Die digitale und die analoge Welt.

Ein Gespräch mit dem SPD-Mitglied Prof. Axel Venn über digitale und analoge Welt.

TP: Sie haben im Willy-Brandt-Haus von Bedenken gegenüber der digitalen Welt gesprochen. Könnten Sie das bitte noch einmal näher erläutern?

Venn: Ich habe erwähnt, dass ich keine Angst vor der digitalen Zukunft habe, aber große Angst vor dem Verlust der analogen Welt.

TP: Warum?

Venn: Aus dem einfachen Grunde: Ich sehe, dass Menschen keine Bücher mehr lesen – Zeitungen übrigens auch nicht. Es gibt viele junge Leute, die mit zwanzig, einundzwanzig Abitur gemacht haben und nicht mehr regelmäßig Zeitung lesen. Was mir unverständlich ist. Ich glaube, das Digitale setzt sich so ungeheuer fest in uns, weil es auch so bequem ist. Man muss kein Buch schleppen: Bücher sind schwer, ein 1000-Seiten-Buch wiegt 3 Kilogramm, das merken die Menschen, das ist lästig; eine Bibliothek ist auch lästig geworden. Stattdessen bevorzugen jene einen vier Quadratmeter großen Bildschirm.

Aber mir ist wichtig: dass wir wieder mit der Hand schreiben lernen. Dieser Duktus des Tuns ist so wesentlich, weil er eine direkte Verbindung vom Kopf in die Hand hineingibt. Es werden damit viele Empfindungen mitberührt. Es passiert, wenn ich schreibe, auch eine Choreographie der Bewegung, des Prononziamentos, dass Schreiben eben nicht nur eine Form geschriebener Sprache ist, sondern es passiert in der Tat etwas Gestisches dabei. Warum mir auch das Digitale sehr viel Angst macht: weil wir, wenn wir etwas tun oder wenn uns eine Idee kommt oder wir einen Raum betreten, immer erleben wir zuerst Empfindungen – bzw. Reize – 1,4 Billionen Rezeptorendes Haptischen besitzen wir, dagegen 240 Millionen Rezeptoren des Sehens. Rezeptoren sind die ältesten Boten, die wir haben, jene die uns als Erstes unsere Umgebung erläutern: wenn es windig ist, wenn es kalt ist, wenn es zieht, wenn ich etwas anfasse oder uns etwas begegnet, das glatt oder rau ist. Das ist unsere archaische, analoge Welt. Die kann man nicht auf einem Bildschirm konsumieren, die müssen wir selbst empfangen, mit ihr zurechtkommen und die uns das vermittelt, was wir als logikfreie Teilnahme bezeichnen. Z.B.: Bleiben oder Fliehen.

TP: Was uns Angst vor der digitalen Welt macht, sind die täglichen bis zu 1000 SPAM-Mails, die die Arbeit Stunden lang lahmlegen.

Venn: Genau. So ist das. Das ist etwas Schreckliches. Gottseidank kümmert sich darum meine Frau. Sie hält mir das alles fern. Sie entfernt alle Spams, ich habe sie kaum auf dem Bildschirm wahrgenommen.

TP: Für den Einzelnen ist es kostengünstiger vor dem Bildschirm zu sitzen als sich Bücher zu kaufen.

Venn: Das ist wohl war. Bücher waren immer teuer, aber wenn ich sehe, wie viel so ein alleskönnendes Telefon kostet, das sich auch die Jüngsten und junge Leute kaufen, diese Dinger kosten 1000 Euro und mehr. Dafür kann man sich zwei, drei Jahre lang mit Büchern versorgen.

TP: Das Telefonieren ist dagegen bedeutend kostengünstiger geworden als vor 15, 20 Jahren, als noch keine Konkurrenz da war.

Venn: Aber die Telefone selbst nicht.

TP: Die PC’s sind dagegen auch bedeutend kostengünstiger geworden, bei den Druckerpatronen wird jedoch kräftig zugeschlagen.

Venn: Das ist auch richtig. Was mir eben noch einfiel: es ist ja nicht so, wie uns immer vorgemacht wird, dass die digitale Welt Ressourcen schont. Den Papierverbrauch sicherlich nicht, und sicherlich auch nicht die Energieressourcen, die wir ja bereitstellen müssen, die in diese digitale Welt fließen, sind exorbitant hoch.

Wenn ich die Kryptowährungen betrachte, was diese herzustellen kostet, macht die digitale Welt nicht umweltfreundlicher und obendrein ist sie menschenfeindlich, infantil, gedächtnislos und macht sprachdumm.

Tp/dj

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

„Solidarität im digitalen Kapitalismus“ – Impulsveranstaltung im Willy-Brandt-Haus in Berlin.

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