„Wo ein Wille ist, da ist ein Weg“.

TP-Interview mit Honecker-Verteidiger Dr. Friedrich Wolff.

Frage: Herbert Häber wurde wegen dreifacher Anstiftung zu Mord schuldig gesprochen, eine Strafe wurde nicht verhängt.
Siegerjustiz?

Dr. Wolff: Das Häber-Urteil weist alle Merkmale eines politischen Urteils auf. Es begünstigt den Renegaten. Das haben Sieger schon in der Antike getan. „Siegerjustiz“ ist facettenreich, da die Interessen der Sieger milde wie harte Urteile verlangen können.

Frage: Herbert Häber fühle sich politisch und moralisch freigesprochen. Wie kann ein solches Urteil zustande kommen, ohne politische Kniffe anzuwenden?

Dr. Wolff: Die Abtrennung des Verfahrens gegen Häber von dem gegen die Mitangeklagten Lorenz und Böhme deuten auf einen Deal hin. Es ist mir kein sachlicher Grund für ein solches Vorgehen erkennbar. Was hier „gedealt“ wurde, weiß ich nicht.

Frage: Hat es ein solches Urteil in der Rechtsgeschichte jemals gegeben?

Dr. Wolff: Es ist unmöglich, die gesamte Geschichte des Rechts zu überblicken, aber von der Kreuzigung Christi bis zum Krenzprozeß gab es schlimmere Beispiele.

Frage: Wäre ein solches Urteil außerhalb Deutschlands möglich?

Dr. Wolff: Ja überall. Die USA haben von Sacco und Vanzetti bis zu Mumia Abu Yamal eine Vielzahl von Beispielen geliefert und werden ihnen im Zusammenhang mit dem Überfall auf den Irak weitere hinzufügen.

Frage: Krenz, Kleiber und Schabowski wurden „lediglich“ wegen Totschlags schuldig gesprochen, aber höher bestraft als Häber, der wegen Anstiftung zum dreifachen Mord verurteilt wurde, aber straffrei blieb. War ein Rückgriff auf den § 25 StGB-DDR, mit dem das Absehen von Strafe bei Häber begründet wurde, nur mit einem Schuldspruch nach DDR-Recht möglich, nach dem im Falle von Todesschüssen an der Grenze nach Auffassung der Gerichte nach der Wiedervereinigung beider deutschen Staaten angeblich der Mordtatbestand des Strafgesetzbuches der DDR erfüllt war?

Dr. Wolff: Das StGB der DDR kannte die Trennung von Mord und Totschlag nicht und bezeichnete jede vorsätzliche Tötung als Mord. Ein milderes Gesetz konnte das DDR-Recht nur sein, wenn man § 25 StGB-DDR mit berücksichtigte. Wo ein Wille ist, da ist ein Weg. Der Weg wäre in anderen Fällen mindestens ebenso angebracht gewesen, dort wurde er nicht gegangen.

Frage: Hätten Krenz u.a., die nach dem „milderen“ Westrecht (Totschlag) verurteilt wurden, somit schon theoretisch nicht in den Genuss dieses § 25 StGB-DDR kommen können?

Dr. Wolff: Selbstverständlich hätten auch andere wegen der Schüsse an der Grenze Verurteilten unter § 25 StGB-DDR fallen können. Die Gerichte mussten nur auch in diesen Fällen davon ausgehen, dass die Voraussetzungen dieser Vorschriften erfüllt sind. Die Bestimmung erhält 2 Varianten:
“1. Wenn der Täter durch ernsthafte, der Schwere der Tat entsprechende Anstrengungen zur Beseitigung und Wiedergutmachung ihrer schädlichen Auswirkungen oder durch andere positive Leistungen beweist, dass er grundlegende Schlussfolgerungen für ein verantwortungsbewusstes Verhalten gezogen hat und deshalb zu erwarten ist, dass er die sozialistische Gesetzlichkeit einhalten wird;
2. wenn die Straftat infolge der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsverhältnisse keine schädlichen Auswirkungen hat.“
Eine dieser Varianten hat das Gericht offenbar als erfüllt angesehen. Wo ein Wille ist, ist eben ein Weg.

Frage: Ist bei Häber, dem Anstiftung zum Mord vorgeworfen wurde bzw. es zu einem solchen Schuldspruch kam, der § 25 StGB-DDR überhaupt anwendbar gewesen?

Dr. Wolff: Mir ist kein entsprechender Fall aus der DDR bekannt. Ich halte es nach dem Wortlaut der Bestimmungen für ausgeschlossen, dass sie auf einen Mordfall anwendbar gewesen wären.

Frage: Ist schon ein Termin für ein Wiederholungsverfahren gegen Böhme und Lorenz genannt worden?

Dr. Wolff: Ja, es ist in Aussicht genommen, die Hauptverhandlung am 23.7.04 zu beginnen.

Frage: Wird Ihr Mandant, für den ja allenfalls eine Verurteilung wegen Unterlassens jedoch nicht wegen „aktiven Tuns“ in Betracht kommt, eine Verurteilung – wahrscheinlich auf Bewährung – akzeptieren oder Revision einlegen?

Dr. Wolff: Diese Frage kann ich z.Zt. nicht beantworten.

Frage: Wann werden Ihrer Vorstellung nach alle Verfahren wegen der Grenz- und Mauertoten abgeschlossen sein?

Dr. Wolff: Das weiß ich nicht.

Interview: Dietmar Jochum, 18.5.2004

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