Rede des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller und des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier anlässlich der Einweihung des Gedenkzeichens am 19. Dezember 2017 an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Breitscheidplatz.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, hat heute anlässlich der Einweihung des Gedenkzeichens auf dem Breitscheidplatz die folgende Rede gehalten. Wortlaut der Rede auf Grundlage des Manuskripts:

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

Sehr geehrter Herr Abgeordnetenhauspräsident,

Sehr geehrter Herr Bischof Dröge,

Sehr geehrte Exzellenz, Herr Erzbischof Koch

Sehr geehrte Familien und Freunde,

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben uns heute, ein Jahr nach dem entsetzlichen Anschlag am 19. Dezember am Breitscheidplatz versammelt, um der Opfer zu gedenken und mit Ihnen und den Angehörigen und Freunden zu trauern.

Der Attentäter hat geliebte Menschen aus unserer Mitte gerissen, die wir schmerzlich vermissen. Aber er hat damit alle Menschen getroffen. Er hat die Menschlichkeit getroffen. Er hat den Frieden getroffen, der die Grundlage unseres Lebens in Freiheit ist.

Wir sind heute in Stille vereint, um derer zu gedenken, die diesem Anschlag auf die Menschlichkeit zum Opfer gefallen sind.

Heute halten wir alle inne. Ein Moment der Stille kehrt im Zentrum Berlins ein und viele Berlinerinnen und Berliner teilen diesen Moment mit uns. Sie sind in Gedanken hier und am heutigen Abend auch am Breitscheidplatz zu Ehren der Toten und Verletzten versammelt.

Vielen von uns sind die Ereignisse noch sehr nahe. Die Verarbeitung dieser schrecklichen Stunden ist nach wie vor tragisch, insbesondere natürlich für die Betroffenen. Aber auch für die Helfer, die Polizisten, die Feuerwehrleute und die Rettungskräfte, denen ich hier noch einmal ausdrücklich für ihren Einsatz, ihre Arbeit und ihren Mut danken möchte.

Auch haben mich die Berlinerinnen und Berliner beeindruckt, die sich nicht vom Terror haben einschüchtern lassen und bei vielen großen Veranstaltungen im vergangenen Jahr gezeigt haben, dass sie weiterhin ihre Freiheit leben.

Der Verlust ist nach wie vor schmerzlich und die Verletzungen sind tief. Die Nacht des 19. Dezember und die Tage danach werden uns allen ein Leben lang in der Erinnerung bleiben.

Die Menschen, die wir verloren haben, fehlen uns. Die Gespräche, die ich mit Betroffenen und Angehörigen geführt habe, haben mir immer wieder sehr deutlich gemacht, was dieser Verlust für jeden Einzelnen bedeutet.

Bei Ihnen, den Überlebenden und den Familien und Freunden, die zurückgeblieben sind, haben sich tiefe körperliche, aber auch seelische Wunden eingegraben, sie können niemals alle geheilt, aber hoffentlich gemildert werden.

Ja, der terroristische Anschlag vom 19. Dezember 2016 hat Spuren in den Herzen der Menschen in Berlin und darüber hinaus hinterlassen. Um dies zu würdigen, hat der Senat entschieden, die ständige Erinnerung an den terroristischen Anschlag durch ein Gedenkzeichen, direkt hier an der Anschlagstelle zu ermöglichen. Es ist ein Ort entstanden, der den Angehörigen und allen trauernden und mitfühlenden Menschen die Gelegenheit geben soll, ihrer Anteilnahme Ausdruck zu verleihen.

Das Gedenkzeichen ist unter Mitwirkung von Angehörigen entstanden. Es trägt die Namen aller Getöteten und macht deutlich, dass es um Menschen aus aller Welt geht, die friedlich und gemeinsam, über nationale Grenzen und Religionsgrenzen hinweg, in Berlin feiern wollten.

Ein Riss symbolisiert die Wunden, die der Anschlag geschlagen hat. Aber wir wollen den Riss, der durch unsere Gesellschaften geht, überwinden. Wir wollen uns nicht durch Terror und Hass spalten lassen. Darum ist das Gedenkzeichen auch ein Symbol für Toleranz und gegen Verbohrtheit. Das schulden wir den Opfern, nicht nur hier in Berlin, sondern überall.

Zeigen wir diesen Terroristen gemeinsam, was uns stark macht, nämlich mit anderen in Frieden zusammenleben zu können und das Beste in uns zu bewahren. Das was ihnen fehlt: Menschlichkeit und der Glaube an die Zukunft.

Wir zeigen ihnen, sie haben keinen Sieg davongetragen. Sie haben uns nicht spalten können. Stattdessen sind wir noch weiter zusammengerückt.

Ich möchte daran erinnern, dass der Namensgeber dieses Platzes, Rudolf Breitscheid, ein mutiger Kämpfer für die Werte der Demokratie gewesen ist. Er hat sich nicht von den Nazis einschüchtern lassen und sich nicht ihrem Terror gebeugt.

Er kämpfte sein Leben lang für Demokratie und Freiheit.  Am Ende hat er gewonnen und die Mörder haben verloren. Dafür ehren wir ihn und in demselben Geist ist hier jetzt ein Gedenkzeichen für die gestorbenen Menschen, aber auch für Menschenwürde, Freiheit und Toleranz entstanden.

Ich wünsche Ihnen, liebe Angehörige und Betroffene des Anschlags und den Menschen überall dort, wo der Terrorismus zuschlägt, Kraft und dass Sie stark bleiben. Wir müssen wachsam und wehrhaft bleiben, und wir dürfen weiterhin Angst und Hass keinen Raum bieten.

Wir trauern mit Ihnen um geliebte Menschen und teilen Ihren Schmerz.

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

Die Namen der Opfer:

Sebastian Berlin, 32.

Anna Bagratuni, 44.

Gregoriy Bagratuni, 44.

Nada Cizmarovka, 34.

Dalia Elyakim, 60.

Christoph Herrlich, 40.

Klaus Jacob, 66.

Angelika Klösters, 65.

Dorit Krebs, 53.

Fabrizia di Lorenzo, 31.

Lukasz Urban, 37.

Peter Volker, 72.

Einweihung des Gedenkortes für die Opfer des Terroranschlags a…

Einweihung des Gedenkortes für die Opfer des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz in Berlin

Publié par PHOENIX sur mardi 19 décembre 2017

Angela Merkel am Breitscheidplatz zum Jahrestag des LKW-Anschl…

"Heute ist ein Tag der Trauer, aber auch ein Tag des Willens, das, was nicht gut gelaufen ist, besser zu machen" – Bundeskanzlerin Angela Merkel am Breitscheidplatz zum Jahrestag des LKW-Anschlags.

Publié par PHOENIX sur mardi 19 décembre 2017

"Die Trauer einer Mutter"

„Das Wort Hass kommt bei mir eigentlich nie vor. Ich empfinde das nicht. Das wäre auch nichts, was Christoph wollte.“ Frederike Herrlich hat ihren Sohn bei dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz verloren. Nach all der Trauer und dem Schmerz möchte sie dem sinnlosen Tod ihres Sohnes einen Sinn geben. Sie schreibt der Mutter des Attentäters.

Publié par ZDF heute sur dimanche 17 décembre 2017

Gedenken an den Anschlag auf dem Breitscheidplatz – Rede des Bundespräsidenten.

Berlin, 19. Dezember 2017

Am Tag danach war es still auf dem Breitscheidplatz.

Die Stille: Das war nicht die ernste Stille der Heiligen Nacht. Es war jene bleierne Stille, die eintritt, wenn die Sprache versagt – wenn Worte für das Unfassbare fehlen.

Ich sehe mich noch am Morgen danach am Tatort stehen, eine weiße Rose in der Hand. Vor mir das Meer der Blumen, die flackernden Kerzen. Und mitten darin ein handgemaltes Schild – darauf nur ein einziges Wort: „Warum?“

Auf dieses „Warum?“ hatte keiner von uns eine Antwort. Und bis heute hallt dieses „Warum?“ in uns nach.

Wir trauern um zwölf Menschen aus Deutschland, aus Polen, Tschechien und der Ukraine, aus Israel und Italien, um Frauen und Männer, die in Berlin lebten, ihrer Arbeit nachgingen oder hier zu Besuch waren. Sie alle wurden brutal ermordet, mitten in dieser Stadt, hier an diesem Ort.

Wir denken an die vielen Verletzten aus aller Welt, an diejenigen, die bis heute nicht zurückgefunden haben in ihr altes Leben, die noch in Behandlung sind oder für immer auf Hilfe angewiesen sein werden.

Wir denken an diejenigen, die auf dem Weihnachtsmarkt alles miterlebt haben, die in Todesangst waren und nicht vergessen können, was sie mit angesehen und angehört haben.

Unser Dank gilt all denen, die geholfen haben, unmittelbar nach dem Anschlag und in den Wochen und Monaten danach: den stillen Helden, die für die Verletzten und Hinterbliebenen da waren, den Polizisten, Sanitätern und Ersthelfern, den Hilfsorganisationen und Opferbeauftragten.

Zur Wahrheit gehört auch, dass manche Unterstützung spät kam und unbefriedigend blieb. Dennoch wollen wir denen danken, die Hilfe gaben, denen, die bis heute Anteil nehmen.

Wir trauern heute mit Ihnen, den Familien und Freunden der Opfer. Sie haben vor einem Jahr, von einer Sekunde auf die andere, einen geliebten Menschen verloren – einen Menschen, mit dem Sie gerade noch telefoniert oder Glühwein getrunken hatten, mit dem sie in ein paar Tagen Weihnachten feiern wollten, mit dem Sie Pläne hatten, manche Pläne für ein ganzes Leben.

Wir können die Tiefe Ihres Leids nicht ermessen und Ihren Schmerz nur erahnen. Und doch ist gewiss, dass sehr viele Menschen in Berlin, in Deutschland und weltweit Anteil nehmen an Ihrer Trauer.

Und Sie sollen wissen: Ihre Erfahrung, Ihre Klagen und Warnungen stoßen nicht auf taube Ohren. Sie lassen niemanden unberührt, der in diesem Land Verantwortung trägt.

Die Politik darf nicht zu eilfertig sagen, dass es in unserer offenen Gesellschaft keine vollkommene Sicherheit geben kann, so richtig diese Erkenntnis auch ist. Wir müssen zuerst aussprechen und anerkennen, wo vermeidbare Fehler geschehen sind. Das ist es, was uns nicht ruhen lassen darf. Unsere Haltung muss sein: Dieser Anschlag hätte nicht passieren dürfen. Und ja, es ist bitter, dass der Staat Ihre Angehörigen nicht schützen konnte.

Auch das ist eine Wunde, die weiter schmerzt. Und sie mahnt uns, diese Frage immer wieder aufs Neue zu stellen: Tun wir wirklich alles, was wir in unserem demokratischen Rechtsstaat tun können und tun müssen, um Terroranschläge zu verhindern?

Das jedenfalls ist die Aufgabe, die der 19. Dezember 2016 den Verantwortlichen in der Politik hinterlassen hat: Wir müssen Versäumnisse aufklären und da, wo Fehler gemacht worden sind, aus Fehlern lernen.

Viele Hinterbliebene und Verletzte – viele von Ihnen – haben sich nach dem Anschlag vom Staat im Stich gelassen gefühlt, wie Sie sagen. Eine Mutter, deren Tochter ums Leben gekommen ist, sagt zum Beispiel: „Ich habe vermisst, dass jemand da gewesen wäre, am Anfang, für uns alle.“ Das sind Worte, die mich nicht loslassen. Der gemeinsame Appell der Angehörigen, der soll nicht einfach verhallen, er hat etwas angestoßen und in Bewegung gesetzt.

An diesem Tag fragen wir uns, wie wir als Gesellschaft mit diesem Einschnitt umgegangen sind, hier in Berlin und in ganz Deutschland.

„Wir lassen uns nicht einschüchtern“, so hieß es schon am Abend des Anschlages, „wir opfern unsere Freiheit nicht der Furcht. Wir leben weiter wie bisher, jetzt erst recht.“

In Windeseile verbreiteten sich diese Sätze. Sie sind stark, und sie sind richtig. Aber so kurz nach dem Anschlag, als die unfassbare Gewalt gerade in unseren Alltag eingebrochen war, klangen sie nicht mehr nur trotzig und selbstbewusst, sondern für die Angehörigen auch kühl und zu abgeklärt.

Weitermachen wie bisher – haben die Angehörigen verstanden –, das wirkte wie ein Abwehrreflex, wie der allzu routinierte Versuch, den Schock zu unterdrücken, statt ihn auszuhalten, statt innezuhalten, um die Trauer und den untröstlichen Schmerz auch öffentlich zuzulassen. Und es hat, auch wenn das von niemandem beabsichtigt war, bei den Hinterbliebenen und Verletzten, wie ich weiß, Unverständnis hervorgerufen. Denn für Sie, das wissen wir alle, ist seit einem Jahr nichts mehr so, wie es einmal war.

Es ist und bleibt richtig: Wir geben dem Terror nicht nach. Wir lassen uns nicht einschränken in unserer Art zu leben. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir Schmerz und unendliches Leid verdrängen. Wir treten dem Terror auch dadurch entgegen, dass wir gemeinsam der Opfer gedenken und den Hinterbliebenen, wo immer es geht, zur Seite stehen.

Dass wir miteinander traurig, miteinander wütend sind, miteinander das Entsetzen und die Suche nach Trost teilen – auch das gehört zum Zusammenhalt, den wir brauchen, um gemeinsam unsere Freiheit zu verteidigen.

Verehrte Angehörige, ich hoffe, dass Sie diesen Zusammenhalt, diese Solidarität heute spüren können, hier in der Gedächtniskirche, auf dem Breitscheidplatz, überall in Berlin. Ihre Trauer, auch Ihre Enttäuschung, aber erst recht Ihre Hoffnung – alles das ist an uns alle gerichtet.

Ich will Ihnen versichern: Wir lassen Sie mit alledem nicht allein.

 

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