EU-Kommission eröffnet Debatte über Wege zur Sicherheits- und Verteidigungsunion – Kritik von den Grünen.

Die Europäische Kommission hat heute eine öffentliche Debatte über die Zukunft der Verteidigungspolitik in einer EU mit 27 Mitgliedstaaten angestoßen. In einem Reflexionspapier erläutert die Kommission verschiedene Szenarien für den Umgang der EU mit den wachsenden Bedrohungen in der Sicherheit und Verteidigung. Die Debatte soll dabei helfen, geeignete Instrumente für mehr Schutz und Sicherheit für Europas Bürger zu entwickeln, eine der Prioritäten der Juncker-Kommission. Ergänzend zum Reflexionspapier hat die Kommission konkrete Vorschläge für die Einrichtung eines Europäischen Verteidigungsfonds vorgestellt, der mehr Effizienz bei den Ausgaben der Mitgliedstaaten für gemeinsame Verteidigungsfähigkeiten bringen soll.

Die Vertreterin der EU für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, Federica  Mogherini sagte heute dazu: „Wir kommen beim Thema Sicherheit in der Europäischen Union rasch und gut voran. Die Kommission begleitet und unterstützt die Mitgliedstaaten bei ihrem entschlossenen Vorgehen. Mit dem heute vorgelegten Reflexionspapier leistet die Kommission ihren Beitrag zu den Überlegungen, die über die Zukunft der Union auf diesem Gebiet angestellt werden. Ausgangspunkt dabei ist die Forderung der Bürger nach mehr Integration und Effizienz in Sachen Verteidigung. Die Europäische Union bietet uns die Möglichkeit, die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung militärischer Fähigkeiten zu unterstützen und effizienter in unsere Verteidigung zu investieren. In weniger als einem Jahr haben wir einiges erreicht und wir werden entschlossen in diesem Tempo weiterarbeiten.“

„In der Welt von heute kommt es mehr als je zuvor auf eine starke NATO und eine starke EU an. Als noch stärkerer Partner für seine Verbündeten muss Europa seine Sicherheit und seine Verteidigung selbst in die Hand nehmen und dabei Überschneidungen und Doppelarbeit vermeiden. Wir kennen unseren Kurs und den Mitgliedstaaten kommt die Führungsrolle zu. Jetzt ist es an der Zeit zu entscheiden, wie rasch wir am Ziel ankommen wollen“, sagte der für Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit zuständige Vizepräsident Jyrki Katainen.

Die EU-Staats- und Regierungschefs werden bei ihrem Treffen in Prag am 9. Juni beraten, wie das Potenzial der EU-Verträge ausgeschöpft werden kann, um die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich auszubauen. Die Kommission legt als Beitrag zu dieser Diskussion drei mögliche Szenarien für die Zukunft der europäischen Verteidigung vor.

  • Szenario „Zusammenarbeit im Bereich Sicherheit und Verteidigung“: Die Mitgliedstaaten würden über die notwendige Zusammenarbeit im Sicherheits- und Verteidigungsbereich nach wie vor selbst auf freiwilliger Basis und im konkreten Einzelfall entscheiden. Die EU dagegen würde weiterhin die Bemühungen auf nationaler Ebene ergänzen. Die Zusammenarbeit im Bereich Verteidigung würde zwar intensiviert, die EU würde sich aber auch künftig an den anspruchsvollsten Operationen nur beschränkt beteiligen. Mithilfe des künftigen Europäischen Verteidigungsfonds könnten zwar einige neue gemeinsame Fähigkeiten entwickelt werden, Entwicklung und Beschaffung von Verteidigungsfähigkeiten unterstehen aber immer noch weitgehend der Aufsicht der einzelnen Mitgliedstaaten. Format und Struktur der Zusammenarbeit zwischen EU und NATO würden in der jetzigen Form beibehalten.
  • Das ambitioniertere Szenario „Geteilte Verantwortung für Sicherheit und Verteidigung“ sieht Folgendes vor: Die Mitgliedstaaten würden für mehr Solidarität im Verteidigungsbereich bestimmte finanzielle und operative Ressourcen bündeln. Die EU würde sich auch stärker für den Schutz Europas innerhalb und außerhalb seiner Grenzen engagieren. Sie würde eine größere Rolle im Cyberbereich, beim Grenzschutz oder der Terrorbekämpfung spielen und die Verteidigungs- und Sicherheitsdimension ihrer Energie-, Gesundheits-, Zoll- oder Weltraumpolitik aufwerten. Ergänzt würde dies durch den politischen Willen zum Handeln sowie durch eine Entscheidungskultur, die einem sich rasch wandelnden Kontext gerecht wird. Die EU und die NATO würden ferner stärker zusammenarbeiten und sich in einer Reihe von Fragen enger abstimmen.
  • Als ambitioniertestes Szenario umfasst die „Gemeinsame Verteidigung und Sicherheit“ Folgendes: Schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union, die in eine gemeinsame Verteidigung auf der Grundlage von Artikel 42 des EU-Vertrags münden würde. Die bestehende Bestimmung ermöglicht es einer Gruppe von Mitgliedstaaten, eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der europäischen Verteidigung begründen. Gemäß diesem Szenario würde der Schutz Europas zum Vorteil beider Seiten der Verantwortung von EU und NATO unterstellt. Auf dem Fundament eines höheren Niveaus an Integration der Verteidigungskräfte der Mitgliedstaaten wäre die EU in der Lage, Sicherheits- und Verteidigungseinsätze im sogenannten Hochwertbereich durchzuführen. Die EU würde gemeinsame Verteidigungsprogramme mit dem Europäischen Verteidigungsfonds unterstützen und eine eigene Europäische Agentur für Verteidigungsforschung einrichten. Dies würde auch dazu beitragen, dass ein echter europäischer Markt für Verteidigungsgüter entsteht, der für wichtige strategische Tätigkeiten Schutz vor feindlichen Übernahmen von außen bieten kann.

Diese Szenarien schließen sich nicht gegenseitig aus, zeigen aber, dass es drei unterschiedlich ambitionierte Solidaritätsniveaus gibt. An der Stärkung der Sicherheit Europas führt kein Weg vorbei. Die Mitgliedstaaten werden die Führungsrolle übernehmen und bestimmen, wie stark die Unterstützung durch die EU-Institutionen ausfallen soll. Den Blick in die Zukunft gerichtet müssen sie jetzt darüber entscheiden, auf welchem Kurs und in welchem Tempo sie den Schutz der Bürgerinnen und Bürger Europas gewährleisten wollen.

Die Einrichtung eines Europäischen Verteidigungsfonds 

Die EU-Kommission hat heute außerdem  einen Europäischen Verteidigungsfonds ins Leben gerufen, der es den Mitgliedstaaten erleichtern soll, das Geld des Steuerzahlers effizienter zu investieren, unnötige Mehrfachausgaben zu vermeiden und kostengünstiger zu wirtschaften. Der Fonds wurde im September 2016 von Präsident Juncker angekündigt und im Dezember 2016 vom Europäischen Rat unterstützt. Mit ihm werden die Investitionen, die auf nationaler Ebene in die Verteidigungsforschung, die Entwicklung von Prototypen und die Beschaffung von Verteidigungsgütern und -technologien fließen, koordiniert, ergänzt und verstärkt.

Jyrki Katainen betonte den  Mehrwert durch das Vorantreiben gemeinsamer Forschung: „In ganz Europa machen sich die Menschen Sorgen über ihre Sicherheit und die ihrer Kinder. Wir müssen in diesem Bereich mehr tun und besser werden. Dafür müssen wir unsere Zusammenarbeit mit der NATO ausbauen. Heute zeigen wir, dass wir Worten Taten folgen lassen. Der Fonds dient als Triebfeder für eine leistungsfähige europäische Verteidigungsindustrie, die vollständig kompatible Spitzentechnologie und hochmoderne Ausrüstungen entwickelt. Die Mitgliedstaaten bleiben dabei bestimmend, können aber mehr aus ihren Geldern machen – und letztlich an Einfluss gewinnen.“

Elżbieta Bieńkowska, die für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU verantwortliche Kommissarin, fügte hinzu: „Europa muss zum Sicherheitsgaranten werden. Mit dem Fonds wird die gemeinsame Verteidigungsforschung und die Entwicklung von Verteidigungsfähigkeiten gefördert. Von ihm gehen ganz neue Impulse für die strategische Autonomie der EU und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Verteidigungsindustrie aus. Davon profitieren auch die vielen KMU und Midcap-Unternehmen in der Wertschöpfungskette der europäischen Verteidigungsbranche.“

Der Europäische Verteidigungsfonds setzt auf zwei Ebenen an:

  • Forschung: Der forschungsbezogene Teil des Fonds ist bereits wirksam. 2017 wird die EU erstmals Fördermittel für die gemeinsame Forschung im Bereich innovativer Verteidigungstechnologien und -güter anbieten, die vollständig und unmittelbar aus dem EU-Haushalt stammen. Bei den Projekten, die für eine EU-Finanzierung infrage kommen, liegt der Schwerpunkt auf zuvor von den Mitgliedstaaten vereinbarten Bereichen. Typische Beispiele hierfür sind Elektronik, Metawerkstoffe, verschlüsselte Software oder Robotertechnik. Folgende Mittelausstattung ist hierfür geplant:
    • 90 Mio. Euro bis Ende 2019, davon 25 Euro für 2017. Heute wird eine Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen für Projekte veröffentlicht, die für die Bereiche der unbemannten Systeme im Marineumfeld und der Soldatensysteme erbeten werden. Die ersten Finanzhilfevereinbarungen sollen bis Ende dieses Jahres unterzeichnet sein.
    • 500 Mio. Euro pro Jahr nach 2020. 2018 wird die Kommission ein spezielles EU-Verteidigungsforschungsprogramm mit jährlichen Mitteln von schätzungsweise 500 Mio. EUR vorschlagen, das die EU zu einem der größten Investoren in die Verteidigungsforschung in Europa macht.
  • Entwicklung und Beschaffung: Der Fonds wird durch die Kofinanzierung aus dem EU-Haushalt und praktische Unterstützung von der Kommission Anreize für die Mitgliedstaaten schaffen, bei der gemeinsamen Entwicklung und Beschaffung von Verteidigungsgütern und -technologien zu kooperieren. Beispielsweise könnten sie gemeinsam in die Entwicklung von Drohnentechnologie oder Satellitenkommunikation investieren oder Hubschrauber in großer Stückzahl ankaufen und damit ihre Ausgaben reduzieren. Nur gemeinsame Projekte können finanziert werden, und ein Teil des Gesamthaushalts ist für Projekte zweckgebunden, an denen KMU aus mehreren Ländern teilnehmen. Die EU wird eine Kofinanzierung in folgender Höhe anbieten:
    • 500 Mio. Euro im Rahmen eines heute vorgeschlagenen speziellen Entwicklungsprogramms insgesamt für 2019 und 2020.
    • 1 Mrd. Euro pro Jahr nach 2020: Ein größer angelegtes Programm, das jährlich mit 1 Mrd. Euro ausgestattet ist, wird für die Zeit nach 2020 ausgearbeitet. Dank des Programms ist für die nationale Finanzierung eine Hebelwirkung mit einem fünffachen Multiplikatoreffekt zu erwarten. Es könnte somit dafür sorgen, dass nach 2020 insgesamt 5 Mrd. Euro pro Jahr in die Entwicklung der Verteidigungsfähigkeit investiert werden.

Mit Blick auf die Zukunft veröffentlicht die Kommission nach ihrem Weißbuch zur Zukunft Europas heute auch ein Reflexionspapier, das eine öffentliche Debatte darüber in Gang setzen soll, wie sich die EU mit ihren 27 Mitgliedstaaten bis 2025 im Verteidigungsbereich weiterentwickeln könnte.

Weitere Informationen:

Ein Europa, das sich verteidigt: Kommission eröffnet Debatte über Wege zur Sicherheits- und Verteidigungsunion

Fragen und Antworten zur Zukunft der europäischen Verteidigung

Reflexionspapier über die Zukunft der europäischen Verteidigung

Der Europäische Verteidigungsfonds: 5,5 Mrd. Euro pro Jahr, um Europas Verteidigungsfähigkeiten zu stärken

Der Europäische Verteidigungsfonds – Häufig gestellte Fragen

Factsheet zum Europäischen Verteidigungsfonds

Mitteilung „Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds“

Vorschlag für eine Verordnung

Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen

Weißbuch zur Zukunft Europas

Meinungsumfrage zum Thema Verteidigung in der EU (Spezial-Eurobarometer 461, April 2017)

 

EU-Verteidigungsfonds: Keine zivilen Gelder für die Rüstungsindustrie

Zu den heute veröffentlichten Plänen der EU Kommission für einen Verteidigungsfonds erklärt Doris Wagner, Bündnis 90/Die Grünen, Berichterstatterin im Verteidigungsausschuss des Bundestages:

„Es ist richtig, dass die EU-Mitglieder in der Sicherheitspolitik und insbesondere in der Verteidigungsplanung enger zusammenarbeiten. Doch die heute vorgestellten Pläne gehen den falschen Weg.

Nach den Plänen der Kommission sollen noch in diesem Jahr 25 Millionen Euro aus dem Haushalt der EU für Rüstungsforschung umgewidmet werden. Und für die Jahre 2019-2020 sollen sogar 500 Millionen Euro des EU-Budgets für die Entwicklung von gemeinsamen Fähigkeiten umgewidmet werden.

Dies werden keine neuen Gelder sein. Vielmehr sollen andere Bereiche des EU Haushaltes zugunsten von Rüstungsinvestitionen gekürzt werden. EU-Gelder, die bisher für zivile Forschung, Krisenprävention oder Entwicklungszusammenarbeit vorgesehen sind, dürfen auf keinen Fall für militärische Zwecke oder zur Unterstützung der Rüstungsindustrie missbraucht werden. Die Entscheidung, Rüstungsprojekte aus dem EU-Haushalt zu finanzieren bedeutet einen klaren Bruch mit dem zivilen Charakter der Europäischen Union.

Nach Berechnungen der Kommission gibt es im Rüstungsbereich unter den EU-Mitgliedsstaaten ein Einsparungspotenzial von 20 bis zu 100 Milliarden Euro. Statt nun also Gelder des EU-Haushalts umzuwidmen müssen die Mitgliedsstaaten zunächst ihre Fähigkeitenplanung besser miteinander abstimmen. Bisher haben sich die EU-Staaten einer solchen engen Abstimmung ihrer nationalen Planung aber verweigert. Ob der nun geplante Verteidigungsfonds daran etwas ändern kann, darf bezweifelt werden.

Eine wirksame und nachhaltige Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wie die EU sie 2013 als Ziel formuliert hat, wird nicht durch überdimensionierte und ziellose Investitionen in Panzer und Drohnen erreicht. Nachhaltigen Frieden schaffen vor allem die zivilen Instrumente der EU. Deshalb sollten die EU-Mitglieder alles daran setzen, die im November bekundete Absicht zur Stärkung der zivilen Säule der GSVP rasch in die Tat umzusetzen. Konkrete Pläne lassen nach wie vor auf sich warten.“

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