Kronjuwelen der europäischen Einigung.

Ein Impulsvortrag des Vertreters der Europäischen Kommission in Deutschland, Richard Nikolaus Kühnel, gehalten im Europäischen Haus in Berlin am 5. September 2018.

Ich will eingehend auf 3 Kronjuwelen der europäischen Einigung eingehen, die für die weiteren Entwicklungen aus meiner Sicht essentiell sind: geteilte Souveränität, angewandte Solidarität und intelligente Subsidiarität.

  • Geteilte Souveränität

100 Jahre nach dem 1. Weltkrieg, und 400 Jahre nach dem 30jährigen Krieg, müssen wir unser Erbe verstehen, wenn wir unsere Zukunft gestalten wollen.  Es gab Zeiten in Europa, als niemand lebte, der sich noch an Frieden erinnern konnte. (…) Neue internationale mit souveränen Staaten im Zentrum. Europ. Integration ist die Weiterentwicklung dieser Ordnung, eine Evolution daraus: durch das Teilen von Souveränität stärken wir sie. Diese freiwillige Bündelung von Souveränität und die gegenseitige Solidariät wurden Wesensmerkmale des europ. Weges, der den Menschen mehr Frieden und Wohlstand gebracht hat als zu jeder anderen Zeit oder in jedem anderen Teil der Welt. Nur wenige Alte können sich heute noch an Krieg erinnern. Wir müssen als irgendetwas richtig gemacht haben in Europa. Allerdings verlangt die entstehende neue globale Ordnung oder Unordnung, das Urteil wird erst später gefällt werden, eine weitere Stärkung der europ. Souveränität, wenn wir unsere Prinzipien, unsere Interessen und unser europäisches Lebensmodell verteidigen wollen.

Schäuble: wir können nur was in der Welt bewegen und Werte verteidigen, wenn wir relevant sind. Wie bleibt oder wird Europa aber relevant? Vergleich Cameron – Barnier, nur als EU bleiben wir dauerhaft TOP 3 oder 4. Für mich heißt das: Europa ist stark, wo es eine Union ist, die geschlossen auftritt und mit einer Stimme spricht, und insbesondere dort, wo die Gemeinschaftsinstitutionen handeln. Dies ist evident in Fragen von Wirtschaft, Wettbewerb und Handel. Der Binnenmarkt ist die Quelle unserer Macht. Beispiele aus der jüngsten Zeit: EU-US Washington deal, EU Japan-Abkommen, oder unsere Wettbewerbsverfahren gegen einige Internet-Giganten.

Für eine weitere Stärkung dieser europ. Souveränität brauchen wir also auch in anderen zentralen Bereichen eine Stärkung der Union und ihrer Institutionen, etwa durch vermehrte Anwendung von QMV (Mehrheitsentscheidungen) und GASP (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik), den Aufbau von gemeinsamen europ. Verteidigungskapazitäten und mehr strategische Autonomie, etwa durch Gallileo und eigene Supercomputer. Spannend auch Ansätze der Bundeskanzlerin hinsichtlich VNSR und europäischen SR.

  • Angewandte Solidarität

Solidarität ist beides: Quelle und Ausdruck unserer Zivilisation und der stärkste Kitt, der jedwedes politisches Gebilde zusammenhält, von den antiken Stadtstaaten bis zur heutigen EU. Und stellen wir doch mal fest: diese Solidarität gibt es seit Jahrzehnten in Europa, sie wird von den Bürgern auch gelebt und angewandt. Ich darf erinnern, dass sie auch eine Säule der christlichen Soziallehre ist.

Europäer waren und sind bereit, Wohlstand, Stabilität und Sicherheit grenzüberschreitend zu teilen, und sie verstehen sehr gut, dass dies zu ihrem eigenen Vorteil ist. Jürgen Habermas schrieb unlängst, dass Solidarität in Europa nicht einfach Nächstenliebe ist, sondern gegenseitiges Vertrauen übernationale Grenzen hinweg. Dieses Vertrauen muss natürlich laufend gepflegt und genährt werden, und wenn es beschädigt wird, dauert seine Wiederherstellung als der Verlust. Aber daran führt kein Weg vorbei. Ist es nicht paradox, dass in einer Zeit, in der es den meisten Menschen in Europa doch wieder gut geht und wir die Krisen der letzten Jahre grosso modo bewältigt haben, die Polarisierung zwischen und innerhalb unserer Mitgliedsstaaten zuzunehmen scheint? Dass Solidarität oft verbal eingefordert, aber nicht in gleichem Maß real geleistet wird? Vertrauen in die europäischen Partner aufzubauen verlangt Einsatz politischen Kapitals, das gebe ich zu. Aber der „Return on investment“ sollte es einem wert sein. Wir bauen damit eine dauerhafte Union der Bürger, und nicht nur eine der Staaten.

Beispiele funktionierender Solidarität aus jüngster Zeit sind die europäischen Beiträge zur Unterstützung der Waldbrände in Schweden oder GR, aber auch die erfolgreich abgeschlossenen Programme der WWU. Schließlich ist das mehrjährige EU-Budget nichts anderes als langfristiges Eigeninteresse basierend auf gegenseitiges Vertrauen, also Solidarität im Sinne Habermas‘.

  • Intelligente Subsidiarität

Europa wird immer wieder eingefordert, wenn die Politik vor einem neuen Problem steht. Gleichzeitig wird aber die europäische Einmischung von vielen selbst als Problem empfunden. Die richtige Balance zu finden ist fast unmöglich, muss aber täglich neu versucht werden. In einem Mehrebenen-System politischer Entscheidungsfindung ist es naturgegeben, dass es verschiedene Meinungen gibt, was auf welcher Ebene am besten und effizientesten gelöst werden kann. Für mich ist dabei klar: Europa kann nicht gegen den mehrheitlichen Willen seiner Mitglieder handeln.

Gleichzeitig muss Europa aber dort handeln können, wo es im gemeinsamen längerfristigen Interesse liegt. Daher sollten wir die Skalenvorteile und die grundlegenden Interessen der Mitgliedsstaaten intelligent, und nicht ideologisch abwägen, wenn wir die Wahl treffen, als Europa zu handeln, oder darauf zu verzichten. Die klarsten Fälle für die EU in der politischen Vorhand sind dort, wo die Schnittmenge aus Größenvorteil und gemeinsamer Interessenlage am größten ist, also z.B. eine europ. Politik zu KI oder zu Klimawandel. Komplizierter wird es bei der Sozialpolitik oder in Migrationsfragen, zwei Bereiche, wo alle politischen Ebenen ihre Verantwortung tragen. Der Leitsatz muss aber sein: wenn wir gemeinsam erkennen, welche Aspekte besser europäisch geelöst werden, darf es dann nicht ewig dauern, diese Lösung zu finden.

Ich komme zum Schluss: unsere Antwort auf America First und Made in China 2025 muss natürlich einerseits lauten: Europe United. Aber das allein reicht nicht. Denn die europäische Mission liegt nicht im Egoismus begründet, ebenso wenig wie in missionarischer Naivität. Europa muss ein umfassendes Konzept für die globale Entwicklung entwickeln und verfolgen. Nicht nur für uns, sondern auch für andere. Wir sind der stärkste verbliebene Leuchtturm universeller Werte. Es wird von uns schlicht erwartet, dass wir weltpolitikfähig werden und einen Führungsanspruch stellen, um die globale Entwicklung zu ordnen und zu prägen. Die herrschende Instabilität ist dafür auch eine Chance, die es zu nützen gilt.

(Vorliegend aus Manuskript entnommen, das Richard Kühnel im Vortrag frei gestaltete. Demnach gilt das gesprochene Wort).

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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