Fixierung steht unter Richtervorbehalt.

Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung.

BVerfG-Urteil vom 24. Juli 2018.
2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16

Die Fixierung von Patienten stellt einen Eingriff in deren Grundrecht auf Freiheit der Person dar. Aus dem Freiheitsgrundrecht sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben sich strenge Anforderungen an die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs: Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss hinreichend bestimmt sein und den materiellen und verfahrensmäßigen Anforderungen genügen. Bei einer nicht nur kurzfristigen Fixierung handelt es sich um eine Freiheitsentziehung, für die Art. 104 Abs. 2 GG den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung vorsieht. Aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität ist die nicht nur kurzfristige Fixierung sämtlicher Gliedmaßen auch im Rahmen eines bereits bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses als eigenständige Freiheitsentziehung zu qualifizieren, die den Richtervorbehalt abermals auslöst, von einer richterlichen Unterbringungsanordnung also nicht gedeckt ist. Aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG folgt ein Regelungsauftrag an den Gesetzgeber, verfahrensrechtliche Bestimmungen für die richterliche Anordnung freiheitsentziehender Fixierungen zu treffen.

Mit dieser Begründung hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts auf zwei Verfassungsbeschwerden hin mit heute verkündetem Urteil die einschlägige Vorschrift des Landes Baden-Württemberg für verfassungswidrig erklärt und bestimmt, dass der baden-württembergische und der bayerische Gesetzgeber – der bislang keine spezielle Rechtsgrundlage für Fixierungen erlassen hat – verpflichtet sind, bis zum 30. Juni 2019 einen verfassungsgemäßen Zustand herbeizuführen.

Sachverhalt:

  1. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 502/16 betrifft die auf ärztliche Anordnung vorgenommene, acht Stunden dauernde 7-Punkt-Fixierung des Beschwerdeführers – das heißt die Fesselung an ein Krankenbett an beiden Armen, beiden Beinen sowie um Bauch, Brust und Stirn – während eines insgesamt gut zwölfstündigen Psychiatrieaufenthalts. Das Bayerische Unterbringungsgesetz (BayUnterbrG), welches Rechtsgrundlage für die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers war, sieht keine spezielle Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung von Fixierungen vor. Der Beschwerdeführer nahm den Freistaat Bayern erfolglos auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für die aufgrund der Fixierung erlittenen Verletzungen in Anspruch. Seine Verfassungsbeschwerde ist gegen die in dem Amtshaftungsverfahren ergangenen Entscheidungen gerichtet.
  2. Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 309/15 betrifft die 5-Punkt-Fixierung – das heißt die Fesselung aller Extremitäten und um den Bauch an ein Krankenbett – eines in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung Untergebrachten, die über mehrere Tage wiederholt ärztlich angeordnet worden war. Der Beschwerdeführer, der Verfahrenspfleger des Untergebrachten, wendet sich mit seiner zulässigerweise in eigenem Namen erhobenen Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen den die Fixierung anordnenden amtsgerichtlichen Beschluss sowie mittelbar gegen § 25 Abs. 3 des baden-württembergischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG BW), auf dessen Grundlage der Beschluss erging.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

  1. Die Fixierung eines Patienten stellt einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG) dar.
  2. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als „unverletzlich“. Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen. Ob ein Eingriff in die persönliche (körperliche) Freiheit vorliegt, hängt lediglich vom tatsächlichen, natürlichen Willen des Betroffenen ab. Fehlende Einsichtsfähigkeit lässt den Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht entfallen; er ist auch dem psychisch Kranken und nicht voll Geschäftsfähigen garantiert. Gerade psychisch Kranke empfinden eine Freiheitsbeschränkung, deren Notwendigkeit ihnen nicht nähergebracht werden kann, häufig als besonders bedrohlich.
  3. a) Der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG umfasst sowohl freiheitsbeschränkende als auch freiheitsentziehende Maßnahmen, die das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität des Eingriffs voneinander abgrenzt. Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich wäre. Die Freiheitsentziehung als schwerste Form der Freiheitsbeschränkung liegt dann vor, wenn die – tatsächlich und rechtlich an sich gegebene – Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben wird. Sie setzt eine besondere Eingriffsintensität und eine nicht nur kurzfristige Dauer der Maßnahme voraus.
  4. b) Jedenfalls eine 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung, bei der sämtliche Gliedmaßen des Betroffenen mit Gurten am Bett festgebunden werden, stellt eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG dar, es sei denn, es handelt sich um eine lediglich kurzfristige Maßnahme. Von einer solchen ist in der Regel auszugehen, wenn sie absehbar die Dauer von ungefähr einer halben Stunde unterschreitet. Die vollständige Aufhebung der Bewegungsfreiheit durch die 5-Punkt- oder die 7-Punkt-Fixierung am Bett nimmt dem Betroffenen die ihm bei der Unterbringung auf einer geschlossenen psychiatrischen Station noch verbliebene Freiheit, sich innerhalb dieser Station – oder zumindest innerhalb des Krankenzimmers – zu bewegen. Diese Form der Fixierung ist darauf angelegt, den Betroffenen auf seinem Krankenbett vollständig bewegungsunfähig zu halten.
  5. Aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität ist die nicht nur kurzfristige Fixierung sämtlicher Gliedmaßen auch im Rahmen eines bereits bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses als eigenständige Freiheitsentziehung zu qualifizieren, die den Richtervorbehalt des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG abermals auslöst. Zwar sind im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung von der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung grundsätzlich auch etwaige Disziplinarmaßnahmen wie etwa der Arrest oder besondere Sicherungsmaßnahmen wie der Einschluss in einem enger begrenzten Teil der Unterbringungseinrichtung erfasst, durch die sich lediglich – verschärfend – die Art und Weise des Vollzugs der einmal verhängten Freiheitsentziehung ändert.

Sowohl eine 5-Punkt- als auch eine 7-Punkt-Fixierung weisen jedoch im Verhältnis zu diesen Maßnahmen eine Eingriffsqualität auf, die von der richterlichen Unterbringungsanordnung nicht gedeckt ist und eine Einordnung als eigenständige Freiheitsentziehung rechtfertigt. Die Fortbewegungsfreiheit des Betroffenen wird bei dieser Form der Fixierung nach jeder Richtung hin vollständig aufgehoben und damit über das bereits mit der Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung verbundene Maß hinaus beschnitten.

Die besondere Intensität des Eingriffs folgt bei der 5-Punkt- und der 7-Punkt-Fixierung zudem daraus, dass ein gezielt vorgenommener Eingriff in die Bewegungsfreiheit als umso bedrohlicher erlebt wird, je mehr der Betroffene sich dem Geschehen hilflos und ohnmächtig ausgeliefert sieht. Hinzu kommt, dass der Eingriff in der Unterbringung häufig Menschen treffen wird, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung die Nichtbeachtung ihres Willens besonders intensiv empfinden. Des Weiteren sind Betroffene für die Befriedigung natürlicher Bedürfnisse völlig von der rechtzeitigen Hilfe durch das Pflegepersonal abhängig. Im Verhältnis zu anderen Zwangsmaßnahmen wird die Fixierung von den Betroffenen daher regelmäßig als besonders belastend wahrgenommen. Darüber hinaus besteht auch bei sachgemäßer Durchführung einer Fixierung die Gefahr, dass der Betroffene durch die längerdauernde Immobilisation Gesundheitsschäden wie eine Venenthrombose oder eine Lungenembolie erleidet.

  1. Auch schwerwiegende Grundrechtseingriffe wie Fixierungen kann der Gesetzgeber prinzipiell zulassen. Aus dem Freiheitsgrundrecht sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben sich jedoch strenge Anforderungen an die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs: Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss hinreichend bestimmt sein und als materielle Voraussetzung vorsehen, dass eine Fixierung nur als letztes Mittel angewandt werden darf, wenn mildere Mittel nicht (mehr) in Betracht kommen. Zudem muss die gesetzliche Grundlage auch Verfahrensanforderungen zum Schutz der Grundrechte der untergebrachten Person vorsehen, die auf verfahrensmäßige Sicherungen ihres Freiheitsrechts in besonderer Weise angewiesen ist. Hierzu zählen die Anordnung und Überwachung der Fixierungsmaßnahme durch einen Arzt – in Fällen der 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierung grundsätzlich begleitet von einer Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal -, die Dokumentation der maßgeblichen Gründe hierfür, ihrer Durchsetzung, Dauer sowie der Art der Überwachung. Hinzu kommt die Verpflichtung, die Betroffenen nach Beendigung der Maßnahme auf die Möglichkeit hinzuweisen, die Zulässigkeit der durchgeführten Fixierung gerichtlich überprüfen zu lassen. Die durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention gefolgerten Anforderungen gehen über die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG entwickelten Maßgaben nicht hinaus. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention steht dem Ergebnis nicht entgegen.

III. 1. Art. 104 Abs. 2 GG fügt für die Freiheitsentziehung dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes, dem das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Freiheit in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG unterworfen ist, den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht. Aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG ergibt sich ein Regelungsauftrag, der den Gesetzgeber verpflichtet, den Richtervorbehalt verfahrensrechtlich auszugestalten. Die Effektivität des durch den Richtervorbehalt vermittelten Grundrechtsschutzes hängt maßgeblich von den Verfahrensregelungen in dem jeweiligen Sachbereich ab. Um den Besonderheiten der unterschiedlichen Anwendungszusammenhänge gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber ein Verfahren zu regeln, das auf die jeweils zur Entscheidung stehende Freiheitsentziehung abgestimmt ist, und sicherzustellen, dass dem Betroffenen vor der Freiheitsentziehung alle diejenigen rechtsstaatlichen Sicherungen gewährt werden, die mit einem justizförmigen Verfahren verbunden sind. Auch wenn Art. 104 Abs. 2 GG unmittelbar geltendes und anzuwendendes Recht ist, wird der Regelungsauftrag aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG nicht obsolet. Nimmt der Gesetzgeber diesen Auftrag nicht wahr, so führt dies zur Verfassungswidrigkeit der zu der Freiheitsentziehung ermächtigenden Norm.

  1. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Er zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab. Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters – jedenfalls zur Tageszeit – zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen.
  2. Die Freiheitsentziehung erfordert grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung ist nur dann zulässig, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Maßnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Dies wird bei der Anordnung einer 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung zur Abwehr einer von dem Betroffenen ausgehenden akuten Selbst- oder Fremdgefährdung allerdings regelmäßig der Fall sein.
  3. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert in einem solchen Fall, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Das Tatbestandsmerkmal „unverzüglich“ ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss. Sachliche Gründe, die eine Verzögerung der richterlichen Entscheidung rechtfertigen, können sich etwa aus der Notwendigkeit verfahrensrechtlicher Vorkehrungen ergeben, die dem Schutz des Betroffenen dienen und für 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierungen in der Unterbringung entsprechend gelten (zum Beispiel die persönliche Anhörung des Betroffenen und die Beteiligung des Verfahrenspflegers). Wird zur Nachtzeit von einem Arzt zulässigerweise eine Fixierung ohne vorherige richterliche Entscheidung angeordnet, wird deshalb eine unverzügliche nachträgliche richterliche Entscheidung im Regelfall erst am nächsten Morgen ergehen können. Um den Schutz des Betroffenen sicherzustellen, bedarf es in diesem Zusammenhang eines täglichen richterlichen Bereitschaftsdienstes, der – in Orientierung an § 758a Abs. 4 Satz 2 ZPO – den Zeitraum von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr abdeckt.
  4. Nach diesen Maßstäben sind die Verfassungsbeschwerden begründet. Die gerichtlichen Entscheidungen verletzen den Betroffenen zu I. beziehungsweise den Beschwerdeführer zu II. jeweils in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG.
  5. § 25 PsychKHG BW genügt zwar weitgehend den Anforderungen von Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Insbesondere regelt die Vorschrift die Einschränkung der persönlichen Freiheit aus einem wichtigen Grund, namentlich zum Schutz der Sicherheit in der anerkannten Einrichtung und des Betroffenen vor einer erheblichen Selbstgefährdung und bedeutender Rechtsgüter Dritter, begründet mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr eine hohe Eingriffsschwelle und sieht verfahrensrechtliche Regelungen vor, die den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht werden.

Allerdings enthält die Vorschrift keine Regelung dahingehend, dass der Betroffene nach Beendigung einer Fixierung oder funktionsäquivalenten Maßnahme auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit hinzuweisen ist. Außerdem ist der Gesetzgeber dem sich aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG ergebenden Regelungsauftrag nicht nachgekommen, soweit auch für eine 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung nur eine ärztliche Anordnung, aber keine richterliche Entscheidung vorgesehen ist. Für die an dem Betroffenen zu I. vorgenommene 5-Punkt-Fixierung fehlt es an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage.

Daher verletzt der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts Ludwigsburg den Betroffenen zu I. in seinem Freiheitsgrundrecht. Es ist zunächst Sache der Fachgerichte, die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen, gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren und bei negativem Ausgang der Prüfung die Sache im Verfahren der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann von den Fachgerichten überdies von Amts wegen – unabhängig von einer entsprechenden Rüge des jeweiligen Klägers – zu prüfen sein. Das Amtsgericht hat in der angegriffenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass der baden-württembergische Gesetzgeber die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen den Ärzten der anerkannten Einrichtung übertragen, jedoch keinen Richtervorbehalt normiert habe und die Fixierung daher nur daraufhin überprüft werden könne, ob die Ärzte den § 25 PsychKHG BW beachtet hätten. Damit hat das Amtsgericht lediglich die ärztliche Anordnung auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft, ohne die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage in Frage zu stellen.

  1. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts München im Amtshaftungsverfahren verletzt den Beschwerdeführer zu II. in seinem Freiheitsgrundrecht. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts stellt Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 BayUnterbrG keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Fixierung des Beschwerdeführers zu II. dar. Die Vorschriften genügen weder den Bestimmtheitsanforderungen von Art. 104 Abs. 1 GG, weil sie keine konkret auf die Anordnung von Fixierungen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung bezogene Regelung enthalten, noch verlangen sie eine richterliche Anordnung für die Freiheitsentziehung durch die erfolgte 7-Punkt-Fixierung.
  2. Die teilweise Verfassungswidrigkeit des § 25 PsychKHG BW in Bezug auf Fixierungen führt nicht zu dessen Teilnichtigkeit. Die sofortige Ungültigkeit der Norm würde hier dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit des Betroffenen selbst und bedeutender Rechtsgüter Dritter vor erheblichen Gefahren die Grundlage entziehen, da Fixierungen unter keinen Umständen mehr zulässig wären, ohne dass dem Gesetzgeber oder der Praxis Gelegenheit gegeben würde, sich auf die neue Lage einzustellen und gleichwertige Handlungsalternativen zu schaffen. Hierdurch käme es zu einer Schutzlücke, weil grundrechtliche Belange sowohl der untergebrachten Person als auch des Klinikpersonals und der Mitpatienten jedenfalls gefährdet würden. Die Abwägung der verfassungsrechtlichen Mängel der Vorschrift mit den betroffenen Grundrechten führt dazu, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen ist, denn die Defizite des § 25 PsychKHG BW betreffen die an eine materiell grundsätzlich zulässige Maßnahme zu stellenden Verfahrensanforderungen, wohingegen im Fall der Teilnichtigkeit der Norm der materielle Schutz von Grundrechten des Betroffenen und Dritter selbst auf dem Spiel stünde.
  3. 1. In Baden-Württemberg ist der jedenfalls für 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierungen geltende Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 GG während eines Übergangszeitraums bis zum 30. Juni 2019 unmittelbar anzuwenden. Das Verfahren kann in dieser Zeit den §§ 312 ff. FamFG und §§ 70 ff. FamFG entsprechend durchgeführt werden. Zudem folgt in der Übergangszeit unmittelbar aus dem Freiheitsgrundrecht die Pflicht der behandelnden Ärzte, den Betroffenen nach Erledigung der Fixierungsmaßnahme auf die Möglichkeit hinzuweisen, eine richterliche Entscheidung zu beantragen.
  4. Dass es im Freistaat Bayern derzeit insgesamt an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für die Anordnung von Fixierungen im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung fehlt, führt für eine Übergangszeit bis zum 30. Juni 2019 ebenfalls nicht zur Unzulässigkeit einer solchen Maßnahme.
  5. a) Das Bundesverfassungsgericht kann einen verfassungswidrigen Rechtszustand vorübergehend hinnehmen, um eine Lage zu vermeiden, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch ferner stünde als der bisherige Zustand. Solange der bayerische Gesetzgeber keine Entscheidung darüber getroffen hat, in welcher Weise er einen verfassungsgemäßen Zustand herstellen und ob er an der Fixierung als besonderer Sicherungsmaßnahme festhalten will, würde auch im Freistaat Bayern eine Schutzlücke entstehen. Bei der erforderlichen Abwägung des festgestellten verfassungsrechtlichen Mangels mit den Konsequenzen eines sofortigen Verbots der Fixierung überwiegt, wie auch im Fall Baden-Württembergs, das Interesse an einer vorübergehenden Zulässigkeit der Fixierung zum Schutz der Rechtsgüter aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Anordnung von Fixierungen muss daher auch im Freistaat Bayern vorübergehend ohne die an sich erforderliche gesetzliche Grundlage hingenommen werden.
  6. b) Dies bedeutet allerdings nicht, dass Fixierungen untergebrachter Personen im Freistaat Bayern in der Übergangszeit beliebig zulässig wären. Vielmehr ist angesichts des hohen Werts des Freiheitsgrundrechts bei jeder Fixierung zu prüfen, ob und wie lange diese unerlässlich ist, um eine gegenwärtige erhebliche Selbstgefährdung oder eine gegenwärtige erhebliche Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer abzuwenden. Zudem gilt jedenfalls für die 5-Punkt- und die 7-Punkt-Fixierung der Richtervorbehalt aus Art. 104 Abs. 2 GG unmittelbar. Auch ist der Betroffene nach Beendigung der Maßnahme auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung hinzuweisen.

Quelle: BVerfG- Pressemitteilung Nr. 62/2018 vom 24. Juli 2018

Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann: „Das Gericht bestätigt die bereits geltende Regelung in Niedersachsen, dass jede Fixierung richterlich genehmigt werden muss!“
Niedersachsens Sozial- und Gesundheitsministerin Carola Reimann begrüßt die soeben getroffene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach für die Fixierung von Patientinnen und Patienten in psychiatrischen Einrichtungen eine richterliche Entscheidung notwendig ist. „Das Urteil bestätigt die bestehende Regelung in Niedersachsen. Es ist wichtig, dass das Bundesverfassungsgericht dies nun für alle Bundesländer klargestellt hat“, so Dr. Carola Reimann.

Das Niedersächsische Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (NPsychKG) mit dem neu eingeführten § 21 c ist seit 29.09.2017 in Kraft. Danach hat in Niedersachsen bereits jetzt stets ein Gericht zu entscheiden, ob die Fixierung einer Patientin oder eines Patienten zulässig ist. In seiner Anhörung am 30. und 31. Januar 2018 in dem Verfahren „Fixierung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung“ hatte das Bundesverfassungsgericht die Niedersächsische Regelung als Vergleich herangezogen.

Bei einer Fixierung wird die Bewegungsfreiheit der Patientinnen und Patienten durch mechanische Vorrichtungen (mechanische Fixierung), durch Medikamente (medikamentöse Fixierung) oder durch eine Kombination beider Maßnahmen beschränkt. Voraussetzung dafür ist, dass eine erhebliche Gefahr besteht für das Leben oder die Gesundheit der untergebrachten Person oder Dritter, wie Besucher oder Beschäftigte. Außerdem muss das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden: Die Gefährdung lässt sich nicht durch weniger eingreifende Maßnahmen abwenden, zum Beispiel indem die Patientin oder der Patient in einem besonders gesicherten Raum untergebracht wird.

„Die fixierten Patientinnen und Patienten werden aber nicht alleine gelassen“, betont Ministerin Reimann. Sie müssen immer eine examinierte Pflegekraft zur persönlichen Betreuung an ihrer Seite haben. Denn es geht nicht nur um Beobachtung und Überwachung, sondern vor allem auch um Begleitung und Beziehungsaufbau.“

Anordnen darf eine Fixierung nach dem NPsychKG nur die ärztliche Leitung der Unterbringungseinrichtung. Sie muss unverzüglich das zuständige Gericht einschalten, das dann über die Zulässigkeit der Fixierung entscheidet.

Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war eine Beschwerde zweier Betroffener aus Bayern und Baden-Württemberg vorausgegangen. Sie waren – einer stark betrunken, der andere aggressiv – über mehrere Stunden mit Gurten ans Bett gefesselt worden und sahen sich deshalb in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Person verletzt.

Stärkung der Patientenrechte bei Fixierungen überfällig.

„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weist einen guten Weg, Willkürentscheidungen in der Psychiatrie einzudämmen“, erklärte Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu Fixierungen in der Psychiatrie.

Weinberg weiter:

„Der heute bestehende Flickenteppich an Länderregelungen ist ein unhaltbarer Zustand. Fixierungen in der Psychiatrie sind die wohl schwersten Grundrechtseingriffe, die vom Staat erlaubt werden. Es muss alles unternommen werden, ihre Anzahl und ihre Schwere zu minimieren. Auch dass wir noch immer nicht wissen, wie häufig Zwangsmaßnahmen wie Fixierungen oder Zwangsmedikationen durchgeführt werden, ist ein Armutszeugnis. So darf man mit solch existentiellen Grundrechtseingriffen nicht umgehen.

Die Länder sind nun aufgefordert, verfassungskonforme Regelungen zu erlassen. Sie sollten die Gelegenheit nutzen, über die Anforderungen des Verfassungsgerichts hinaus Schritte hin zu einer humanen Psychiatrie zu unternehmen und Zwangsmaßnahmen zu reduzieren. Künftig müssen sie wenigstens auf einer klaren und verfassungskonformen Vorschrift basieren, richterlich angeordnet werden und nachträglich überprüfbar sein.“

 

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