Verstoß gegen Austrittsabkommen und Nordirland-Protokoll: EU-Kommission leitet rechtliche Schritte gegen das Vereinigte Königreich ein.

Die Europäische Kommission hat heute (Montag) rechtliche Schritte gegen das Vereinigte Königreich eingeleitet, weil es gegen die grundlegenden Bestimmungen des Protokolls zu Irland/Nordirland sowie gegen die Erfüllung von Verpflichtungen nach Treu und Glauben gemäß dem Austrittsabkommen verstoßen hat. Zum zweiten Mal innerhalb von sechs Monaten sei die Regierung des Vereinigten Königreichs im Begriff, gegen das Völkerrecht zu verstoßen. „Das Protokoll zu Irland/Nordirland ist der einzige gangbare Weg, um das Karfreitagsabkommen – das Abkommen von Belfast – zu schützen, Frieden und Stabilität zu wahren und zugleich eine harte Grenze auf der Insel Irland zu vermeiden. Das Vereinigte Königreich muss es ordnungsgemäß umsetzen“, sagte Vizepräsident Maroš Šefčovič. „Deshalb leiten wir heute rechtliche Schritte ein.“

„Ich hoffe sehr, dass wir dieses Problem in dem pragmatischen und konstruktiven Geist der Zusammenarbeit, der bisher bei der Umsetzung des Austrittsabkommens unsere Arbeit geprägt hat, im Gemeinsamen Ausschuss ohne ein Schiedsverfahren lösen können“, sagte Šefčovič, der die EU als Ko-Vorsitzender des Gemeinsamen Ausschusses vertritt.

Die Kommission reagiert auf diese Situation in zweifacher Weise:

  • Erstens hat die Kommission dem Vereinigten Königreich ein Aufforderungsschreiben wegen Verstoßes gegen grundlegende Bestimmungen des Protokolls zu Irland/Nordirland übermittelt. Damit beginnt ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 12 Absatz 4 des Protokolls in Verbindung mit Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. In dem Schreiben wird das Vereinigte Königreich aufgefordert, zügig Abhilfemaßnahmen zu ergreifen und dafür zu sorgen, dass die Bestimmungen des Protokolls wieder eingehalten werden. Das Vereinigte Königreich hat nun einen Monat Zeit, um auf dieses Schreiben zu antworten.
  • Zweitens hat Vizepräsident Maroš Šefčovič auf politischer Ebene ein Schreiben an David Frost, den Ko-Vorsitzenden für das Vereinigte Königreich im Gemeinsamen Ausschuss, gerichtet. In diesem Schreiben fordert er die Regierung des Vereinigten Königreichs auf, die am 3. und 4. März 2021 veröffentlichten Erklärungen und Leitlinien richtigzustellen und von ihrer Umsetzung abzusehen. Diese einseitigen Maßnahmen stellen einen Verstoß gegen Treu und Glauben gemäß Artikel 5 des Austrittsabkommens dar. Außerdem wird das Vereinigte Königreich aufgefordert, nach Treu und Glauben Konsultationen im Gemeinsamen Ausschuss aufzunehmen, um bis Ende dieses Monats zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen.

Das Protokoll zu Irland/Nordirland ist als integraler Bestandteil des Austrittsabkommens seit dem 1. Februar 2020 in Kraft und hat volle völkerrechtliche Wirkung. Es dient dazu, Frieden und Stabilität zu wahren, das Karfreitagsabkommen (Abkommen von Belfast) zu schützen und eine harte Grenze auf der Insel Irland zu vermeiden. Damit dies erreicht werden kann, muss das Protokoll vollständig umgesetzt werden. Wenn das Vereinigte Königreich sich nicht daran hält, sind diese Ziele gefährdet.

Nächste Schritte

Das Vereinigte Königreich hat bis Ende dieses Monats Zeit, sich zu dem Aufforderungsschreiben zu äußern. Die Kommission kann nach Prüfung dieser Stellungnahme – oder falls keine Äußerungen eingehen – gegebenenfalls beschließen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme abzugeben.

Zweitens kann die Europäische Kommission, falls das Vereinigte Königreich im Gemeinsamen Ausschuss keine Konsultationen nach Treu und Glauben aufnimmt, um bis Ende dieses Monats zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen, gemäß Artikel 169 des Austrittsabkommens den Gemeinsamen Ausschuss schriftlich davon in Kenntnis setzen, Konsultationen aufnehmen zu wollen, um somit das in Teil 6 Titel III des Austrittsabkommens festgelegte Streitbeilegungsverfahren einzuleiten.

Hintergrund

Am 3. März 2021 erklärte die Regierung des Vereinigten Königreichs ihre Absicht, die vollständige Anwendung des Protokolls zu Irland/Nordirland im Hinblick auf die Beförderung von Waren und Reisen mit Heimtieren von Großbritannien nach Nordirland einseitig zu verzögern. In der Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses vom 24. Februar 2021 hatte sich das Vereinigte Königreich noch öffentlich zur ordnungsgemäßen Umsetzung des Protokolls sowie aller im Gemeinsamen Ausschuss im Dezember 2020 gefassten Beschlüsse verpflichtet.

Das Vereinigte Königreich hat nun einseitig gehandelt, ohne dies in den durch das Austrittsabkommen geschaffenen Gremien mit der EU zu erörtern oder die EU-Seite dort zu konsultieren. Dies stellt eine klare Abkehr von der bisher vorherrschenden konstruktiven Vorgehensweise dar und untergräbt somit sowohl die Arbeit des Gemeinsamen Ausschusses als auch das gegenseitige Vertrauen und den Geist der Zusammenarbeit, die in den letzten Monaten des Jahres 2020 nach der durch das britische Binnenmarktgesetz geschaffenen Unsicherheit wieder aufgebaut worden waren.

Die EU hat sich im Gemeinsamen Ausschuss kontinuierlich in gutem Glauben darum bemüht, pragmatische Lösungen zu finden, um die durch den Brexit verursachten Störungen so gering wie möglich zu halten und den Alltag der Menschen in Nordirland zu erleichtern. Die EU hat stets versucht, alle Beteiligten zu einer klaren Ausrichtung auf die vollständige Einhaltung des Protokolls zu bewegen.

Mit dem jüngsten Beschluss schlägt das Vereinigte Königreich jetzt erneut den Weg ein, bewusst gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen sowie die Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit zu verstoßen, die bei der Anwendung internationaler Übereinkünfte gemäß Artikel 26 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens vorherrschen sollten.

Eigenmächtige Änderungen der britischen Regierung an den Maßgaben des Nordirland-Protokolls sind inakzeptabel.

Zur Einleitung rechtlicher Schritte der EU gegen das Vereinigte Königreich aufgrund der Verletzung des Nordirland-Protokolls, erklärt die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Katja Leikert:

Katja Leikert, Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

„Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Entscheidung der EU, wegen der Verletzung des Nordirland-Protokolls rechtliche Schritte gegen das Vereinigte Königreich einzuleiten. Das Nordirland-Protokoll ist eine wichtige Basis für die europäisch-britischen Beziehungen und für den fortdauernden Frieden auf der irischen Insel. Eigenmächtige Änderungen der britischen Regierung an den Maßgaben des Nordirland-Protokolls sind deshalb inakzeptabel. Sie widersprechen der von beiden Seiten angestrebten Partnerschaft.

Daher tut die EU gut daran, die wiederholten Rechtsverstöße der britischen Regierung nun auf juristischem Weg anzugehen. Schon seit Wochen stand die EU in Kontakt mit der britischen Regierung, um Lösungen für die Probleme zu finden.

Nicht im Sinne einer Partnerschaft ist im Übrigen auch das kurzsichtige und unsolidarische Verhalten beim Export von Impfstoffen aus Großbritannien. Das Handelsabkommen zwischen Europa und dem Vereinigten Königreich hat Dialogformate geschaffen, aber die britische Regierung muss sie nun auch nutzen.“

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