Gerade die Corona-Krise zeige, dass die Grundrente nötig ist, sagt der Rentenexperte der SPD, Martin Rosemann.
Die Corona-Pandemie sei kein Argument gegen die Grundrente, sondern das Gegenteil ist der Fall, betont Martin Rosemann (SPD) in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“: Man könne nicht einerseits die besondere Leistung von Menschen würdigen, die jetzt an der Supermarktkasse oder in der Altenpflege dafür sorgen, dass wichtige gesellschaftliche Bereiche weiter funktionieren, und gleichzeitig abwinken, wenn es um die Alterssicherung von Menschen geht, die nicht ihr ganzes Leben ein üppiges Einkommen hatten. „Es geht doch darum, diese Lebensleistung anzuerkennen. Deswegen zeigt uns gerade die aktuelle Situation deutlich, dass wir die Grundrente brauchen. Ich kann nur sagen: Drei Regierungen sind an dem Versuch gescheitert, eine Grundrente einzuführen. Jetzt sind wir so weit gekommen – es würde niemand mehr verstehen, wenn wir das jetzt nicht hinbekommen würden.“
Befürchtungen, die Union könne das Projekt noch auf den letzten Metern stoppen, wies Rosemann zurück. Alle Beteiligten würden vertragstreu sein, zeigte sich Rosemann zuversichtlich. Auch an der Finanztransaktionssteuer werde die Finanzierung nicht scheitern, dies sei schließlich nur ein Teil der Finanzierung, so der SPD-Politiker.
Die TP Presseagentur Berlin dokumentiert das am 18. Mai 2020
in der Wochenzeitung „Das Parlament“ erscheinende Interview vorab im vollen
Wortlaut:
Herr Rosemann, nach langer Diskussion fand am Freitag die erste Lesung
des Grundrentengesetzes im Bundestag statt. Trotzdem glauben Kritiker
immer noch, dass das Projekt so nicht durchsetzbar ist. Kann es auf den letzten
Metern tatsächlich noch kippen?
Nein. Denn es wurde in der Koalition auf höchster Ebene fest verabredet, dass
die Grundrente zum 1. Januar 2021 in Kraft tritt. Insofern gehe ich davon
aus, dass alle Beteiligten auch vertragstreu sind. Und die Herausforderungen in
der konkreten Umsetzung lassen sich noch klären.
Nun hat aber
erst vor ein paar Tagen Ralph Brinkhaus gedroht, die Tatsache einer ersten
Lesung bedeute nicht, dass die Union zustimme. Bereitet Ihnen das
Bauchschmerzen?
Nein. Ich weiß nicht, warum Herr Brinkhaus so eine Kraftmeierei benötigt. Es
gibt dazu klare Verabredungen auf höchster Ebene und ich denke, dass die
Unionsfraktion sich daran auch halten wird.
Aber der
Einwand der noch ungeklärten Finanzierung wird nicht nur von der Union erhoben.
Ob es die Finanztransaktionssteuer jemals geben wird, ist ja noch völlig
unklar.
Wir haben festgelegt, dass die Grundrente aus Steuern finanziert wird und diese
Verabredung gilt. Nur ein Teil der Finanzierung soll aus den Einnahmen
Finanztransaktionssteuer kommen. Aber da arbeitet der Bundesfinanzminister nach
wie vor an einer Lösung auf europäischer Ebene. Die Finanzierung der Grundrente
insgesamt hängt aber davon nicht ab.
Deutschland
steht der größten Rezession seit langem gegenüber, Themen wie die Rettung
von Arbeitsplätzen stehen im Vordergrund. Wieso ist es jetzt trotzdem Zeit für
die Grundrente?
Man kann doch nicht einerseits die besondere Leistung von Menschen würdigen,
die jetzt an der Supermarktkasse oder in der Altenpflege dafür sorgen, dass
wichtige gesellschaftliche Bereiche weiter funktionieren. Und gleichzeitig
abwinken, wenn es um die Alterssicherung von Menschen geht, die
nicht ihr ganzes Leben ein üppiges Einkommen hatten. Es geht doch darum,
diese Lebensleistung anzuerkennen. Deswegen zeigt uns gerade die aktuelle
Situation deutlich, dass wir die Grundrente brauchen. Ich kann nur sagen: Drei
Regierungen sind an dem Versuch gescheitert, eine Grundrente einzuführen. Jetzt
sind wir so weit gekommen – es würde niemand mehr verstehen, wenn wir das jetzt
nicht hinbekommen würden.
Für wie
ausschlaggebend halten Sie denn die Grundrente, um Altersarmut wirklich zu
bekämpfen?
Die Grundrente wird Altersarmut reduzieren. Aber es ist nicht das einzige Ziel
der Grundrente, Altersarmut zu bekämpfen. Genauso wichtig ist es, die
Lebensleistung von Menschen anzuerkennen, die ihr Leben lang gearbeitet, Kinder
erzogen oder Angehörige gepflegt haben und trotzdem nur auf sehr geringe
Rentenanwartschaften kommen. Dort, wo aufgrund fehlender
sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung keine oder fast keine
Rentenanwartschaften bestehen, wird die Grundrente Altersarmut auch nicht
bekämpfen. Dafür ist weiter die Grundsicherung da, das muss man
ehrlicherweise dazu sagen. Unter anderem deshalb arbeiten wir auch
an einem Gesetz, um Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung
einzubeziehen. Denn gerade sie sind wegen fehlender Absicherung für das
Alter überproportional häufig von Altersarmut betroffen.
Nun haben
auch die anderen Fraktionen Vorschläge in diese Richtung entwickelt. Was
spricht gegen die Idee, einfach einen höheren Teil der gesetzlichen Rente
nicht mit der Grundsicherung zu verrechnen?
Damit bleiben die Menschen trotzdem im System der Grundsicherung. Ja, es landen
letztlich noch mehr Menschen in der Grundsicherung als vorher. Das Problem ist
doch, dass viele Menschen mit Anspruch auf Grundsicherung, diesen nicht
einlösen, weil sie einen Antrag beim Sozialamt stellen müssen. Diesen Aufwand
scheuen viele, andere schämen sich. Deswegen gibt es einen nicht unerheblichen
Teil verdeckter Altersarmut. Die Grundrente wird nun aber eine
Rentenleistung sein, für die kein Antrag nötig ist, weil sie
automatisch bewilligt wird, wenn die Bedingungen erfüllt sind. Sie wird zwar
als gesamtgesellschaftliche Aufgabe über Steuern finanziert, aber es ist eine
Rentenleistung. Das ist der große sozialpolitische Fortschritt unseres
Konzeptes. Es ist auch eine Frage der Würde, ob Menschen, die ihr Leben
lang gearbeitet haben, im Alter zum Sozialamt gehen müssen.
Die Linke
geht am weitesten, indem sie eine Solidarische Mindestrente von 1.050 Euro für
alle fordert. Was sagen Sie dazu?
Man muss eine Politik machen, die gesamtgesellschaftlich finanzierbar und
vermittelbar ist – und zwar für alle Generationen, nicht nur für die aktuelle
Rentnergeneration. Die Forderung der Linken ist dies aber nicht.
Nun sind
viele von Altersarmut Betroffene Erwerbsminderungsrentner, die oft noch
nicht einmal auf 33 Beitragsjahre in der Rentenversicherung kommen. Sollte man
ihnen nicht noch mehr entgegen kommen?
Ich würde mir wünschen, dass wir generell mehr für Erwerbsminderungsrentner
tun. Die Fortschritte der vergangenen Jahre bei der Erhöhung der
Zurechnungszeiten beziehen sich jeweils nur auf Neurentner. Es wäre gerecht,
diese Regelung auch auf Bestandsrentner zu übertragen. Insofern ist das noch
eine Baustelle, die wir haben. Allerdings will ich an dieser Stelle auch keine
falschen Hoffnungen wecken. Denn es war schon ein steiniger Weg, im
Koalitionsausschuss überhaupt so weit zu kommen. Deswegen sollten wir froh
sein, dass wir den Einstieg in die Grundrente jetzt schaffen. Alles darüber
hinaus braucht andere politische Mehrheiten.
Nach Angaben
der Rentenversicherung sind tausende neue Stellen nötig, um den nötigen
Datenabgleich für die Grundrente technisch umzusetzen. Wie soll das geschafft
werden?
Das ist auf jeden Fall eine Herausforderung für die Rentenversicherung. Und je
länger man braucht, um das Gesetz abzuschließen, desto enger wird das
Zeitfenster. Wir haben in der Vergangenheit bei anderen größeren Veränderungen
in der Rentenversicherung auch schon schrittweise Umsetzungen
vereinbart. Das wäre also nicht neu. Aber klar ist: Der Anspruch auf die
Grundrente muss zum 1. Januar 2021 in Kraft treten. Dass die Beträge dann
gegebenenfalls später und rückwirkend ausgezahlt werden, muss man der
Rentenversicherung zugestehen. Das ist eine der Fragen, die wir noch zu klären
haben.
Im April hat
die Rentenkommission ihren lange erwarteten Entwurf zur Zukunft des
Alterssicherungssystems vorgelegt. Das Echo darauf war eher verhalten, der
große Wurf für zwei Jahre Arbeit fehle, hieß es.
Die Beratungen sind ja letztlich verlängerte Koalitionsverhandlungen unter
Beteiligung von Wissenschaftlern und Sozialpartnern gewesen. Vor diesem
Hintergrund denke ich, dass sich die Ergebnisse sehen lassen können. Für die
SPD ist es wichtig, dass das Prinzip der doppelten Haltelinie für Rentenniveau
und Beitragssatz auch für die Zeit nach 2025 von der Kommission empfohlen wird.
Das dient der längerfristigen Sicherheit unseres Alterssicherungssystems. Das
finde ich wichtig, denn es ist eine Abkehr von der Idee, das Rentenniveau
dem freien Fall zu überlassen und dem Spiel der Demografie auszusetzen.
Die Kommission hat die Politik klar in die Verantwortung genommen, auch
längerfristig diese Haltelinien zu definieren.
Martin Rosemann (SPD) ist seit 2013 Mitglied des Bundestages. Er ist stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales seiner Fraktion.
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