnere an die Konferenz hier vor sechs Jahren, als von „mehr Verantwortungsbereitschaft“ Deutschlands gesprochen wurde und der damalige Bundespräsident forderte, Deutschland müsse sich im internationalen Krisenmanagement „früher, entschiedener und substantieller einbringen“.

Das bleibt richtig.

Und Deutschland ist ein tatkräftiger und verlässlicher Partner – in der VJTF, der Enhanced Forward Presence, in Mali und im Irak, als zweitgrößter Truppensteller in Afghanistan.

Erst gestern haben mein amerikanischer Kollege Mark Esper und ich hier mit vielen weiteren Nationen der OIR Core Group beschlossen, dass wir den Kampf gegen den Terrorismus des Islamischen Staats gemeinsam fortsetzen.

Auch bleibt Deutschland der nuklearen Teilhabe der NATO verpflichtet, deren Schutzschirm für uns ein wesentliches Element europäischer Sicherheit ist.

Und doch haben wir das Versprechen von 2014 noch nicht vollständig eingelöst.

Ich halte es für notwendig, dass aus dem Münchner Konsens der Worte ein Münchner Konsens des Handelns wird. 

Die Initiativen, die ich als Verteidigungsministerin angestoßen habe, zielen darauf ab.

Wir erhöhen die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine „lnitiative Einsatzbereitschaft“, die noch in diesem Jahr Ausrüstung und Kampfkraft spürbar verbessern wird.

Wir halten unser Versprechen gegenüber den NATO-Verbündeten und erhöhen den Verteidigungshaushalt Jahr um Jahr. Auch im Jahr 2031 sollen zehn Prozent aller notwendigen Fähigkeiten der NATO von Deutschland gestellt werden. Dafür brauchen wir ein Verteidigungsbudget in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Ich bin auch froh, dass wir im Rahmen der E3 weiter mit Präsident Erdogan über die Lage der Menschen in Nordsyrien sprechen. Das Elend der syrischen Bevölkerung und die spürbaren strategischen Auswirkungen des Konflikts zeigen uns doch ganz deutlich, was passiert, wenn wir Europäer kein Gesicht und keine Tatkraft zeigen.

Das darf uns in anderen Konfliktregionen nicht wieder passieren. Ich finde es daher richtig und habe sehr darauf gedrängt, dass wir in Deutschland und Europa unsere politischen Ziele mit Blick auf die Sahelzone definieren.

Die Sahelzone ist für Europa eine Schlüsselregion – etwa, wenn es um die Migration oder die Bedrohung durch den Terrorismus geht. Deswegen ist es so wichtig, dass auch Deutschland dort engagiert bleibt – auch militärisch.

Wir tun dies im Zuge von Ausbildungsmissionen, die unseren afrikanischen Partnern helfen, sich selbst zu schützen. In diesen Missionen müssen wir noch robuster werden. Und uns genau prüfen, ob wir nicht in unserem gemeinsamen Interesse noch mehr tun können.

Gemeinsames Handeln wünsche ich mir auch mit Blick auf die Straße von Hormuz. Deutschland beteiligt sich nicht an der US-Mission, weil wir im Umgang mit dem Iran „Maximum Pressure“ nicht für den richtigen Weg halten. Aber natürlich sind die Stabilität der Region und das weltweite Prinzip freier Seewege auch für uns von höchster Bedeutung.

Ich bin deshalb dafür, erstmals die Mittel des EU-Vertrages wirklich auszuschöpfen und auf einem EU-Gipfel einzelne Mitgliedstaaten zu beauftragen, eine gemeinsame Mission durchzuführen.

Wir haben die gemeinsamen Instrumente und die gemeinsamen Interessen – fassen wir endlich auch den gemeinsamen politischen Willen!

Ein anderes Beispiel ist das Format der E3 aus Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Es erfüllt eine wichtige Scharnier-Funktion zwischen NATO und EU – und sollte daher flexibel und inklusiv sein. Mit Blick auf die Stabilisierung Libyens bin ich zum Beispiel dafür, Italien in dieses Format einzubinden.

Vor allem ist E3 aber ein Beispiel dafür, wie Großbritannien trotz des bedauerlichen Austritts aus der EU in unsere unteilbare europäische Sicherheit involviert bleibt – und bleiben muss.

Meine Damen und Herren, um Europas Handlungsfähigkeit und Tatkraft zu steigern, entwickeln Frankreich und Deutschland die militärischen Plattformen der Zukunft – immer offen für den Verbund mit anderen.

Wie zum Beispiel beim Future Combat Air System, wo wir schon die ersten Schritte der Umsetzung gehen – gemeinsam mit Spanien. Gerade vor drei Tagen konnten wir gemeinsam mit dem Bundestag das Geld für diese konkreten Schritte auf den Weg bringen.

Voran gehen wir auch beim Main Ground Combat System – wenn man so will: dem Panzer der Zukunft. Da zeigen wir Europäer, dass es uns ernst ist damit, mehr eigenes Gewicht in die Waagschale zu legen – militärisch, technologisch, industriepolitisch.

Das soll weit über das Militärische hinausgehen. Deswegen wünsche ich mir zum Beispiel auch mehr Initiativen zur Zusammenarbeit auf den Feldern der Künstlichen Intelligenz und des Quantencomputing.

Und ich wünsche mir einen gemeinsamen europäischen Ansatz gegenüber Drohnen und in der Luftabwehr – insbesondere mit den Partnern in Mittelosteuropa, die zurecht eine gemeinsame Bedrohungswahrnehmung haben. Darüber möchte ich in den kommenden Wochen mit unseren Freunden sprechen – in Paris, aber auch in Warschau, Budapest, Prag und Bratislava.

Denn wir alle gehören zusammen, wir alle sind der Westen, den wir in alle Himmelsrichtungen stärken wollen. 

Ich habe gesagt: Der Westen ist eine Idee. 

Manche im Westen haben angesichts der Krisen und Enttäuschungen der vergangenen Jahre zu zweifeln begonnen, ob die Idee des Westens noch zur Orientierung taugt.

Ich sage: Diese Idee ist ungebrochen attraktiv, sie fasziniert Menschen überall.

Wie sehr die Idee des Westens sich noch immer selbst Geltung verschafft, sehen wir auch daran, dass Menschen in ihren Ländern für mehr Freiheit auf die Straße gehen und aller Einschüchterung und Unterdrückung trotzen. Diese Menschen zeigen uns: Der beste Weg, den Westen zu verteidigen, ist, seinen Ideen Raum zur Entfaltung zu geben.

Meine Damen und Herren, wir stehen am Beginn eines neuen Jahrzehnts. Und ich frage mich: Wie soll die Welt zu Beginn des nächsten Jahrzehnts aussehen?  Und was müssen wir heute unternehmen, damit diese Welt 2030 Wirklichkeit wird?

Ich denke, eine gute Richtschnur dafür ist es, die Gemeinschaft der Freiheit durch konkretes Handeln zu stärken. Es geht darum, die Idee des Westens nicht nur als Bekenntnis im Munde zu führen, sondern mit konkreten Taten lebendig zu machen.

Lassen Sie uns daran gemeinsam weiter arbeiten. 

Herzlichen Dank.

Fotoquelle (Archiv): TP Presseagentur Berlin

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