Zum zehnjährigen Todestag des „Vaters der Resozialisierung“.

Erinnerung an Helmut Ziegner.

„Wir sind kein Rechtsstaat, sondern ein Rechtsmittelstaat,
denn nur wer über das erforderliche Kapital verfügt,
die Rechtsmittel zu bezahlen, wird Recht bekommen“
Helmut Ziegner * 20.08.1921 – † 05.07.2006

Heute vor zehn Jahren verstarb der Gründer und Stifter der „Universal-Stiftung Helmut Ziegner“, der in seiner Stiftungsurkunde vom 30.04.1957 Zweck und Ziel wie folgt formulierte:

„Bekämpfung der Vorurteile gegen Vorbestrafte in der Öffentlichkeit, der Eingliederung aus der Strafhaft Entlassener in die Allgemeinheit, der Beratung und Unterstützung, insbesondere bei der Beschaffung von Arbeitsverhältnissen, der Vorbereitung auf einen Beruf durch Ausbildung in stiftungseigenen Betrieben und der Aufnahme Gefährdeter und aus der Haft Entlassener in einem Jugendheim“.

Um Zweck und Ziel zu erreichen, brachte Helmut Ziegner nicht nur sein gesamtes persönliches Engagement ein, sondern auch sein gesamtes Vermögen. Fortan lebte er, der mehrfache Bundesverdienstkreuzträger, in einer 2-Zimmer-Sozialbauwohnung am Bayernring 6a in Berlin Tempelhof. Zwei Anzüge, zwei Paar Schuhe, Bescheidenheit und jede Menge Visionen waren sein Rüstzeug, um seine Ideen Realität werden zu lassen.

Bereits neun Jahre später, im Jahre 1966 gründete Helmut Ziegner eine neue Gesellschaft, die UNIHELP Gesellschaft der Förderer und Freunde der „Universalstiftung Helmut Ziegner e. V.“, die maßgeblich an der Reform des Strafvollzugrechts mitwirkte (vgl. BArch, B 141/404468 Aktenzeichen: 4400/4-9 Bundesministerium der Justiz >> B 141 Bundesministerium der Justiz.- Hauptgebiet 4 (Strafrecht) >> Strafvollzug im allgemeinen (44) >> Strafvollzug im allgemeinen (440) >> Strafvollzug im allgemeinen (4400) >> Reform des Strafvollzugsrechts.- UNIHELP (Gesellschaft der Förderer und Freunde der Universal-Stiftung Helmut Ziegner e.V.).

Helmut Ziegner wurde mehrfach ausgezeichnet.

Um nur einige Ehrungen zu nennen:

– 1968 Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland
– 1974 Verdienstkreuz Erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
– 1977 Beccaria-Medaille der Deutschen Kriminologischen Gesellschaft
– 1981 Ernst-Reuter Plakette i Silber
– 1992 Großes Bundesverdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland

Als 2007 die Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Universalstiftung Helmut Ziegner erschien – die Festschrift ist auf dieser Webseite in der Fundgrube der TP Presseagentur Berlin eingestellt –, war aus der Vision von 1948 ein Selbstläufer geworden. Nicht nur, dass die Idee zur Realität wurde, es waren auch mannigfaltige Reformen im Strafvollzug, die aus der menschenunwürdigen Behandlung und Unterbringung der Gefangenen zu einem Vollzug fanden, der heute absolut nicht mehr vergleichbar ist mit dem, was Helmut Ziegner 1948 bei seinem Besuch in Tegel, einem rigiden Zuchthaus, vorfand.

Als 2007 die Festschrift erschien, war man beim Senat für Justiz in Berlin noch der festen Überzeugung, dass die Unterbringungsvoraussetzungen in Tegel rechtens seien. Erst die Arbeit der renommierten Berliner Strafverteidigerin Ria R. Halbritter brachte 2009 den Berliner Verfassungsgerichtshof (VerfGH v. 03.11.2009 – 184/07) zu der Einsicht, dass eine Unterbringung auf 5,3 m² – vollgestellt mit Tisch, Stuhl, Bett, WC, Waschtisch und Spind – menschenunwürdig ist. Aber selbst das ließ den Berliner Senat für Justiz zur üblichen Tagesordnung übergehen, und es musste erst das Bundesverfassungsgericht (Az.: 1 BvR 1127/14) Rechtssicherheit schaffen, indem es feststellte, dass eine solche Unterbringung menschenunwürdig ist.

Heute, am 05.07.2016 – zehn Jahre nach Helmut Ziegners Tod -, leben seine Ideen, seine Visionen, aber auch seine Aphorismen weiter. In seinem Buch „Helmut Ziegner – vom Zuchthaus zum Strafvollzug“ – ISBN 9783837040647 – hat Karl-Heinz Jürgen Nagel/Kovar vieles von dem zusammengetragen, was Helmut Ziegners Leben bestimmte und ausmachte.

Wenn es heute eine GG/BO – Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation – gibt, wenn es heute Menschen im Vollzug gibt, wie den Juristen Thomas Galli, die sich für die Rechte der Gefangenen einsetzen, dann sind das auch lebendig gewordene Visionen, die Helmut Ziegner vor Jahrzehnten vordachte.

Wenn wir nun heute zum Grab Helmut Ziegners auf dem Heidefriedhof in Berlin-Mariendorf gehen werden, so seine Anhänger, dann nicht nur um seiner zu gedenken, sondern auch um zu sehen, ob die, die heute von seinem Engagement und Vermögen leben, sich seiner noch erinnern.

TP/k-hrh/dj

Foto: Grabstelle der Familie Ziegner in Berlin-Mariendorf

Bildquelle: TP Presseagentur Berlin/dj

10 Antworten

  1. Danke für diesen Beitrag, für die Erinnerung an einen Menschen, einen „Narren“, einen Weisen.
    Danke auch für den Aphorismus zum Rechtsstaat und den Rechtsmitteln, die leider nur wenige engagierte Juristen beherrschen. Die allermeisten der Schwarzkittel kennen leider nur die Gesetze, beherrschen aber nicht deren Ordnungen.
    Helmut Ziegner sagte einmal: „Alle Menschen haben die gleichen Rechtsansprüche, aber ein Präsident kann sie leichter realisieren als ein Hilfsarbeiter“.
    Aber Rechtsansprüche im Vollzug durchzusetzen, ist ein zumeist hoffnungsloses Unterfangen, es sei denn, man hat eine so exzellente und versierte Rechtsvertretung an seiner Seite, wie die von Ihnen zitierte Strafrechtlerin Ria R. Halbritter.
    Klaus Lange-Lehngut war 25 Jahre Leiter der JVA Tegel. Später, nach seinem Ausscheiden, stellte er in einem Interview mit der „taz“ vom 22.01.2007 fest:
    „Drittklassige Juristen, die nirgendwo sonst eine Anstellung gekriegt hätten, hatten in der Anstalt das Sagen. Die haben den Vollzug mit ihrem Zynismus und ihrer Menschenfeindlichkeit geprägt. Mein Vorgänger, der Anstaltsleiter Wilhelm Glaubrecht, war die große Ausnahme. Unter dem Eindruck seiner Kriegsgefangenschaft hat der alles auch mit der Brille eines Gefangenen betrachtet, so konservativ, wie er war.“
    Heute gibt es eine neue Generation von Juristen, wie es das Beispiel von Herrn Thomas Galli beweist, die versuchen Einsichten und Erkenntnisse aus ihrem Berufsleben umzusetzen.
    Aber noch wird – um mit den Worten Helmut Ziegners zu sprechen – „Machtmissbrauch
    mit der Pensionierung bestraft, Bananenklauen aber mit Knast“.

    • Ihre Attacke gegen Juristen, Hr. Neuhann, ist doch sehr pauschal u. nähert sich der Verunglimpfung („Schwarzkittel“ sind meines Wissens Wildschweine). Bei einer anderen Zielgruppe würde man von Rassismus sprechen.

      Die Zitate Ziegners sind womöglich aus der Gründungszeit seiner Stiftung. Also bitte immer langsam mit den jungen Gäulen. Hr. Galli macht für mich keine glaubwürdige Figur.

      • Wildschweine, Herr Sohn, waren ja auch gemeint, als ich Schwarzkittel schrieb. Oder kennen Sie andere Gattungen, die ihre (Fress)-Gesetze zwar kennen, aber deren Ordnungen nicht behrrschen? Aber – Wie überall: es gibt’s solche und solche. Auch unter den Schafen und Wölfen.
        Herr Galli macht für mich übrigens eine sehr glaubwürdige Figur, stößt aber auf Widerstand vor allem bei denjenigen, die so etwas wie AfD wählen. Dieser Mann mag zwar im Moment einsam auf weiter Flur stehen, aber er hat etwas angestoßen, das viele noch zum Umdenken bewegen wird. Früher oder später, aber spätestens dann, wenn wir alle unseren zehnten Todestag haben.

      • Helmut Ziegner würde heute noch schärfer formulieren, wenn er die Knäste beträte: Ja, habt ihr denn immer noch nichts dazu gelernt!?!, würde er verbittert ausrufen. Wer die Gefängnisse von heute für Erholungsheime oder humanen Strafvollzug hält, der hat in der Tat noch nichts begriffen. Der gehört selber mal schleunigst rein.

  2. Judex non calculat

    Als ich den Kommentar von Herrn Sohn las, fiel mir sofort dieser hehre Spruch ein, denn wenn Herr Sohn rechnen könnte, hätte er die Argumente Gallis verstanden.
    Beispiel:
    Ein sog. Schwarzfahrer, hundertmal dabei festgestellt, zuvor ebenfalls immer wieder mal auffällig geworden, bekommt beim Strafrichter in Moabit mal soeben ein Jahr ohne Bewährung.
    Die Folgen:
    Ladung zum Strafantritt in den offen Vollzug, dort wird nach zwei Tagen und einer Pseudo-Eingangsuntersuchung festgestellt, dass der „Asoz“ (Helmut Ziegner hatte dafür dieses Synonym geprägt) für den offenen Vollzug ungeeignet ist. Es folgt die Verlegung nach Tegel, dort in die TA II – dem Abstellgleis, wo Asoz ein Jahr lang Haft schieben darf.
    Dass Asoz dabei seine Wohnung etc. verliert, mithin nach seiner Enthaftung noch tiefer im Dreck stecken wird, nimmt man als Kollateralschaden hin.
    Selbstredend, dasss sich in Tegel niemand um Asoz kümmert, weiß man doch, dass er nach einem Jahr mit seinen Klamotten, im blauen Müllsack, vor die Tür gesetzt wird.
    Dass das Urteil des Amtsgerichts aber weit aus mehr bedeutet und in st. Rspr. zur Prozessökonomie reiner Schwachsinn ist, kommt den beiden Schwarzkitteln (StA und Ri) nicht annähernd in den Sinn, weil sie nicht rechnen können.
    Ein Tag in Tegel kostet rund 145 €. Macht bei 365 Tagen runde 53.000,00 €, die wir, die Allgemeinheit, der Steuerzahler aufbringen müssen, weil Asoz bei der BVG (Berliner Verkehrsgesellschaft) für 100 x 2,40 einen Schaden von 240 € verursacht hat.
    53.000 zu 240 €, plus Wohnungsverlust, plus Wiedereingliederung nebst Hartz IV usw.
    Und das ist es, was Herr Galli geändert haben will.
    Wenn nun unsere Schwarzkittel rechnen könnten, würden die Schwarzkittel nicht solchen sozialökonomischen Schwachsinn verlangen und aburteilen.

    • Ein Anstaltsleiter — der also für A-16 oder was den Vollzug verwaltet u. repräsentiert — u. sein Arbeitsfeld abschaffen will, ist nicht glaubwürdig. Das passt nicht, das wäre so, als wenn ich die Abschaffung der Kriminologischen Zentralstelle forderte.

      Allerdings könnte ich dabei auch nicht auf ein Angebot des brandenburgischen Justizministers hoffen 🙂

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