In der Diskussion über die Pläne der „Ampel“-Koalition für Erleichterungen bei der Einbürgerung von Ausländern in Deutschland beharrt die FDP auf einem Vorrang für die angestrebten Neuregelungen zur Arbeitskräfteeinwanderung aus Drittstaaten. Die FDP wolle ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht, doch es sei ihr wichtig, dass schnell ein Einwanderungsgesetz mit klaren Regeln komme, um Migration gezielt in den Arbeitsmarkt zu lenken, sagte der FDP-Innenexperte Stephan Thomae der Wochenzeitung „Das Parlament“. Seine Fraktion sei „durchaus offen, die Dinge parallel zu verhandeln“, aber für sie habe die Arbeitskräfteeinwanderung Priorität.
Das vom Bundeskabinett vergangene Woche beschlossene Eckpunktepapier zur Reform der Einwanderungsregeln für Arbeitskräfte wertete der Bundestagsabgeordnete als einen „guten Anfang“, der aber nicht ausreiche: „Beim Einwanderungsrecht müssen wir weiterdenken.“ Der Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts spiegele zwar den Koalitionsvertrag wider, doch sei noch über einige Details zu sprechen. Dazu müsse aber zunächst das vereinbarte Einwanderungsgesetz auf den Weg gebracht werden.
Die TP Presseagentur Berlin dokumentiert das am Montag, 5.12.2022, in der Wochenzeitung „Das Parlament“ erscheinende Interview vorab im vollen Wortlaut:
Parlament: Herr Thomae, es gab gerade viel
Streit um einen Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums zum
Staatsangehörigkeitsrecht, mit dem Einbürgerungen künftig erleichtert werden
sollen. Auch aus Ihrer Partei wurde Kritik laut, obwohl mit dem Gesetzentwurf
nur umgesetzt werden soll, was im Koalitionsvertrag steht. Was stört Sie denn
an der Vorlage?
Thomae: Die FDP möchte ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht,
denn das gehört zu einem modernen Einwanderungsland. Da gibt es gar keinen
Dissens. Wir haben aber im Koalitionsvertrag auch vereinbart, dass zunächst
geprüft werden soll, welche Auswirkungen die Vererbung einer Mehrstaatigkeit
über mehrere Generationen hinweg haben kann. Da wäre auch ein Rechtsvergleich
interessant, um zu sehen, wie andere Länder mit dieser Frage umgehen. Und es
ist uns wichtig, dass schnell ein Einwanderungsgesetz mit klaren Regeln kommt,
um Migration gezielt in den Arbeitsmarkt zu lenken. Wir sind durchaus offen,
die Dinge parallel zu verhandeln, aber für uns hat die Arbeitskräfteeinwanderung
Priorität.
Parlament: Aber das Kabinett hat doch
vergangene Woche bereits ein Eckpunktepapier zur Fachkräfteeinwanderung
verabschiedet.
Thomae: Die Verabschiedung des Eckpunktepapiers im Kabinett ist
auf jeden Fall ein guter Anfang, man sieht, dass sich da etwas tut. Das ist für
uns ein wichtiger Punkt. Aber das reicht nicht aus, beim Einwanderungsrecht
müssen wir weiterdenken. Wir brauchen hier ein Gesamtpaket.
Parlament: War die Aufregung um den
Gesetzentwurf zum Staatsangehörigkeitsrecht also aus FDP-Sicht dann nicht eher
ein Sturm im Wasserglas?
Thomae: In vielen Punkten spiegelt der Referentenentwurf aus dem
Bundesinnenministerium den Koalitionsvertrag wieder. Es gibt aber ein paar
Details, über die wir noch sprechen müssen. Dazu muss aber zunächst das
vereinbarte Einwanderungsgesetz auf den Weg gebracht werden.
Parlament: Das vergangene Woche im Bundestag
von der Koalition beschlossene Gesetzespaket zum 18-monatigen
Chancen-Aufenthaltsrecht enthält doch ebenfalls schon Maßnahmen, die dem Arbeitskräftemangel
in Deutschland entgegenwirken sollen.
Thomae: Das ist richtig. Wir stellen fest, dass sehr viele
Menschen, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, die aber nicht ausreisen und
nicht abgeschoben werden können, über einen sehr langen Zeitraum bei uns einen
Duldungsstatus haben. Sie sind also eigentlich ausreisepflichtig, haben keinen
Aufenthaltstitel, bleiben aber bei uns in den Sozialsystemen hängen. Um das zu
verhindern, müssen wir diesen Menschen Wege eröffnen, um sie gezielt in den
Arbeitsmarkt zu bringen.
Parlament: In den sie jetzt nicht hineinfinden
können?
Thomae: Viele würden gerne arbeiten, aber für Arbeitgeber ist es
nicht attraktiv, Menschen zu beschäftigen, die nur einen Duldungsstatus haben.
Denn man kann sich nie sicher sein, ob sie nicht doch kurzfristig abgeschoben
werden. Da lohnt sich keine Ausbildung, keine Fortbildung, und man ist
zurückhaltend, einen unbefristeten Arbeitsvertrag anzubieten. Hier wollen wir
jetzt einen Schnitt machen: Wenn diese Menschen straffrei sind, sich gut
integriert haben und ihre Identität geklärt ist, ist es doch viel sinnvoller,
dass sie bei uns arbeiten, Steuern zahlen und etwas zum Gelingen dieser
Gesellschaft beitragen können, anstatt dauerhaft Sozialleistungen empfangen zu
müssen.
Parlament: Das Chancen-Aufenthaltsrecht stößt
auf verschiedenen Seiten der Opposition gleichfalls auf scharfe Kritik.
Befürchtet wird beispielsweise, dass mit einer solchen Regelung für langjährig
Geduldete weitere Migranten ermutigt werden, illegal nach Deutschland einzureisen
oder ihrer Ausreisepflicht nicht nachzukommen.
Thomae: Der Chancen-Aufenthalt ist ein befristetes Projekt und
nur für Menschen gedacht, die in den vergangenen fünf Jahren in
Deutschland gelebt haben. Er betrifft also vor allem diejenigen, die während
der Flüchtlingskrise 2015/16 zu uns gekommen sind. Das Projekt ist auf drei
Jahre ausgelegt. Wer also in den nächsten drei Jahren die Chance ergreift, sich
gut integriert, selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommt sowie die eigene
Identität klärt, der hat die Möglichkeit, einen Aufenthaltstitel zu bekommen.
Parlament: Forderungen, auf die
Stichtagsregelung zu verzichten, damit das Chancen-Aufenthaltsrecht auch
künftig geduldeten Ausländern zugutekommen kann, lehnen Sie ab?
Thomae: Für die Zukunft wird keine Wirkung mehr entfaltet. Der
Chancen-Aufenthalt ist ein Vorhaben, um in der Vergangenheit abgeschlossene
Sachverhalte aufzuarbeiten, die in den letzten fünf, sechs Jahren nicht gelöst
werden konnten. Hier wollen wir einen Schnitt machen, um diese Menschen, die
schon so lange in Deutschland leben, dauerhaft zu integrieren.
Parlament: Die Linke beklagt, dass die
Anforderungen für das Chancen-Aufenthaltsrecht viel zu hoch seien und dass viel
zu wenig Geduldete davon profitieren werden.
Thomae: Man bekommt einen Aufenthaltstitel natürlich nicht
geschenkt. Daran sind zeitliche Anforderungen geknüpft, aber auch inhaltliche
Kriterien: Gute Integrationsleistung, wirtschaftliche Selbständigkeit,
Straffreiheit, und die eigene Identität muss geklärt sein.
Parlament: Ihr Generalsekretär Bijan Djir-Sarai
hat seine Kritik an dem Gesetzentwurf zum Einbürgerungsrecht auch damit
begründet, dass es bisher keine Fortschritte bei der Rückführung gebe. Mit dem
Gesetzespaket zum Chancen-Aufenthaltsrecht soll aber doch auch die Rückführung
insbesondere von Straftätern und Gefährdern konsequenter als bisher
durchgesetzt werden. Das reicht aber nicht?
Thomae: Auch die Rückführungsoffensive haben wir im
Koalitionsvertrag festgelegt, und da ist bislang noch zu wenig passiert. Wir
haben jetzt im ersten Migrationspaket aufgenommen, dass die Abschiebehaft auf
bis zu 28 Tage verlängert werden kann. Damit haben die Behörden mehr Zeit, um
eine Abschiebung durchzuführen und um sicher zu gehen, dass die abzuschiebende
Person nicht untergetaucht ist und nicht aufgefunden werden kann. Das ist schon
mal ein Teil der Rückführungsoffensive, aber es müssen weitere folgen.
Parlament: Welche?
Thomae: Wir müssen Migrationsabkommen mit anderen Ländern
schließen. Solche Abkommen würden es erheblich erleichtern, dass Menschen, die
nicht in Deutschland bleiben können, von ihren Herkunftsländern zurückgenommen
werden. Das ist für uns ein wichtiger Punkt.
Parlament: Der Bundestag hat am Freitag auch
die Einführung einer behördenunabhängigen Asylberatung beschlossen, die die
Akzeptanz der Verfahren erhöhen soll. Glauben Sie wirklich, dass ein
abgelehnter Asylbewerber deshalb den negativen Bescheid eher akzeptiert?
Thomae: Die Schweiz hat mit einer behördenunabhängigen
Asylverfahrensberatung gute Erfahrungen gemacht. Diese Erfahrungen wollen wir
uns zu Nutze machen und testen, ob sie auch bei uns wirken. Wenn ein
Asylbewerber in der Anhörung bereits gut informiert ist, welche
entscheidungserheblichen Tatsachen er vortragen muss – die natürlich
wahrheitsgemäß, aber auch vollständig sein müssen –, dann erhöht das die
Chance, dass es zu einer richtigen und auch akzeptierten Entscheidung kommt.
Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin