Oberlandesgericht Frankfurt am Main: Rückblick 2017 Ausblick 2018.

Neue Spezialzuständigkeit für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten / „Diesel-Verfahren“ mit stark steigender Tendenz / Hohe Belastung im Staatsschutz wegen islamistischem Terrorismus: Verfahren des Ermittlungsrichters verzehnfacht; 3 Hauptverfahren in 2017 abgeschlossen; 3 neue Verfahren im Zwischenverfahren; weitere Anklagen erwartet / „Rechtsstaat bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus handlungsfähig und konsequent.“

„Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main wird den Trend zur Spezialisierung auch im kommenden Jahr weiter fortsetzen. Erstmals werden alle gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten von einem Spezialsenat bearbeitet werden. Dabei handelt es sich in der Regel um wirtschaftlich besonders bedeutsame Verfahren“, erklärte der Präsident des Oberlandesgerichts Roman Poseck heute anlässlich der Vorstellung der Geschäftsverteilung für das Jahr 2018.

Das OLG hatte bereits in den vergangenen Jahren zahlreiche Spezialsenate eingerichtet. 2016 sind erstmals Bausenate geschaffen worden. Seit 2017 gibt es auch Spezialsenate für Insolvenzverfahren und Speditionsverträge. Zuvor waren bereits unter anderem Spezialisierungen für Bankensachen, Versicherungsverfahren, Arzthaftungssachen und den gewerblichen Rechtsschutz vorgenommen worden.

„Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat im Bereich der wirtschaftlich besonders bedeutsamen Verfahren inzwischen einen sehr hohen Grad an Spezialisierung erreicht. Die Konzentration dieser Verfahren in Spezialsenaten dient der kompetenten und zügigen Bearbeitung. Die Leistungsfähigkeit der Justiz in Wirtschaftsverfahren ist ein wichtiger Standortfaktor“, führte Roman Poseck weiter aus.

Im Zivilbereich ist das OLG seit Mitte des Jahres auch zunehmend mit der Aufarbeitung der sogenannten Diesel-Affäre befasst. Derzeit sind 40 Verfahren anhängig, wobei fast täglich neue Verfahren hinzukommen. Die Klagen richten sich teilweise allein gegen Autokonzerne, teilweise auch gegen Autohäuser. Eine OLG-Entscheidung gibt es noch nicht. 5 Verfahren haben sich zwischenzeitlich durch außergerichtliche Einigungen der Parteien erledigt. In einigen anderen Verfahren wurden Termine zur mündlichen Verhandlung für das erste Quartal 2018 bestimmt.

„Die Belastung des Oberlandesgerichts Frankfurt mit Staatsschutzverfahren ist und bleibt außergewöhnlich hoch. Fast alle Verfahren betreffen den islamistischen Terrorismus“, er klärte Roman Poseck weiter.

2017 sind insgesamt 3 Staatsschutzverfahren abgeschlossen worden. Dazu sind an 47 Tagen Hauptverhandlungen durchgeführt worden.

Der 5. Strafsenat hat am 27. Oktober 2017 den 29jährigen deutschen Staatsangehörigen Abshir Ahmed A. wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt. Dem Verurteilten konnte nachgewiesen werden, dass er sich in Somalia der Terror-Organisation „Al Shabab“ angeschlossen hatte. Das Verfahren war sehr aufwändig; so mussten Zeugenvernehmungen unter anderem mittels einer Videoschaltung in Somalia durchgeführt werden. Die Verurteilung ist rechtskräftig.

Mit einem weiteren Urteil vom 27. Oktober 2017 sprach der 5. Strafsenat den 29 Jahre alten türkischen Staatsangehörigen Özkan C. der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 8 Monaten. Dem Verurteilten war vorgeworfen worden, sich in Syrien islamistischen terroristischen Vereinigungen angeschlossen zu haben.

Der 4. Strafsenat hat am 28. November 2017 den 54jährigen Schweizer Staatsangehörigen  Daniel M. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten verurteilt; die Vollstreckung dieser Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt und dem Verurteilten auferlegt, 40.000 € an die Staatskasse zu zahlen. Das Urteil konnte bereits am vierten Hauptverhandlungstag ergehen, weil der Senat mit den Verfahrensbeteiligten eine Verständigung schloss und der Verurteilte daraufhin ein Geständnis ablegte, das eine umfangreiche Beweisaufnahme entbehrlich machte.

„Zusätzlich zu den erstinstanzlichen Staatsschutzverfahren sind beim Ermittlungsrichter am Oberlandesgericht in diesem Jahr außergewöhnlich viele Verfahren angefallen. Er hat 100 Verfahren bearbeitet. Eine historisch einmalig hohe Zahl; gegenüber dem Vorjahr haben sich die Verfahren verzehnfacht. Die Fälle sind größtenteils auch dem islamistischen Terrorismus zuzuordnen. Wir haben auf die hohe Verfahrenszahl in diesem Jahr reagiert und den Ermittlungsrichter von anderen Aufgaben teilweise frei gestellt“, erläuterte Roman Poseck.

Der Ermittlungsrichter beim Oberlandesgericht ist zuständig für besondere Maßnahmen in Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft. Er ordnet beispielsweise die Untersuchungshaft an. Außerdem ist er zuständig für die Genehmigung von Durchsuchungen oder Telekommunikationsüberwachungen.

„Wir rechnen sowohl bei den Hauptverfahren als auch bei den Verfahren des Ermittlungsrichters mit einem weiteren Verfahrensanstieg im kommenden Jahr. Der islamistische Terrorismus ist und bleibt eine wichtige Aufgabe und große Herausforderung für die Justiz“, so Roman Poseck.

Dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts liegen derzeit 3 neue Anklagen vor, in denen dar über zu entscheiden ist, ob das Hauptverfahren eröffnet wird.

Eine Anklage betrifft den 32jährigen deutschen Staatsangehörigen Abdelkarim E. B. Diesen hatte der 5. Strafsenat bereits mit Urteil vom 8. November 2016 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren und 6 Monaten verurteilt, weil er sich 2013 und 2014 in Syrien als Mitglied an der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (IS)“ beteiligt hatte. Nunmehr hat der Generalbundesanwalt eine weitere Anklage gegen E.B. erhoben, in der diesem vorgeworfen wird, während seiner Mitgliedschaft im „IS“ ein Kriegsverbrechen begangen zu haben. Der Angeschuldigte soll an der „Befragung“ eines Gefangenen des „IS“ beteiligt gewesen sein, während dieser gefesselt, geschlagen und mit einem Messer bedroht wurde. Dem Gefangenen soll auch die Folter mit Stromschlägen angedroht worden sein, wobei der Angeschuldigte das Geschehen mit seinem Mobiltelefon gefilmt haben soll. Der Senat beabsichtigt seine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens in den ersten Wochen des kommenden Jahres zu treffen.

Außerdem liegt dem Senat eine Anklage in dem Verfahren gegen den 28jährigen Oberleutnant der Bundeswehr Franco A. vor. Der Generalbundesanwalt wirft dem Angeschuldigten vor, in völkischnationalistischer und rechtsextremistischer Absicht einen Angriff auf das Leben hochrangiger Politiker und Personen des öffentlichen Lebens vorbereitet und als Anschlagsopfer neben anderen den Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas und die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth vorgesehen zu haben. Der Senat beabsichtigt über die Eröffnung des Verfahrens im 1. Quartal 2018 zu entscheiden.

Zwar hat der Bundesgerichtshof den Haftbefehl gegen den Angeschuldigten mit Beschluss vom 29.11.2017 aufgehoben, weil der für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft erforderliche dringende Tatverdacht bezüglich der Vorbereitung einer schweren staatsgefährden den Straftat nicht bestehe. Dennoch kommt eine Eröffnung des Hauptverfahrens durch den Senat in Betracht. Denn diese setzt keinen dringenden, sondern einen hinreichenden Tatverdacht voraus, der  anders als der dringende Tatverdacht  nicht erst gegeben ist, wenn eine große Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat, sondern schon dann, wenn eine Prognose ergibt, dass die Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein freisprechendes Urteil.

In einer weiteren Anklage wirft die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main dem 37 Jahre alten Diplom-Mathematiker und ehemaligen Doktoranden der Technischen Universität in Darmstadt Malik F. vor, sich der Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährden den Gewalttat schuldig gemacht zu haben, indem er sich zwecks Begehung einer solchen Tat Anleitungen zum Bau eines Schalldämpfers für Langwaffen und zur Herstellung von unkonventionellen Spreng und Brandvorrichtungen verschaffte. Außerdem soll der Angeschuldigte, der syrischer Staatsbürger ist, über Facebook für die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) um Mitglieder oder Unterstützer geworben, zum Hass aufgestachelt und zu Gewalt und Willkürmaßnahmen aufgefordert haben. Der Senat beabsichtigt die Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens in den ersten Wochen des Jahres 2018 zu treffen.

Für das nächste Jahr sind darüber hinaus weitere Anklageerhebungen beim OLG aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus angekündigt worden. In verschiedenen Verfahren sind Haftbefehle gegen Beschuldigte ergangen, die sich noch in Syrien oder im Irak aufhalten. Bei Rückkehr und Inhaftierung dieser Beschuldigten ist eine Anklageerhebung beim Staatsschutzsenat wahrscheinlich.

„Der Rechtsstaat zeigt sich bei der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus als handlungsfähig und konsequent. Das Oberlandesgericht wird sich der Herausforderung auch weiter mit großem personellen Einsatz stellen. Dabei ist es hilfreich, dass das Gericht in diesem Jahr mit zwei zusätzlichen Richtern verstärkt wurde. Auch in 2018 und 2019 sind weitere personelle Verbesserungen mit jeweils einer zusätzlichen Richterstelle vorgesehen“, führte  Gerichtspräsident Roman Poseck abschließend aus.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*