Landgericht Berlin hält Vorschriften zur „Mietpreisbremse“ für verfassungswidrig.

Katrin Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen: Luftnummer der Großen Koalition ins Mark getroffen.

Die Zivilkammer 67 des Landgerichts Berlin hält die Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch über die sog. Mietpreisbremse (§ 556d BGB) für verfassungswidrig. In einem Hinweisbeschluss vom 14. September 2017 hat das Landgericht ausführlich seine Rechtsansicht begründet und zunächst mitgeteilt, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage einzuholen, ob die genannte Vorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Hinweisbeschluss vom 14.09.2017 anonymisiert

Dazu kam es allerdings nicht. In der heute stattgefundenen Verhandlung habe sich herausgestellt, dass es aufgrund weiteren Vortrags der Parteien in diesem Fall auf die Frage der Verfassungswidrigkeit nicht mehr ankomme, so dass das Gericht selbst entscheiden könne. Die Berufung der Mieterin wurde zurückgewiesen. In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht jedoch nochmals darauf hingewiesen, dass die Vorschrift nach seiner Auffassung verfassungswidrig sei.

Es handelt sich um die Klage einer Mieterin, die von der Vermieterin u.a. begehrte, 1.241,11 € überhöhte Miete zurückzuerhalten. Die Parteien hatten am 24. August 2015 einen Mietvertrag über eine in Berlin-Wedding gelegene 1-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 39 m² geschlossen. Als Mietzins war ein Betrag von 351,00 € netto kalt monatlich vereinbart worden. Die Vormieterin hatte zuvor 215,00 € netto kalt an die Vermieterin gezahlt.

Die Klägerin rügte u.a. mit Schreiben vom 24. Februar 2016, dass die Miethöhe ihrer Ansicht nach überhöht  sei. Mit ihrer Klage beanspruchte die Klägerin, nachdem das Mietverhältnis zwischen den Parteien zum 30. September 2016 beendet war, die Rückzahlung überhöhten Mietzinses für die Zeit von September 2015 bis Februar 2016 in Höhe von 136,00 € monatlich sowie für die Monate März bis September 2016 in Höhe von 60,73 € monatlich.

Nachdem die Vermieterin für die Zeit ab März 2016 anerkannt hatte, dass die zulässige Miete monatlich nur 275,73 € betragen solle, sprach das Amtsgericht Wedding der Klägerin einen Rückzahlungsbetrag von 297,57 €  (42,51 € monatlich für die Zeit von März bis September 2016) zu, da die ortsüblich zulässige Miete monatlich 233,22 € betragen habe. Das Amtsgericht wies die Klage wegen des restlichen Betrages von 943,54 € ab. Dagegen legte die Klägerin Berufung ein.

Das Landgericht wies die Parteien zunächst in einem Hinweisbeschluss vom 14. September 2017, der als Anlage beigefügt ist, darauf hin, dass es die Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 556d BGB) für verfassungswidrig halte. Es liege eine ungleiche Behandlung von Vermietern vor. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz gebiete dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln. Soweit der Gesetzgeber Differenzierungen vornehme, müssten diese durch Gründe gerechtfertigt werden, die dem Ziel der Differenzierung und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen seien. Dies habe der Gesetzgeber  bei der Neuregelung von § 556d  BGB nicht beachtet und in verfassungswidriger Weise in das Recht der Mietvertragsparteien, im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit den Mietpreis zu regeln, eingegriffen. § 556d BGB in Verbindung mit der von dem Land Berlin erlassenen Rechtsverordnung begrenze die zulässige Neuvermietung auf 110 % der ortsüblichen Vergleichsmiete. Da bundesweit der Wohnungsmietmarkt preislich seit langem starke Unterschiede aufweise,  belaufe sich die ortsübliche Vergleichsmiete zum Beispiel in München auf 11,28 € pro Quadratmeter in 2013 und 12,28 € pro Quadratmeter in 2016, während sie in Berlin nur bei 6,49 € bzw. 7,14 € (Berlin-West) pro Quadratmeter gelegen habe. Der Unterschied betrage mithin jeweils über 70 %.

Damit habe der Gesetzgeber eine Bezugsgröße gewählt, die Vermieter in unterschiedlichen Städten wesentlich ungleich treffe. Weder der Gesetzeszweck noch die mit der gesetzlichen Regelung verbundenen Vorteile noch sonstige Sachgründe rechtfertigten dies. Insbesondere seien im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die für eine mögliche sachliche Rechtfertigung relevanten einkommensbezogenen Sozialdaten von Mietern nicht erhoben worden. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass die einkommensschwächeren Haushalte und Durchschnittsverdiener, die vom Gesetz geschützt werden sollten, in höherpreisigen Mietmärkten wie München erheblich besser gestellt seien als die gleichen Zielgruppen in Berlin.

Darüber hinaus liege auch deshalb eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor, da diejenigen Vermieter, die bereits in der Vergangenheit eine (zu) hohe Miete (d.h. eine 10 % der ortsüblichen Vergleichsmiete übersteigende Miete) mit ihrem Mieter vereinbart hatten, ungerechtfertigt begünstigt würden. Denn diese Vermieter dürften bei einer Neuvermietung die „alte“ Miete weiterhin unbeanstandet verlangen. Ein Bestandsschutz für diese „alte“ Miete könne jedoch bei einer Neuvermietung nicht angenommen werden. Zudem sei die Ungleichbehandlung mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise schlichtweg unvereinbar. Denn diejenigen Vermieter, die in der Vergangenheit eine maßvolle Miete verlangt hätten, würden erheblich benachteiligt gegenüber denjenigen Vermietern, die schon in der Vergangenheit die am Markt erzielbare Miete maximal ausgeschöpft und damit ungleich höher dazu beigetragen hätten, dass Wohnraum für Geringverdiener knapp werde.

Letztlich hat jedoch das Landgericht Berlin aufgrund weiteren Vortrags der Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 19. September 2017 den Rechtsstreit nicht mehr aussetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen müssen (nur das Bundesverfassungsgericht darf eine Rechtsnorm für verfassungswidrig erklären, nicht jedoch die Instanzgerichte selbst). Denn es habe sich herausgestellt, dass das Merkmal „Sammelheizung“ für die Wohnung vorliege, so dass der von dem Amtsgericht Wedding für noch zulässig erkannte Mietwert von 233,22 € monatlich netto kalt richtig berechnet sei. Damit stehe der Mieterin kein weiterer Rückzahlungsanspruch zu, und zwar auch nicht für die Monate vor März 2016. Denn für die davor liegende Zeit fehle es an einer nach dem Gesetz erforderlichen ausreichenden schriftlichen Rüge gegenüber der Vermieterin, aus welchen Gründen die vereinbarte Miete überhöht sei.

Daher ist die Berufung der Klägerin durch Urteil zurückgewiesen worden.

Landgericht Berlin, Aktenzeichen 67 O 149/17, Beschluss vom 14. September 2017 und Urteil vom 19. September 2017

Amtsgericht Wedding, Aktenzeichen 3 C 110/16, Urteil vom 26. April 2017

Zum Beschluss des Landgerichts Berlin erklärte Dr. Fritz Felgentreu, SPD-Fraktion im Bundestag und dort u.a. Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gegenüber der TP Presseagentur:

„Die 67. Kammer des Berliner Landgerichts darf als Teil der unabhängigen Dritten Gewalt gerne ihre Rechtsauffassung formulieren. Meine ist anders. Ich gehe davon aus, dass die des Bundesverfassungsgerichts auch anders sein wird, falls die 67. Kammer mit ihrer Haltung jemals bis nach Karlsruhe vordringt. Für die politische Debatte darüber, wie eine Mietpreisbremse ausgestaltet sein muss, um die Spekulation mit Wohnraum unattraktiv zu machen, ist der Hinweisbeschluss der 67. Kammer ohne Belang.“

Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion zum Urteil:

„Deutschlandweit gibt es Urteile, mit denen sich Mieter durch die von der SPD geschaffene Mietpreisbremse gegen überzogene Mieten erfolgreich wehren konnten. Kein Gericht hat bisher auch nur im Ansatz verfassungsrechtliche Zweifel an der Mietpreisbremse geäußert.“

Fechner weiter:

„Die heute veröffentlichte Rechtsauffassung der Kammer des Landgerichts Berlin hat keinerlei Auswirkung auf die Geltung der Mietpreisbremse. Mieterinnen und Mieter können nach wie vor gegen überhöhte Mieten vorgehen.

Die Einschätzung einer Kammer des Landgerichts Berlin, dass die Mietpreisbremse verfassungswidrig sei, weil sich die Bemessung der zulässigen der Neu- und Wiedervermietungsmiete an der ortsüblichen Vergleichsmiete orientiere und diese deutschlandweit schwanke, teilen wir nicht. Denn die massiven Mietexplosionen gerade in Großstädten rechtfertigen diesen Eingriff in die Vertragsfreiheit der Mietvertragsparteien entgegen der vermieterfreundlichen Einschätzung des Landgerichts Berlin. Die Annahme der Kammer des Landgerichts Berlin, dass bestimmte Vermieter härter betroffen seien als andere, ist nicht nachvollziehbar. Denn die Mietpreisbremse limitiert die maximale zulässige Miethöhe gerade nicht mit einem exakten Betrag. Vielmehr sind zehn Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete das Limit und damit eine auf die jeweilige örtliche Mietsituation eingehende Obergrenze.

Der vom Landgericht Berlin kritisierte Bezug auf die ortsübliche Vergleichsmiete hat sich seit mehr als 30 Jahren für Mieterhöhungen während eines laufenden Mietverhältnisses bewährt. Es gibt über Jahrzehnte Urteile von Gerichten, die diese Regelung seit 30 Jahren ohne auch nur irgendeinen Ansatz verfassungsrechtlicher Zweifel anwenden. Im Übrigen halten andere Kammern des Landgerichts Berlin nach ausführlicher Prüfung die Mietpreisbremse ebenfalls für verfassungsgemäß (LG Berlin, Az 65 S 424/16).

Auch die Ausführung des Landgerichts, dass der Gesetzgeber mit der Mietpreisbremse nicht den Zweck verfolgen würde, den Anstieg der Mieten zu dämpfen, teilen wir nicht. Genau dies ist, wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, doch das zentrale Anliegen der Mietpreisbremse.

Wichtiger ist vielmehr, die Mietpreisbremse in den Punkten zu verbessern und den Mieterinnen und Mietern zu helfen, ihre Ansprüche durchzusetzen: Neben der Einführung einer Auskunftspflicht für den Vermieter muss das Recht des Mieters, zu viel bezahlte Miete von Beginn des Mietverhältnisses zurückfordern zu können, eingeführt werden. Die Union hatte diese von uns geforderten Regelungen immer blockiert. Gestern hat die Kanzlerin es wieder bestätigt: Von CDU und CSU haben die Mieterinnen und Mieter nichts zu erwarten.“

Luftnummer der Großen Koalition ins Mark getroffen

Die Spitzenkandidatin von Bündnis90/Die Grünen Katrin Göring-Eckardt sagte gegenüber der TP Presseagentur zum Beschluss des Landgerichts Berlin:

„Union und SPD haben versagt, die immer schneller steigenden Mietpreise zu stoppen. Ihre Mietpreisbremse ist schlecht durchdacht und schlecht gemacht. Zu dieser Einschätzung kommt nun auch das Berliner Landgericht in seiner Äußerung. Auch wenn diese Einschätzung vorerst ohne rechtliche Konsequenz bleibt, trifft ein Argument des Gerichts die Luftnummer der Großen Koalition ins Mark: Bei bereits hoher Vormiete weit über der ortsüblichen Miete versagt die Mietpreisbremse der Großen Koalition kläglich, denn diese sind ausgenommen – das ist wirklich unfair. Damit Mieter vor explodierenden Mieten besser geschützt werden, muss die Mietpreisbremse scharf gestellt werden und auch die Verträge erfassen, bei denen die Vormiete bereits mehr als 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete lag. Das wäre endlich eine effektive Hilfe für die rund 21 Millionen Haushalte in den Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt.“

Caren Lay von der Linksfraktion im Bundestag sagte gegenüber der TP Presseagentur:

„DIE LINKE kritisiert schon lange, dass das Gesetz über die Mietpreisbremse schlecht gemacht ist und nicht wirkt. Wir fordern daher die Nachbesserung des Gesetzes: die Mietpreisbremse muss ohne Ausnahmen und flächendeckend gelten. Dann würde das Gesetz wirken und Gleichbehandlung wäre auch gewährleistet.“

Wir brauchen eine praxistaugliche Mietpreisbremse.

Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, zum Urteil des Landgerichts Berlin zur Mietpreisbremse und den Entwicklungen bezüglich des neuen Mietspiegels:

„Die Bundesregierung verschleppt das Problem seit Jahren. Sie hat die Mietpreisbremse aus Kalkül wirkungslos gemacht. Sowohl das Gerichtsurteil als auch viele Studien der letzten Monate bestätigen dies. Wir brauchen eine praxistaugliche Mietpreisbremse, die funktioniert, dringender denn je. Dass die Immobilienverbände nun fordern, diese wieder abzuschaffen, ist nicht nur mieterfeindlich, sondern auch unsozial. Tausende Haushalte würden dadurch massiv mehr belastet. Wir brauchen ein sozial-ökologisches Mietrecht, das die Balance zwischen Mieter und Vermieter wieder herstellt. Wir wollen den Rahmen für Mieterhöhungsmöglichkeiten, die auf keinerlei Wertsteigerung der Immobilie basieren, deutlich verkleinern. Mietwucher muss eine Ordnungswidrigkeit werden. Auf diese Weise können wir den Missbrauch des Mietspiegels durch Vermieter stoppen.

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