Rede von Staatsministerin Müntefering anlässlich der Eröffnung des Helmut-Schmidt-Lehrstuhls an der School of Advanced International Studies (SAIS) in Washington am 03.10.2018.

– es gilt das gesprochene Wort –

Freundschaft entspringt dem Dialog, der Auseinandersetzung mit dem Gegenüber und der Anteilnahme. So war es auch bei Helmut Schmidt und Henry Kissinger.

In seiner bewegenden Trauerrede für Helmut Schmidt hat Henry Kissinger das Besondere ihrer sechzig Jahre währenden Freundschaft mit der Fähigkeit zur „unaufhörlichen Konversation“ beschrieben.

Kissinger und Schmidt waren nicht immer einer Meinung. Aber sie waren fähig und bereit zu stetigem, ununterbrochenem Dialog. So wurden sie von Bekannten aus Studienzeiten in den 50er Jahren zu engen Freunden – auf Lebenszeit.

Diese Gesprächsbereitschaft, aber auch der Wille zuzuhören, ist das, was wir gerade in Zeiten komplizierter werdender deutsch-amerikanischer Beziehungen brauchen.

Genau hierzu wird der neue Lehrstuhl einen Beitrag leisten. So gibt es wohl keinen passenderen Ort für einen Helmut Schmidt-Lehrstuhl als das Henry A. Kissinger Center for Global Affairs. Das SAIS der John Hopkins Universität ist eine, wenn nicht die renommierteste Institution für internationale Beziehungen weltweit.

Hier nun so prominent einen Lehrstuhl für Transatlantische Beziehungen zu platzieren, ist ein großer Erfolg, der jenseits der tiefen menschlichen Bindungen dies- und jenseits des Atlantiks, auch politisch anschließt an das Wirken Helmut Schmidts.

Ihm verdanken wir zu einem ganz entscheidenden Teil die wachsende außenpolitische Bedeutung der BRD in den 70er Jahren. Er steht wie vielleicht kein zweiter für die „alte Bundesrepublik“, für das, was Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg war und geworden ist.

Helmut Schmidt hat mit Strategie und aus tiefer moralischer Überzeugung, derer er sich nicht zuletzt bei Kant bediente, den Multilateralismus vorangetrieben und ausgebaut.

In der strategischen Kooperation mit anderen zeigte sich, was es für ihn hieß Gesinnungs- und Verantwortungsethik in ein Gleichgewicht zu bringen. Das war „Staatskunst“, wie er sie verstand.

Politik bezeichnete er als „Pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken“, wenngleich er dem Pragmatismus, gleich seiner Hamburger Natur, einen großen Spielraum einräumte – und dennoch damit haderte, wenn die Wahrnehmung seine Persönlichkeit darauf reduzierte.

Jedes Kind kannte in Deutschland in meiner Schulzeit den Satz „Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen“. Wenige hingegen wissen, von welchen grundlegenden philosophischen Einsichten Helmut Schmidt zeitlebens getrieben war.

Die Fehlbarkeit des Menschen, der Politik und der Demokratie beschäftigten den „Weltkanzler“, wie Frau Spohr treffend formuliert, im Kern. Ich meine hierin die entscheidende Größe seines Antriebs zu erkennen, auch nicht zuletzt durch die tiefgreifenden Erfahrungen als Soldat im zweiten Weltkrieg geprägt, indem er diese Fehlbarkeit an sich selbst und die des Staates erlebte. Die einzige, große Konsequenz daraus hieß für ihn, „Verantwortung“.

Für die Bundesrepublik bedeutete das Verantwortung im Rahmen einer vollwertigen Mitgliedschaft in einer liberalen, demokratischen und dem konstruktiven Diskurs verpflichteten Staaten- und Wertegemeinschaft. Darüber sprach er auch, als er 1976, hier, an dieser Universität, die Ehrendoktorwürde entgegennahm.

Heute gilt es für eine neue, junge Generation ihren Beitrag zu leisten, dieses Erbe fortzuführen.

Bundesaußenminister Heiko Maas wird heute Abend das Deutschlandjahr eröffnen, mit dem wir die transatlantischen Beziehungen mit über 1000 Veranstaltungen im ganzen Land vertiefen wollen.

Die USA sind und bleiben unser engster Partner außerhalb Europas. Uns verbinden sieben Jahrzehnte der Partnerschaft und der Freundschaft. Unsere Gesellschaften sind heute tief verflochten durch eine Vielzahl wirtschaftlicher, kultureller und politischer Verbindungen.

Dennoch sehen wir, wie unter der aktuellen US-Regierung die diplomatischen Verunsicherungen zwischen unseren Ländern zunehmen. Wir erfahren zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte, dass wir nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit von gemeinsamen Werten und Interessen ausgehen können, die über zwei Generationen unser Verhältnis geprägt hat.

Denn wir sind überzeugt, dass wir den zentralen Grundsatz nicht infrage stellen sollten, der uns als Freunde und Verbündete in der Welt bei allen Meinungsunterschieden immer verband.

Kurz, es geht um die Frage: Stimmen wir zu, wenn gesagt wird: „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an jeden gedacht?“ Oder meinen wir, dass wir mehr erreichen können, wenn wir zusammenarbeiten und miteinander kooperieren? Glauben wir an die Idee eines Multilateralismus als Plattform für Interessenausgleich, Schmiede für den Fortschritt und Prävention gegen kriegerische Auseinandersetzung?

Die enge transatlantische Partnerschaft angesichts der globalen Veränderungen ist jedenfalls kein Automatismus, sondern durch bewusste, weitsichtige Entscheidungen von Politikern, aber durch das enge Band zwischenmenschlicher Kontakte erst möglich geworden.

Diese Kontakte, diese tiefen Bindungen und den intellektuellen Austausch als Motor der Weltentwicklung, wollen wir mit dem Helmut Schmidt Lehrstuhl unterstützen.

Als Partner in der NATO oder beim Kampf gegen Terroristen sind die Amerikaner für uns unersetzlich.  Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass Europa eigenständiger und unabhängiger werden muss.

In Fragen der Sicherheit gilt es stärker Verantwortung zu übernehmen, auch politisch werden wir mehr Gewicht einbringen müssen, ich nenne hier nur exemplarisch die Zusammenarbeit mit Afrika.

Das gilt jedoch ebenso für internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen oder die Welthandelsorganisation. Denn: Wenn andere Akteure in das Vakuum stoßen, das der Rückzug der USA erzeugt, wird das die Instabilität erhöhen.

Und: Wir müssen akzeptieren auch anderer Meinung zu sein. Ein Beispiel ist der Rückzug der USA aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran und die Wiedereinsetzung von US-Sanktionen.

Gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien arbeiten wir intensiv daran, die Wiener Nuklearvereinbarung, die dem Iran für viele Jahre den Weg zur nuklearen Bewaffnung versperrt hätte, zu bewahren.

Wir verfolgen damit auch das Ziel, eine Eskalation im Nahen und Mittleren Osten zu vermeiden. Ein atomares Wettrüsten hätte verheerende Folgen.   Sehr verehrte Damen und Herren!

Als ich vor genau 10 Jahren die außergewöhnliche Gelegenheit hatte, Helmut Schmidt in seinem Büro bei der „Zeit“ zu besuchen, Frau Spohr kennt es, und den legendären 50er Jahre Aschenbecher mit Druckfunktion auf dem Tisch – da habe ich einen Mann erlebt, der ein schneidendes Urteil fällen konnte und dem aber vor allem auch ein Thema wichtig war: Bildung!

Ich bin mir sicher, sehr geehrte Frau Wintermantel, Helmut Schmidt hätte sich gefreut zu sehen, welche Rolle die Bildungskooperation zu den USA heute einnimmt und dass dieser Lehrstuhl nun dazugehört.

Die USA sind für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs weiterhin weltweit das Zielland Nummer 1. Mit über 1.600 geförderten Deutschen und über 4.000 geförderten Amerikanern sind die USA eines der wichtigsten Partnerländer in diesem Bereich.

Über die Alexander von Humboldt Stiftung gibt es Zusammenarbeit an der Weltspitze der Forschung – und entlang wissenschaftlicher Standards und innerhalb argumentationsgeleiteter Diskurse entwickeln sich nicht nur Verständnis und Wertschätzung für-, sondern auch Achtung und Respekt voreinander.    Es freut mich daher umso mehr, an dieser prestigeträchtigen Institution nun eine Stätte transatlantisch-orientierter Forschung eröffnen zu können, die zu aktuellen und zukünftigen globalen Fragen neue Perspektiven und Antworten entwickelt und damit zur Vertiefung des transatlantischen Dialogs zum gegenseitigen Nutzen beiträgt.

Liebe Frau Spohr, mit der Einrichtung Ihres Lehrstuhls senden wir ein wichtiges kulturpolitisches Signal. Ich bin deshalb sehr froh, dass mit Ihnen eine ausgewiesene Expertin in den transatlantischen Beziehungen sowie der historisch-orientierten Analyse europäischer und amerikanischer Außenpolitik das erste Jahr des Lehrstuhls prägen wird.

Inhaltlich werden Sie sich mit nichts weniger beschäftigen als der Rolle der USA und Europas in einer sich stetig verändernden Weltordnung. Dafür wünsche ich Ihnen von Herzen viel Erfolg. Ganz im Sinne Helmut Schmidts kommt hier der Verantwortung auch die „Kompetenz“ hinzu.

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

 

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