Große Verdienste statt großer Namen: Zum 100. Bühnenjubiläum lud der Friedrichstadt-Palast in Berlin keine Prominenz, sondern 1.900 Berliner*innen ein.

Das VIVID-Bühnenensemble mit 1.900 Gästen der Jubiläumsvorstellung.

Zum 100. Geburtstag einer nationalen Institution wie dem Friedrichstadt-Palast in Berlin könnte der rote Teppich voller prominenter Politiker*innen, Stars und Sternchen sein. Stattdessen galt am Freitag bei der Jubiläumsvorstellung: Promidichte null. Der Palast feierte seine hundertjährige Bühnengeschichte mit 1.900 geladenen Menschen aus Krankenhäusern, Feuerwehren, Polizeien und anderen Einrichtungen, die die Hauptstadt jeden Tag zusammenhalten. Rechtzeitig zum Jubiläum wehte nun auch eine Flagge mit Davidstern und der Aufschrift ‚Jüdische Wurzeln seit 1919‘ vor dem Haupteingang. Damit steht der Palast, gibt er sich stolz, eindeutig zu seinem jüdischen Erbe.

Gestern vor exakt 100 Jahren begann die bewegte Bühnengeschichte des Friedrichstadt-Palastes: Am 29. November 1919 eröffnet der jüdische Theatervisionär Max Reinhardt das Große Schauspielhaus – den Vorgängerbau des Palastes.

Statt hochrangige Prominente aus Politik sowie Stars und Sternchen einzuladen, rollte der Palast denjenigen den roten Teppich aus, die zu solchen Ereignissen sonst eher nicht geladen sind – Menschen aus Krankenhäusern, Feuerwehren, Polizeien und Hilfseinrichtungen, Menschen, die sich freiwillig und ehrenamtlich für das Gemeinwohl engagieren. Sie alle kamen mit Ehrenkarten in den Genuss einer kostenlosen Vorstellung und im Anschluss einer rauschenden Geburtstagsparty. Damit wirklich jeder Sitzplatz an verdiente Berlinerinnen und Berliner ging, waren nicht nur keine Prominenten, sondern ebenso Aufsichtsrat und Führungskräfte nicht geladen.

Auch Intendant Dr. Berndt Schmidt hatte nur einen Stehplatz beim Tonpult. In seiner Begrüßungsrede erklärte er: „Heute wollen wir uns nicht selbst feiern, uns nicht im Glanz hoher Politik und Prominenz sonnen und beweihräuchern lassen. Zum 100. Geburtstag wollen wir lieber etwas zurückgeben. Der Palast gehört dem Land Berlin und Berlin verdankt Ihnen im Saal viel. Sie sind die menschliche Wärme, Sie sind der unverzichtbare soziale Kitt, der eine kulturell vielschichtige Großstadt wie Berlin erst zusammenhält, in guten und schwierigen Zeiten. Unser jüdischer Gründer Max Reinhardt wollte ein Theater für alle, nicht nur für Spitzen und Eliten. Insofern wäre diese Art der Feier sicher ganz in seinem Sinne.“

Bevor die VIVID Grand Show die Gäste begeisterte, zeigt der Palast einen von Verwaltungsdirektor und Kurator des Bühnenjubiläums Guido Herrmann konzipierten Kurzfilm. Es erklingt, zum ersten Mal im neuen Friedrichstadt-Palast, die Stimme Max Reinhardts. In eindrucksvollen Bildern wird an die wechselvolle Vergangenheit erinnert: Damals noch am Schiffbauerdamm unter der Adresse Am Zirkus 1 gelegen, durchlebt das Theater die Goldenen Zwanziger. 1934 unter den Nationalsozialisten umbenannt in Theater des Volkes und direkt der NS-Arbeiterorganisation KdF und Goebbels‘ Reichspropagandaministerium zugeordnet, nimmt es bereits im Sommer 1945 wieder seinen Betrieb auf. Im Sowjetischen Sektor gelegen, erhält es 1947 seinen heutigen Namen Friedrichstadt-Palast (übrigens schon damals in der Schreibweise mit dem berühmt-berüchtigten Bindestrich). In der DDR ist der Palast das größte und renommierteste Unterhaltungstheater und kann sich diesen Rang später auch im wiedervereinigten Deutschland erspielen. Aus baustatischen Gründen steht das Theater seit 1984 als letzter großer Prachtbau der DDR 140 Meter weiter an der Friedrichstraße 107.

Auch aufgrund der Tatsache, dass die Gründer Max Reinhardt, Erik Charell, Hans Poelzig und seine Frau und Arbeitspartnerin Marlene unter der NS-Diktatur litten, weil sie jüdischer Abstammung waren, homosexuell oder ihre Architektursprache als entartet galt, setzt sich der Palast bewusst für Freiheit, Vielfalt und Demokratie ein. Als Bekenntnis zu seinem Erbe weht vor dem Haupteingang nun auch eine Fahne mit Davidstern und der Aufschrift ‚Jüdische Wurzeln seit 1919‘. Damit zeigt das Haus unmissverständlich Flagge gegen wiederaufkeimenden Judenhass.

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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