Saudi-Arabien: „Abschaffung der Todesstrafe für Minderjährige nur ein erster Schritt, jetzt muss die vollständige Abschaffung folgen“.

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Vor dem Hintergrund der Ankündigung Saudi-Arabiens, die Anwendung der Todesstrafe gegen Personen, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahren waren, für Fälle zu beenden, die nicht in den Bereich des Antiterrorgesetzes fallen, hat Amnesty International die Behörden des Landes aufgefordert, die Todesstrafe vollständig abzuschaffen.  ­ ­ ­ ­
BERLIN, 28.04.2020 – Die saudi-arabischen Behörden kündigten am Sonntag an, dass das Land die Todesstrafe nicht mehr gegen Personen anwenden wird, die zum Zeitpunkt der Straftat noch keine 18 Jahre alt waren. Die Todesstrafe wird durch eine Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis ersetzt.

“Sollte dieses Vorhaben wirklich umgesetzt werden, ist das ein bedeutender Schritt. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Saudi-Arabien im letzten Jahr mit 184 dokumentierten Hinrichtungen einen schockierenden Höhepunkt bei der Anwendung der Todesstrafe erreicht hat“, sagt Regina Spöttl, Saudi-Arabien-Expertin bei Amnesty International in Deutschland. „Die Todesstrafe ist die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste aller Strafen. Amnesty fordert die vollständige Abschaffung der Todesstrafe in Saudi-Arabien: Dazu muss das Land jetzt als erstes ein offizielles Hinrichtungsmoratorium erlassen.“

„Für viele kommt dieser Erlass zu spät. Abdulkareem al-Hawaj wurde beispielsweise am 23. April 2019 in einer grausamen Massenhinrichtung gemeinsam mit 36 weiteren Menschen exekutiert. Seine Familie, wie auch die der anderen Hingerichteten, erfuhr erst aus den Nachrichten vom Tod ihres Sohnes. Auch sein Leichnam wurden ihnen nie übergeben“, so Spöttl.

Abdulkareem war 16 Jahre alt, als er vermeintlich an regierungskritischen Protesten in der überwiegend schiitischen Ostprovinz von Saudi-Arabien teilgenommen haben soll. Berichten zufolge wurde Abdulkareem fünf Monate lang in Einzelhaft festgehalten. Er gab an, während der Verhöre geschlagen und eingeschüchtert worden zu sein. Zudem habe man damit gedroht, seine Familie zu töten, um ihn so zu zwingen, ein „Geständnis“ abzulegen. Er hatte während seiner Untersuchungshaft und in den Verhören keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand.

Nach Informationen von Amnesty International schließt der königliche Erlass Straftaten nach dem Antiterrorgesetz hiervon aus. Es ist unklar, wie die Strafe für nach diesem Gesetz verurteilte jugendliche Straftäter stattdessen aussehen soll. Amnesty International hat den Missbrauch des Antiterrorgesetzes durch die saudi-arabischen Behörden dokumentiert. Dieses enthält zu weit gefasste und vage Definitionen von „Terrorismus“ und „terroristischen Verbrechen“ sowie eine Reihe von Bestimmungen, die die friedliche Meinungsäußerung kriminalisieren.

Saudi-Arabien missachtet seit Jahren das Völkerrecht, das die Anwendung der Todesstrafe gegen Personen, die zum Zeitpunkt des Verbrechens unter 18 Jahre alt waren, verbietet. Amnesty International setzt sich seit langem für die Aufhebung der Todesurteile gegen Ali al-Nimr, Abdullah al-Zaher und Dawood al-Marhoon  ein, drei junge Männer aus der schiitischen Minderheit Saudi-Arabiens, die alle im Alter von unter 18 Jahren festgenommen wurden und nach grob unfairen Verfahren vor dem Sonderstrafgericht unmittelbar von der Hinrichtung bedroht sind.

Die Behörden haben den königlichen Erlass, der die Ankündigung enthält, noch nicht öffentlich bekanntgegeben und auch seine Durchführungsbestimmungen sind noch unklar. Nach Kenntnis von Amnesty International haben Familien zum Tode verurteilter Personen bisher noch keine Informationen über den Stand der Fälle ihrer Angehörigen erhalten.

In der vergangenen Woche hat der Oberste Gerichtshof Saudi-Arabiens außerdem eine Weisung an die Gerichte erlassen, keine nach freiem Ermessen anwendbare Auspeitschungsstrafen mehr zu verhängen und diese stattdessen durch Haft- und/oder Geldstrafen zu ersetzen. Es ist noch unklar, ob dies auch für die obligatorischen Prügelstrafen für andere Straftaten nach der Scharia gilt, darunter für Alkoholkonsum und Sexualdelikte.

Jugendgesetz

Die jüngste Ankündigung folgt auf das 2018 erlassene Jugendgesetz, das Gerichte daran hinderte, nach freiem Ermessen Todesurteile gegen Personen unter 15 Jahren zu verhängen. Sie hinderte diese jedoch nicht daran, die Todesstrafe gegen Personen anzuwenden, die für „hadd“-Verbrechen (mit festen und strengen Strafen nach der Scharia) oder für Verbrechen verurteilt wurden, die mit „qisas“ (Vergeltung) bestraft werden. Bei dieser Kategorie von Verbrechen nach der Scharia werden Mord und Körperverletzung mit derselben Tat bestraft, und zwar Mord mit der Todesstrafe und Körperverletzung mit der Zufügung derselben Verletzung. Das Gesetz blieb somit hinter den Verpflichtungen Saudi-Arabiens gemäß dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) zurück.

Der Ankündigung, die einen Fortschritt im Vergleich zum Jugendgesetz darstellt, müssen klare Durchführungsbestimmungen folgen, die keine Minderjährigen von der Reform ausschließen.

Hintergrund

In ihrem jährlichen Bericht zur Todesstrafe hat Amnesty International offengelegt, dass in Saudi-Arabien 2019 sehr viele Menschen hingerichtet wurden, trotz einer allgemeinen Abnahme der Hinrichtungen weltweit. Die saudischen Behörden haben im vergangenen Jahr 184 Personen hinrichten lassen, die höchste Zahl, die von Amnesty International unter Berufung auf die Zahlen des Innenministeriums seit 2000 dokumentiert wurde.

Fotoquelle: amnesty international ­ ­ ­ ­

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