Berlins Innensenator Andreas Geisel zur erfolgten Räumung der Friedelstraße 54.

Am 29. Juni 2017 erfolgte die zwangsweise Räumung in der Friedelstraße 54 in Berlin-Neukölln. Berlins Innensenator Andreas Geisel besuchte nach der Räumung die eingesetzten Polizeikräfte in der Direktion 5, um sich zu bedanken und ihnen seinen Respekt auszusprechen. Er sagte: „Ich danke den Polizistinnen und Polizisten für ihre Arbeit. Sie sind angemessen und besonnen (siehe Video) mit der aktuellen Situation vor Ort umgegangen. Die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes wurde gewahrt und das geltende Recht durchgesetzt. In unserem Rechtsstaat gelten für alle die gleichen Regeln. Einen Extraweg für einige wenige, die glauben, sie könnten die Spielregeln des Zusammenlebens einseitig bestimmen, darf es nicht geben. Die wichtigen Fragen zu Verdrängung und steigenden Mieten müssen beantwortet werden – dies darf aber von allen Beteiligten trotz der zweifellos angespannten Situation nur auf friedlichem Wege erfolgen.“

Police violence during yesterdays eviction of #friedel54

Video with one of many cases of police violence during yesterdays eviction of #friedel54 in #Berlin. Info: https://enoughisenough14.org/2017/06/01/berlin-defend-friedel54-eviction-alert-june-29/

Publié par Enough is Enough sur vendredi 30 juin 2017

Der Innensenator verwies auf eine Erklärung des Amtsgerichts Neukölln. Darin heißt es wörtlich: „Das Klageverfahren und der Vergleich beruhen auf folgendem Sachverhalt: Der Verein hatte mit der damaligen Eigentümerin des Grundstücks, einer Immobiliengesellschaft, im März 2009 einen Mietvertrag über gewerbliche Räume in der Friedelstraße 54 abgeschlossen und betrieb dort einen Kiezladen.

Nach dem Willen des Gesetzgebers genießen Mieter von Gewerberäumen nicht den umfangreichen Schutz, der für Wohnungsmieter aus sozialen Gründen gilt. Eine Kündigung von Gewerberäumen ist nach dem Gesetz und auch nach dem hier vereinbarten Mietvertrag, der keine bestimmte Laufzeit hatte, zulässig, ohne dass ein besonderer Kündigungsgrund vorliegen muss. Dementsprechend kündigte die Eigentümerin mit Schreiben vom 28. Oktober 2015 unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist zum 30. April 2016.

Da eine Räumung nicht erfolgte, erhob eine neue Gesellschaft, an die die Eigentümerin das Objekt zwischenzeitlich verkauft hatte,  Räumungsklage. Im Kaufvertrag waren die Rechte der bisherigen Eigentümerin, den Gewerbemietvertrag zu kündigen und zu räumen, an die Käuferin (Klägerin) übertragen worden. Die Klägerin kündigte dem Verein vorsorglich nochmals in der Klageschrift mit sechsmonatiger Frist. Der beklagte Verein berief sich in dem Klageverfahren darauf, dass die Kündigungen aus formalen Gründen unwirksam seien.

Seit Juli 2016 zahlte der Verein die zuletzt in Höhe von 636,00 EUR geschuldete Miete inklusive Betriebskosten nicht mehr, so dass ihm nochmals am 15. September 2016 wegen der drei offenen Mieten fristlos gekündigt wurde.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Neukölln schlossen die Parteien am 20. Oktober einen Vergleich mit einer längeren Räumungsfrist, wonach sich der Verein verpflichtete, die Räume spätestens zum 31. März 2017 an die Klägerin herauszugeben. Er vereinbarte mit der Klägerin, dass es ihm möglich sei, die Räume auch schon früher zurückzugeben. Da es zu einer freiwilligen Rückgabe nicht gekommen ist, hat die Klägerin die zwangsweise Räumung aufgrund des Vergleichs beantragt.“

Kiezladen in Berlin muss räumen.

Zum Polizeieinsatz und Räumung des Kiezladens in der Friedelstraße 54 erklären die Berliner Landesvorsitzende der Linken Katina Schubert und Landesgeschäftsführer Sebastian Koch:

Wir sind enttäuscht, dass die heute stattgefundene Räumung des Kiezladens Friedel 54, trotz einer Reihe von politischen Vermittlungsversuchen u.a. von der Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher als auch unserer Genoss*innen in der BVV Neukölln, nicht mehr abgewendet werden konnte. Hierfür ist in erster Linie der Eigentümer des Hauses in der Friedelstr. 54 verantwortlich, der keinerlei Gesprächs- und Verhandlungsbereitschaft zeigte und stattdessen auf der Durchsetzung seiner Besitzansprüche beharrte.

Da er einen gültigen gerichtlichen Räumungstitel besitzt, konnte er auf Amtshilfe durch die Polizei bestehen. Heute sind hunderte Polizeibeamtinnen und -beamte eingesetzt worden, um die Interessen einer Briefkastenfirma durchzusetzen, ohne dass zuvor Spielräume für eine politische Lösung hinreichend genutzt wurden.

Der heutige Großeinsatz der Polizei bedarf einer umfassenden Prüfung. Angesichts einer Reihe von Augenzeugenberichten über verletzte Demonstrantinnen und Demonstranten bestehen Zweifel daran, dass die Berliner Polizei in jeder Situation die Verhältnismäßigkeit wahrte. Wir fordern von den Verantwortlichen eine Erklärung zu den verschiedenen Schilderungen über die Behinderung der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten. Für uns muss sich das Agieren eines rot-rot-grünen Senates deutlich von dem des rot-schwarzen Vorgängersenats unterscheiden. Auch bei solch sensiblen Einsätzen erwarten wir ein spürbar anderes Vorgehen, d.h. dass Menschen keinen Schaden nehmen und Bürgerrechte gewahrt werden. Die Polizei darf nicht weiter als Brecheisen bei der Durchsetzung privater Profitinteressen wahrgenommen werden.

Wir erwarten, dass sich dieser Bewusstseinswandel auch im Verhalten der Ressorts unserer Koalitionspartner widerspiegelt. Wir werden das ausführlich mit unseren Koalitionspartnern thematisieren.

Wir stellen gleichzeitig fest, dass die politisch Verantwortlichen im Bezirk Neukölln und im damaligen SPD-CDU-Senat im Frühjahr 2016 die Chance verstreichen ließen, beim Verkauf des Hauses Friedelstr. 54 an seinen heutigen Eigentümer das kommunale Vorkaufsrecht auszuüben. Hier gab es für kurze Zeit die Möglichkeit, den sich bereits anbahnenden Konflikt abzuwenden. Dafür fehlte es seinerzeit zum einen am politischen Willen, zum anderen war man in der Berliner Politik auch organisatorisch ungenügend darauf vorbereitet, das Vorkaufsrecht effektiv auszuüben. Umso wichtiger ist es, dass R2G jetzt das kommunale Vorkaufsrecht erleichtert.

Zudem hätten wir uns in den vergangenen Wochen deutlich mehr Engagement von Seiten des Neuköllner Bezirksamts bei der Suche nach einem Alternativstandort für die Friedel 54 gewünscht, um die heutige Eskalation des Konflikts zu vermeiden.

So jedoch waren die im Dezember 2016 neu ins Amt gekommenen politischen Vertreter*innen des Senats auf die Verhandlungsbereitschaft des Eigentümers angewiesen. Denn nachdem Eigentümer und Betreiber des Kiezladens im Oktober 2016 im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs vereinbart hatten, dass der Gewerbemietvertrag zum 31. März 2017 endet, erhielt der Eigentümer das Recht, seinen Besitzanspruch an den Räumlichkeiten durch einen Gerichtsvollzieher durchsetzen zu lassen. Und die Polizei wiederum ist im Rahmen der herrschenden Rechtsordnung dazu verpflichtet, diesen dabei zu unterstützen. Eine Versagung dieser Unterstützung kann nur aus einem sachlichen Grund (bspw. nicht genügend Einsatzkräfte), nicht aber aus politischen Gründen erfolgen. Anderenfalls setzen sich die politisch Verantwortlichen der Gefahr aus wegen Rechtsbeugung belangt zu werden.

Dieser Vorgang zeigt, dass es hohe Zeit ist, die Einrichtungen der sozialen Infrastruktur, des Gemeinsinns in den Kiezen besser zu schützen. Der Bundesgesetzgeber ist gefordert, das Gewerbemietrecht so zu verändern, dass soziale und kulturelle Einrichtungen vor dem Zugriff von Spekulanten und Briefkastenfirmen besser geschützt werden. Der Senat und die betreffenden Bezirke müssen alles daran setzen, nicht nur mehr bezahlbaren Wohnraum, sondern auch Orte der sozialen und kulturellen Teilhabe zu erhalten und neue zu schaffen.

Wir werden uns weiterhin darum bemühen, Angebote für einen Ersatzstandort für den Kiezladen Friedel 54 zu finden.

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