Wie der Berliner Justizsenat die Wahrheit verbiegt und der Berliner Gesamtvollzugsbeirat sich dazu geruhsam ausschweigt.

Wie der Berliner Justizsenat die Wahrheit verbiegt und der Berliner Gesamtvollzugsbeirat sich dazu geruhsam ausschweigt.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin.

Gute dreißig Jahre war Gerhard Melchert (Name geändert) in der Berliner Haftanstalt Tegel als Berufsschullehrer beschäftigt und dort auch als ehrenamtlich fungierender Anstaltsbeirat engagiert. Er half Gefangenen wo er nur konnte und erwarb sich dadurch hohes Ansehen auch bei den Justizvollzugs-Beschäftigten. So mietete er für einen Gefangenen zur Sicherung dessen Habe u.a. eine Garage, damit dieser seine Sachen dort unterstellen konnte, zumal ihm die JVA Tegel dies ohne Rücksicht auf den materiellen und ideellen Wert der Sachen kategorisch verweigerte.
Im Jahre 2012 übergab ihm der Gefangene dann vier gegen die JVA Tegel erwirkte einstweilige Anordnungen des Landgerichts Berlin und suchte seinen Rat über das weitere Vorgehen in dieser Sache. Melchert machte dem Gefangenen den Vorschlag, diese Gerichtsbeschlüsse mit seinem Einverständnis auch an einen Beiratskollegen, der diese Funktion erst seit kurzer Zeit ausübte, weiterzugeben, um eine weitere Meinung einzuholen.
Als dieser neue Kollege jedoch wochenlang nicht reagierte, bat der betreffende Gefangene Melchert um dessen Telefonnummer und rief diesen sofort selbst an.
Einige Tage später wurde Melchert zur Vollzugsleiterin der Haftanstalt Tegel zitiert, die ihn sogleich mit der Weitergabe der Telefonnummer des Neubeirats an den Häftling konfrontierte. Melchert, der sich keiner Schuld bewusst war, zumal diese Telefonnummer auch anderen Insassen in der JVA Tegel bekannt war, wurde dann von der Vollzugsleiterin aufgefordert, umgehend die Garage zu kündigen, die er für den Gefangenen angemietet hatte. Dies lehnte Melchert mit Hinweis darauf ab, dass er diese Sachen dann auf die Straße stellen oder auf den Müll verbringen müsse. Da sei ihr egal, wurde Melchert dann von der Vollzugsleiterin brüsk abgekanzelt. Sie gab ihm eine Bedenkzeit von zwei Wochen, um sich definitiv zu entscheiden, anderenfalls man sich von ihm als Anstaltsbeirat trennen müsse. Entsprechend wolle sie dann beim Berliner Justizsenat intervenieren.
Als Melchert auf diese Nötigung nicht mehr reagierte, erhielt er einige Wochen später eine Email von der Vollzugsleiterin, mit der ihm dargelegt wurde, dass insbesondere aufgrund seines „Fehlverhaltens hinsichtlich des Herrn XY eine weitere Tätigkeit als Mitglied des Anstaltsbeirates – auch unter Berücksichtigung Ihrer langjährigen Tätigkeit – nicht mehr möglich ist“.
Melchert wandte sich mit einem Schreiben, dem er seinen Beiratsausweis und die Aufforderung zum Rücktritt durch die Vollzugsleiterin beifügte, an den Justizsenat.
Darin schrieb er: „Ich weiche der Macht (dem Machtmissbrauch, der Kontrolle und dem zu erwartenden Mobbing).“
Den neuen Anstaltsbeirat, der zwischenzeitlich zum Vorsitzenden dieses Gremiums avanciert und damit als Vorsitzender automatisch zum Mitglied des Berliner Gesamtvollzugsbeirates für alle Haftanstalten in der Stadt „aufgestiegen“ war, bezeichnete Melchert in dem Schreiben an den Justizsenat als „Verfolger (Mobber) der weiteren Mitglieder“.
Damit wäre die Angelegenheit eigentlich beendet, wäre sie dem rechtspolitischen Sprecher von Bündnis90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Dirk Behrendt, nicht zu Ohren gekommen.
Im Gegensatz zum Berliner Gesamtvollzugsbeirat, der es noch nicht einmal für nötig erachtete, sich wenigstens nach den näheren Umständen über den Rauswurf von Gerhard Melchert zu erkundigen und deren Mitglied der neue Anstaltsbeirat nun auch geworden ist, richtete der Abgeordnete Behrendt immerhin eine sogenannte Kleine Anfrage an den Berliner Justizsenat und forderte Aufklärung.
Die entscheidende Frage Behrendts, ob es zutreffe, dass Anstaltsbeiräte, denen eine „zu große Nähe“ zu Gefangenen unterstellt werde, aufgefordert wurden, ihr Amt nicht länger auszuüben bzw. zum Rücktritt gezwungen wurden und wie der Senat das bewerte, beantwortete in Vertretung des Justizsenators dessen parlamentarischer Staatssekretär wahrheitswidrig wie folgt:

„Nein, es trifft nicht zu. In einem Einzelfall hat ein Beiratsmitglied der Justizvollzugsanstalt Tegel, nach ausführlichen Klärungsversuchen in zahlreichen Gesprächen mit Beiratsmitgliedern und der Anstaltsleitung, um seine Entpflichtung gebeten. Der Grund waren unüberbrückbare Differenzen im Zusammenhang einer notwendigen Abgrenzung von Beiratsaufgaben und persönlichem Einsatz für einen einzelnen Inhaftierten. Diese Vorgehensweise, dass bei einer Unvereinbarkeit von Beiratsaufgaben und persönlichem Handeln der Versuch einer Klärung vorgenommen wird und ein Beiratsmitglied aufgrund einer fehlenden Möglichkeit zur Einigung um eine Entpflichtung bittet, entspricht einer einvernehmlichen und angemessenen Lösung.“
So wird Politik in Berlin beim Justizsenat gemacht.
Gerhard Melchert hat alles andere als um seine Entpflichtung gebeten.
Er ist, weil er einem der Haftanstalt nicht genehmen Gefangenen in existentiellen Belangen beistand, kurzerhand geschasst worden.
In Anbetracht dessen, dass Gerhard Melchert dem Justizsenat auch die Email der Vollzugsleiterin übergab, darf die Antwort des Senats an Dirk Behrendt schon als eine glatte Lüge und nicht mehr nur als die Unwahrheit bezeichnet werden.
Der Berliner Gesamtvollzugsbeirat schweigt sich bis heute aus und verteidigt sein neues Mitglied.
Den betreffenden Institutionen wurde vor Veröffentlichung dieses Artikels Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben. Davon machten sie keinen Gebrauch.

Foto/Bildquelle: TP Presseagentur Berlin

9 Antworten

  1. So wie schon helga engel oder ein evangelist aus der anstalt entfernt wurden, hat es wieder mal einen engagierten anstaltsbeirat erwischt. Jede person, die sich offensichtlich allzu sehr für gefangene einsetzt, wird erst gemobbt und dann rausgeekelt. Dem obermufti thomas heilmann fällt nichts anderes dazu ein, als sämtliches fehlverhalten durchzunicken. Während dessen in den gefängnisamtsstuben weiter nach dem anarchistischen motto weiter verfahren wird : LEGAL, ILLEGAL, SCHEISSEGAL!

    • Gegen Denunzianten ist man nicht gefeit, wie nun in dem Falle des Anstaltsbeirats in Tegel. Denunzianten werden in solchen Institutionen aber schon regelrecht gezüchtet. Anderenorts werden sie dann auch noch herzlich willkommen geheißen und ihnen offensichtlich dankbar auf die Schulter geklopft.
      Denunzianten gab es jedoch schon immer, die Mitmenschen ausgeliefert haben, wenn sie allzu menschlich waren. Im Moment scheint Deutschland wieder zu einem Denunziantenland zu verkommen. Da sind mir Whistleblower wie Edward Snowden allemal lieber als solche Katzbuckler wie nun der neue Anstalts- resp. Vollzugsbeirat.

    • Dass Abgeordnete belogen werden nach Strich und Faden oder dass die Wahrheit verdreht und verbogen wird, ist ja nun nichts Neues. Nur in seltenen Fällen gehen Abgeordnete oder deren Parteien dann auf die Barrikaden. Hier geht es aber „nur“ um einen geschassten Anstaltsbeirat, was in der Öffentlichkeit eher wenig Aufregung verursacht. Dass aber der Vollzugsbeirat hier offensichtlich zur Tagesordnung übergeht, sollte doch insofern zu denken geben, welche Funktion dieser Verein überhaupt ausübt und wem er dient.
      Kein Wunder, dass der Justizsenat sich dann solche Wahrheitsverdrehungen oder Lügen erlauben darf.

      • Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen und zu hören, wie schnell sich Gemobbte in Behörden in ihr „Schicksal“ ergeben, aber auch nicht verwunderlich, können sie sich auf ihre Kollegen in der Regel als Rückhalt nicht verlassen. Wie hier offensichtlich auch. Jedem ist das Hemd näher als die Hose. Vor allem in einem System, wo eben nach unten getreten und nach oben servilst gekatzbuckelt wird. So verhalten sie sich eben in Behörden. Und so haben solche Leutchen wie diese offensichtlich rigide Vollzugsleiterin total freie Hand. Die kriegt auch wieder Rückendeckung von oben, weil sie ebenfalls primitivst nach unten getreten hat. Und das bloß wegen der harmlosen Weitergabe einer Telefonnummer, die wohl allseits schon bekannt war.

        • Ich will mich kurz fassen, es ist alles gesagt: Ich stimme den Vorkommentaren ingesamt zu. Besser kann ich es auch nicht auf den Punkt bringen.

  2. wer so offensichtlich lügt und die wahrheit verbiegt, der weiß, dass er es ohne widerspruch tun kann. dit is berlin, da lacht der bär…

    • Ich bin durch Zufall auf diese Seite gestoßen und habe diesen Artikel gelesen. Das Thema Mobbing und Denunziation habe ich selbst in meinem Umfeld erlebt. Ich bin immer wieder empört darüber, was Menschen da alles so zustößt. Ich hoffe, dass diese Sache ein gutes Ende nimmt und die Verantwortlichen aufgrund dieses Artikels wenigstens moralisch dafür die Konsequenzen ziehen müssen.

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