„Kein Flüchtling ist schuld, dass du keine Arbeit hast“.

TP-Interview mit dem Schauspieler Benno Fürmann.

TP: In Chemnitz steht die Welt auf dem Kopf oder was ist da aus den Fugen geraten?

Fürmann: In Chemnitz finde ich ja das Verrückte, wie eine Anti-Haltung es schafft, sämtliche Probleme der Welt an der – wenn man es so nennen mag – Flüchtlingskrise festzumachen. Ich glaube nicht, dass diese Menschen glücklicher sind, wenn der letzte Flüchtling unser Land verlässt, dass soziale Probleme dadurch bereinigt sind. Ich bin erschrocken über diese Menge von Hass, bin auch erschrocken über diesen Mangel miteinander zu reden; und über diese sich durchsetzende Anti-Haltung, die einfach nur dadurch lebt, dass sie gegen etwas ist und nie für etwas. Das ist mir zu einfach, weil dafür ist die Welt zu komplex.

TP: Sind diese Leute Verlorene der aktuellen Politik, wie sie sich oft selbst bezeichnen oder auch von anderen so bezeichnet werden?

Fürmann: Vielen Menschen geht’s wirtschaftlich schlecht. Ich bin dafür, dass diese Probleme ernstgenommen werden.

TP: Wie reagieren?

Fürmann: Ich würde diesen Leuten sagen: Aber kein Flüchtling ist schuld, dass du keine Arbeit hast, diese Beschwerde musst du woanders hinbringen. Und dann wirst du auch erhört, wenn wir miteinander reden, wenn wir uns politisch mobilisieren, aktiv für etwas eintreten. Dann hat das, glaube ich, eine viel größere Kraft, als wenn wir Menschen mit schwarzer Haar- oder Hautfarbe anschreien als wären sie schuld an dieser Misere.

TP: Wo liegen die Ursachen?

Fürmann: Der Osten hat teilweise ein Problem mit nationalsozialistischen nicht gemachten Hausaufgaben, weil er anderen Strukturwandel durchlaufen hat, das heißt, man ist von einem politischen System ins nächste eingetreten. Die Nazis waren drüben bei uns in der BRD und deswegen, glaube ich, lohnt es sich schon, das eigene Gesicht anzuschauen und zu gucken: Was haben wir verarbeitet bisher und was nicht, wo sind unsere blinden Flecken?

TP: Also konsequente Selbstkritik?

Fürmann: Total, anders läuft’s nicht im Leben.

TP: Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen in Chemnitz war lautstark von Rechten zu hören: Wir sind das Volk. Was sind denn das für Töne, was ist diesen Leuten konsequent zu entgegnen?

Fürmann: Tja: Nee, seid ihr nicht. Das Volk ist viel größer als ihr. Ich glaube wir müssen uns in Deutschland der Diskussion stellen: Wer sind wir denn, wer wollen wir denn sein! Und da bin ich für’s Proaktive. Deswegen zeichnen wir…

TP: … die Aktion #FARBENBEKENNEN, die 2017 von der Senatskanzlei Berlin ins Leben gerufen wurde…

Fürmann: … Leute aus, die sich um die Gesellschaft verdient machen, die mitmenschliches Engagement fördern, mit den zu uns Gekommenen, eben Flüchtlingen, die ein Beispiel für uns alle sein können, gemeinsam an der Welt von morgen stricken sollten.

Aber Hass, eingeschnapptes „in die Ecke stellen“ und zu sagen: Ich bin von der Welt so enttäuscht und deswegen schreie ich euch meinen Hass entgegen, das ist pubertäres Verhalten. Da ist nichts Erwachsenes dran; sondern das Erwachsene ist, die Meinung der Anderen auszuhalten, aber nur solange sie nicht menschenverachtend ist, und sich darüber zu verständigen, wie unser Land denn aussehen kann. Aber dass unser Land mittlerweile nicht mehr geprägt ist von Menschen, deren Vorfahren seit Generationen Deutsch sprechen, das ist klar. Das ist gelaufen. Und ich finde es auch gut so, dass unsere Nationalmannschaft, wir als Gesamtdeutsche bunter geworden sind, und im Idealfall uns gegenseitig befruchten. Wer Deutsch ist, der bekennt sich zu diesen Werten, der hat einen deutschen Pass in der Hose, der spricht die deutsche Sprache. Es ist aber nicht zwingend, dass dieser Mensch in Thüringen, in Brandenburg oder Bayern geboren wurde.

TP: Eigenartigerweise reklamieren nun auch diese Leute, die in Chemnitz Menschen jagten, den Slogan der Leute, die 1989 friedlich auf die Straße gingen und skandierten: Wir sind das Volk.

Fürmann: Ja, dieser völkische Gedanke, der ist ja viel älter als das. Ich finde, wenn man so guckt, was die größten Flüchtlingszahlen nach dem Zweiten Weltkrieg waren, wie viele Millionen aus den Ostgebieten Richtung Westen gewandert waren – Deutsche, die insgeheim russisches, polnisches Blut usw. in sich getragen haben -, das waren, wenn man so will, Biodeutsche. Ich hasse dieses Wort. Selbst die waren unerwünschte Flüchtlinge, das heißt, man hat immer Angst vor dem Fremden, das ist quasi ein kindlicher Reflex in uns, wenn eine Gruppe zu groß wird. Aber zum Erwachsenwerden, zur Menschwerdung gehört ja auch dazu, dass man sich öffnet, dass man neugierig aufeinander ist – das ist ja Kindern inhärent. Und am Ende des Tages wollen wir alle das Gleiche: Wir wollen alle geliebt werden, wir wollen alle unsere Familien versorgen – und wir alle stehen auf Harmonie.

TP: Und wir wollen – im übertragenen Sinne ausgedrückt -, Bananen.

Fürmann: So isses. Und da müssen wir nicht das Eine gegen das Andere ausbooten, sondern es wird Zeit den Radius größer zu machen; dieses Einlupige, dieser Zug ist abgefahren.

TP: Die Welt hat sich eben gewaltig geändert.

Fürmann: Die Digitalisierung, die Globalisierung ist zu weit fortgeschritten. Aber dafür leben wir auch nicht mehr auf Bäumen, sondern haben ein paar Errungenschaften der Wissenschaft, der Philosophie genossen, die uns zu moderneren Menschen gemacht haben. Dass das nicht immer leicht ist, ist klar. Aber dass es dafür nicht für alles, was nicht läuft, einen Gesamtschuldigen geben soll, der in der Regel schwarze Haare oder sogar noch schwarze Haut hat, das ist auch klar.

Tp/dj

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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