Arzneiverordnungs-Report 2017: Patentgeschützte Arzneimittel werden immer teurer.

Podium v. l.: Kathrin Bräutigam (Moderation, AkdÄ), Prof. em. Dr. med. Ulrich Schwabe, Jürgen Klauber, Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Martin Litsch.

(04.10.17) Die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen inklusive der Zuzahlung der Versicherten lagen 2016 bei rund 38,5 Milliarden Euro. Das ist ein Plus von 3,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr, während das Verordnungsvolumen nur um 2,1 Prozent gestiegen ist. „2016 wurden mehr, aber vor allem auch teurere Arzneimittel verordnet. Hauptursache dafür war die überproportionale Kostensteigerung bei den patentgeschützten Wirkstoffen“, sagt Prof. em. Dr. med. Ulrich Schwabe, Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports 2017.

Der anhaltende Trend zu neuen hochpreisigen Arzneimitteln im patentgeschützten Markt zeigt sich unter anderem an der Entwicklung der höchsten Bruttoumsätze je Verordnung. Das teuerste eine Prozent aller Produkte hatte 2006 mindestens einen Bruttoumsatz von 946 Euro je Verordnung. 2016 waren es bereits mindestens 3.979 Euro. „Patentgeschützte Arzneimittel sind in Deutschland besonders teuer. In Ländern wie Österreich oder den Niederlanden, deren Wirtschaftskraft mit Deutschland vergleichbar ist, sind die öffentlich bekannten Listenpreise etwa 20 Prozent günstiger als bei uns“, so Jürgen Klauber, ebenfalls Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports und Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

Insbesondere die gentechnologisch hergestellten Biologika treiben die Ausgaben im Patentmarkt in die Höhe. Von 2006 bis 2016 hat sich ihr Umsatz auf 7,8 Milliarden Euro erhöht. Eine Abkehr vom Wachstumstrend ist nicht zu erwarten: Mittlerweile ist beinahe jeder dritte neue Wirkstoff im deutschen Markt ein Biologikum. Für sieben Biologika waren in Deutschland Ende 2016 Biosimilars zugelassen. Sie sind einem Biologikum strukturell ähnlich und üben die gleiche pharmakologische Wirkung im menschlichen Körper aus. „Biologika werden in den kommenden Jahren eine deutlich zunehmen de therapeutische Bedeutung für den Arzneimittelmarkt haben. Aufgrund ihrer meist hohen Preise werden damit auch immer höhere Ausgaben verbunden sein. Durch die konsequente Verordnung von Biosimilars könnten mittelfristig beträchtliche Einsparungen für unser solidarisch finanziertes Gesundheitssystem erzielt werden, ohne dabei die Qualität der Versorgung mit Arzneimitteln in Deutschland zu beeinträchtigen“, erläutert Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports.

Arzneiverordnungs-Report 2017: Patentgeschützte Arzneimittel werden immer teurer Die Pressemitteilung zum Download

Übersicht über den Inhalt der Pressemappe

Die Gesprächsteilnehmer der Pressekonferenz zum Arzneiverordnungs-Report 2017

Statement Prof. em. Dr. med. Ulrich Schwabe Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports 2017, Pharmakologisches Institut der Universität Heidelberg

Statement Jürgen Klauber Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports 2017 und Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO)

Folien zum Statement Jürgen Klauber

Statement Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports 2017 und Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ)

Folien zum Statement Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig

Statement Martin Litsch Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes

Flyer zum Arzneiverordnungs-Report 2017

Die komplette Pressemappe zur Pressekonferenz Arzneiverordnungs-Report 2017

Verstärkt wird die Entwicklung hin zu hohen Preisen für patentgeschützte Arzneimittel dadurch, dass Pharmafirmen in Deutschland den Preis ihres patentgeschützten Produkts in den ersten zwölf Monaten nach dem Marktzugang noch immer frei festlegen können. Erst nach einem Jahr gilt ein zwischen dem Anbieter und dem GKV-Spitzenverband auf der Grundlage der Frühen Nutzenbewertung ausgehandelter Erstattungspreis. Um der Hochpreisstrategie der Pharmafirmen zu begegnen, sollten sich die Erstattungspreisverhandlungen stärker am Zusatznutzen eines Wirkstoffs orientieren und die verhandelten Preise rückwirkend ab dem ersten Tag des Marktzugangs gelten.

Neben der Preisentwicklung gibt es bei den patentgeschützten Arzneimitteln auch den Trend zu mehr beschleunigten Zulassungsverfahren. Deren Ziel ist es, neue Wirkstoffe für die medikamentöse Behandlung seltener Erkrankungen möglichst schnell für betroffene Patienten zugänglich zu machen.

Sendefertiger Hörfunk-Beitrag mit dem AOK-Vorstandsvorsitzenden Martin Litsch und WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber

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Arzneimittel

Gleichzeitig kommen dadurch aber immer mehr Produkte ohne eine ausreichende Datenbasis zu Nutzen und Risiken für die Patienten auf den Markt. In Deutschland betraf das im Jahr 2016 bereits fast jedes dritte neue Arzneimittel. Im Jahr 2011 waren es noch unter zehn Prozent. Daher werden nach der Zulassung in der Regel auch weitere klinische Studien und die kontinuierliche Überwachung der Arzneimittelsicherheit bei der Anwendung gefordert. „Doch ist der Marktzugang erst einmal erfolgt, kommen viele Pharmaunternehmen ihrer Verpflichtung nach weiteren Daten nicht ausreichend nach“, kritisiert Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. „Deshalb muss die Europäische Arzneimittel-Agentur stringenter vorgehen und Sanktionen umsetzen. Außerdem müssen wir in Deutschland Lösungen finden, entsprechende Studien firmenübergreifend zu finanzieren und pharmaunabhängig durchführen zu können.“

Der Arzneiverordnungs-Report ist das Standardwerk für den deutschen Arzneimittelmarkt. Seit mehr als 30 Jahren bietet er eine unabhängige Informationsmöglichkeit über die verschiedenen Komponenten der Arzneimittelverordnung und trägt damit zur Transparenz des Arzneimittelmarkts, zur Bewertung von Arzneimitteln und zu einer sowohl zweckmäßigen und sicheren evidenzbasierten als auch wirtschaftlichen Arzneitherapie bei. Im Arzneiverordnungs-Report werden die Arzneimittel-Rezepte für die Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) analysiert. So schafft er seit Jahren eine wissenschaftlich fundierte Grundlage für den fachlichen Austausch zwischen Ärzten, Apothekern und Krankenkassen. Sämtliche Analysen im Arzneiverordnungs-Report basieren auf den Verordnungsdaten des GKV-Arzneimittelindex. Das Projekt GKV-Arzneimittelindex, das ein Projektbeirat mit allen relevanten Beteiligten im Arzneimittelmarkt begleitet, wird im Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) seit 1985 durchgeführt.

(Gemeinsame Pressemitteilung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vom 04.10.17)

Alte Bundesregierung habe bei Begrenzung der Arzneimittelpreise versagt.

„Die Bürgerinnen und Bürger haben auch in Deutschland einen Anspruch auf gute, auf ihren Nutzen überprüfte und bezahlbare Medikamente. Die von den Pharmakonzernen geforderten Phantasiepreise besonders bei neuen Produkten stellen für die Ausgaben der Krankenkassen eine tickende Zeitbombe dar“, erklärte heute Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, anlässlich des heute veröffentlichten Arzneiverordnungs-Reports 2017.

Vogler weiter:

„Es war ein Geschenk von CDU/CSU und SPD an die Arzneimittelhersteller, dass diese den Preis für neue patentgeschützte Produkte immer noch für die ersten zwölf Monate nach der Zulassung beliebig hoch ansetzen dürfen. Das stellt auch nach Ansicht der Experten des Arzneiverordnungs-Reports eine Hauptursache für den rasanten Preisanstieg dar.

Es ist Zeit, dass die Forderung der LINKEN aufgegriffen und eine staatlich finanzierte Pharmaforschung unabhängig von den großen Konzernen auf den Weg gebracht wird. Nur so kann auf Dauer gewährleistet werden, dass nicht immer mehr Medikamente für Menschen mit seltenen Erkrankungen im sogenannten beschleunigten Verfahren auf den Markt kommen und damit eine Bewertung von Nutzen und Risiko umgangen wird. Hier muss die öffentliche Hand eingreifen, sei es mit finanziellen Strafen für die Konzerne oder aber auch durch eigene Bemühungen.“

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