Anklage gegen Verantwortliche aus dem Klinikum Oldenburg – Schwurgerichtskammer gibt vorläufige rechtliche Einschätzung ab.

Mit der Anklageschrift aus September 2019 wirft die Staatsanwaltschaft Oldenburg im Zusammenhang mit der Mordserie des ehemaligen Krankenpflegers Niels H. fünf – teilweise ehemaligen – Mitarbeitern des Klinikums Oldenburg Totschlag durch Unterlassen vor. Es geht um 3 Todesfälle im Klinikum Oldenburg und insgesamt 60 Todesfälle im Klinikum Delmenhorst. Bei den Angeschuldigten handelt es sich um einen ehemaligen Geschäftsführer des Klinikums, einen ehemaligen ärztlichen Leiter der kardiologischen Intensivstation, einen Leiter des Bereichs Pflege der kardiologischen Intensivstation, eine ehemalige Pflegedirektorin des Klinikums und einen ärztlichen Leiter der Anästhesiestation.

Derzeit befindet sich das Verfahren im sogenannten Zwischenverfahren. Über eine Zulassung der Anklage hat die Kammer noch nicht entschieden.

Bereits jetzt hat die Kammer den Angeschuldigten, Nebenklägern und der Staatsanwaltschaft aus Gründen der Verfahrenstransparenz eine vorläufige rechtliche Bewertung zukommen lassen. Nach ihrer gegenwärtigen Einschätzung der Rechtslage käme allenfalls eine teilweise Zulassung der Anklage in Betracht und zwar allein bezogen auf die im Klinikum Oldenburg verstorbenen Patienten und wegen Beilhilfe durch Unterlassen zum Totschlag. Einen hinreichenden Tatverdacht einer Tatbegehung durch täterschaftliches Unterlassen belege die Anklageschrift nicht. Bezogen auf den ärztlichen Leiter der Anästhesiestation, dem ausschließlich Todesfälle aus dem Klinikum Delmenhorst zur Last gelegt werden, könnte möglicherweise sogar gänzlich von einer Eröffnung des Hauptverfahrens abzusehen sein.

Im Einzelnen: Die Kammer sieht zum jetzigen Zeitpunkt eine wesentliche Voraussetzung für eine mögliche Verurteilung wegen der Todesfälle in Delmenhorst nicht gegeben, nämlich die so genannte „Garantenstellung“ der Angeschuldigten. Das deutsche Strafrecht ist geprägt von dem Gedanken der Bestrafung von Handeln, nicht hingegen von Untätigkeit. Untätigkeit kann nur unter der besonderen Voraussetzung strafbar sein, dass der Nichthandelne eine bestimmte Verantwortung zur Verhinderung des Schadens trägt, die so genannte Garantenstellung.

Eine solche Verantwortung kann zum einen aus einer Schutzpflicht gegenüber dem Opfer entstehen. Dies wäre – so die Kammer – hier für die Patienten in Oldenburg gegeben. Denn diese Patienten waren ihnen im Rahmen eines Behandlungsverhältnisses direkt anvertraut.   An einem solchen Obhutsverhältnis fehle es jedoch in Bezug auf die Patienten in Delmenhorst.   Eine Verantwortlichkeit könnte sich allerdings auch aus einem pflichtwidrigen Vorverhalten (Ingerenz) ergeben, an das sich sodann ein neues Unterlassen anschließen müsste. Nach vorläufiger Bewertung der Kammer fehle es insoweit aber an dieser Zweiaktigkeit, da allein der einmal gefasste und dann fortdauernde Entschluss zur Nichtanzeige der Straftaten – selbst beim Abfassen der Zeugnisse für den ehemaligen Krankenpfleger – fortgewirkt habe.   Hinsichtlich des ärztlichen Leiters der Anästhesiestation sei zudem festzustellen, dass dieser weder das Zwischenzeugnis noch das Endzeugnis unterschrieben habe. Insoweit könne an die Erstellung der Zeugnisse für die Begründung seiner Strafbarkeit ohnehin nicht angeknüpft werdenSchließlich geht die Kammer vorläufig auch davon aus, dass die erhobenen tatsächlichen Vorwürfe allenfalls eine Beihilfehandlung darstellen könnten, nicht aber ein täterschaftliches Handeln. Ein Täter zeichnet sich nach den Vorgaben des Bundesgerichtshofs gerade durch einen bestimmten „Täterwillen“ aus, also eine bestimmte positive Haltung gegenüber dem Taterfolg. Ein Täter muss die Tat „als eigene“ wollen. Dies scheide hier aber aus. Denn die Angeschuldigten standen etwaigen weiteren Tötungsdelikten des ehemaligen Krankenpflegers Niels H. keineswegs positiv oder auch nur gleichgültig gegenüber. Ihnen sei es nach der Anklageschrift allein darum gegangen, den Ruf ihrer Abteilung und ihrer Klinik zu retten. Darüber hinaus geht die Kammer nach vorläufiger Einschätzung ebenfalls davon aus, dass die Angeschuldigten keinerlei Tatherrschaft besaßen, da sie nicht gewusst haben, wann und wem gegenüber Niels H. auf welche Weise aktiv werde.

Die Erwägungen zum fehlenden täterschaftlichen Handeln gelten entsprechend auch für die Angeklagten im Verfahren 5 Ks 20/16 (Verfahren gegen Ärzte bzw. Pfleger des Klinikums Delmenhorst) und wurden deshalb auch den dortigen Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis gebracht.

Die Verfahrensbeteiligten haben noch bis Ende Januar 2020 Gelegenheit zur Stellungnahme, bevor die Schwurgerichtskammer über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung entscheiden wird.

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