Unterbringung im Maßregelvollzug – Ablehnung von unbegleiteten Einzelausgängen war rechtswidrig.

Hält das LWL-Zentrum für forensische Psychiatrie Lippstadt in Eickelborn einen Patienten für Lockerungen in Form von unbegleiteten Einzelausgaben generell geeignet, kann es ein bestimmtes Gebiet – vorliegend insb. den Kreis Soest – von diesen Lockerungen nicht ausnehmen, so dass es bei entsprechender Lockerungseignung nicht zulässig ist, Einzelausgänge in diesem Bezirk gleichwohl nur mit Pflegerbegleitung im Verhältnis 1:1 zu gewähren. Auf diese Rechtslage hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm mit heute (18.12.2017) veröffentlichtem Beschluss vom 22.11.2017 hingewiesen.

Im Jahre 2013 verurteilte das Landgericht Münster den heute 55 Jahre alten Betroffenen wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und ordnete seine Unterbringung gemäß § 63 Strafgesetzbuch in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Die Unterbringung wurde ab Februar 2014 im LWL-Zentrum für forensische Psychiatrie Lippstadt in Eickelborn vollzogen. 2016 bewilligte die Klinik dem Betroffenen zur Vorbereitung seiner Entlassung Lockerungen in Form von unbegleiteten Einzelausgängen. Den vom Betroffenen beantragten unbegleiteten Einzelausgang im Kreis Soest zum Zweck der Durchführung eines vierwöchigen Praktikums zur Vorbereitung einer Berufstätigkeit nach seiner Entlassung lehnte die Klinik unter Hinweis darauf ab, dass nicht aus dem Kreis Soest stammende Sexualstraftäter nach der Lockerungsregelung der Einrichtung keinen unbegleiteten Einzelausgang im Kreis Soest erhielten. Nach dem Inhalt der bestehenden Sonderregelung werde der Einzelausgang für Patienten, die wegen eines Sexualdelikts untergebracht seien, im Kreis Soest nur gewährt, wenn der Patient bereits vor der Unterbringung dort wohnhaft gewesen bzw. seine Rehabilitation dorthin vorgesehen sei, was aber auf den Betroffenen nicht zutreffe.

Hintergrund dieser Sonderregelung im LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie
Lippstadt, gelegen im Kreis Soest, die sowohl für dieses Kreisgebiet als auch für die benachbarten Kreisgebiete gilt, ist die Tötung eines Kindes im dörflichen Lippstädter Ortsteil Eickelborn, in dem die Einrichtung liegt, durch einen Maßregelvollzugspatienten im unbegleiteten Ausgang im Jahr 1994 sowie ähnliche Vorfälle in den Jahren zuvor.

Den gegen den Bescheid der Klinik gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Paderborn mit Beschluss vom 16.01.2017 zurück (Az. 13 StVK 24 und 50/16 LG Paderborn). Die für Sexualstraftäter getroffene Sonderregelung der Klinik sei, so das Landgericht, nicht zu beanstanden. Das Schutzinteresse der Bevölkerung in Bezug auf Sexualstraftäter sei besonders ausgeprägt. Deshalb begegne es keinen rechtlichen Bedenken, dass zur Zurückgewinnung bzw. Stabilisierung des Vertrauens in der Bevölkerung – das Voraussetzung für die Fortführung von Einrichtungen wie die Klinik in Lippstadt sei – mit einer Regelung wie der angegriffenen versucht werde, die speziell von Sexualstraftätern bei unbegleiteten Lockerungen ausgehenden Gefahren nicht hauptsächlich um den Nahbereich der Maßregelvollzugseinrichtung zu konzentrieren. Durch die hier in Rede stehende Sonderregelung werde im Ergebnis eine gleichmäßigere Verteilung der mit unbegleiteten Ausgänge von Maßregelpatienten verbundenen Gefahren auf die Gesamtbevölkerung erreicht.

Die erstrebte Praktikumsstelle könne der Betroffene auch außerhalb des Kreisgebietes Soest unschwer finden, so dass die Sonderregelung seiner beruflichen Rehabilitation nicht grundsätzlich im Wege stehe.

Gegen die oben genannte Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Paderborn hat der Betroffene Rechtsbeschwerde erhoben. Im Juli 2017 wurde die Unterbringung des Betroffenen im Maßregelvollzug für erledigt erklärt und festgestellt, dass die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe durch die Anrechnung der vollzogenen Maßregel bereits vollständig vollstreckt ist. Der Betroffene ist daraufhin aus dem Maßregelvollzug entlassen worden. Nach der Entlassung hat er seinen ursprünglichen Rechtsbeschwerdeantrag für erledigt erklärt und begehrt die Feststellung, dass der Beschluss des Landgerichts Paderborn vom 16.01.2017 rechtswidrig ist und in seinem Recht auf Berufsfreiheit verletzt.

Der nunmehr gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag des Betroffenen war erfolgreich. Mit Beschluss vom 22.11.2017 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm festgestellt, dass die Ablehnung von unbegleiteten Einzelausgängen des Betroffenen innerhalb des Kreises Soest zum Zwecke der Durchführung eines beruflichen Praktikums rechtswidrig gewesen ist.

Die Maßregel des § 63 Strafgesetzbuch verfolge keinen Strafzweck, so der Senat. Sie diene dem Schutz der Allgemeinheit vor aufgrund psychischer Erkrankung oder Behinderung gefährlichen Tätern, gegen die wegen dieses Zustandes kein oder nur ein eingeschränkter Schuldvorwurf erhoben werden könne. Regelmäßig diene die Vorschrift auch dazu, diese Person von der vorliegenden psychischen Störung jedenfalls insoweit zu heilen, dass von ihrem Zustand keine unvertretbare Gefahr für fremde Rechtsgüter mehr ausgehe. Die Regelung und das hierzu erlassene Maßregelvollzugsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen erlaubten keinen nicht durch eine Gefahr des Untergebrachten gerechtfertigten Freiheitsentzug. Der Umfang des Freiheitsentzuges richte sich daher nach der Behandlungsnotwendigkeit und den Sicherheitserfordernissen, die durch die Krankheit des jeweiligen Untergebrachten und deren Auswirkungen bedingt sein. Vollzugslockerungen verringerten den Umfang des Freiheitsentzuges und dienten dem Behandlungszweck. Sie seien daher zu gewähren, sobald die vom jeweiligen Untergebrachten ausgehende Gefahr dies zulasse.

Im vorliegenden Fall sei der Betroffene als für Lockerungen in Form von unbegleiteten Einzelausgängen generell geeignet eingestuft worden. Derartige Ausgänge seien ihm außerhalb des Kreises Soest (sowie weiterer durch die Sonderregelung ausgeklammerter Kreisbezirke) erlaubt gewesen. Seine individuelle Gefährlichkeit habe daher dieser Form von Lockerungen nicht entgegengestanden.

Bei dieser Sachlage habe die Klinik den Anspruch des Betroffenen auf Lockerungen nicht durch eine Sonderungsregelung im Sinne einer 1:1 Pflegerbegleitung begrenzen können, um das Vertrauen der Anwohner in der näheren Umgebung zurückzugewinnen bzw. zu stabilisieren, weil in weiter zurückliegenden Zeiten Maßregelvollzugspatienten in der näheren Umgebung schwerwiegende Straftaten begangen hätten. Weder eine Vereinbarung der Maßregelvollzugseinrichtung mit dem Kreis Soest noch ein eigenes Lockerungskonzept der Klinik mit diesem Inhalt könnten eine derartige Beschränkung rechtfertigen. Das Maßregelvollzugsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen könne weder durch ein Konzept der Klinik noch durch eine politische Vereinbarung außer Kraft gesetzt werden. Auf andere als die gesetzlich vorgesehenen Versagungsgründe könne die Verweigerung von Vollzugslockerungen nicht gestützt werden.

Rechtskräftiger Beschluss des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 22.11.2017 (Az. 1 Vollz(Ws) 64 und 65/17 OLG Hamm)

 

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