EuGH: Der deutsche Rundfunkbeitrag ist mit dem Unionsrecht vereinbar.

In Deutschland wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk hauptsächlich durch den Rundfunkbeitrag finanziert, den u.a. jeder Erwachsene zahlen muss, der Inhaber einer Wohnung im Inland ist.

Dieser Rundfunkbeitrag ersetzte vom 1. Januar 2013 an die alte Rundfunkgebühr, die für den Besitz eines Rundfunkempfangsgeräts zu entrichten war.

Was die Einziehung des Rundfunkbeitrags angeht, verfügen die öffentlich-rechtlichen Sender über vom allgemeinen Recht abweichende Befugnisse, die es ihnen erlauben, die Zwangsvollstreckung von rückständigen Forderungen selbst zu betreiben.

In den Jahren 2015 und 2016 erstellte die Landesrundfunkanstalt Südwestrundfunk (SWR)1 gegen Herrn Rittinger und andere Rundfunkbeitragsschuldner Vollstreckungstitel zur Beitreibung nicht gezahlter Beträge.

Da die Zahlungen weiterhin ausblieben, leitete der SWR gestützt auf diese Titel die Zwangsbeitreibung seiner Forderungen ein.

Herr Rittinger und die übrigen Schuldner legten vor den deutschen Gerichten gegen die sie betreffenden Vollstreckungsmaßnahmen Rechtsmittel ein.

Das in zweiter Instanz mit diesen Verfahren befasste Landgericht Tübingen war der Auffassung, der Rundfunkbeitrag und die hoheitlichen Vorrechte der öffentlich-rechtlichen Sender bei der Beitreibung verstießen gegen das Unionsrecht, insbesondere das Recht der staatlichen Beihilfen, und hat dem Gerichtshof mehrere Fragen vorgelegt.

Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof erstens fest, dass die Ersetzung der Rundfunkgebühr (die für den Besitz eines Rundfunkempfangsgeräts zu entrichten war) durch den Rundfunkbeitrag (der insbesondere für das Innehaben einer Wohnung oder einer Betriebsstätte zu entrichten ist) keine erhebliche Änderung der Finanzierungsregelung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland darstellt.

Es war daher nicht erforderlich, die Kommission von dieser Änderung als Änderung einer bestehenden Beihilfe zu unterrichten (die Kommission hatte im Jahr 2007 befunden, dass die Rundfunkgebühr als bestehende Beihilfe einzustufen sei2).

Der Gerichtshof verweist hierzu u.a. darauf, dass die Ersetzung der Rundfunkgebühr durch den Rundfunkbeitrag im Wesentlichen darauf abzielt, die Voraussetzungen für die Erhebung des Rundfunkbeitrags vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung in Bezug auf den Empfang der Programme der öffentlich-rechtlichen Sender zu vereinfachen.

Außerdem hat diese Änderung zu keiner wesentlichen Erhöhung der Vergütung geführt, die die öffentlich-rechtlichen Sender erhalten, um die Kosten zu decken, die mit der Erfüllung ihres öffentlichen Auftrags verbunden sind.1

Auf der Grundlage des Baden-Württembergischen Gesetzes zur Geltung des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags vom 18. Oktober 2011, zuletzt geändert durch Art. 4 des Neunzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrags vom 3. Dezember 2015.2 Entscheidung der Kommission vom 24. April 2007 (K [2007] 1761 endg. Staatliche Beihilfe E 3/2005 [ex CP 2/2003, CP 232/2002, CP 43/2003, CP 243/2004 und CP 195/2004] – Die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland).

www.curia.europa.eu

Der Gerichtshof stellt zweitens fest, dass es die Rechtsvorschriften der Union über staatliche Beihilfen nicht verbieten, dass öffentlich-rechtlichen Sendern vom allgemeinen Recht abweichende Befugnisse eingeräumt werden, die es ihnen erlauben, die Zwangsvollstreckung von Forderungen aus rückständigen Rundfunkbeiträgen selbst zu  betreiben.

Der Gerichtshof  führt insoweit aus, dass die fraglichen Vorrechte von der Kommission bei ihrer Prüfung der Finanzierungsregelung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Jahr 2007 berücksichtigt wurden und seither unverändert geblieben sind.

Außerdem sind derartige Vorrechte als ein dem öffentlichen Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender inhärenter Aspekt anzusehen.

Die übrigen Fragen des Landgerichts Tübingen zur Vereinbarkeit der Finanzierungsregelung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland mit dem Unionsrecht erachtet der Gerichtshof für unzulässig.

HINWEIS:

Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Erklärungen zum Urteil des EuGH‘s aus dem Bundestag.

Weg frei für wichtige Reformen. Grüne begrüßen das Urteil des EuGH’s.

Zum heutigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Rechtmäßigkeit des deutschen Rundfunkbeitrags erklärt Tabea Rößner, Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag:

„Wir begrüßen das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Die Richter bestätigten, dass die Umstellung auf das System des Rundfunkbeitrags im Wesentlichen darauf abzielte, den „technologischen Entwicklungen“ hinsichtlich des Empfangs der öffentlich-rechtlichen Programme zu vereinfachen. Das ist richtig: Das Konzept zum Rundfunkbeitrag war eine überfällige und zeitgemäße Antwort auf die rasante Entwicklung unserer heutigen Empfangsmöglichkeiten durch Smartphones, Tablets und PCs und hat die jahrelange lästige Schnüffelei in Wohnungen abgelöst. Zudem dürfen die Sender laut EuGH säumige Zahlungen auch selbst eintreiben. Damit steht fest: Der Rundfunkbeitrag ist verfassungsgemäß und europarechtskonform.

Es ist gut, dass nun endlich Rechtssicherheit herrscht. Bevor nun aber über Indexierungsmodelle nachgedacht wird, sollte man sich der drängenden Frage widmen, wie das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem reformiert werden sollte. Dazu gehört zuvorderst die Frage, wie der öffentlich-rechtliche Auftrag in unserer heutigen Online-Welt überhaupt aussieht – und wie er erfüllt werden kann. Die Reformen dafür werden stattdessen seit Jahren verschleppt und halten sich mit politischen Nebenkämpfen auf.

Wir sollten die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerade in diesen unübersichtlichen und schwierigen Zeiten, angesichts von Desinformation und Postfaktizismus, dabei besonders vor Augen haben. Denn von der unabhängigen Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Rundfunksender profitiert unsere Gesellschaft als Ganzes und macht eine freie und unbeeinflusste Informationsbildung der Bürgerinnen und Bürger erst möglich.“

Europa bestätigt den deutschen Rundfunkbeitrag.

Nach dem heutigen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist der deutsche Rundfunkbeitrag mit dem Unionsrecht vereinbar. Das Urteil stützt den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der zu einer funktionierenden Demokratie beiträgt.

Dazu erklärt Martin Rabanus, kultur- und medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion:

„Das Urteil des EuGH ist eine Unterstützung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, denn es stellt klar, dass der Rundfunkbeitrag mit dem EU-Recht vereinbar ist. Die Reform 2013 hatte die bisherige gerätebezogene Abgabe zum Beispiel für Fernseher, Radios oder Computer durch einen pauschalen Beitrag je Wohnung oder Betriebsstätte ersetzt. Der Gerichtshof bestätigt nun diese Reform, die aufgrund der technologischen Entwicklung eine Vereinfachung gebracht habe.

In Zeiten von Falsch-Nachrichten und Populismus ist es umso wichtiger, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch die Erfüllung seines Auftrages zu einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen beiträgt. Demokratie lebt vom öffentlichen Diskurs, der zu einem großen Teil über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk übertragen wird. Er stellt Meinungsfreiheit und -vielfalt sicher und bietet ein Programm für alle an. Das kostet natürlich Geld, denn es geht darum, inhaltliche Vielfalt und unabhängige Qualität zu bieten, wie sie so über den freien Markt nicht allein gewährleistet werden kann. Die Länder prägen dabei die Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entscheidend und wollen ihn im aktuellen Reformprozess an gegenwärtige Herausforderungen anpassen und zukunftsfest gestalten.

Insgesamt werden wir für eine lebendige Demokratie weiterhin unser duales Mediensystem mit dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk stärken.“

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