Vom Atomgarten zur Genschere?

Warum es nicht ausreicht, sich über den Nobelpreis für CRISPR zu freuen, sondern wir jetzt umdenken müssen.

TP-Gastbeitrag von Mario Brandenburg, Technologiepolitischer Sprecher der Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag.

Positive Berichte über die Gentechnologie sind in Deutschland leider nicht an der Tagesordnung. Die Verleihung des Nobelpreises für Chemie an die französische Biochemikerin Emmanuelle Charpentier und die amerikanische Biochemikerin Jennifer A. Doudna für die Entwicklung der CRISPR-Methode zur Genom-Editierung ist daher umso erfreulicher. Ich gratuliere Ihnen dafür von ganzem (Hirn und) Herzen, denn Ihnen gebührt unser Dank für den Einsatz im Namen des Fortschritts. Mit seiner Entscheidung setzt das Nobelpreis-Komitee ein wichtiges Zeichen im anhaltenden Streit zwischen Befürwortern und Verhinderern der Gentechnologie. Einem Streit, in dem gerade Deutschland sich in der Tendenz zu oft dem Fortschritt entgegen stellt. Die Freude unseres Landes über den „erhaltenen“ Nobelpreis ist jedoch mindestens scheinheilig: Nicht „wir“ sind Nobelpreisträger, die Erfinderinnen sind es.

Denn die Geschichte der Gentechnologie in Deutschland und Europa ist eine Geschichte des Widerstands gegen den Fortschritt im Namen einer vermeintlich „natürlicheren“ Vergangenheit. Ein besonders paradoxes Beispiel ist der „Sieg“ französischer Landwirtschaftsverbände vor dem Europäischen Gerichtshof im Jahr 2018: Auf der Grundlage einer Richtlinie von 2001 wurden Mutagenese-Verfahren wie die 2013 patentierte „Genschere“ in das zu enge Korsett der europäischen Gentechnik-Regulierung gezwungen. Anders etwa als aus Atomgärten stammende Züchtungen, bei denen durch radioaktive Strahlung die Mutation in tausenden Pflanzen nach dem Zufallsprinzip angeregt wird. Neben hauptsächlich unbrauchbaren, oft lebensunfähigen Mutationen ist ab und an mal eine positive Veränderung zu finden. Diese brauchbaren Resultate sind heutzutage zu hunderten legal im Umlauf – darunter sicher auch der ein oder andere „Atompilz“ auf unseren Tellern. Eine neue Züchtung ist am Ende immer eine genetisch veränderte Version ihrer Ausgangspflanze. Egal ob sie durch Kreuzversuche entstanden ist, durch radioaktive Bestrahlung oder eben das gezielte Verändern mit modernen Gentechnologien. Und rückwirkend lässt sich nicht mehr sicher feststellen, wie eine Veränderung ausgelöst wurde. Der einzig sinnvolle Ansatz für Regulierung ist also das Ergebnis, nicht die Methode der Erzeugung.

Hoffentlich gibt die Berichterstattung über den Nobelpreis für die Genschere uns Deutschen Anlass für eine kritische Reflektion der eigenen Haltung und setzt den Auftakt zum Umdenken. Denn andere Länder treiben mit der Gentechnologie Revolutionen in der Medizin, der Landwirtschaft und in angrenzenden Wissenschaften voran. Dürrebeständige Pflanzen darf man in Deutschland zwar auch erfinden, säen aber darf man sie quasi nicht. Leisten können wir uns das auf Dauer nicht. Die Weltmarktführer von morgen mögen uns zwar dankbar sein, ihre Steuern zahlen sie aber woanders. Das faktisch falsche aber „gute Gefühl“ einer „natürlichen Welt“ trägt hingegen nicht zum Staatshaushalt bei. Die staatliche Unterstützung der Grundlagenforschung rentiert sich so nur für andere. Auch die von Emmanuelle Charpentier auf der Basis des Patents zur Genschere mitgegründeten Firmen sitzen auch aus diesen Gründen wohl woanders. In Deutschland behindert die negative Haltung der öffentlichen Meinung und eine vom Stand der Technik überholte Regulierung die Entstehung eines vitalen Wechselspiels zwischen Innovation in der Wissenschaft und Investition in Gründungen. Leider tragen einige Lobbygruppen und Parteien dazu bei, die Ängste zu verstärken, indem sie Gentechnik als etwas darstellen, vor dem gewarnt und das verhindert werden muss. Warum sonst finden wir überall das weit verbreitete Fortschrittverhinderungs-Siegel „ohne Gentechnik“?

Gentechnologie und biologische Verfahren werden in Zukunft an Bedeutung in allen Lebensbereichen gewinnen. Wir müssen uns heute entscheiden, ob wir dieser Entwicklung vom Spielfeld-Rand aus nörgelnd zusehen oder ob wir sie auf der Grundlage unserer starken Forschung mitgestalten. Ob wir den Menschen weiter Angst machen oder ob wir den Grundstein für innovative Forschung schon in Schulen legen, indem wir Kindern die Möglichkeit geben, CRISPR-Sets im Unterricht zu nutzen und sich so eine eigene, unvoreingenommene Meinung zur Gentechnologie zu bilden. Ob wir die Gentechnik weiter in sterile Labore verbannen oder ob wir durch mehr Investitionen in die Technologien der Zukunft den Grundstein für die Arbeitsplätze der Zukunft legen. Und ob wir unsere pauschale Ablehnung gegenüber neuen Technologien überwinden und den deutschen Erfindergeist in den Dienst der kommenden Herausforderungen einer wärmer und voller werdenden Welt stellen. Die Gentechnik wird ihren Beitrag dazu leisten. Leisten wir uns also mehr Offenheit für Gentechnik!

PS: In einem Positionspapier haben die Freien Demokraten bereits aufgezeigt, welches Potenzial in der Gentechnik steckt: https://www.fdpbt.de/beschluss/zukunft-gestalten-neue-wege-gentechnologie.

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

2 Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*