Kein Widerspruch zum Wiedervereinigungsgebot.

Andreas Grau stellt in einer umfassenden Studie die Reaktion der CDU/CSU-Opposition auf die Ostpolitik der Brandt-Regierung dar.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin.

Als Bundeskanzler Willy Brandt am 28. Oktober 1969 in seiner ersten Regierungserklärung von “zwei Staaten in Deutschland“ sprach und am Schluß ergänzte: “Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an“, schrillten bei der CDU/CSU-Opposition alle Alarmglocken. Der CSU-Abgeordnete Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg sah darin nicht nur einen “Bruch der Kontinuität“, sondern bezeichnete den Satz über die zwei Staaten in Deutschland sogar als “eine dunkle Stunde für dieses Haus, für unser Volk“.

In einer gemeinsamen Sitzung von CDU-Bundesvorstand, CSU-Landesvorstand und CDU/CSU-Fraktionsvorstand konstatierte Kurt-Georg Kiesinger: “Wir sind in einer neuen Situation. Wir befinden uns in der Opposition und selbstverständlich nicht nur in der Opposition in diesem Hause, sondern in der vollen Breite der deutschen Wirklichkeit.“ Die Ursache für diese neue Konstellation sah der damalige CDU-Vorsitzende nicht in der Bundestagswahl des Herbstes 1969, die “nur den Willen des Volkes, die Union erneut zur stärksten Kraft (im Bundestag) zu machen“, gezeigt habe, sondern in dem “Gesinnungswandel der jämmerlich geschlagenen FDP“. Es sei daher, so Kiesinger, auch für Bonn von großem Nutzen, wenn die Liberalen bei den Landtagswahlen 1970 aus den Landtagen verschwinden würden.

Wie der Politikwissenschaftler und Historiker Andreas Grau in seiner als Buch erschienenen fundiert recherchierten Dissertation “Gegen den Strom. Die Reaktion der CDU/CSU-Opposition auf die Ost- und Deutschlandpolitik der sozial-liberalen Koalition 1969 – 1973“ zeigt, erfüllte sich dieser Wunsch des Ex-Bundeskanzlers bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und im Saarland; in Nordrheinwestfalen kamen die Liberalen dagegen mit einem blauen Auge davon.

Das Ausscheiden der FDP aus zwei Länderparlamenten sowie die Ankündigung Kiesingers, den Krieg gegen die FDP “mit allem Nachdruck (zu) führen“, änderte aber nichts an der neuen Ost- und Deutschlandpolitik der Sozial-liberalen Koalition, die von der Union fortan “mit großer Aufmerksamkeit und wachsender Sorge“ verfolgt wurde.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Regierungskoalition und Opposition standen zunächst der Moskauer sowie der Warschauer Vertrag, worin die Vertragspartner die Unverletzlichkeit ihrer bestehenden Grenzen bekräftigten und erklärten, daß sie gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche haben und in Zukunft nicht erheben werden. Ferner wurde auf die Drohung mit Gewalt oder Anwendung von Gewalt verzichtet. Die Union sah in den Verträgen neben der Gefahr, “den Weg zum Selbstbestimmungsrecht für alle Deutschen zu verbauen und die Hegemonie des Kreml zu stärken“, die Festschreibung einer “Legalisierung der Massenvertreibungen“ nach dem 2. Weltkrieg. Nachdem Bundeskanzler Brandt für seine Ostpolitik sogar mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, mußte der inzwischen neu gewählte CDU-Vorsitzende Rainer Barzel feststellen, daß “das Leben für die Opposition durch die Ehrung Brandts nicht leichter (werde)“. Nach den für sie erfolgreich verlaufenen Landtagswahlen in Baden-Württemberg sah die Union allerdings die Chance, einen Regierungswechsel herbeizuführen. Das von ihr inszenierte konstruktive Mißtrauensvotum gegen Brandt scheiterte jedoch und Rainer Barzel, den Hermann Höcherl “für eine noch größere Fehlbesetzung als Brandt“ (hielt), wäre am liebsten sofort zurückgetreten. Dennoch wurde der Kampf gegen die Ratifizierung der Ostverträge, den Andreas Grau in allen Einzelheiten schildert, weitergeführt. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, der CSU-Abgeordnete Richard Stücklen, mahnte: “Unter Verträge, wie den Moskauer oder den Warschauer Vertrag, die die Forderungen der Sowjets erfüllen würden, ohne den Anliegen der Deutschen etwas zu bringen, hätte Bundeskanzler Adenauer niemals seine Unterschrift gesetzt.“

Nachdem durch eine gemeinsame Entschließung Im Bundestag “die schlimmsten Auslegungsmöglichkeiten antideutscher Art“ bei einer Anwendung der Verträge soweit wie möglich auszuschließen waren, ließ die Union die vorher hart bekämpften und umkämpften Ostverträge schließlich durch Stimmenthaltung im Bundestag passieren. Ebenso verhielten sich die Unions-regierten Länder im Bundesrat.

Für Richard von Weizsäcker blieb dieses Abstimmungsverhalten „ein Makel“, denn bei der Entscheidung über eine „zentrale deutsche Lebensfrage“, so der Alt-Bundespräsident, habe der „Unionsberg gekreißt und eine magere Enthaltungsmaus zur Welt gebracht“. Auch der wegen der Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition von der FDP zur CDU übergewechselte Erich Mende hielt die Enthaltung für „völlig indiskutabel“. Sie sei insgesamt „kein Ruhmesblatt in der Geschichte der größten Bundestagsfraktion, die über 248 Stimmen verfügte und bei einem geschlossenen „Nein“ die Verträge hätte zu Fall bringen können“.

Die vorgezogenen Bundestagwahlen im Herbst 1972, die Brandt durch eine Vertrauensfrage erreichte, brachten der sozial-liberalen Koalition dann eine sichere Mehrheit, und die Union wurde erstmals nicht stärkste Fraktion im Bundestag. Im Gegensatz zu den Ostverträgen mit der Sowjetunion und Polen lehnte die Union den Grundlagenvertrag mit der DDR jedoch kategorisch ab. Für Karl Carstens, den späteren Bundespräsidenten, werde “durch den Vertrag die DDR anerkannt und damit die Teilung Deutschlands in einer gravierenden Weise fortentwickelt“. Trotz Ablehnung durch die Union wurde der Grundlagenvertrag ratifiziert. Im Gegensatz zur CDU beschritt die bayrische CSU den Weg zum Verfassungsgericht nach Karlsruhe. Dieses sah jedoch keinen Widerspruch zum Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes, weil in der Präambel des Grundlagenvertrages festgestellt worden sei, daß Bundesrepublik und DDR in vielen Fragen, besonders in der nationalen Frage, an ihren unterschiedlichen Auffassungen festhielten. Etwa im Hinblick auf Fragen der Staatsangehörigkeit entschied das Bundesverfassungsgericht, daß der Grundlagenvertrag verfassungswidrig sei, wenn dadurch DDR-Bürger im Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht mehr als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes behandelt werden dürften. Ebenso sei die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten wie eine Grenze zwischen Bundesländern zu behandeln, also als eine innerdeutsche Grenze. Insgesamt hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des Grundlagenvertrages in der sich aus den Urteilsgründen ergebenden Auslegung bejaht.

Andreas Grau schildert detailliert, fast übergenau die Ereignisse von September 1969 bis August 1973 (Moskauer- und Warschauer-Vertrag, Berlin-Abkommen, Transit- und Verkehrsabkommen, Grundlagenvertrag und Klage der CSU vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe) chronologisch aus der Sicht der Unionsparteien. Der Autor macht deutlich, daß die von der Union als Appeasement-Politik bezeichnete Ostpolitik der Brandt/Scheel-Regierung nicht unbedingt alternativlos war, aber ob durch andere Wege eine Annäherung/Entspannung sowie die Vereinigung der beiden deutschen Staaten eher oder überhaupt erreicht worden wäre, läßt er offen.

Andreas Grau: Gegen den Strom. Die Reaktion der CDU/CSU-Opposition auf die Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition 1969 – 1973, Droste-Verlag Düsseldorf 2005, 560 Seiten, 42,80 Euro.

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