Den Wind in unseren Segeln nutzen.

Juncker-Rede zur Lage der Union 2017.

Außenminister Gabriel gab nach der Rede von Jean-Claude Juncker ein Statement ab. Andrej Hunko von der Linksfraktion bezeichnete „Junckers ‚Weiter so‘-Rede“ als pure Realitätsverweigerung. Karin Göring-Eckardt, Grüne: „Der von Juncker gelobte Türkeideal hat Deutschland und Europa erpressbar gemacht.“

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat heute (Mittwoch) vor den Abgeordneten des Europäischen Parlaments in Straßburg seine Rede zur Lage der Union 2017 gehalten. In der Rede stellte Juncker seine Prioritäten für das kommende Jahr vor und skizzierte seine Vision, wie sich die Europäische Union bis zum Jahr 2025 weiterentwickeln könnte. Er legte einen Fahrplan für eine mehr geeinte, stärkere und demokratischere Union vor. „Europa hat wieder Wind in den Segeln. Aber wir werden nur vom Fleck kommen, wenn wir diesen Wind nutzen“, sagte Juncker. „Wir sollten den Kurs für die Zukunft abstecken. Wie Mark Twain schrieb: Jahre später werden wir mehr enttäuscht sein von den Dingen, die wir nicht getan haben, als von den Dingen, die wir getan haben. Jetzt ist der Moment, um ein mehr geeintes, stärkeres und demokratischeres Europa für das Jahr 2025 aufzubauen.“

Die Rede von Präsident Juncker im Europäischen Parlament wurde von der Annahme konkreter Initiativen der Europäischen Kommission zu den Themen Handel, Überprüfung von Investitionen, Cybersicherheit, Industrie sowie Daten und Demokratie begleitet, um Worten unverzüglich Taten folgen zu lassen.

Eine Serie von Factsheets, die ebenfalls heute veröffentlicht wurde, vertieft einige der zentralen Botschaften aus der Rede des Präsidenten.

Kernaussagen der Rede zur Lage der Union 2017

Wind in unseren Segeln

„Zehn Jahre nach Ausbruch der Krise lebt die europäische Wirtschaft endlich wieder auf. Und damit auch unsere Zuversicht und unser Vertrauen. Die Staats- und Regierungschefs unserer EU der 27, das Parlament und die Kommission machen unsere Union wieder europäisch. Zusammen machen wir aus unserer Union wieder eine Union.“

Kurs halten

„Während wir den Blick in die Zukunft richten, dürfen wir nicht vom Kurs abkommen. (…) Wir müssen vollenden, womit wir in Bratislava begonnen haben und unsere positive Agenda verwirklichen.“

Handel: „Partner aus der ganzen Welt stehen Schlange, um Handelsabkommen mit uns abzuschließen. (…) Heute schlagen wir vor, Verhandlungen über Handelsabkommen mit Australien und Neuseeland aufzunehmen.“

„Lassen Sie es mich ein für alle Mal sagen: Wir sind keine naiven Freihändler. Europa muss immer seine strategischen Interessen verteidigen. Deshalb schlagen wir heute einen neuen Europäischen Rahmen zur Überprüfung von Investitionen vor, ein „Investment Screening“, wie es so schön auf Englisch heißt. “

Industrie: „Ich bin stolz auf unsere Automobilindustrie. Doch ich bin schockiert, wenn Kunden und Verbraucher wissentlich und absichtlich hinters Licht geführt werden. Ich fordere die Automobilindustrie auf dies wiedergutzumachen und ihren Kurs zu korrigieren.“

„Die Kommission hat heute eine neue Strategie für die europäische Industriepolitik beschlossen, so dass unsere Unternehmen in puncto Innovation, Digitalisierung und Verringerung der CO2-Emissionen weltweit die Nummer eins bleiben oder werden. “

Bekämpfung des Klimawandels: „Im vergangenen Jahr haben wir mit dem Pariser Klimaschutzabkommen (…) die globalen Spielregeln gesetzt. Da die Vereinigten Staaten ihren Ehrgeiz offenbar heruntergeschraubt haben, wird Europa dafür Sorge tragen, unsere Erde – die unteilbar Heimat aller Menschen ist – wieder großartig zu machen.“

Cybersicherheit: „Cyberangriffe können unter Umständen gefährlicher sein für die Stabilität von Staaten und Unternehmen als Panzer und Gewehre. (…) [D]ie Kommission [schlägt] heute neue Instrumente und eine neue EU-Agentur für Cybersicherheit vor – diese soll uns in Zukunft besser vor solchen Angriffen schützen.“

Migration: „Europa ist – anders als viele behaupten – keine Festung und es darf niemals eine werden. Europa ist und bleibt der Kontinent der Solidarität, auf dem diejenigen Schutz finden, die vor Verfolgung geflohen sind.“

„Wir haben gemeinsame Grenzen, aber die Staaten, die wegen ihrer geografischen Lage die erste Anlaufstelle sind, dürfen nicht allein für den Grenzschutz verantwortlich sein. Gemeinsame Grenzen und gemeinsamer Grenzschutz gehören zusammen.“

„Ich kann nicht über Migration sprechen, ohne Italien meinen tiefen Respekt für seinen unermüdlichen, großmütigen Einsatz zu zollen. (…) Italien rettet im Mittelmeer die Ehre Europas.“

Europäisches Solidaritätskorps: „Besonders stolz bin ich auf die jungen Europäerinnen und Europäer, die … Teil unseres neuen Europäischen Solidaritätskorps sind. Sie leben den Grundsatz europäischer Solidarität.“

Afrika: „Wir können Solidarität nicht nur innereuropäisch verstehen, sondern es geht auch um mehr Solidarität mit Afrika. Afrika ist ein erhabener Kontinent mit einer jungen Bevölkerung. Es ist die Wiege der Menschheit. Unser 2,7 Milliarden Euro schwerer EU-Treuhandfonds für Afrika schafft dort überall Beschäftigungsmöglichkeiten.“

Segel setzen

„Jetzt ist es an der Zeit, die ersten Schlussfolgerungen aus der Debatte [zur Zukunft Europas] zu ziehen. Es ist an der Zeit, den nächsten Schritt zu machen: vom Nachdenken zum Handeln, von der Debatte zur Entscheidung. Heute möchte ich Ihnen meine Sicht der Dinge vorstellen: mein – wenn Sie so wollen – persönliches „Szenario Sechs“.“

„Für mich ist Europa mehr als Binnenmarkt, Geld und Euro. Es ging immer um Werte.“

Osten wie Westen: „Europa reicht von Vigo bis Varna, von Spanien bis nach Bulgarien. Europa muss mit beiden Lungenflügeln atmen, mit dem östlichen und dem westlichen. Ansonsten unser Kontinent in Atemnot gerät. “

Entsendung von Arbeitnehmern: „In einer Union der Gleichen kann es keine Arbeitnehmer zweiter Klasse geben. Menschen, die die gleiche Arbeit am gleichen Ort verrichten, sollten den gleichen Lohn bekommen.“

Eine Europäische Arbeitsbehörde: „Es erscheint absurd, dass eine Bankenaufsichtsbehörde darüber wacht, ob Bankenstandards eingehalten werden, dass es aber keine gemeinsame Arbeitsbehörde gibt, die für Fairness innerhalb des Binnenmarkts sorgt. Wir werden sie schaffen.“

Lebensmittel von zweierlei Qualität: „In einer Union der Gleichen kann es keine Verbraucher zweiter Klasse geben. Ich werde nicht akzeptieren, dass den Menschen in manchen Teilen Europas qualitativ schlechtere Lebensmittel verkauft werden als in anderen (…) Slowaken haben nicht weniger Fisch in Fischstäbchen verdient, Ungarn nicht weniger Fleisch in Fleischgerichten oder Tschechen weniger Kakao in der Schokolade.“

Rechtsstaatlichkeit: „In Europa ist die Stärke des Rechtes an die Stelle des Rechts des Stärkeren getreten. (…) Rechtsstaatlichkeit ist in der Europäischen Union keine Option. Sie ist Pflicht. (…) Unsere Union ist kein Staat, aber sie ist ein Rechtsstaat.“

„Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs sind in allen Fällen zu respektieren. Sie nicht zu respektieren oder die Unabhängigkeit nationaler Gerichte zu untergraben, heißt, die Bürgerinnen und Bürger ihrer Grundrechte zu berauben.“

Schengen-Raum: „Wenn wir den Schutz unserer Außengrenzen verstärken wollen, dann müssen wir Rumänien und Bulgarien unverzüglich den Schengen-Raum öffnen. Wir sollten auch Kroatien die volle Schengen-Mitgliedschaft ermöglichen, sobald es alle Kriterien erfüllt “

Euroraum: „Wenn wir wollen, dass der Euro unseren Kontinent mehr eint als spaltet, dann sollte er mehr sein als die Währung einer ausgewählten Ländergruppe. Der Euro ist dazu bestimmt, die einheitliche Währung der Europäischen Union als Ganzes zu sein.“

Erweiterung: „Wenn wir mehr Stabilität in unserer Nachbarschaft wollen, müssen wir eine glaubhafte Erweiterungsperspektive für den westlichen Balkan aufrechterhalten. Während dieses Kommissions- und Parlamentsmandates kann es keine neuen Mitglieder geben, weil die Beitrittsbedingungen noch nicht erfüllt werden können. Doch die Europäische Union wird in den darauffolgenden Jahren mehr als 27 Mitglieder zählen. “

Türkei: „Die Türkei entfernt sich seit geraumer Zeit mit Riesenschritten von der Europäischen Union.“

„Journalisten gehören in Redaktionsstuben, in denen freie Meinungsäußerung gilt. Sie gehören nicht ins Gefängnis.“

„Ich appelliere heute an die Verantwortlichen in der Türkei: Lassen Sie unsere Journalisten frei, und nicht nur unsere Journalisten.“

Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit bei Steuern: „Ich bin sehr dafür, bei Beschlüssen über die gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, über eine faire Besteuerung der Digitalwirtschaft und über die Finanztransaktionssteuer die Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit einzuführen.“

Europäischer Wirtschafts- und Finanzminister: „Wir brauchen einen Europäischen Wirtschafts- und Finanzminister, einen europäischen Minister, der positive Strukturreformen in unseren Mitgliedstaaten fördert und unterstützt.“

„Wir brauchen keine Parallelstrukturen. (…) Das Parlament des Euroraums ist das Europäische Parlament.“

Bekämpfung des Terrorismus: „Ich plädiere deshalb für eine europäische Aufklärungseinheit, die sicherstellt, dass Daten über Terroristen und Auslandskämpfer automatisch zwischen unseren Nachrichten- und Polizeidiensten ausgetauscht werden.“

Mehr Gewicht auf der Weltbühne: „[Ich] bitte die Mitgliedstaaten zu prüfen, welche außenpolitischen Beschlüsse nicht mehr einstimmig, sondern mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden könnten. Der Vertrag lässt dies zu, wenn der Europäische Rat dies einstimmig beschließt.“

Bessere Rechtssetzung: „Wir sollten die Bürger Europas nicht mit Regelungs-Klein-Klein nerven, sondern in großen Dingen Größe zeigen, nicht pausenlos neue Initiativen vom Zaun brechen und Befugnisse, dort wo es sinnvoll ist, an die Nationalstaaten zurückgeben.“

„Um die begonnene Arbeit sinnvoll zu Ende zu führen, setzen wir noch in diesem Monat eine Task Force Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit ein.“

Institutionelle Reform: „Europa würde besser funktionieren, wenn wir das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission mit dem des Präsidenten des Europäischen Rates verschmelzen könnten. (…)Europa wäre leichter zu verstehen, wenn ein einziger Kapitän am Steuer wäre. Wenn wir nur einen Präsidenten hätten, würde das der wahren Natur unserer Europäischen Union besser gerecht werden, da diese sowohl eine Union der Staaten als auch der Bürger ist.“

„Wenn wir die europäische Demokratie stärken wollen, dann dürfen wir den demokratischen Prozess des Spitzenkandidatensystems nicht rückgängig machen.“

Fahrplan

„Unsere Zukunft darf (…) kein bloßes Szenario bleiben. Wir müssen heute die Union von morgen vorbereiten.“

„Am 30. März 2019 werden wir eine Union der 27 sein. Wir sollten uns auf diesen Moment gut vorbereiten, unter den 27 und innerhalb der EU Institutionen.“

„Meine Hoffnung ist, dass die Europäerinnen und Europäer am 30. März 2019 in einer Union aufwachen, in der wir alle für unsere Werte stehen. In der alle Mitgliedstaaten die Rechtstaatlichkeit respektieren. … In der wir die Grundlagen für unsere Wirtschafts- und Währungsunion so gefestigt haben, dass wir Europäer unsere Gemeinschaftswährung in guten und in schlechten Zeiten verteidigen können, ohne externe Hilfe zu suchen. … In der nur ein Präsident die Arbeit der Kommission und des Europäischen Rats leitet, der nach einem europaweiten demokratischen Wahlkampf gewählt wurde. … Und darum geht es in meinem Szenario sechs.“

„Wir haben damit begonnen, unser Dach zu reparieren. Aber wir müssen diesen Job zu Ende bringen (…) solange die Sonne scheint. (…). Lasst uns die Leinen losmachen, die Segel setzen, und jetzt den günstigen Wind nutzen.“

Hintergrund

Jedes Jahr im September hält der Präsident der Europäischen Kommission vor dem Europäischen Parlament seine Rede zur Lage der Union, in der er eine Bilanz der Arbeit des vergangenen Jahres zieht und einen Ausblick auf die Prioritäten des kommenden Jahres gibt. Dabei wird auch Thema sein, wie die Kommission die derzeit drängendsten Probleme in der Europäischen Union anzugehen gedenkt. Im Anschluss an die Rede findet eine Aussprache im Parlament statt. Die Rede bildet den Auftakt für den Dialog zwischen Europäischem Parlament und Rat über das Arbeitsprogramm der Kommission für das kommende Jahr.

Außerdem haben Präsident Juncker und der Erste Vizepräsident Timmermans heute eine Absichtserklärung an den Präsidenten des Europäischen Parlaments und an den Ratsvorsitz gerichtet, in dem sie einen detaillierten Überblick über die gesetzlichen und sonstigen Maßnahmen und Initiativen geben, die die Kommission bis zum Ende des folgenden Jahres (in diesem Fall 2018) durchführen will. Dies ist in der Rahmenvereinbarung von 2010 über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission ausdrücklich vorgesehen.

Weitere Informationen:

Broschüre zur Rede zur Lage der Union 2017:

  • Autorisierte Rede zur Lage der Union
  • Absichtserklärung
  • Fortschritte bei den zehn Prioritäten der Europäischen Kommission
  • Fahrplan für eine mehr geeinte, stärkere und demokratischere Union

Website zur Lage der Union 2017

Die 10 politischen Prioritäten der Europäischen Kommission
Pressekonferenzen im Nachgang an die Rede zur Lage der Union 2017:  

Donnerstag, 14. September 2017, 12 Uhr (live auf EbS): Handelspaket

Freitag, 15. September 2017, 12 Uhr (live auf EbS): Demokratiepaket

Montag, 18. September 2017, 12 Uhr (live auf EbS): Industriepolitische Strategie

Dienstatg, 19. September 2017, 12 Uhr (live auf EbS): Cybersicherheit und Datenpaket

„Nur gemeinsam sind wir stark.“

Außenminister Sigmar Gabriel sagte nach der heutigen Rede von Kommissionspräsident Juncker:

„Ich freue mich über die engagierte und wegweisende Rede von Jean-Claude Juncker.

Genau das muss die Rolle der Kommission im europäischen Einigungsprozess sein: Immer nach vorne denken, Vorreiter der europäischen Idee sein, und niemals nachlassen bei der Suche nach Ideen und Vorschlägen, wie wir unser gemeinsames Europa voranbringen können, krisenfester machen und als einen Akteur mit globaler Rolle stärken.

Der Moment für Weichenstellungen für eine gute Zukunft Europas ist jetzt da: Es gibt viele gute Vorschläge zur Weiterentwicklung der Europäischen Union. Mit Emmanuel Macron steht ein engagierter Reformer an der Spitze Frankreichs. Wir haben die akuten Krisen Europas bewältigt. Das Feuerwerk an Ideen von Jean-Claude Juncker gibt uns reichlich Stoff für weiterführende Diskussionen und Debatten. Auch in Deutschland brauchen wir eine neue Bundesregierung, die mit Mut und Zuversicht Europa weiterentwickeln möchte.

Jean-Claude Juncker weist den richtigen Weg für die Einheit unseres Kontinents: Mehr Integration und Solidarität, mehr Freiheit und mehr Gerechtigkeit, mehr Demokratie und mehr Rechtsstaatlichkeit. Wir dürfen eine Teilung der Europäischen Union in Ost und West, Nord und Süd, in Arm und Reich auf keinen Fall zulassen. Allen geht es mit der Europäischen Union besser. Nur gemeinsam sind wir stark, können wir uns mit unseren Werte und Interessen in der Welt behaupten.

Europa ist eine Schicksals- und Wertegemeinschaft.

Nur wenn es wieder gelingt, den Zusammenhalt nach innen zu stärken, wird die EU nach außen ein starker Akteur und eine hörbare Stimme in der Welt werden. Das ist eine Aufgabe für uns alle, auch für uns. Auch wir müssen uns mit Kompromissbereitschaft und Sinn für das europäische Ganze einbringen und bereit sein, noch mehr in das gemeinsame Projekt Europa zu investieren.“

Junckers „Weiter so“-Rede ist Realitätsverweigerung

Zur „Rede zur Lage der Union“ von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärt Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag:

„Junckers ‚Weiter so‘-Rede ist pure Realitätsverweigerung. Solange die enormen wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichte zwischen den EU-Mitgliedern bestehen, ist es eine schlechte Idee, die Eurozone zu vergrößern. Insbesondere die gigantischen deutschen Exportüberschüsse machen ein ausgewogenes Funktionieren der gemeinsamen Währung unmöglich. In jedem Fall muss das demokratische Recht der Länder unangetastet bleiben, selbst über einen Euro-Beitritt zu entscheiden.

Anstatt ein System mit strukturellen Fehlern auszuweiten, muss man diese Fehler beheben – beispielsweise durch öffentliche Investitionen, eine Stärkung vor allem der deutschen Binnenwirtschaft u.a. durch höhere Löhne sowie Abbau des Niedriglohnsektors und eine Koordinierung der Steuerpolitik. Andernfalls werden sich Krisen wie in Griechenland wiederholen. Ein Europäischer Währungsfonds wird genauso wie ein EU-Finanzminister Teil des Problems sein und nicht Teil der Lösung, wenn sie im Troika-Stil neoliberale Strukturreformen erpressen.

Auch in anderen Fragen scheint Juncker in einer Blase zu leben. Den Zusammenhalt der verbleibenden EU-Mitglieder über eine verstärkte Militarisierung zu erreichen und dann als ‚Friedensprojekt‘ zu verkaufen, ist absurd. Junckers Lobhudelei für die Abschottung der EU gegen Flüchtlinge ist einfach nur zynisch.“

Ungarn muss das Urteil des Europäischen Gerichtshofs umsetzen

Zu EU-Kommissionspräsident Junckers Vorschlägen zu Asyl und Migration erklärt auch Katrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag:

„Kommissionspräsident Juncker hat recht: Legale Fluchtwege, Resettlementprogramme und legale Einwanderung nach Europa, Unterstützung der Länder an den europäischen Außengrenzen, wie Italien, und die Verbesserung der Lebensbedingungen in Flüchtlingslagern außerhalb der EU, sind notwendige Schritte.

Ankündigung und inhaltliche Forderungen von Juncker stehen aber in einem Widerspruch. Der von Juncker gelobte Türkeideal hat Deutschland und Europa erpressbar gemacht. Weitere Kooperationen mit Autokraten wie in Libyen und Niger gehen auf Kosten der Schutzbedürftigen. Auch die Pläne der EU-Innenminister zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, passen nicht zu Junckers Vision: Derzeit stehen ganz konkret die Nichtannahme von Asylanträgen und eine Absenkung der Aufnahmestandards auf der Agenda der europäischen Gesetzgebung. Wenn Juncker keine Festung Europa will, braucht es neben einem großzügigen Resettlement weiterhin die Möglichkeit für Flüchtlinge einen Asylantrag in Europa zu stellen, sonst wird aus dem Grundrecht auf Asyl eine leere Floskel, weil niemand es mehr beanspruchen kann. Gleichzeitig müssen die EU-Innenminister endlich einsehen, dass eine EU-Flüchtlingspolitik nur funktionieren kann, wenn sie solidarisch ist. Einzelne Länder, wie Italien und Griechenland, mit der Verantwortung allein zu lassen, ist falsch. Richtig wäre eine faire Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU. Ungarn muss das Urteil des Europäischen Gerichtshofs umsetzen.“

Für ein Europa der klaren Regeln – Juncker ist auf richtigem Kurs

Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Vorschläge des Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Junckers, vor dem Europäischen Parlament. Wir brauchen ein Europa des Miteinanders und der klaren Regeln und keinen Rückfall in die Nationalstaatlichkeit, sagt Carsten Schneider, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion:

Schneider weiter:

„Jean-Claude Junckers Rede kommt zur richtigen Zeit: Wir brauchen ein Ziel für Europa und klare Regeln für die Zukunft. Die SPD-Bundestagsfraktion steht für ein starkes, gemeinsames Europa mit klaren Regeln, an die sich alle halten, für Frieden, Freiheit und Wohlstand für alle, die in Europa leben.

Dazu müssen erst einmal die Hausaufgaben erledigt werden – in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik. Das gilt zuvorderst für die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes und die, die es noch werden wollen. Es gibt klare Regeln und Bedingungen, die ein EU-Mitgliedstaat erfüllen muss, um der Euro-Zone beitreten zu können. Sie sind zu Recht streng und sollen das auch bleiben. Staaten, die sie noch nicht erfüllen, sollten währungspolitische Instrumente weiter nutzen können, die sie beim Euro nicht mehr hätten.

Wir brauchen mindestens in der Euro-Zone, besser noch in der gesamten EU, bei der Steuerpolitik künftig Mehrheitsentscheidungen, um Steuerbetrug, Steuervermeidung und Steuerdumping zu bekämpfen. Hier hat Jean-Claude Juncker die SPD an seiner Seite. Sonderregelungen und Steuervergünstigungen wie in Luxemburg, Malta, Holland und Irland schaden allen EU-Staaten, weil sich Großkonzerne von ihrer Verantwortung drücken können. Dabei sind alle Staaten auf gute Einnahmen angewiesen, um in Wirtschaft, Bildung, Infrastruktur investieren zu können. Initiativen der Kommission z.B. zur Körperschaftsteuer oder Finanztransaktionssteuer werden schon viel zu lange blockiert. Der Austritt Großbritanniens ist die Chance, endlich voranzukommen.

Die SPD-Fraktion steht für ein Europa der klaren Regeln, an die sich alle zu halten haben. Das betrifft die gerechte und solidarische Verteilung von Flüchtlingen, rechtstaatliche Grundsätze bei der polnischen Justiz und – selbstverständlich – die Anerkennung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs, zu der sich alle vertraglich verpflichtet haben.“

Neue Dynamik für das Europäische Projekt

Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die Rede von Kommissionspräsident Juncker zur Lage der Europäischen Union (EU). Sie unterstützt seine Vorschläge. „Viele von ihnen finden sich bereits schon in unserem Wahlprogramm“, erklären Axel Schäfer, stellvertretender Vorsitzender und Norbert Spinrath, europapolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Schäfer und Spinrath weiter:

„In seiner heutigen Rede schlägt Präsident Juncker einen umfassenden Maßnahmenkatalog zur Weiterentwicklung der EU vor. Er erzeugt damit eine neue Dynamik, die auch von den Mitgliedstaaten aufgenommen werden muss. Die Zeit des Stillstands ist endlich vorbei, in der die EU durch die Krisenbewältigung vollständig in Anspruch genommen wurde.

Juncker schnürt ein kluges Paket. In jedem Politikbereich macht er Angebote, die einen ausgewogenen Kompromiss ermöglichen. Konkrete Maßnahmen wie sozialen Schutz für entsandte Arbeitnehmer, Wachstumschancen durch neue Handelsverträge oder Gleichbehandlung von Konsumenten in Mittel- und Osteuropa. Institutionelle Reformen wie EU-weite Wahllisten, die Zusammenlegung der Ämter von Kommissions- und ER-Präsidenten oder einen EU-Finanzminister, der unterstützt und nicht bestraft.

Jean-Claude Juncker lehnt zurecht ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten ab. Ausnahmen mögen in der Vergangenheit notwendig gewesen sein. Damit können wir uns aber nicht auf Dauer abfinden, sonst zerfasert der Zusammenhalt. Zugleich macht er deutlich, dass die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der Werte unabdingbar sind. Wir befürworten seine Vorschläge, die Eurozone auszuweiten und die noch nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten zu unterstützten. Er weist damit auch Ideen zurück, man müsse Euro-Staaten ausschließen können, wie sie in der Vergangenheit Finanzminister Schäuble hatte und wie sie aktuell von der FDP propagiert werden.“

Europas Zukunft mit Augenmaß gestalten

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schlägt neues Szenario für EU-Reformen vor

Am heutigen Mittwoch hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Europäischen Parlament in Straßburg mit seiner Rede zur Lage der Union dargelegt, wie er sich die Zukunft der EU vorstellt. Dazu erklärt der europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Stübgen:

„Juncker möchte eine stärkere, mehr geeinte und demokratischere Union aufbauen. Sein Verzicht auf die Ankündigung von Vertragsänderungen ist von Augenmaß und Realismus geprägt. Überzogenem sozialdemokratischen Pathos von einer ‚Neugründung‘ Europas schließt er sich zum Glück nicht an.

Über seine Vorstellungen wird nach der Bundestagswahl allerdings im Einzelnen noch zu reden sein. Seine Vorschläge, den Vorsitz im Europäischen Rat dem Kommissionspräsidenten und den Vorsitz in der Euro-Gruppe dem zuständigen EU-Kommissar zu übertragen, würden massiv in das institutionelle Gleichgewicht der EU eingreifen. Zu begrüßen ist hingegen die angekündigte Einsetzung einer Task Force Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Damit kann die Mitwirkung nationaler Parlamente an europäischen Entscheidungsprozessen verbessert werden.

Den Zusammenhalt in Europa will er stärken, in dem bestehende EU-Instrumente wie der Euro und Schengen auf die gesamte EU ausgedehnt werden. Konsequent ist in diesem Zusammenhang seine Absage an einen separaten Euro-Haushalt. Der Beitritt aller übrigen EU-Länder zum Euro und zu Schengen geht aber nur dann, wenn diese Länder sämtliche Konvergenz- bzw. Beitrittskriterien voll umfänglich erfüllen.

Nach der Bundestagswahl wird sich Deutschland weiterhin intensiv an den Reformarbeiten für ein starkes, selbstbewusstes und dynamisches Europa beteiligen. Gemeinsam mit Frankreich sollte die Euro-Zone schrittweise weiterentwickelt werden, zum Beispiel mit der Schaffung eines eigenen Währungsfonds. Dafür stehen CDU und CSU unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel.“

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