„Kein Querulantentum, sondern notwendiger Rechtsschutz“.

Berlin (DAV). Bei der aktuell stattfindenden Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) stand ein Vorschlag Hessens zur Debatte, der dem angeblichen Phänomen des „Vielklägers“ vor den Sozialgerichten Einhalt gebieten soll. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert diesen Vorstoß. Es ist bereits unklar, ob es statistisch ein signifikantes Problem darstellt. Zudem gebe es etliche berechtigte Gründe für eine Häufung sozialgerichtlicher Verfahren. Aus gutem Grund sei das sozialgerichtliche Verfahren für Betroffene kostenfrei. Auch habe, so der DAV, die Justiz bereits ausreichend Handhabe, mit missbräuchlichen Klagen umzugehen.

Schon die Zählung der „erfolglosen Verfahren“ ist undurchsichtig. „Sind nur Hauptsacheverfahren oder auch Eilverfahren mit umfasst? Zählen auch Klageabweisungen dazu, die vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurden?“, fragt Rechtsanwalt Thomas Franz, Mitglied des Ausschusses Sozialrecht des DAV. „Und sind sämtliche Verfahren der vermeintlichen ‚Vielkläger‘ erfolglos geblieben oder nur ein Teil? Für eine Annahme querulatorischen Verhaltens kann die reine Abweisungszahl nicht ausschlaggebend sein.“

Kein Querulantentum, sondern notwendiger Rechtsschutz

Es gibt eine regelrechte Fülle an Konstellationen, in denen eine größere Anzahl von Verfahren gerade kein Hinweis auf eine missbräuchliche Anrufung der Gerichte ist, sondern notwendig: „Leistungszeiträume beim Bürgergeld sind beispielsweise oftmals auf sechs Monate begrenzt. Betroffene müssen bei einer als rechtswidrig erachteten Entscheidung – etwa Senkung der Unterkunftskosten oder Anrechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit – notwendigerweise alle sechs Monate Widerspruch einlegen und dann Klage erheben“, erläutert Franz. Diese Person werde damit leicht zum Vielkläger, trotz bloßer Reaktion auf gesetzliche Gegebenheiten.

Rechtsanwältin Lara Heitmann, ebenfalls Mitglied des Sozialrechts-Ausschusses, ergänzt: „Bei größeren Bedarfsgemeinschaften wirken sich auch Änderungen beim Einkommen von noch in der Bedarfsgemeinschaft berücksichtigten Kindern über das Kindergeld über die Eltern auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft aus. Für die gesamte Bedarfsgemeinschaft sind dann die Fälle einzureichen. Damit sammeln sich nur scheinbar Klagen, da das Grundsatzproblem verschiedene Kinder betrifft.“

Mit einer Grundsatzablehnung gingen dann auch weitere Ablehnungen einher, etwa in Bezug auf Erstausstattungen, Zusicherungen für Wohnungen oder Anträge auf Schul-Laptops und Klassenreisen. „Allein, wenn dann drei Kinder auf Klassenfahrt gehen wollen und einen Laptop benötigen, kommen sechs weitere Verfahren hinzu“, erläutert Heitmann.

Manchmal berührt ein Lebenssachverhalt – etwa eine längere Erkrankung – auch einfach verschiedene sozialrechtliche Bereiche und Anspruchsgegner.

Hebel nicht bei den Betroffenen, sondern bei den Gerichten ansetzen

Hessen sieht die Lösung für die Vielkläger in der Einführung einer Vielklägergebühr und der Ausweitung der Missbrauchsgebühr des § 192 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGG. Dafür besteht jedoch keine Veranlassung, da bereits zahlreiche Möglichkeiten zur Entlastung der Justiz bestehen. „Sofern Verfahren tatsächlich ‚von vornherein‘ keinerlei Aussicht auf Erfolg haben, läge der Erlass eines Gerichtsbescheides nahe“, schlägt Franz vor. Darüber hinaus könnten Gerichte bei gegebenem Anlass mit der Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 SGG und der Präklusionsvorschrift des § 106a SGG arbeiten. Denkbar sei auch, spätere Klagen, die dieselbe Streitfrage für einen anderen Zeitraum betreffen, entweder ruhend zu stellen oder mit einem Unterwerfungsvergleich zu beenden. Auch richterliche Hinweise würden viel zu selten erteilt.

Sollten die zusätzlichen Gebühren eingeführt werden, bestünde die Gefahr, dass Bürgerinnen und Bürger abgeschreckt werden, den Klageweg überhaupt einzuschlagen. Gerade im Bereich des Sozial­rechts mit seinen sensiblen, oft existenziellen Fragen ist dies nach Auffassung des DAV mit dem Grundrecht auf effektiven Rechts­schutz nur schwer vereinbar. Aus gutem Grund ist das sozialgerichtliche Verfahren für die Naturalpartei kostenfrei.

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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