OLG Frankfurt am Main hebt Urteil wegen Werbung für Schwangerschaftsabbruch im Fall der Gießener Ärztin Hänel auf.

Zugunsten der Angeklagten sei der – nach Erlass des Berufungsurteils  seit dem 29.3.2019 geänderte § 219a StGB anzuwenden. Auf der Grundlage der landgerichtliche Feststellungen lasse sich nicht ausschließen, dass das neue Recht zu einer für die Angeklagte günstigeren Bewertung führt. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat deshalb mit heute veröffentlichtem Beschluss das Verfahren zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Gießen zurückverwiesen.

Das OLG im Einzelnen:

„Die Angeklagte betreibt in Gießen eine Arztpraxis. Sie führt dort Schwangerschaftsabbrüche durch. Über ihre Tätigkeit informiert sie auf ihrer Homepage. Im November 2017 ist sie vom Amtsgericht Gießen wegen Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (§ 219a StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Das Landgericht Gießen verwarf ihre Berufung gegen dieses Urteil (Urteil vom 12.10.2018). 

Das Verfahren hatte in Medien und Politik große Aufmerksamkeit hervorgerufen. Durch das „Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch vom 22.3.2019“ (BGBl I 350) wurde § 219a StGB ein weiterer Absatz (§ 219 a Abs. 4 StGB) angefügt. Er soll für Ärzte, Krankenhäuser und andere Einrichtungen Klarheit und Rechtssicherheit darüber schaffen, unter welchen Voraussetzungen sie straflos öffentlich über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen informieren können (BTDrs 19/7693). 

Die Angeklagte hatte gegen das Urteil des Landgerichts Gießen Revision zum OLG eingelegt. Die Revision führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das Landgericht. „Das Urteil hat aufgrund der nach Erlass des landgerichtlichen Urteils ein getretenen Gesetzesänderung keinen Bestand“, begründete das OLG die Entscheidung. Da das Revisionsgericht gemäß § 354a StPO bei der Überprüfung des landgerichtlichen Urteils einerseits die neue Gesetzeslage zu berücksichtigen hatte (§ 2 Abs. 3 StGB), andererseits aber an die Feststellungen des Landgerichts gebunden ist, musste das Urteil aufgehoben werden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die ergeben, dass die Informationen, die die Angeklagte im Internet über die in ihrer Praxis durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche veröffentlicht hatte, bei Anwendung des neuen Rechts gemäß § 219a Abs. 4 StGB straflos wären. 

Die Sache muss daher vor dem Landgericht Gießen nochmals neu verhandelt werden.“

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 27.6.2019, Az. 1 Ss 15/19 (vorausgehend Landgericht Gießen, Urteil vom 12.10.2018, Az. 3 Ns – 406 Js 150131/15)

Erläuterungen: 

§ 219a StGB in der seit dem 29.3.2019 geltenden Fassung lautet:

§ 219a StGB Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft

(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise 

1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines  Schwangerschaftsabbruchs oder

 2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft  geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung

anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Absatz 1 Nr. 1 gilt nicht, wenn Ärzte oder auf Grund Gesetzes anerkannte Beratungsstellen darüber unterrichtet werden, welche Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 vorzunehmen.

(3) Absatz 1 Nr. 2 gilt nicht, wenn die Tat gegenüber Ärzten oder Personen, die zum Handel mit den in Absatz 1 Nr. 2 erwähnten Mitteln oder Gegenständen befugt sind, oder durch eine Veröffentlichung in ärztlichen oder pharmazeutischen Fachblättern begangen wird.

(4) Absatz 1 gilt nicht, wenn Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen 

1. auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 vornehmen, oder

2. auf Informationen einer insoweit zuständigen Bundes oder Landesbehörde, einer Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz oder einer Ärztekammer über einen Schwangerschaftsabbruch hinweisen.

§ 2 StGB Zeitliche Geltung

(1)Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2)Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3)Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

Aufhebung des Urteils gegen Hänel ist längst kein Freispruch.

Zur Aufhebung der Verurteilung der Ärztin Hänel erklärt der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Stephan Thomae:

„Die Aufhebung des Urteils gegen die Ärztin Hänel durch das Oberlandesgericht Frankfurt bedeutet noch längst keinen Freispruch. Ob die neue Rechtslage des Paragrafen 219a StGB tatsächlich zu einer günstigeren Bewertung führt, ist zweifelhaft. Die Verurteilung der Berliner Frauenärztinnen hat gezeigt, dass Ärzten, die sachlich informieren, nach wie vor eine strafrechtliche Verfolgung droht. Es ist absurd, dass sachliche Informationen von Ärzten strafbares Unrecht darstellen, dieselben Informationen von Beratungsstellen hingegen staatlicher Auftrag sind. Ärzte dürfen nicht auf diese Weise kriminalisiert werden. Der Paragraf 219a muss dringend ganz abgeschafft werden.“

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