87. Frühjahrs-Konferenz der JustizministerInnen in Nauen ging zu Ende.

Gefangene vorerst wieder zur Hoffnung verdammt.

Die 87. JustizministerInnenkonferenz – jumiko (Frühjahrskonferenz), die am 1. und 2. Juni im brandenburgischen Nauen (Ortsteil Groß Behnitz) im historischen Landgut Stober stattfand, ist heute mit den Beschlüssen der Justizministerinnen und Minister zu Ende gegangen.

Das Landgut Stober (früher Landgut Borsig) war bereits zwischen 1941 und 1943 ein bedeutender Ort, an dem sich die Widerstandskämpfer Helmuth James Graf von Moltke (ein Cousin von Hitler-Attentäter Stauffenberg) und Peter Graf Yorck von Wartenburg mit führenden Mitgliedern des Kreisauer Kreises auf Einladung von Ernst von Borsig regelmäßig trafen.

Im Jahre 2016 hat es nun die Justizministerinnen und Justizminister zu ihrer 87. JustizministerInnenkonferenz (Frühjahrskonferenz) hierher verschlagen. Das Land Brandenburg war seit dem Jahre 2000 wieder Gastgeber und führte den Vorsitz.

Bei der von Brandenburg in Angriff genommenen gesetzlichen Regelung von so genannten Whistleblowern, waren die Ministerinnen und Minister „der Auffassung, dass die bestehenden Möglichkeiten zum Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern einer Überprüfung bedürfen“. Der deutsche Whistleblower-Schutz beschränke sich nur auf vereinzelte Vorschriften und Einzelfallentscheidungen von Gerichten. „Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung von frühzeitigen Hinweisen auf Missstände in Unternehmen, Behörden und Organisationen und im Hinblick auf internationale Vorgaben“, baten die Justizministerinnen und Justizminister die Bundesregierung „um Prüfung, ob der Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern einer gesetzlichen Regelung bedürfe“.

Auch bei der von Brandenburg initiierten „Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten – Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen gemäß § 43 Strafgesetzbuch“ -, waren sich die Justizministerinnen und Justizminister darin einig, dass eine etwaige Neugestaltung der Ersatzfreiheitsstrafe einer eingehenden und vertieften Prüfung bedürfe. Sie sprachen sich dafür aus, in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe diese Frage sowie weitere Verbesserungen des bestehenden Instrumentariums zur Haftvermeidung eingehend zu prüfen und in diese Prüfung auch neue Vorschläge sowohl zur Anordnung als auch zur Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen (z.B. durch eine Strafrestaussetzung zur Bewährung gemäß § 57 StGB oder eine noch nachdrücklichere Geldstrafenvollstreckung) einzubeziehen.

Hier dürfte gegebenenfalls dann auch auf Gerichtsvollzieher deutlich mehr Arbeit zukommen.

Es sei, so die Justizministerinnen und Justizminister, auch der Frage nach alternativen Sanktionsmöglichkeiten nachzugehen, wobei insbesondere rechtsvergleichende Erkenntnisse einbezogen werden sollten.

Das dürfte einerseits den vielen Schwarzfahrern und andere von Bagatelldelikten Betroffenen neue Hoffnung geben, anderseits auch die Befürworter der Abschaffung von Ersatzfreiheitsstrafen, wie etwa der Bremer Kriminalwissenschaftler Johannes Feest, hoffen lassen, dass endlich auch mal Ansätze in die Richtung angestellt werden, wie die Justiz in anderen Ländern, z.B. in Schweden, mit dieser Problematik dort umgeht. Auch der Zeithainer Anstaltsleiter, Thomas Galli, der ja generell für die Abschaffung der Gefängnisse eintritt, dürfte es begrüßen, wenn die Ersatzfreiheitsstrafen gegebenenfalls durch gemeinnützige Arbeit abgelöst würden.

Die Justizministerinnen und Justizminister baten daher den Strafrechtsausschuss, eine entsprechende Arbeitsgruppe unter dem gemeinsamen Vorsitz der Länder Brandenburg und Nordrhein-Westfalen einzurichten. Auch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz wurde gebeten, sich an dieser Arbeitsgruppe zu beteiligen.

Die bereits im Jahre 2015 bei der 86. JustizministerInnenkonferenz in Stuttgart von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg initiierte „Einbeziehung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung“, war auch in diesem Jahr in Nauen auf Anregung von Brandenburg wieder auf der Tagesordnung.

Während die Justizministerinnen und Minister 2015 lediglich den Strafvollzugsausschuss der Länder baten, Grundlagen und Auswirkungen einer Einbeziehung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten für Beschäftigungszeiten während der Haft und der Sicherungsverwahrung in die gesetzliche Rentenversicherung zu prüfen und der Konferenz darüber zu berichten, waren die diesjährigen Adressaten der Bitte die Finanzministerkonferenz (FMK) sowie die Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK). Diese hätten nun die im Bericht dargestellten Modelle hinsichtlich ihrer finanziellen Auswirkung in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der beteiligten Fachkonferenzen näher zu prüfen und zu bewerten.

Wiederholt ging es auch um die „Wiedereingliederung entlassener Strafgefangener als gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, die nach 2015 auch bei der diesjährigen Frühjahrskonferenz in Nauen auf Anregung Schleswig-Holsteins auf der Tagesordnung stand.

Während auch hier 2015 lediglich der Strafvollzugsausschuss gebeten wurde, konkrete Handlungsvorschläge zu den einzelnen Themenfeldern vorzulegen, wurde der Beschluss 2016 in Nauen weiter und konkreter gefasst. Gefangene dürften so künftig darauf hoffen, dass ihr mühsam erspartes und erarbeitetes Überbrückungsgeld nicht mehr als Einkommen bei Sozialleistungen angerechnet wird. Bisher konnte es wenigstens teilweise bei ALG II- oder sonstigen Sozialleistungen angerechnet werden. Die Justizministerinnen und Minister machten nun ausdrücklich klar, dass sie die vollständige Nichtberücksichtigung des Überbrückungsgeldes als Einkommen bei diesen Sozialleistungen für notwendig erachten.

Ebenfalls wurde die Bundesregierung gebeten, die Gefangenen in SGB-Leistungen einzubeziehen, wie etwa die Gewährung von Bildungsgutscheinen. Die notwendigen Beratungsleistungen in der Haft seien dazu nicht gesichert.

Festgestellt haben die JustizministerInnen auch, dass Wohnraumversorgung nach der Haftentlassung eine wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Resozialisierung und zur Rückfallvermeidung ist. Während bisher nach SGB XII von den Leistungsträgern bei Inhaftierungen die Erhaltung von Wohnraum von mehr als sechs Monate nur in Ausnahmefällen gewährt wird, sollen nun mehr als sechs Monate ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben werden.

Auch die Opferorientierung im Strafvollzug soll nun auf Initiative Niedersachsens vorangetrieben werden. Die Initiative wurde ausdrücklich begrüßt und sich für eine länderoffene Arbeitsgruppe zu den einzelnen Vorschlägen und der Umsetzung des Opferbezugs ausgesprochen, die unter Berücksichtigung internationaler Entwicklungen entsprechende Vorschläge dann unterbreitet.

Während sich die Umsetzung von Vorgaben im Justiz- und generell im Politikbereich gewöhnlich lange hinzieht, ging’s mit einer Billigtelefoniererei in einigen Gefängnissen immerhin etwas zügiger zu. Dazu bedurfte es auch keinerlei großartigen JustizministerInnen-Konferenz-Beschlüsse. Es ging wohl im Alleingang einzelner Justizminister wie etwa in Sachsen, Nordrheinwestfalen und in Berlin (Heidering), dort wohl noch unter der Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) vor einigen Jahren. In diesen Anstalten kostet eine Minute Gesprächszeit ins komplette deutsche Festnetz (ausgenommen selbstverständlich Sondernummern) sowie in alle deutschen Handy-Netze 10 Cent pro Minute. Das kann wohl kaum noch unterboten werden, schon gar nicht von der Telio GmbH in Hamburg, die den Gefangenen immer noch mit Wucherpreisen bei der Knasttelefonie in die Kasse greift. So könnte sich die betreibende sachsen-anhaltinische Firma „JVA Media“ in Magdeburg dagegen vorstellen, ihren Preis noch weiter zu senken, wenn sie sich als Betreiberin ihrer Telefonanlagen in weiteren Gefängnissen ausdehnen könnte, so „JVA Media“ gegenüber der TP-Presseagentur. In der JVA Werl können Sicherungsverwahrte sogar von außerhalb der Anstalt ohne Probleme angerufen werden. Die Kosten-Grundgebühr dafür beträgt 14,95 Euro pro Monat. Da Nordrhein-Westfalen auch auf ein Flatrate-Modell bei der Vertragsschließung mit der Telefonfirma bestanden hat, können Gefangene auch rund um die Uhr für 39,95 Euro im Monat nach außerhalb der SV-Einrichtung anrufen. Der Haken: Alle nach außen gehenden Anrufe, die die Verwahrten aufgelistet haben müssen, werden im Telefonsystem erst dann freigeschaltet, wenn sie die Anstalt zuvor ausdrücklich genehmigt hat, so ein Verwahrter gegenüber der TP-Presseagentur. So soll sichergestellt sein, dass die Verwahrten keine Opfer anrufen, Zeugen beeinflussen oder ähnlichen Missbrauch betreiben. Die Willkür scheint auch hier zu walten: So wurde einem Sicherungsverwahrten in Werl sogar ein Telefonat mit der Süddeutschen Zeitung untersagt und die entsprechende Telefonnummer mit dieser Zeitung nicht freigeschaltet, weil hier die Gefahr eines Verstoßes gegen Sicherheit und Ordnung der Anstalt bestünde. Angerufen werden können die Verwahrten dagegen von jedem, der oder die sie auch immer anrufen möchten. Das könnten dann auch theoretisch wieder Opfer oder sonstige vermeintlich Gefährdete tun, auch die Süddeutsche Zeitung. Diese handelten dann sozusagen auf „eigene Gefahr“. Sie unterstehen schließlich auch nicht der Amtsgewalt der Justiz. Aber wen der Verwahrte selbst anrufen darf, behält sich die Werler Anstalt ausdrücklich selbst vor, so der Verwahrte gegenüber der TP-Presseagentur.

Das Gefängnis ist eben keine normale Gesellschaft, obwohl die Haft an die allgemeinen Lebensverhältnisse – natürlich nur soweit als möglich, wie es heißt – angeglichen werden soll.

Es bedarf auch hier wohl noch vieler Überlegungen und JustizminsterInnen-Konferenzen, bis auch weitere Nachteile in der Haft deutlich beseitigt werden bzw. bereits beseitigt worden sind.

Zu ihrer Herbsttagung treffen sich die JustizministerInnen am 17. November in Berlin.

Dietmar Jochum, TP Berlin

Foto/Bildquelle: MdJEV

9 Antworten

  1. Die Aussage von Herrn Jochum, dass die Sicherheitsverwahrten in der JVA Werl von jedem angerufen werden können, ist nicht richtig. Vielmehr können die Sicherheitsverwahrten auch nur von den Personen angerufen werden, die sie auch selber anrufen dürfen. Auf Grund eines technischen Fehlers war es jedoch temporär möglich, dass die Sicherheitsverwahrten von allen Anschlüssen angerufen werden konnten. Nach Feststellung des Problems wurde der Fehler innerhalb weniger Stunden behoben, so dass jetzt die von der JVA Werl festgelegte Funktionalität wieder hergestellt ist.
    Guido Nienhaus (Geschäftsführer der JVA Media GmbH)

  2. Ist denn der Gebrauch des absurden Binnen-I nun durch die Justizminister legalisiert oder hat sich die TP-Presseagentur eine eigenwillige „Abkürzung“ erlaubt? In letzterem Falle handelt es sich um eine Verfälschung.
    Die im Kommentar von Herrn Nienhaus erwähnte „Sicherheitsverwahrung“ gibt es in der deutschen Strafrechtspflege nicht.

    Anm. TP:
    Der TP-Presseagentur ist immerhin aufgefallen, dass das Rechtschreibprogramm in word das „JustizministerInnen“ rot unterstrichen hat. Danke für den Denkanstoß trotzdem. Noch nie taz gelesen? Um Formulierungen von anderen kümmert sich die TP trotz besseres Wissen aber schon gar nicht.

    • „Der TP-Presseagentur ist immerhin aufgefallen, dass das Rechtschreibprogramm in word das „JustizministerInnen“ rot unterstrichen hat.“
      Köstlich!
      Äh ja, die TAZ kenne ich natürlich. Ich bin ja nicht dumm 🙂

        • Äh … Waldorfschule reicht sicher. Und Waldorfschüler sind ja auch intelligent. Wer allerdings das „Binnen-I“ benutzt, sollte sich tunlichst mal wieder mit dem Stand der Debatte vertraut machen. In aller Bescheidenheit: ich habe darüber mehrfach publiziert.

  3. Die Ansätze Brandenburgs finde ich mutig und absolut richtig. Sie gründen eben nicht auf politischem Kalkül (die Inhaftierten und ihre Angehörigen sind keine relevanten Wählermengen), sondern auf Vernunft und Humanität.

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