In den „Todsündenkatalog“ mit aufnehmen und ahnden.

Mit bis zu 170 Stundenkilometern über den Ku‘ Damm gerast.

Heute ist erwartet das für nicht möglich Erachtete eingetreten: Das Landgericht Berlin hat die beiden „Ku‘ Damm-Raser“ auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt.

Auch wenn die Anklage im Prozess argumentiert hatte, die Angeklagten hätten bei ihrem Rennen zwar nicht mit Vorsatz gehandelt, hätten sie die möglichen tödlichen Folgen dabei aber doch billigend in Kauf genommen. Also mit bedingtem Vorsatz auf’s Ganze gefahren.

Die Unfallstelle hätte „wie ein Schlachtfeld“ ausgesehen, stellte das Gericht fest. Der Wagen einer der beiden Verurteilten sei mit fast 140 Stundenkilometern gegen ein Beet geprallt und das Auto mehrere Meter durch die Luft geflogen. Auch die Beifahrerin sei dabei verletzt worden.

Die Rechtsanwälte forderten Schuldsprüche wegen fahrlässiger Tötung für den einen und wegen Gefährdung des Straßenverkehrs für den anderen Fahrer.  Sie argumentierten, der Vorsatz, an einem Rennen teilzunehmen, sei nicht mit einem Tötungsvorsatz gleichzusetzen. Ihnen würde „bei so einer Fahrt das Risiko nicht in den Sinn kommen“. Die Männer seien davon ausgegangen, alles unter Kontrolle zu haben. Das hatten sie jedoch nicht. Der eine Raser rammte einen Jeep, dessen 69 Jahre alter Fahrer starb. Er war bei Grün auf die Kreuzung gefahren.

Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßt das Urteil ausdrücklich

Als richtungsweisendes Signal für Teilnehmer illegaler Autorennen auf Deutschlands Straßen hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) das Urteil vor dem Berliner Landgericht bezeichnet.  „Seit Jahren schon betonen wir, dass diese Rennen eine Gefahr für die Allgemeinheit sind, bei denen immer wieder Unbeteiligte, ob Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger, rücksichtslos gefährdet werden“, sagte der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow nach dem heutigen Richterspruch.

Malchow weiter:

„Seit heute ist klar, wer bei extremer Geschwindigkeitsüberschreitung über mehrere rote Ampeln rast, nimmt den Tod von Menschen billigend in Kauf und setzt sein Fahrzeug als gemeingefährlichen Gegenstand ein. Dadurch wird der Raser zum Mörder“, betonte Malchow.

Illegale Straßenrennen seien auch keine Bagatelldelikte. „Da fährt man mit 180 Stundenkilometer durch Innenstädte“, betonte Malchow. Dem Imponiergehabe der zumeist jungen Raser habe jetzt die Justiz ein „unmissverständliches Stoppsignal“ entgegengehalten,  um die Gesundheit der Bürger besser zu schützen, und zugleich Nachahmer abzuschrecken. Härtere Strafen seien ein  notwendiger Schritt, weil in der Vergangenheit es wiederholt in Städten bei illegalen Autorennen zu schweren Unfällen mit Todesopfern gekommen sei, sagte der GdP-Bundesvorsitzende. „Wir begrüßen, dass die Richter rechtliches Neuland betreten haben und  mit Würdigung des entsetzlichen Unfalls das Strafmaß voll ausgeschöpft haben.“

Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, Burkard Dregger, sagte:

„Das Gaspedal und ein hochmotorisiertes Fahrzeug sind nicht länger Argumente, um seine Überlegenheit zu symbolisieren. Der rechtsstaatliche Riegel, um diesen todbringenden illegalen Straßenrennen eine gerechte Strafe entgegenzusetzen, lautet lebenslängliche Freiheitsstrafe. Offenbar die einzige Antwort, die eine Gesellschaft, ein Rechtsstaat setzen kann und muss, um nach unzähligen vorangegangenen tödlichen Exzessen zumeist junger Menschen, denen das Leben anderer wenig wert zu sein scheint, auf die Bremse zu treten.“

Der Generalsekretär der CDU Berlin und stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, Stefan Evers, auf Facebook zum Urteil:  „Eine klare, unmissverständliche Reaktion unseres Rechtsstaats. Gut so.“

Canan Bayram, rechtspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin, sagte gegenüber der TP Presseagentur Berlin:

„Die Verurteilung wegen Mordes in der Variante des Mordmerkmals ‚mit einem gemeingefährlichen Mittel‘ ist ungewöhnlich. Schon jetzt ist klar, dass dadurch eine rechtspolitische Debatte ausgelöst wird, in der sich die Frage nach der über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung der Entscheidung stellt. Insbesondere inwieweit die Besonderheit der zu bewertenden Einzelfallentscheidung zu dem Ergebnis geführt hat, bedarf einer vertieften Debatte, die erst nach Vorliegen der schriftlichen Entscheidungsgründe erfolgen kann.“

Sebastian Schlüsselberg, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, äußerte sich ebenfalls gegenüber der TP Presseagentur Berlin:

„Die Politik sollte das Urteil zur Kenntnis nehmen und abwarten, ob es zu einer Revision vor dem Bundesgerichtshof kommt. Das Urteil zeigt, dass der Gesetzgeber darüber nachdenken muss, eine differenzierte Strafregelung für das Problem der illegalen Autorennen zu finden. Diese Diskussion wird jetzt im Bundestag durch den vorgelegten Entwurf des Bundesrates stattfinden.“

http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/101/1810145.pdf

Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen, Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz im Bundestag, gab folgende Stellungnahme gegenüber der TP Presseagentur Berlin ab:

„Dies Urteil heute ist eine so klare Aussage, dass man sagen muss: Das Landesgericht Berlin hat Rechtsgeschichte geschrieben! Zum Glück gehen nicht alle illegalen Autorennen mit einem Todesfall aus. Für die Fälle gibt es meines Erachtens eine Rechtslücke. Ich bin aber der Meinung, ein neuer Straftatbestand „illegale Autorennen“ –  wie der Bundesrat es vorschlägt – wäre reine Symbolpolitik. Das löst nicht das eigentliche Problem in der Praxis. Erstens: Es mangelt an Personal und Kontrollen. Die bereits existierenden Regeln – z.B. im Straßenverkehrsrecht – werden nicht ausreichend genutzt. Beispiele dafür sind Führerscheinentzug und Sicherstellung des Fahrzeugs.  Zweitens: Wir müssen das „Fahren bei überhöhter Geschwindigkeit“ grundsätzlich besser bekämpfen. Denn: 34 % der Verkehrstoten sind auf Unfälle wegen zu hoher Geschwindigkeit zurückzuführen. Raserei muss in Zukunft als Delikt in den sogenannten „Todsündenkatalog“ in §315 c StGB (Gefährdung im Straßenverkehr) mit aufgenommen und geahndet werden. Die Folge ist bei einer Verurteilung vorm Strafgericht, dass gemäß § 69 Absatz 2 StGB der Fahrer automatisch ungeeignet ist, ein KFZ zu führen. Das bedeutet die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis.“

Der ehemalige JVA-Leiter und jetzige Rechtsanwalt Dr. Thomas Galli gab gegenüber der TP Presseagentur folgendes Statement zu dem „Raserurteil“ ab:

„Ich kann verstehen, dass viele angesichts der Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe dankbar sind, dass ein eindeutiges Zeichen gesetzt wurde. Durch das Urteil wird zum Ausdruck gebracht, dass die Folgen solcher illegalen Autorennen eben nicht mehr als Ausfluss „spät-pubertärer Dummheiten“, „männlichen Imponiergehabes“ oder ähnliches in Worte zu fassen sind, sondern das schlimmste denkbare Leid für andere Menschen bedeuten. Das wird zum Ausdruck gebracht in der einzigen Sprache, die wir derzeit kennen, in der Sprache der Höhe des Strafmaßes. Allerdings gibt der Fall, von der juristischen Einordnung (bzgl. derer ich auf die Ausführungen von Henning-Ernst Müller verweisen darf) ganz abgesehen, Anlass, den Sinn, den Zweck und die Folgen von Strafen grundsätzlich zu hinterfragen. Der betroffene Verurteilte dürfte hinsichtlich dieser Verurteilung, so sie denn Bestand haben sollte, keine Einsicht aufbringen. Er wird diese Strafe, die auch sein Leben zerstört, als unverhältnismäßig empfinden. Als Anstaltsleiter würde ich bei so einem Gefangenen ein erhöhtes Suizidrisiko annehmen. Sicher hat so eine Strafe eine gewisse Abschreckungswirkung auf potentielle Nachahmer. Auf andere wiederum dürfte sie geradezu den Reiz des Verbotenen, Gefährlichen erhöhen. Menschen, die an solchen Autorennen teilnehmen, handeln sich selbst und anderen gegenüber nicht verantwortungsvoll und vernünftig, sondern in höchstem Grade kindisch und idiotisch. Abschreckung aber ist ein Appell an die Vernunft, ein Appell, der bei weniger Vernunftbegabten oft das Gegenteil bewirkt. Abschrecken und bestrafen könnte man gerade solche Täter zudem genauso durch z.B. eine lebenslange Verpflichtung, zwei Tage pro Woche gemeinnützige Arbeit zu leisten (z.B. für Unfallopfer) und Schadensersatz an die Angehörigen der Verbliebenen zu leisten. Kombinieren könnte man das mit einem lebenslangen PKW-Verbot und ähnlichem. Ein zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe Verurteilter wird im Durchschnitt etwa nach 20 Jahren Freiheitsstrafe zur Bewährung entlassen. Ein Jahr Freiheitsstrafe kostet den Steuerzahler etwa 40.000 – 50.000 Euro, eher mehr. Die Strafe kostet also etwa 1 Mio. Euro. Nach derart langer Haft sind die meisten Inhaftierten auf Sozialleistungen angewiesen, kosten also wieder die Allgemeinheit. Könnte dieses Geld zum Wohle der Opfer und der Allgemeinheit nicht viel sinnvoller angelegt werden?“

Hans-Christian Ströbele, Mitglied des Rechtsausschusses und parlamentarischen Kontrollgremiums im Deutschen Bundestag, erklärte gegenüber der TP Presseagentur:

„Die Verurteilung wegen Mordes ist eine Entscheidung nur für diesen Einzelfall. Daraus folgt nicht, daß Raser im Straßenverkehr nun stets wegen versuchten oder vollendeten Mordes verurteilt werden. Die Richter in Berlin hatten offenbar genug Beweise, daß den Rasern beim Rennen bewußt war, sie könnten Menschen totfahren, haben dieses Risiko aber in Kauf genommen. Solcher Nachweis wird selten möglich sein. Trotzdem ist das Urteil ein wichtiger Hinweis an Raser, welch hohes Risiko sie für sich selbst eingehen, wenn schon der Tod von Menschen kein ausreichender Grund ist, sie vom Rasen abzuhalten.“

„Könnte es sein, dass das Landgericht sich gegen eine Revision der Staatsanwaltschaft entschieden und sich die Revision der Verteidiger gewünscht hat?“, fragte ein Berliner Anwalt auf Facebook.

Die Anwälte sehen das Urteil als eine „Herausforderung“ und kündigten spontan Revision beim Bundesgerichtshof an.

Siehe auch: https://t.co/ngKVkJH7jF

TP Presseagentur Berlin/dj

Niederträchtiges Spiel mit Menschenleben

In Berlin soll ein Gericht urteilen, ob Raserei im Straßenverkehr Mord sein kann. Der Fall ist brutal, das Gericht muss ein abschreckendes Urteil fällen.Ein Videokommentar von Heribert Prantl

Publiée par Süddeutsche Zeitung sur Vendredi 24 février 2017

10 Antworten

  1. Das Urteil ist m. E. populistisch richtig, juristisch falsch.
    Als Bürger begrüße ich es, als Jurist meine ich, dass der 4. Senat beim BGH in Karlsruhe den materiellen Bestand infrage stellen wird. Warten wir also ab, was der BGH in rund zwei Jahren dazu sagen wird.

  2. Die Verteidiger werden wohl erst einmal darüber nachzudenken haben, ob sie möglicherweise im falschen Termin waren, bevor sie über eine Revision sinieren.
    2 x rund um die Uhr – wie ‚LL‘ in Tegel genannt wird – findet man nicht so schnell beim LG Berlin wieder. Sieht man sich die Liste der Verteidiger an, kommt man eh zum Schluß, dass dort Fachwissen gg. die öffentliche Meinung stand.

  3. Jede Wette: Das Urteil wird aufgehoben werden. Es wurde nur zur Abschreckung gefällt, um die Betreffenden, die sich offensichtlich als James Dean fühlten, einen Warnschuss zu verpassen. Hoffentlich begreifen das potentielle Nachahmer, dass Autorennen auf Stadtstraßen hirnrissig ist.

    • Wie kann man so einen Schwachsinn von sich geben, echt unglaublich. Das ist die einzige Sprache, die diese jungen Raser verstehen – lebenslang für vorsätzlichen Mord, denn wer mit solch überhöhter Geschwindigkeit durch eine Stadt rast, der muss die ganze Härte unserer Gesetze spüren.

  4. Das Urteil hat Symbolcharakter; es war ja auch nur eine Frage der Zeit bis es zu einem solchen Unfall kommt. Die beiden Vollpfosten für lange Zeit aus dem Verkehr ziehen, ist die einzigste Möglichkeit zu sagen: bis hierher und nicht weiter. Vielleicht dient es zur Warnung an andere Raser, die der Meinung sind, sie dürften das, weil Gesetze für sie nicht gelten. Moralisch halte ich das Urteil für ausgezeichnet, ob es aber auch juristisch ausgezeichnet ist, wird der BGH entscheiden müssen. Frau Künast sollte erst einmal überlegen, bevor sie etwas von sich gibt; wenn die bisherigen Mittel wie Führerscheinentzug, Fahrzeugbeschlagnahme ausreichen, warum konnte sie so einen Unfall nicht verhindern? Weil die bisherigen Regelungen eben nicht ausreichen für solche extremen Fälle wie illegale Autorennen. Wer an illegalen Autorennen teilnimmt, nimmt es billigend in Kauf, dass dabei jemand zu Tode kommen kann; dafür muss dann auch ein geeigneter Straftatbestand vorhanden sein, bisher ist es mehr eine Ordnungswidrigkeit.

  5. Die Einschätzung von Herrn Dr. Galli ist widerspruchsfrei richtig. Dem Steuerzahler werden für die kommenden zwanzig Jahre rund zwei Millionen Euro und mehr abverlangt, damit am Ende der Haft zwei Sozialfälle entlassen werden können, die, wie er richtig erkennt, wiederum Geld kosten werden.
    Die Rentenversicherung für Gefangene bekommt die Justiz dieses mehr als reichen Staates nicht auf die Reihe, Gelder für sinnloses Haften aber hat dieser Staat.

    • Man Engelbert, das verstehst Du einfach nicht. Unser Staat muß doch Israel 560 Millionen Euro für U-Boote schenken. Da ist eben nichts für Dich drinnen, mit Rentenanspruch für Knackis und Geld für Kindergärten und so. Auch müssen wir volles Kindergeld für die Plagen zahlen, die unsere ost- und südosteuropäischen Mit-EU-ler angeblich zuhause haben. Dafür mußt Du doch vollstes Verständnis haben. Und nicht zu vergessen, die per geheimen Zusatzabkommen zum Einheitsvertrag akzeptierten Rentenansprüche für Ost-Knackis. Da kannst Du als West-Knacki doch nicht auch noch verlangen gleichgestellt zu werden. Da hast Du das mit der Gleichheit vorm Gesetz aber völlig falsch verstanden.

  6. Nun, was Herr RA Ströbele mit augenscheinlich immer noch wachem analytischen Verstand erkennt, ist die sog. Einzelfallentscheidung, die in der Sache, also materiellrechtlich, zu überprüfen sein wird. Wie bereits von mir am 27.02.2017 kommentiert, wird der Vorgang nicht in Leipzig, sondern in Karlsruhe vom 4. Senat abzuarbeiten sein. Beim 4. Strafsenat besteht Spezialzuständigkeit für das Verkehrsstrafrecht. Dies führt dazu, dass der Senat vielfach mit Fragen der Auswirkungen von Alkohol u. a. auf die Schuldfähigkeit und die Behandlung der actio libera in causa befasst war und ist. Vor allem unter dem Vorsitz von Meyer-Goßner hatte der 4. Strafsenat auch entscheidenden Einfluss auf die Fortbildung des Strafverfahrensrechts ausgeübt. Die Judikatur des Gerichts zum Problem der Verständigung im Strafverfahren geht auf grundlegende Entscheidungen dieses Senats zurück.
    In Kenntnis auf diesen Sachverhalt, hätte m. E. ein RA Ströbele – wäre er denn noch als Strafverteidiger aktiv – rechtzeitig die Rettungsleine ausgeworfen und die Verständigung gesucht.
    Nun, RA Elfferding und RA Zuriel, beide kompetente Strafverteidiger, haben das nicht erkannt oder aber, im Glauben an ihr Rechtsverständnis, völlig außer Betracht gelassen.
    Was sie beide aber mit Sicherheit unterlassen haben, ist die grundsätzliche Frage, die sich ein guter Strafverteitiger immer stellen muß, die da ist: Was passiert, wenn…………..?
    Die Vorsitzende beim 4. Senat, Frau Beate Sost-Scheible, wird in wenigen Wochen 61 und hat noch viel Zeit, weitere Rechtsgeschichte zu schreiben.
    Es ist also abzuwarten, auf das, was aus Karlsruhe kommt.

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