„Im Grunde genommen sperren wir nur die Unterschicht ein.“

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßte kürzlich eine Gesetzesverschärfung, wonach Wohnungseinbrüche künftig härter zu bestrafen sind. Es werde damit ein deutliches Signal an die Täter gesendet, betonte der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow.

Auch als einen großen Erfolg bezeichnete die GdP das Gesetz zum Schutz von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften. Nach den Worten des GdP-Bundesvorsitzenden würde mit dem längst überfälligen Gesetz ein wirksames Instrument geschaffen, um die steigende Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte wirksamer bekämpfen zu können.

Ist es wirklich so? Werden durch härtere Strafen tatsächlich Instrumente geschaffen, eine steigende Gewalt wirksamer zu bekämpfen?

Anlässlich des Deutschen Evangelischen Kirchentages 2017 fand an Christi-Himmelfahrt in Berlin eine Veranstaltung in der Versöhnungskirche an der Gedenkstätte Berliner Mauer über den Strafvollzug statt, bei der während einer Podiumsdiskussion das Gefängnissystem und seine Ursachen und die Folgen unter die Lupe kritischer ExpertInnen genommen wurde.

Thema: Du siehst mich – nicht! Zur Zukunft des Gefängnissystems.

„Schützen Mauern? Ist es einer modernen Gesellschaft angemessen, allein in Berlin fast 4.000 Menschen wegzusperren? Gibt es Alternativen zum momentanen Strafvollzug? Welche Haltungen beziehen Christ*innen zu Inhaftierten? Und welche Rolle kann und soll Kirche spielen beim Übergang zu etwaigen Veränderungen?“

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Grundsätzlich, so Thomas Galli, Rechtsanwalt und lange Zeit selbst Anstaltsleiter in zwei Justizvollzugsanstalten, könne man mit Gefängnissen nichts Positives erreichen. Zwar ginge es dort, wie es hieße, um Resozialisierung, das Gefängnis sei aber dazu nicht geeignet. Der Knast mache die Menschen, die dort landeten, jedenfalls die Mehrheit, gefährlicher. Unter dem Strich reduziere der Strafvollzug so nicht die Kriminalität, sondern erhöhe sie. Gefängnisse taugten noch nicht einmal zum Schuldausgleich, sondern vergrößerten nur noch die Probleme. Zudem sei ein Gefangener durch die Vorstrafe stigmatisiert, so dass die Strafe nach Verbüßung der Haft insoweit nachwirke. Es sei grotesk zu behaupten, dass man an solchen Orten Resozialisierungsarbeit machen könne. Zudem sei es eine Frechheit zu behaupten, dass das funktionieren  könne. Im Falle eines Inhaftierten, der zwei oder drei Jahre verbüßt hatte, sei es nach der Entlassung nicht gelungen, eine Wohnung zu vermitteln. Während er in der Haft seine Drogenproblematik noch einigermaßen in den Griff bekommen hätte, sei ihm dies nach der Entlassung nicht mehr gelungen. Er verlor Frau und Kind und landete in einem Obdachlosenheim. Zwei Wochen später sei er an einer Überdosis verstorben.

An den Rückfallquoten gemessen, so auch Ineke Pruin, Professorin für Strafrecht an der Universität Bern in der Schweiz, könne man sagen, dass das Gefängnis nicht „wahnsinnig“ erfolgreich sei. Eine Veränderung sei bei den Menschen nicht eingetreten. Es hätte sich aber gezeigt, dass Gefangene, nicht weil sie Maßnahmen in der Haft durchliefen, sondern weil sie eine innere Einstellung entwickelt und diese – mit Hilfe von außen – dann auch durchgehalten haben, nicht mehr rückfällig geworden sind. Ein sogenannter sozialer Empfangsraum sei dafür notwendig, um das zu erreichen.

Aus dem „Elfenbeinturm der Wissenschaft heraus“ sei sie „natürlich furchtbar utopisch“, aber sie wünschte sich „natürlich ganz radikale Reformen“. Zu diesen Wünschen gehörten die Umsetzung „all der guten Möglichkeiten“, die die Strafvollzugsgesetze vorlegen, einen absoluten Ausbau des offenen Vollzuges, mehr Mut zu Vollzugslockerungen und gewaltfreie Kommunikation in den Anstalten.

Wenn ihre 9jährige Tochter in neun Jahren ankäme und sagte, sie hätte gerade einen Haftentlassenen kennen gelernt, der sich „echt gebessert“ hätte, dann würde sie sagen: „Dann bring‘ ihn doch mal mit zum Abendbrot.“

Für Annett Zupke, Trainerin für gewaltfreie Kommunikation und „restorative justice“ (nicht strafen und trennen, sondern wiederherstellende Gerechtigkeit, z.B. Täter-Opfer-Ausgleich), sind „wir alle auf irgendeine Art und Weise Täter und Opfer“.

Nachdem sie den Regisseur und Dokumentarfilmer Hubertus Siegert kennengelernt hatte, der u.a. mit dem Dokumentarfilm „Beyond Punishment“ bekannt wurde (Max Ophüls Preis 2015), sei sie in Norwegen mit einem Fall konfrontiert worden, den sie als Mediatorin begleitet habe. Es ging dabei um einen 18järigen, der in einem Anfall von Eifersucht seine 16jährige Freundin erschossen hatte. In einer Zeit von fast einem Jahr habe sie Gespräche geführt, indem es dem Vater des Opfers, der in unmittelbarer Nachbarschaft der Familie des Täters wohnte und dann mit seiner Familie wegen Berührungsängsten weggezogen sei, endlich zu trauern und weniger mit den Gedanken an den „Mörder seiner Tochter“ zu leben. Auch dem Täter sei es schließlich gelungen, sich mit der Tat auseinanderzusetzen und eine Perspektive für sein weiteres Leben zu entwickeln.

Wenn die Gesellschaft bereit wäre, auf Gefängnisse zu verzichten, könne sie sich durchaus vorstellen, so Zupke, dass diese „restorative justice“ eine Alternative sei, die man sogar noch stärker ausbauen müsste. Eine Problematik sehe sie aber dann, wenn sie jemanden vor sich habe, der keine Verantwortung übernehmen will oder kann. Dann würde es schwierig im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs zu arbeiten.

Oliver Rast machte klar, dass auf ihn der Täter-Opfer-Ausgleich sowieso nicht anwendbar sei, weil seine Tat – was auch für seine Stümperhaftigkeit spreche – im Versuchsstadium steckengeblieben sei. Er saß 3 ½ Jahre wegen Mitgliedschaft in der militanten Gruppe (MG) in Haft. Er soll mit Mittätern versucht haben einen ganzen Fuhrpark der Bundeswehr zu „flambieren“. Er habe sich in Haft auch nicht als Betroffener gefühlt, vielmehr als ein Aktivist. In der JVA Berlin-Tegel hatte er dann vor drei Jahren mit einem Mitgefangenen die Gefangenengewerkschaft GG/BO gegründet und dabei die Erfahrung gemacht, dass sich Gefangene selbst organisieren können und so der Knast keine gewerkschaftsfreie Zone mehr sei. Zwar sei die Gründung mit vielerlei Schikanen verbunden gewesen, aber auch hier habe man sich durchgesetzt und Erfolge erstritten.

Der Butzbacher Gefängnispfarrer und Kriminologe Tobias Müller-Monning wünscht sich eine Welt ohne Gefängnisse, da Gefängnisse nicht nutzen, sondern schädigen. Er plädierte für Alternativen, die nicht auf Sühne und Strafe beruhen. Bei 63 Prozent der Freiheitsstrafen handele es sich um Strafen unter zwei Jahren. Nur bei 11,2 Prozent handele es sich um schwere Straftaten, das seien eigentlich die Menschen, um die „wir uns besonders kümmern müssen“. Und zwar intensiv und ausführlich. Schwarzfahrer und Kaufhausdiebe gehörten überhaupt nicht ins Gefängnis. Kaufhausdiebstahl gehöre ins Zivilrecht überführt und der Öffentliche Personennahverkehr sei als Daseinsvorsorge zu begreifen, der im Grunde kostenlos anzubieten sei. Im Grunde genommen würde nur die Unterschicht eingesperrt. Zu den Alternativen zum Knast sagte er: In naher Zukunft gehe gar nichts. Wir dürften aber nicht versäumen, den Gedanken daran in die Erde zu pflanzen, die Alternativen pflanzen. Das werde er zwar nicht mehr ernten. Man müsse es nüchtern sehen, das gehe nicht schnell.

Thomas Galli, der sich ohnehin als Abolitionist versteht, gibt zu, dass er keine Patentlösung im Umgang mit der Kriminalität habe. Der Umgang mit Kriminalität sei so komplex, dass man nie eine endgültige Lösung dafür finden könne. Es werde immer ein Dilemma bleiben, mit dem man sinnvoll oder weniger sinnvoll umgehen kann. Der Schwerpunkt müsste jedoch auf ein positives – langfristig präventives – Denken verlagert werden. Alles was wir als Straftat begreifen, habe auch soziale und nicht nur individuelle Ursachen. Das Gefängnis als Institution sollte daher aufgegeben werden. Vieles was im Strafvollzug passiere – etwa Ausbildung, Schulabschluss – sei ja durchaus sinnvoll, werde aber auf der anderen Seite durch das „Gesamtkonzept Freiheitsentzug“ wieder zerstört. Man könnte diese Maßnahmen auch außerhalb des Strafvollzuges durchführen. Es sei weniger schädlich die betreffenden Menschen in einen elektronischen Hausarrest zu stecken als ins Gefängnis.

Übrigens: Moderiert wurde die Diskussion von Annette Linkhorst, Berliner Rechtsanwältin und Vorstandsmitglied im Berliner Vollzugsbeirat (BVB). Das ist eine Vereinigung, die zwar mehr oder weniger regelmäßig in den Berliner Haftanstalten Präsenz zeigt, sich aber bei der Beseitigung von Missständen im Vollzug bisher nicht besonders hervorgetan hat.

Auf der Webseite des BVB heißt es auch äußerst vorsichtig: „Wir haben (hoffentlich) das Vertrauen der Gefangenen; nicht weniger wichtig ist uns aber auch das Vertrauen der Mitarbeiter im Strafvollzug.“

Einem aus der JVA Tegel herausgemobbten und gefangenenfreundlichen Anstaltsbeirat ist bis heute keine Genugtuung vom Berliner Vollzugsbeirat widerfahren, und derjenige, der für das Mobbing ursächlich war, wurde als Mitglied in den BVB aufgenommen.

Dietmar Jochum/TP Presseagentur

Foto der Teilnehmer (v.l.n.r.): Pfarrer Dr. Tobias Müller-Monning, Ev. Gefängnisseelsorger und Kriminologe, JVA Butzbach, Hessen; Dr. Thomas Galli, Rechtsanwalt, Buchautor und ehemaliger Anstaltsleiter der JVA‘s Zeithain, Sachsen und Straubing/Bayern; RAin Dr. Annette Linkhorst, Berliner Vollzugsbeirat (Moderation); Prof. Dr. Ineke Pruin, Professorin für Strafrecht an der Universität Bern, Schweiz; Annett Zupke, Trainerin der Gewaltfreien Kommunikation und für „Restorative Circles“, Berlin; Oliver Rast, Sprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO, Berlin.

Fotoquelle/Collage: TP Presseagentur Berlin

Wie der Berliner Justizsenat die Wahrheit verbiegt und der Berliner Gesamtvollzugsbeirat sich dazu geruhsam ausschweigt.

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