Greift Hamburger Polizei freie Advokatur an?

Mitgliedschaft in bürgerrechtlichem Anwältinnen- und Anwälteverein als ›Gefahr‹?

Die Hamburger Polizei greife im Rahmen der rechtlichen Auseinandersetzungen um die Proteste gegen den G20-Gipfel die freie Advokatur und damit ein tragendes Prinzip des Rechtsstaates an. In einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertrete die Behörde die Auffassung, die Mitgliedschaft von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen im RAV sei Indiz für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.

RAV-Erklärung:

„Die Polizei hat per Allgemeinverfügung in weiten Teilen der Hansestadt Versammlungen untersagt. Vier ehemalige Jura-Studierende aus Hamburg – früher Mitglieder in der Initiative Hamburger aktive Jura-Student_innen (HAJ) – klagen derzeit gegen das von der Hamburger Polizei erlassene Verbot von Demonstrationen am 7./8. Juli 2017.

Gegen diesen Eilantrag geht nun die Polizei mit einem Angriff auf die freie Anwaltschaft vor: Am 3. Juli 2017 hat die Behörde eine schriftliche Gefahrenprognose vorgelegt, bei der sie ausführt, die Antragstellenden und die genannte Studierendengruppe seien mit dem ›Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein‹ (RAV e.V.) verbunden. Außerdem seien die im Verfahren mandatierten Rechtsanwält_innen Mitglieder im RAV. Daher sei davon auszugehen, dass eine große Anzahl von Personen an Spontanversammlungen teilnehmen werde, so dass auch die Gefahr faktischer Blockaden bestehe.

Zum ›Beleg‹ sind diesem Schriftsatz u.a. die Ankündigung einer Veranstaltung angefügt, auf der – organisiert vom RAV und dem HAJ/KSJ – über den »Kampf gegen die Straflosigkeit von Völkerrechtsverbrechen« informiert wurde, sowie Auszüge aus dem RAV-Anwaltsverzeichnis mit den Daten der die Antragsteller vertretenden Rechtsanwält_innen.

Die freie Anwaltswahl ist ein zentrales rechtsstaatliches Prinzip. Mit ihrer Argumentation unterteilt die Hamburger Polizeiführung Rechtsanwält_innen in ›genehme‹ und ›gefährliche‹. Die Wahl des Anwalts wird so zur Gefahrenprognose herangezogen. Hierdurch werden Grundregeln des Rechtsschutzes außer Kraft gesetzt.

Dr. Peer Stolle, Rechtsanwalt und Vorstandsvorsitzender des RAV, erklärt dazu: »Das Vorgehen der Hamburger Polizei stellt grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats in Frage. Rechtsanwält_innen und renommierte Anwaltsvereine als Gefahr zu definieren, offenbart ein fehlendes Verständnis von rechtsstaatlichen Grundsätzen und für die Aufgabe und Funktion der Anwaltschaft. Die Argumentation der Hamburger Polizeiführung schließt sich nahtlos an die Missachtung des Gewaltenteilungsprinzips in den vergangenen Tagen an, als sich die Hamburger Polizei über gerichtliche Entscheidungen schlicht hinweggesetzt hat«.

Das Vorgehen der Polizei hat auch deshalb besondere Brisanz, weil unter dem Dach des RAV der Anwaltliche Notdienst während der G20-Proteste organisiert ist. »Der sowieso schon bei polizeilichen Großeinsätzen extrem eingeschränkte Rechtsschutz droht in Hamburg vollends außer Kraft gesetzt zu werden. Es ist zu befürchten, dass die Hamburger Polizeiführung eine Vertretung durch den Anwaltlichen Notdienst in den Gefangenensammelstellen verhindern will«, so Rechtsanwältin Britta Eder aus Hamburg, die einen der Antragsteller vertritt.

Der RAV ruft alle Demokrat_innen auf, sich an den Protesten und für die Stärkung der Bürgerrechte zu beteiligen. Es darf nicht sein, dass die Stadt Hamburg und die Bundesregierung rechtsstaatliche Grundsätze über Bord werfen und einen faktischen Ausnahmezustand schaffen, um ausländische Staats- und Regierungschefs – darunter Vertreter verschiedener autoritärer Regime – zu hofieren.“

Quelle: Anwaltlicher Notdienst (AND) des Republikanischen Anwaltsvereins (RAV).

Berliner Strafverteidigervereinigung erklärte Solidarität

Die Vereinigung Berliner Strafverteidiger e. V. erklärte sich mit den Kolleginnen und Kollegen des RAV solidarisch, die unter großem persönlichen Einsatz und Aufwand einen anwaltlichen Notdienst eingerichtet haben, um dort Demonstranten rechtlichen Beistand zu leisten.

Dass das Engagement des RAV und die Berufsausübung der dort tätigen Anwälte nunmehr – wie aus der Presseerklärung des RAV ersichtlich – polizeilicherseits zur Begründung von Gefahrenprognosen herangezogen wird, sei eines Rechtsstaats unwürdig. Eine Polizei, welche das bürgerrechtliche 1×1 freier Anwaltswahl nicht respektiere, sondern durch Gefahrenprognosen pönalisieren wolle, könne sich jedenfalls nur noch schwerlich als Verteidigerin des Rechtsstaats gerieren. Vielmehr drohe sie sich zu diskreditieren.

Die so gern bemühten „rechtsfreien Räume“ drohten keinesfalls nur da, wo staatliche Macht auf dem Rückzug wäre. Rechtsfreie Räume seien vielmehr auch solche, in denen Bürgerrechte staatlicherseits eingeschränkt oder außer Kraft gesetzt werden. Der untunliche Versuch, den Einsatz für das Recht durch die Kollegen des RAV zu diskreditieren, sei ein autoritärer Angriff auf das Recht selbst, der schärfsten Widerspruch verdiene.

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