Ein guter Tag für die Unternehmensmitbestimmung – Mitbestimmungsfeinde gescheitert.

Geklagt hatte ein Kleinaktionär des Reisekonzerns TUI und argumentiert, dass die Beteiligung von Beschäftigten im Aufsichtsrat gegen den Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit verstoße. Ein deutscher Arbeitnehmer mit Sitz im Aufsichtsrat könne nicht zu einer Auslandstochter seines Arbeitgebers wechseln, ohne sein Mandat zu verlieren. Dadurch sei er in der Wahl seines Arbeitsplatzes eingeschränkt. Außerdem würden Auslandsbeschäftigte deutscher Unternehmen diskriminiert, weil sie die Vertreter im Aufsichtsrat weder mitwählen noch selbst gewählt werden dürfen. Das Berliner Kammergericht hatte dem EuGH den Fall vorgelegt und angekündigt, die derzeit geltenden Mitbestimmungsregeln nicht mehr anzuwenden, wenn sich der EuGH der Argumentation des Klägers anschließe. Wäre die Entscheidung rechtskräftig geworden, wären in absehbarer Zeit sämtliche Konzerne mitbestimmungsfrei gewesen, die Zweigstellen in der EU haben.

Der Europäische Gerichtshof hat nun die deutschen Regeln zur Wahl von Arbeitnehmern in Aufsichtsräte bestätigt. Künftig dürfen damit bei deutschen Unternehmen nur deutsche Beschäftigte Vertreter in die Kontrollgremien entsenden – nicht ihre Kollegen bei Konzerntöchtern im EU-Ausland.

Zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vereinbarkeit der deutschen Mitbestimmung mit EU-Recht erklärt Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für ArbeitnehmerInnenrechte:

„Es ist ein wichtiges Signal, dass der Europäische Gerichtshof die deutsche Unternehmensmitbestimmung klar und eindeutig bestätigt  hat. Der Europäische Gerichtshof ist der Argumentation des Klägers nicht gefolgt und hat damit die deutsche Mitbestimmungskultur gegen die Kritiker nachdrücklich gestärkt.

Die Mitbestimmung ist ein hohes Gut, das gewahrt werden muss. Mehr noch – dieses Urteil muss jetzt von der Bundesregierung als ein klares Zeichen verstanden werden, die Unternehmensmitbestimmung auch in Deutschland zu stärken. Immerhin ist die Unternehmensmitbestimmung in der Defensive, denn immer mehr Unternehmen umgehen oder ignorieren die Rechte der Beschäftigten. Es besteht Handlungsbedarf. Die Bundesarbeitsministerin hätte schon längst tätig werden müssen, um die Unternehmensmitbestimmung zu stärken und die Grauzonen zu schließen. Denn es ist nicht akzeptabel, wenn sich Unternehmen durch eine bewusste Wahl der Gesellschaftsform den deutschen Mittbestimmungsgesetzen entziehen. Unsere Forderungen liegen mit einem Antrag auf dem Tisch.

Die Bundesregierung muss endlich handeln. Denn die Unternehmensmitbestimmung ist ein wichtiger Bestandteil unserer demokratischen Kultur. Sie fördert nachhaltiges und sozialverträgliches Wirtschaften, stärkt die soziale Stabilität, den Zusammenhalt der Belegschaften und schafft Vertrauen und eine hohe Identifikation der Beschäftigten mit ihren Unternehmen.

Zur Unternehmensmitbestimmung haben wir einen Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht (BT-Drucksache 18/10253).“

Was will Mitbestimmung?

Besetzung von Aufsichtsräten auf dem Prüfstand.

Berlin, 31. Januar. Vor kurzem hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verhandelt, ob die deutsche Konzernmitbestimmung mit Europarecht vereinbar ist. Stein des Anstoßes ist die Zusammensetzung des Aufsichtsrats des Reisekonzerns TUI, wo die Belegschaften ausländischer Konzerntöchter im Unterschied zu den inländischen nicht in die Wahlen zum Aufsichtsrat der Konzernmutter einbezogen sind. Bejaht der EuGH den Verstoß, hat das Berliner Kammergericht, das Luxemburg den Fall vorgelegt hat, angekündigt, die bisherigen Mitbestimmungsregeln nicht mehr anzuwenden. Wird die Entscheidung rechtskräftig, wären binnen kurzer Zeit sämtliche Konzerne mit auch nur einer Belegschaft in einem anderen Mitgliedstaat mitbestimmungsfrei.

Es klingt einleuchtend: Wenn nur die inländischen Beschäftigten mitbestimmen, ist das eine Diskriminierung der ausländischen Kollegen. Um die geht es angeblich dem Kläger, und er hat damit große Resonanz ausgelöst. Vor dem EuGH waren sich indessen alle anderen Beteiligten einig, dass sich das Unionsrecht für diese Ungleichbehandlung nicht interessiert. Das wäre nur anders, wenn für die Mitbestimmung ein Mindestmaß an Harmonisierung besteht.

Dass sich der Gerichtshof mit der Sache dennoch in der Besetzung der Großen Kammer befasst, liegt an der Kommission. Die sieht ein Problem mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Ihr Argument: Ein deutscher Arbeitnehmer verliert sein Wahlrecht, wenn er zu einer ausländischen Konzerntochter wechselt. Dadurch werde der Wechsel weniger attraktiv und damit seine Freizügigkeit beschränkt. Das ist im Ansatz verfehlt. Wer nicht zu einer Konzerntochter, sondern zu einem anderen ausländischen Unternehmen wechselt, verliert sein Wahlrecht auch. Die Freizügigkeit soll aber der Integration der Arbeitsmärkte dienen, nicht der Erleichterung konzerninterner Mobilität.

Eine Beschränkung anzunehmen ist auch unsinnig, weil einem das deutsche Recht nicht weiterhilft. Zur Veranschaulichung: Wer beruflich von Deutschland nach Irland wechselt, verliert den Kündigungsschutz. Das macht den Wechsel weniger attraktiv. Eine Beschränkung liegt darin aber nicht. Es würde nichts ändern, wenn der deutsche Kündigungsschutz auf die gesamte Union erstreckt würde. Zöge der Arbeitnehmer vor ein irisches Gericht, wäre irisches Kündigungsrecht anwendbar. Klagt er vor einem deutschen Gericht, das für den Fall nicht zuständig ist, wäre das Urteil nicht durchsetzbar. Die Vollstreckung reicht nicht über die Grenze, das irische Gericht würde das Urteil nicht anerkennen.

Genauso könnte der deutsche Gesetzgeber zwar die ausländischen Konzerntöchter verpflichten, die Durchführung von Wahlen zu gestatten und den Wahlschutz zu gewähren. Aber wenn sich eine Tochter weigert, würde ein örtliches Gericht die deutschen Regeln nicht anwenden, und ein deutsches Urteil würde nicht anerkannt. Folgerichtig werden die Mitbestimmungsregeln nur auf Inlandsbetriebe angewandt. Das ist bei der Mitbestimmung besonders wichtig. Wenn nur eine Konzerntochter ausschert, ist die gesamte Aufsichtsratswahl nichtig. In dem Fall müssten die Arbeitnehmervertreter gerichtlich bestimmt werden.

Der Generalanwalt meinte in der Verhandlung, man solle die inländische Konzernmutter zur entsprechenden Einwirkung auf die Tochter verpflichten. Der deutsche Regierungsvertreter entgegnetete, nicht alle mitbestimmten Konzernformen würden eine Einwirkung erlauben. Die Position der Arbeitnehmer sei deutlich effektiver, wenn die Konzerntochter unmittelbar verpflichtet sei.

Hinzu kommt, dass für den Kündigungsschutz Gleiches gelten müsste: Um den konzerninternen Wechsel nicht durch Verlust des Kündigungsschutzes zu beschränken, müsste die inländische Konzernmutter verpflichtet werden, das deutsche Recht auch bei ausländischen Töchtern zu bewirken. Das wird niemand ernsthaft vertreten. Gleichwohl wird der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen wohl einen Unionsrechtsverstoß bejahen. Anhänger der Mitbestimmung müssen also auf den Gerichtshof setzen.      FLORIAN RÖDL

Entnommen: FAZ 1. Februar 2017

Der Autor ist Professor für Arbeitsrecht an der Freien Universität Berlin.

Mitbestimmungsfeinde scheitern vor EuGH.

„Der EuGH hat die Mitbestimmungsrechte deutscher Beschäftigter in transnationalen Unternehmen bestätigt. Damit ist die Strategie der ewigen Feinde der Mitbestimmung, diese in Deutschland über den Umweg Europa zu schwächen, fehlgeschlagen. Das ist ein Grund zur Freude. Verheerend ist jedoch, dass die EU-Kommission den Mitbestimmungsgegnern zu Hilfe gekommen ist und die Position, dass die Unternehmensmitbestimmung in Deutschland gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit und das Diskriminierungsverbot verstößt, gestützt hat. Die EU-Kommission hat in diesem Prozess wieder einmal ihre neoliberale, arbeitnehmerfeindliche Fratze gezeigt“, erklärte heute Jutta Krellmann, gewerkschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) über die Klage eines TUI-Kleinaktionärs.

Krellmann weiter:

„Unternehmen, die Mitbestimmung auf europäischer Ebene organisieren wollen, steht das Recht der Europäischen Aktiengesellschaft zur Verfügung. Es ist klar, dass private Kapitalinteressen versuchen, das Europarecht als Hebel zu nutzen, um sich endlich dort durchzusetzen, wo es ihnen auf nationaler Ebene bisher nicht gelungen ist. Deswegen sagt DIE LINKE: Weg mit dem Europa der Banken und Konzerne, für ein Europa der Beschäftigten und der Solidarität! Wir müssen verhindern, dass Mitbestimmungsrechte in Deutschland über den Umweg Europa eingeschränkt werden, und sollten daran arbeiten, sie auch auf der europäischen Ebene zu verankern.“

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