„Ich möchte niemand sein, der für die Abschaffung der Gefängnisse plädiert, aber selbst ein Gefängnis leitet“.

TP-Interview mit Ex-Anstaltsleiter und Buchautor Thomas Galli.

TP: Herr Dr. Galli, Sie haben Ihren Dienst quittiert, Ihre sichere Arbeitsstelle als Anstaltsdirektor in der sächsischen Justizvollzugsanstalt Zeithain gekündigt. Warum denn nun dieser Schritt?

Galli: Es war keine leichte, auch keine eindeutige, sondern eine mit gewissen Konflikten verbundene Entscheidung. Letztlich habe ich aber im Verlauf der Diskussionen in den letzten Monaten gemerkt, dass sich meine Überzeugung, dass die Freiheitsstrafe – zumindest in den meisten Fällen – nicht sinnvoll, auch nicht menschlich ist, auf Dauer mit meiner Tätigkeit als Anstaltsleiter einfach nicht vereinbaren lässt.

TP: Der Justizminister in Brandenburg, Stefan Ludwig,  hat ja nun eindeutig gegenüber der TP Presseagentur zum Ausdruck gebracht, dass er sich freuen würde, wenn Sie Anstaltsleiter in Brandenburg wären. Hätten Sie sich nicht vorstellen können, dort eine Planstelle zu bekommen, bei der Sie einen großen Ermessensspielraum gehabt hätten, Ihre Vorstellungen zu verwirklichen?

Galli: Erst einmal freut und ehrt mich das sehr, dass Herr Ludwig an mich denkt. Aber letztlich ist es so, dass man als Anstaltsleiter auch mit dem größten Ermessensspielraum keinen Einfluss darauf hat, ob jemand eingesperrt wird und wie lange. Das sind ja eher die grundsätzlichen Fragen, die mich so rumtreiben und dass man das Strafrecht grundsätzlich reformiert. Daran kann ein Anstaltsleiter in der täglichen Praxis nichts ändern, ganz im Gegenteil, man kommt dann schnell an seine Grenzen. Es wird dann auch sehr schwierig eine Anstalt zu leiten, wenn jeder weiß, man ist der Meinung, die Leute sollten eigentlich freigelassen werden und man sollte andere Dinge mit ihnen machen als sie einzusperren. Das ist dann auch sehr schwierig im Mitarbeiter- und Kollegenkreis. Das passt dann einfach nicht zusammen.

Anstaltsdirektor und Abolitionist Thomas Galli in Brandenburg willkommen.

TP: Sie wurden ja gerade wegen Ihrer abolitionistischen Auffassung zur Strafvollzugskonferenz in den brandenburgischen Landtag in Potsdam im Mai eingeladen. Auch wenn Herr Ludwig dann Ihre Auffassung eher als unrealistisch betrachtete, war diese Auffassung doch der Aufhänger Sie nach Potsdam einzuladen, zumindest um kontrovers darüber zu diskutieren. Mit vollem Erfolg. Wenn Sie nun Anstaltsleiter in Brandenburg wären bzw. eine ähnliche Funktion dort hätten, dann könnten Sie doch – nachdem die Strafvollzugsgesetze Ländersache geworden sind –  bestimmt einen gewissen Einfluss darauf nehmen?

Galli: Wenn sich da jetzt die Gelegenheit ergäbe, dass in Brandenburg jemand gebraucht würde, den Strafvollzug und die Freiheitsstrafe – zumindest soweit es realistisch ist – schrittweise abzubauen, dann wäre das nichts, was ich ausschlösse.

TP: Zumindest die unbestimmten Rechtsbegriffe in den Gesetzbüchern zu bestimmten Rechtsbegriffen  und so gerichtlich durchsetzungsfähiger zu machen?

Galli: Das wäre schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.

TP: Ihre Gedanken dazu würden in Brandenburg doch zumindest wohlwollend geprüft.

Galli: Von meiner Seite aus besteht immer das Interesse daran, mich da einzubringen. Zunächst möchte ich es jedoch als Anwalt probieren; aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Aber wie gesagt, als Gefängnisdirektor – in welchem Bundesland auch immer : das passt nicht zu mir, das geht nicht.

TP: Wenn Sie demnächst als Anwalt agieren, haben Sie doch bestimmt massive finanzielle Einbußen gegenüber Ihrer bisherigen Tätigkeit als Anstaltsleiter. Haben Sie sich darüber schon Gedanken gemacht, zumal Sie ja auch eine Familie zu ernähren und zu unterstützen haben?

Galli: Darüber habe ich mir viele Gedanken gemacht. Das war auch einer der Punkte, die zu den inneren Konflikten beigetragen haben, das gute und sehr sichere Beamtengehalt aufzugeben.

TP: Und die Pensionsansprüche.

Galli: Auch die Pension. Ich hoffe, dass ich in einem Jahr sagen kann, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, wenn es mir gelingt, irgendwo anders beruflich einigermaßen Fuß zu fassen und über die Runden zu kommen. Es kann natürlich auch sein, dass ich in einem Jahr sage, das war der größte Fehler, den ich je machen konnte. Das will ich auch nicht ausschließen. Die Intensität in den letzten Monaten war auch für mich eine völlig neue Situation, dass alle Welt jetzt mit mir über das Thema Strafvollzug reden will.

TP: Vor allem über die Abschaffung der Gefängnisse.

Galli: Ich habe meine Meinung da immer vertreten, ich stehe auch dazu. Da war es mir jetzt am Schluss wichtiger, zu meiner Überzeugung stehen zu können, um mich nicht nur gegenüber anderen unglaubwürdig zu machen, sondern mir auch selber gegenüber. Es gibt jetzt sehr viele, die auf Tagungen sehr progressive Ansätze vertreten, aber rein faktisch kriegen sie dann doch ihr Geld und dickes Gehalt vom Staat und machen so weiter. Ich möchte niemand sein, der in 20 Jahren auf Tagungen noch die Abschaffung der Gefängnisse fordert, aber selbst ein Gefängnis leitet. Das passt einfach nicht.

TP: Wäre es nicht besser, gleich Arbeitslosengeld zu beantragen denn als Anwalt zu arbeiten, der in erster Linie nur Strafrecht, Strafvollzugs- und vollstreckungsrecht machen möchte, zumal hier keine hohen Honorare zu erwarten sein dürften?

Galli: Vielleicht bin ich da ein bisschen zu optimistisch, weil ich zumindest die Hoffnung habe, dass ich davon leben kann. Aber natürlich sind das Bereiche, in denen erfahrene Leute sagen, da wird man alles andere als reich damit. Es ist schon meine Hoffnung, dass ich damit meinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Ich schreibe auch weiter; für Bücher kriegt man zwar letztlich noch weniger, aber ich versuche halt alles Mögliche zu machen.

TP: Im SWR – Südwestrundfunk – haben Sie in diesem Jahr gesagt, in Zeithain könnte man alle Gefangenen sofort entlassen. Dazu stehen Sie noch heute?

Galli: Ja, ja, das war auch so ein Punkt für mich, noch einmal mit einem Kamerateam vor der Anstalt vorzufahren und auf die Frage „Was würden Sie mit diesen Leuten machen?“, zu sagen: „Die würde ich alle entlassen, weil die alle im Durchschnitt 1 oder 2 Jahre Freiheitsstrafe haben, und da wird nichts besser in dieser Zeit.“ Aber man wird doch nicht mehr vor Ort eine Anstalt leiten können, wenn jeder weiß, wenn es nach ihm ginge, würde er alle freilassen. Das passt dann nicht mehr.

TP: Könnten Sie sich vorstellen, weiterhin auf Tagungen zu referieren und von den Honoraren, die es da gibt, zu leben?

Galli: Ich kann mir natürlich vorstellen weiter zu referieren, aber nicht mehr im bisherigen Umfang, das wäre ja Raubbau an meiner Gesundheit. Ich könnte höchstens noch 1 oder 2 Vorträge im Monat machen, aber davon kann man niemals leben. Wenn man Glück hat, kriegt man ein paar Hundert Euro, manchmal kriegt man auch gar nichts. Aber ich werde mich weiter zu dem Thema einbringen, das ist ja mein Thema.

TP: Könnten Sie sich nicht eine akademische Laufbahn vorstellen. Das wäre ja auch eine Möglichkeit, wieder in Pensionshoffnung zu kommen?

Galli: Ja, wenn sich dort eine Chance ergäbe, das würde mir auch liegen.

TP: Sie sind ja nun als Vorstandsmitglied in die Opferorganisation „netzwerkB“ gewählt worden. Diese Organisation zeichnet sich auch gerade dadurch aus, dass sie selbst für die Abschaffung der Gefängnisse plädiert. Also kein Zufall, dass Sie dort nun im Vorstand sitzen?

Galli: Die Betroffenen gerade von schweren Gewalt-und Sexualdelikten müssen nach meiner Überzeugung ganz wesentlich in eine Reform des Strafrechts einbezogen werden. Schließlich sollte das Strafrecht ja in erster Linie dazu dienen, solche schlimmen Taten möglichst zu verhindern, und wenn sie doch passieren, einen (oft nie ganz möglichen) gerechten Ausgleich herbeizuführen. Ich fürchte allerdings, dass die Betroffenen oft instrumentalisiert werden nach dem Motto „Die Opfer wollen lange Haftstrafen usw.“. Sieht man sich dann allerdings z.B. die Entschädigungen an, die Betroffene erhalten, und auch den mangelnden Aufklärungswillen etwa in Institutionen, in denen es oft seit Jahrzehnten zu sexuellem und anderem Missbrauch kommt, dann zeigt sich aus meiner Sicht eine andere fundamentale Schwäche und Ungerechtigkeit unseres Strafrechts: Die fast ausschließliche Zentrierung auf die Täter. Damit ist den Opfern nicht gedient, und niemandem ist gedient, wenn man die Interessen von Tätern und Opfern gegeneinander ausspielt. Es geht vielmehr darum, den Schaden, den Einzelne angerichtet haben, zumindest zu lindern, und manchmal auch zu heilen. Unser derzeitiges Strafrecht aber hat nicht diese lindernde, heilende Wirkung. Wenn man einen Vergleich mit der Medizin ziehen will, dann gleicht es eher der mittelalterlichen Methode des Aderlasses, bei der Kranken Blut abgenommen wurde im Glauben, sie dadurch zu heilen. Tatsächlich wurden sie dadurch noch kränker. Ich habe mich daher sehr gefreut, dass netzwerkB mich zur Mitwirkung eingeladen hat. Dort folgt man der Maxime, dass zumindest den meisten Betroffenen von Gewalt nicht damit gedient ist, wenn nun der Täter leidet. Es geht darum, Gewalt und ihre (auch institutionellen) Ursachen rückhaltlos aufzuklären, die Betroffenen tatsächlich zu unterstützen (und sie nicht oberflächlich abzufinden) und sie auch auf Augenhöhe in den Prozess der Aufklärung einzubinden. Außerdem müssen wirksame Maßnahmen ergriffen werden, die künftigen Missbrauch reduzieren. Wenn all das gegeben ist, ist ein Akt der Versöhnung möglich, der nicht alles heilen kann, aber deutlich mehr als es derzeit der Fall ist. Ich bin netzwerkB sehr dankbar, dass ich daran mitwirken darf.

Interview: Dietmar Jochum, TP Presseagentur

Foto: links Thomas Galli in der Humboldt-Universität zu Berlin; rechts Sebastian Gemkow, sächsicher Justizminister, in der Landesvertretung Brandenburg in Berlin.

Bildquellen: TP Presseagentur Berlin/dj

Auf der Herbsttagung der Justizminister*innen-Konferenz in der Brandenburgischen Landesvertretung in Berlin am 17. November wurde der sächsische Staatsminister der Justiz, Sebastian Gemkow (CDU), von der TP Presseagentur um ein Statement zur Kündigung von Thomas Galli gebeten. Gemkow sagte: „Herr Galli hat als Anstaltsleiter eine gute Arbeit in Sachsen gemacht, ganz ohne Frage, er hatte sehr progressive Vorstellungen, die aber jedenfalls keine massiven Auswirkungen auf die Sicherheit und Ordnung im Vollzug hatten. Die Anstalt ist eine sehr gut geführte Anstalt gewesen.“

Ein Bedauern über die Kündigung Gallis konnte die TP Presseagentur Gemkow nicht abringen.

Thomas Galli im Brandenburgischen Landtag in Potsdam: https://youtu.be/e3wWyZlCCZY

https://www.youtube.com/watch?v=slKAAFovQfM

18 Antworten

  1. Da kann man Herrn Galli nur zustimmen, der Interessenkonflikt wäre sehr gravierend und würde ihn unglaubwürdig machen. So ist es mehr als nur ein mutiger Schritt den sicheren Staatsdienst zu verlassen, um als Rechtsanwalt tätig zu sein. Ich persönlich könnte mir Thomas Galli auch als Justizminister eines Bundeslandes vorstellen oder in der Bundespolitik, auch dort werden mutige Männer gebraucht, die frischen Wind in die angestaubten Ansichten vieler Politiker wehen. Ich wünsche Herrn Galli Alles Gute und vor allem viele Klienten.

  2. Herrn Kollegen Thomas Galli gebührt Hochachtung für seinen Schritt, seinen herausragenden Mut, die Dinge z. B. im Strafvollzug vom Grund auf u. U. „langsam“ nun von „draußen“ weiterhin mit seinem hohen Sachverstand ändern zu wollen und natürlich auch Dank für seine Courage und seine Risikobereitschaft sowie viel Glück & Erfolg in einen attraktiven Start in der Strafverteidigerlandschaft in Deutschland!

    RA & Fachanwalt für Strafrecht Helfried Roubicek, http://www.strafverteidiger-ostsee.de

  3. Ich schließe mich den Ausführungen von Herrn RA Roubicek an, wünsche ebenfalls alles erdenklich Gute und habe ein gutes Gefühl, dass Herr Dr. Galli in der Strafverteidiger-Landschaft Deutschlands einer der wenigen sein wird, der seine Mandanten in der Strafvollstreckung aus Kostengründen nicht vergessen wird.

  4. Ihre Vorbehalte gegenüber der gängigen Praxis haben Sie schlüssig dargelegt Herr Galli. Sie schreiben „Schließlich sollte das Strafrecht ja in erster Linie dazu dienen, solche schlimmen Taten möglichst zu verhindern, und wenn sie doch passieren, einen (oft nie ganz möglichen) gerechten Ausgleich herbeizuführen“.

    Mich würde interessieren, was Sie aus Ihrer Perspektive heraus dem Gericht in diesem konkreten Fall hier, der aktuell zur Entscheidung steht, raten würden http://www.regensburg-digital.de/teilgestaendnis-plus-9-000-euro-bewaehrungsstrafe/21112016/

    Mit freundlichen Grüßen aus Berlin-Köpenick,
    Angelika Oetken

    • Allgemein ist es natürlich immer schwierig, zu einem konkreten Fall Stellung zu nehmen, zumal man ja auch nur ein medial vermitteltes Bild des Falles und bei weitem nicht alle notwendigen Informationen hat. Gut finde ich in diesem konkreten Fall jedenfalls, dass der Täter offenbar Schmerzensgeld an die Geschädigten geleistet hat. Das wird oft das erlittene Leid nicht aufwiegen können, ist aber zumindest etwas, von dem auch die Betroffenen etwas haben. Und das ist ja bei weitem nicht bei allen Strafverfahren der Fall.

      • Danke Herr Galli. Die Angelegenheit ist sogar besonders komplex. Ich werde das weiter unten noch darstellen. Trotzdem halte ich sie für bezeichnend, was die zu Grunde liegende Misere und deren Ursachen angeht. Denn sie ist sehr gut dokumentiert, was bei systematischer Missbrauchskriminalität naturgemäß die Ausnahme darstellt. Deshalb habe ich darauf hingewiesen.

        Viele Grüße von
        Angelika Oetken

  5. Sehr geehrte Frau Oetken,
    ich kann nicht nachvollziehen, was Sie meinen, wenn Sie Herr Dr. Galli fragen, was er dem Gericht empfehlen würde.
    Sie selbst verweisen auf den Artikel, scheinen diesen aber inhaltlich nicht überdacht zu haben, denn dort steht doch sehr klar und nachvollziehbar, dass der Täter 2005 – also vor mehr als elf Jahren – mal eben 21 Jahre alt war, mithin bei entsprechender Begutachtung und seiner Tateingestehung davon ausgegangen werden muss, dass er damals schon nicht nur ein Fall für das Jugendstrafrecht, sondern wohl auch ein Fall für die Psychiatrie gewesen ist.
    Elf Jahre nach den Taten heute auf ein freiheitsentziehendes Urteil zu reflektieren, verbietet im Übrigen die st. Rspr. des BGH.
    Auch ist mir unverständlich, dass Sie die 9 t€ „BILD-mäßig“ – bei Ihnen in Berlin wohl auch „KURIER-mäßig“ – so hinstellen, als wäre das alles.
    Steht doch in dem von Ihnen empfohlenen Artikel: „Zusätzlich wird er an eines seiner Missbrauchsopfer 5.000, an ein weiteres 2.000 und an die Frau, die ihm sexuelle Nötigung vorwirft, weitere 2.000 Euro Schmerzensgeld bezahlen, die noch vor Abschluss des Verfahrens überwiesen werden sollen.“
    Sie unterlassen „BILD-mäßig“ das „Zusätzlich“!
    Wäre es nicht von Ihnen ehrlicher zu schreiben, wie der Täter tatsächlich verurteilt wurde?
    Nämlich zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung plus 9 t€.
    Und wie man die bayrische Justiz kennt, wird er die Bewährungszeit schwerlich überstehen, ohne doch noch Bekanntschaft mit einer dortigen JVA zu machen.
    Die Antwort, die Sie von Herrn Dr. Galli erhoffen, kann also nur die sein, dass er dem Gericht – wenn er es denn beraten sollte – empfehlen würde, sich an die gängige Rspr. des BGH zu halten.
    Was es ja dann wohl auch getan hat.

    • „Sie selbst verweisen auf den Artikel, scheinen diesen aber inhaltlich nicht überdacht zu haben, denn dort steht doch sehr klar und nachvollziehbar, dass der Täter 2005 – also vor mehr als elf Jahren – mal eben 21 Jahre alt war, mithin bei entsprechender Begutachtung und seiner Tateingestehung davon ausgegangen werden muss, dass er damals schon nicht nur ein Fall für das Jugendstrafrecht, sondern wohl auch ein Fall für die Psychiatrie gewesen ist.“

      Sehr geehrter Herr Schamp,

      ich teile Ihre Empörung. Es gab so viele Besorgnis erregende Hinweise, aber bezeichnenderweise hat offenbar niemand rechtzeitig interveniert. Was wenig verwundert, wenn man sich klar macht, dass sämtliche medizinisch-sozialen Einrichtungen in der Region fest in der Hand der Katholischen Kirche sind und der Einfluss der Diözese Regensburg und der Domspatzenalumni immens ist. Er reicht selbstredend bis in die Bayerische Landesregierung hinein und darüber hinaus. Hier sind die komplexen Vorwürfe, die gegen Christian F. erhoben werden, detailliert dargestellt http://www.mittelbayerische.de/region/schwandorf-nachrichten/baumer-verlobter-auf-der-anklagebank-21416-art1453217.html Der letzte Vorfall, der aktuell verhandelt wird, geschah im Jahre 2014. Christian F. wird abgesehen davon, des Mordes an seiner Verlobten Maria Baumer verdächtigt. Die Sache konnte bisher nicht abgeschlossen werden, da noch ein polizeilicher Bericht fehlt http://www.mittelbayerische.de/bayern/oberpfalz/fall-baumer/.

      Was die Angelegenheit von anderen Fällen dieser Art unterscheidet ist, dass es sich bei Christian F. um einen Ehemaligen der Regensburger Domspatzen handelt. Einer Institution des Bistums Regensburg, die nicht nur einen auf der ganzen Welt bekannten Knabenchor unterhält, sondern auch eine Schule mit angeschlossenem Internat. Die so genannte „Domspatzen-Vorschule“, eine Einrichtung für Grundschüler, wurde Anfang der 90er Jahre geschlossen http://www.regensburg-digital.de/domspatzen-der-exzesstaeter-und-seine-ex-freunde/14122015/

      Über Art und Dimension der Missbrauchskriminalität bei den Regensburger Domspatzen haben regionale und überregionale Medien ausführlich berichtet, insbesondere die seriösen. Hier nur ein Beispiel von Hunderten http://www.br.de/nachrichten/oberpfalz/inhalt/regensburger-domspatzen-missbrauch-zwischenstand-100.html Beachten Sie bitte den Kommentar Nr. 142 auf der sechsten Seite der dafür vorgesehen Spalte. Mit dem Geschilderten Hintergrund versteht man die Zusammenhänge besser. Abgesehen davon geht es, wie bei ähnlichen, über einen längeren Zeitraum von Gruppen systematisch betriebenen und vertuschten Missbrauchshandlungen nicht nur, aber auch, um Wirtschaftskriminalität. Denn wer psychosozial verwahrlost genug ist, um Kinder und Jugendliche sexuell auszubeuten, bzw. zu vertuschen, für den ist Diebstahl, Betrug und Veruntreuung doch ein Klacks.

      Belege dafür existieren. Sollten aber nur einer Untersuchungskommission vorgelegt werden, die unabhängig genug ist.

      Mit freundlichen Grüßen,
      Angelika Oetken

      • Sie schreiben: „Belege dafür existieren. Sollten aber nur einer Untersuchungskommission vorgelegt werden, die unabhängig genug ist.“
        Frage: Gibt es ein solche?
        Und wenn Ja, was kommt ggf. dabei heraus, respektive was erfährt die Öffentlichkeit?

        Ein überaus komlexes Thema, das Sie da ansprechen, bei dessen Bearbeitung aber man letztlich für sich selbst erkennen muss, dass einen die Dinge extrem einbinden und dann drohen zu überrollen.
        Um nun noch einmal zu Ihrer Frage an Herrn Dr. Galli zurückzukommen, was er dem Gericht in dem gegenständlichen Fall empfehlen würde, so muss man sich mit dem auseindersetzen, was Herrn Dr. Galli zur Erkenntnis brachte, dass Gefängnis nicht hilft.
        Er hat m. E. klar differenziert, wie übrigens auch die renommierte Berliner Strafverteidigerin Ria R. Halbritter anlässlich der 4. Berliner Gefangenentage, dass es da zwei Kategorien gibt. Zu einem die, bei der die Haft nichts ändert, weil wir einen Vollzug haben, der auf das bloße Verwahren abgestellt ist, zum anderen die Kategorie, die man eh nicht auf die Menschheit loslassen kann. Letztere hat aber ebenfalls im Gefängnis nichts verloren, sondern ist ein Fall für die Maßregel.
        Und genau so ein Fall scheint der von Ihnen zitierte Christian F. zu sein.
        Es liest sich aber auch so, dass dieser Christian F. erst Opfer war bevor er Täter wurde.
        Blenden wir also bei all dem diese Kausalität nicht aus!
        Keiner wacht m. W. morgens mit dem Vorsatz auf, Sittenstrolch zu werden.

        • Danke Herr Schamp!

          Wegen einer Kommission: das Bistum beschäftigt(e) mehrere Beauftragte, die die Kriterien für Unabhängigkeit nicht erfüllten. Trotzdem haben diese Leute natürlich Informationen und Dokumente gesammelt. Nur was mit denen passiert, ist unklar. Nach langem Zögern und Sträuben haben die Diözesanverantwortlichen etwas konzipiert, was sich „Aufarbeitungsgremium“ nennt. Nach einigen Monaten des Agierens hinter verschlossenen Türen, delegierte das Bistum dann die Auseinandersetzung mit den Opfern an eine Münchner Beratungsstelle, an die sich die Betroffenen fortan wenden sollen http://www.regensburg-digital.de/gewalt-und-missbrauch-bei-den-domspatzen-bistum-finanziert-unabhaengige-anlaufstelle/11102016/
          D. h. eine als unabhängig zu bezeichnende Aufklärung und Aufarbeitung ist bis heute unterblieben. Die Öffentlichkeit wird durch Opfer und ihre UnterstützerInnen informiert, zu Letzteren zählen auch MedienvertreterInnen. Eine große Rolle spielen dabei elektronische Kommunikationsmittel, mit denen sich viele Betroffene zeitgleich erreichen lassen. Soweit ich informiert bin, gibt es aktuell drei Gruppen von Opfern, von denen eine eng mit dem Bistum zusammenarbeitet. Die anderen beiden wahren eine gesunde Distanz.

          Zur Frage, auf welche Weise Christian F. zum Mehrfachtäter wurde: die Wahrscheinlichkeit, dass er während seiner Zeit an der Domspatzenschule selbst einmal Opfer war, ist groß. Falls er tatsächlich pädophile Neigungen hat, würde das auf eine sexualisierte Misshandlung im Elternhaus hindeuten. Bei Pädophilie handelt es sich um eine sehr frühe Störung. Wer dagegen lediglich auf Missbrauchshandlungen hin konditioniert wurde, kann dem auch jenseits des Schuleintrittsalters anheim fallen. An der traditionsreichen Domspatzeneinrichtung gibt es leider eine tief verwurzelte Kultur der Übergriffigkeit, die spirituell überlagert wird und so zu einer besonders hartnäckigen Form des Stockholm-Syndroms führt. Dokumentiert ist serielle Missbrauchskriminalität bei Angehörigen der Domspatzeneinrichtungen schon aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Aber vermutlich reicht die kriminelle Tradition sehr viel weiter zurück. Selbstverständlich hätte man Christian F. rechtzeitig helfen müssen. Aber leider stellt eine zielgerichtete Intervention gerade bei missbrauchten Jungen eine Ausnahme dar. Abgesehen davon hat die Katholische Kirche in der gesamten Region starken Einfluss auf alle Hilfesysteme. D.h. selbst wenn F. oder seine Eltern vom Missbrauch bei den Domspatzen berichtet hätten, wäre es für jeden potentiellen Helfer ein großes Risiko gewesen, zu intervenieren. Manch einer mag auch von der speziellen katholischen Doppelmoral selbst so infiziert sein, dass er oder sie gar nicht helfen kann oder will.

          Das ist ein Grund mit, warum in Regensburg so lange vertuscht, verschwiegen, aber der Missbrauch von Jungen von Einigen sogar gefördert wurde.

          Mit freundlichen Grüßen,
          Angelika Oetken

  6. Herrn Thomas Galli erweise ich große Hochachtung für seine
    Entschlossenheit. Früher oder später wird es hoffentlich
    für die allermeisten Fälle keinen Knast mehr geben, vor allem
    für Minderjährige nicht. Da wird man bessere Lösungen gefunden
    haben.
    Herzlichen Glückwunsch ! Ich hoffe, wir alle werden von Ihnen noch
    viel hören und lesen in der Presse und der Literatur. Weiter so !
    Alles Gute für den weiteren beruflichen Weg, viel Energie und
    Gottes Segen !

    Michael Strerath, Dipl. -Päd., Dipl. Soz.-Päd.
    Erziehungswissenschaftler und Sozialpädagoge
    Moderator bei jugendaemter.com

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