„Droht den Justizvollzugsanstalten der Kollaps?“

16. Sitzung des Niedersächsischen Landtages, Mündliche Anfrage Nr. 39
Die Justizministerin Barbara Havliza beantwortet namens der Landesregierung die Mündliche Anfrage Nr. 39 der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Dr. Stefan Birkner und Jan-Christoph Oetjen (FDP):

Vorbemerkung der Abgeordneten

Am 25. April 2018 berichtete die Braunschweiger Zeitung (BZ), dass die Zustände in deutschen Justizvollzugsanstalten „beunruhigend“ seien. Der Justizvollzug sei bereits überlastet, und die Situation würde sich weiter verschärfen, wenn durch die 15.000 zusätzlichen Stellen bei den Sicherheitsbehörden und die 2.000 neuen Stellen bei der Justiz „mehr Verbrechen aufgedeckt und verhandelt, mehr Strafen verhängt und vollstreckt“ würden. Die Haftanstalten seien bereits jetzt überfüllt, und Ministerien in Sachsen und Niedersachsen berichten u.a. von organisierten kriminellen Strukturen. (BZ, 25. April 2018)

Vorbemerkung der Landesregierung

Der niedersächsische Justizvollzug ist sich seiner Verantwortung im Umgang mit Gefangenen, die dem politischen und religiösen Extremismus sowie der Banden- und Organisierten Kriminalität zuzuordnen sind, bewusst. Diese Gefangenen stehen unter besonderer Beobachtung. Es gilt zu verhindern, dass sie ihre extremistischen Vorstellungen weiter verbreiten und/oder subkulturelle sowie kriminelle Strukturen innerhalb des Justizvollzuges aufbauen. Die zur Gefahrenabwehr anzuordnenden Maßnahmen sind vielschichtig und reichen von einer verstärkten Beobachtung, über Überwachungsmaßnahmen bei Besuchen, Telefonaten oder des Schriftwechsels bis hin zu unausgesetzten Absonderung von Mitgefangenen.

Bisher liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Gefangene, die dem politischen und religiösen Extremismus zuzuordnen sind, organisierte kriminelle Strukturen im niedersächsischen Justizvollzug aufbauen. Bei Gefangenen, die der Russisch-Eurasischen Organisierten Kriminalität zuzuordnen sind, gibt es seit vielen Jahren Erkenntnisse, dass diese Gefangenen die Anstaltssubkultur zu steuern versuchen, strukturiert-hierarchisch organisiert sind, anstaltsübergreifend vernetzt operieren und über ein schwer zu dechiffrierendes Kommunikations- sowie über ein weitreichendes Informationssystem verfügen. Deshalb wurde ein Konzept zur Einführung und Umsetzung eines in den Justizvollzugseinrichtungen einheitlich und standardisierten Informationsmanagements erarbeitet. Im Ergebnis wurde im Jahr 2014 die Zentrale Informationsstelle für Banden- und Organisierte Kriminalität (ZIBOK) bei der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel eingerichtet. Vorrangiges Ziel dieser Fachabteilung ist es, die Kontakte und Kommunikation der Gefangenen, die der Russisch-Eurasisch Organisierten Kriminalität oder der Subkultur der jeweiligen Justizvollzugseinrichtung zugeordnet werden, zentral zu erheben und zu untersuchen. Die hieraus gewonnen Erkenntnisse werden von der Fachabteilung anstaltsübergreifend analysiert und ausgewertet sowie den Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt. Dadurch gelingt es, die Aktivitäten der entsprechenden Gefangenen aufzuhellen und in der Folge einzudämmen.

1. Welche organisierten kriminellen Strukturen existieren in niedersächsischen Justizvollzugsanstalten (bitte aufschlüsseln nach Tätergruppierungen und Anstalten)?

Mit Stand 08.05.2018 wurde folgende Anzahl von Gefangenen, die der Russisch-Eurasischen Organisierten Kriminalität oder der Subkultur der jeweiligen Justizvollzugsanstalt angehören, ermittelt:

JVA Bremervörde:                   4

JVA Celle:                               12

JVA Hannover:                         7

JVA Lingen:                            13

JVA Meppen:                          10

JVA Oldenburg:                      12

JVA Rosdorf:                          23

JVA Sehnde:                             8

JVA Uelzen:                              1

JVA Vechta:                              1

JVA Wolfenbüttel:                   20

Gesamtsumme:                      110

2. Welche Auslastung haben derzeit die niedersächsischen Justizvollzugsanstalten (bitte aufschlüsseln nach Anstalten)?

Die Auslastung der niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen ergibt sich aus der nachfolgenden Tabelle:

Auslastung der niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen im April 2018
im Durchschnitt belegte Haftplätze Haftplätze (festgesetzt) durchschnittliche Auslastung in % höchster Bestand
JA Hameln 394,74 706 55,91 % 410
JVA Bremervörde 258,61 300 86,20 % 269
JVA Celle 190,84 222 85,96 % 194
JVA für Frauen Vechta 208,00 305 68,20 % 214
JVA Hannover 506,19 614 82,44 % 535
JVA Lingen und JVK 611,26 792 77,18 % 642
JVA Meppen 394,13 413 95,43 % 398
JVA Oldenburg 345,81 437 79,13 % 368
JVA Rosdorf 334,19 386 86,58 % 351
JVA Sehnde 566,68 663 85,47 % 590
JVA Uelzen 264,68 332 79,72 % 276
JVA Vechta 287,87 359 80,19 % 296
JVA Wolfenbüttel 362,03 449 80,63 % 372
Summen 4725,03 5978 80,23 % 4915

3. Wie viele Islamisten sitzen momentan in niedersächsischen Justizvollzugsanstalten (bitte nach Anstalten aufschlüsseln)?

Mit Stand 11.05.2018 befinden sich im niedersächsischen Justizvollzug

  • insgesamt zwei Gefangene wegen Bildung, Mitgliedschaft oder Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung „IS“ gemäß §§ 129a, 129b StGB verurteilte Gefangene und
  • ein Gefangener wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a StGB in Strafhaft,
  • 10 weitere Gefangene wegen des Verdachts der Bildung, Mitgliedschaft oder Unterstützung einer islamistischen Terrorgruppe gemäß §§ 129a, 129b StGB sowie in einem Fall zusätzlich wegen des Verdachts der Terrorismusfinanzierung gemäß § 89 StGB in Untersuchungshaft.
  • Im 1. Quartal 2018 ist darüber hinaus bei 30 Strafgefangenen und 6 Untersuchungsgefangenen, die wegen anderer Delikte in Haft sind, aufgrund von vollzuglichen Erkenntnissen oder Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden anzunehmen, dass die mit radikal-islamischen Überzeugungen sympathisieren.

Die genannten Gefangenen sind in den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten im Einzelnen wie folgt untergebracht:

Justizvollzugsanstalt Untersuchungshaft Strafhaft/ Jugendstrafe
JVA Celle 4 Gefangene  2 Gefangene
JVA Hannover 2 Gefangene 1 Gefangener
JVA Sehnde 2 Gefangene 5 Gefangene
JVA Rosdorf 1 Gefangene 3 Gefangene
JVA Wolfenbüttel 3 Gefangene 3 Gefangene
JA Hameln         – 2 Gefangene
JVA für Frauen Vechta         – 1 Gefangene
JVA Vechta 1 Gefangener 7 Gefangene
JVA Oldenburg 2 Gefangene 1 Gefangener
JVA Meppen         – 1 Gefangener
JVA Bremervörde         – 2 Gefangene
JVA Lingen 1 Gefangener 5 Gefangene
Summe: 16 Gefangene 33 Gefangene

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