Zur sog. doppelten Besteuerung von Renten I – BFH legt Berechnungsgrundlagen fest und zeigt damit drohende doppelte Besteuerung künftiger Rentnergenerationen auf.
31. Mai 2021
– Nummer 019/21 – Urteil vom 19.05.2021
X R 33/19.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil
vom 19.05.2021 – X R 33/19 erstmals genaue Berechnungsparameter für die
Ermittlung einer doppelten Besteuerung von Renten festgelegt. Zwar hatte die
Revision des Klägers – der eine seit dem Jahr 2007 laufende Rente mit
entsprechend hohem Rentenfreibetrag bezieht – keinen Erfolg. Allerdings ergibt
sich auf der Grundlage der Berechnungsvorgaben des BFH, dass spätere
Rentnerjahrgänge von einer doppelten Besteuerung ihrer Renten betroffen sein
dürften. Dies folgt daraus, dass der für jeden neuen Rentnerjahrgang geltende
Rentenfreibetrag mit jedem Jahr kleiner wird. Er dürfte daher künftig
rechnerisch in vielen Fällen nicht mehr ausreichen, um die aus versteuertem
Einkommen geleisteten Teile der Rentenversicherungsbeiträge zu kompensieren.
Im Streitfall war der Kläger während seiner aktiven Erwerbstätigkeit
überwiegend selbständig als Steuerberater tätig. Auf seinen Antrag hin war er
in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Er zahlte seine
Rentenbeiträge größtenteils aus eigenem Einkommen. Dabei konnte er diese
Aufwendungen nur begrenzt als Sonderausgaben abziehen, also nur zum Teil
„steuerlich absetzen“. Seit 2007 erhält der Kläger eine Altersrente. Im
vorliegenden Verfahren wandte er sich gegen deren Besteuerung im Jahr 2008. Das
Finanzamt hatte – entsprechend der gesetzlichen Übergangsregelung – 46 % der
ausgezahlten Rente als steuerfrei behandelt und die verbleibenden 54 % der
Einkommensteuer unterworfen. Der Kläger hat eine eigene Berechnung vorgelegt,
nach der er rechnerisch deutlich mehr als 46 % seiner
Rentenversicherungsbeiträge aus seinem bereits versteuerten Einkommen geleistet
hat. Nach seiner Auffassung liegt deshalb eine verfassungswidrige doppelte
Besteuerung von Teilen seiner Rente vor. Das Finanzgericht sah dies anders und
wies die Klage ab.
Auch der BFH
ist der Auffassung des Klägers nicht gefolgt. Vielmehr hält er an seiner
bisherigen, vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigten Rechtsprechung
zur Rentenbesteuerung fest, nach der sowohl der mit dem Alterseinkünftegesetz
eingeleitete Systemwechsel zur nachgelagerten Besteuerung von Altersbezügen als
auch die gesetzlichen Übergangsregelungen im Grundsatz verfassungskonform sind.
Klar ist danach aber auch, dass es im konkreten Einzelfall nicht zu einer doppelten
Besteuerung von Renten kommen darf. Eine solche doppelte Besteuerung wird
vermieden, wenn die Summe der voraussichtlich steuerfrei bleibenden
Rentenzuflüsse (kurz: steuerfreier Rentenbezug) mindestens ebenso hoch ist wie
die Summe der aus dem bereits versteuerten Einkommen aufgebrachten
Rentenversicherungsbeiträge. Der Auffassung der Kläger, nach der die zwischen
der früheren Beitragszahlung und dem heutigen bzw. künftigen Rentenbezug
eintretende Geldentwertung im Rahmen der Berechnung zu berücksichtigen sei,
folgte der Senat nicht. Für eine solche Abweichung vom sog. Nominalwertprinzip
sah er weder im Einkommensteuerrecht noch im Verfassungsrecht eine Grundlage.
Infolgedessen können Wertsteigerungen der Renten – unabhängig davon, ob sie
inflationsbedingt sind oder eine reale Erhöhung darstellen – besteuert werden.
Erstmals hat der X. Senat jetzt konkrete Berechnungsparameter für die
Ermittlung einer etwaigen doppelten Besteuerung von Renten festgelegt. Dabei
hat er klargestellt, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen
Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers, sondern auch die eines etwaig länger
lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente zu rechnen sind.
Alle anderen Beträge, die die Finanzverwaltung ebenfalls als „steuerfreien
Rentenbezug“ in die Vergleichsrechnung einbeziehen möchte, bleiben allerdings
nach Auffassung des BFH unberücksichtigt. Sie dienen anderen – überwiegend
verfassungsrechtlich gebotenen und daher für den Gesetzgeber nicht dispositiven
– Zwecken und können daher nicht nochmals herangezogen werden, um eine doppelte
Besteuerung von Renten rechnerisch zu vermeiden. Damit bleibt insbesondere auch
der sog. Grundfreibetrag, der das steuerliche Existenzminimum jedes
Steuerpflichtigen sichern soll, bei der Berechnung des „steuerfreien
Rentenbezugs“ unberücksichtigt. Für die Ermittlung des aus versteuertem
Einkommen aufgebrachten Teils der Rentenversicherungsbeiträge hat der X. Senat
ebenfalls konkrete Berechnungsparameter formuliert.
Bei Anwendung dieser Berechnungsgrundsätze konnte die Revision der Kläger
keinen Erfolg haben. Angesichts des noch recht hohen Rentenfreibetrags von 46 %
der Rentenbezüge des Klägers ergab sich keine doppelte Besteuerung. Diese
zeichnet sich allerdings für spätere Rentnerjahrgänge, für die der
Rentenfreibetrag nach der gesetzlichen Übergangsregelung immer weiter
abgeschmolzen wird, ab. Denn auch diese Rentnerjahrgänge haben erhebliche Teile
ihrer Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen geleistet.
Rechtlicher Hintergrund:
Bis 2004 unterlagen Renten nur mit einem geringen Anteil (dem sog.
„Ertragsanteil“) der Einkommensteuer. Dadurch zahlten Rentner, die neben ihrer
Rente keine weiteren steuerpflichtigen Einkünfte hatten, in der Praxis keine
Einkommensteuer. Pensionäre – also insbesondere ehemalige Beamte, aber auch
Empfänger von Betriebspensionen – mussten ihre Altersbezüge hingegen voll
versteuern. Das BVerfG hat in dieser Rechtslage eine verfassungswidrige
Ungleichbehandlung ge-sehen und den Gesetzgeber zu einer Neuregelung spätestens
mit Wirkung ab 2005 verpflichtet (Urteil vom 06.03.2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE
105, 73).
Diesem Auftrag ist der Gesetzgeber mit dem Alterseinkünftegesetz nachgekommen.
Seit dem 01.01.2005 sind nicht nur Pensionen, sondern auch Rentenbezüge im
Grundsatz voll einkommensteuerpflichtig (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a
Doppelbuchst. aa EStG). Im Gegenzug können die Steuerpflichtigen aber ihre
Altersvorsorgeaufwendungen – insbesondere ihre Rentenversicherungs-beiträge
– als Sonderausgaben von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage
abziehen (nachgelagerte Besteuerung).
Eine sofortige volle Besteuerung der Renten war dem Gesetzgeber nicht möglich,
weil die Rentner ihre bis 2004 geleisteten Beiträge nicht in vollem Umfang
hatten einkommensteuerlich geltend machen können. Eine sofortige
Steuerfreistellung sämtlicher Rentenversicherungsbeiträge erschien dem
Gesetzgeber wegen des damit verbundenen Ausfalls an Steuereinnahmen
unmöglich. Er hat daher sowohl für die Besteuerungsseite als auch für die
Beitragsseite sehr langfristig wirkende Übergangsregelungen geschaffen. Diese
sehen vor, dass bei Rentnern, die bis einschließlich 2005 in den Rentenbezug
eingetreten sind, auf Dauer ein Betrag von 50 % ihrer damaligen Rente
steuerfrei bleibt. Für Rentner, deren Rentenbezug später beginnt, vermindert
sich der für den Freibetrag maßgebende Prozentsatz. So sind bei Rentnern, die
im Jahr 2021 erstmals eine Rente beziehen, nur noch 19 % der Rente steuerfrei.
Rentner, die ab 2040 in den Rentenbezug eintreten werden, müssen ihre gesamte
Rente versteuern. Für die Beitragsseite sehen die Übergangsregelungen vor, dass
im Jahr 2005 zunächst nur 60 % der Altersvorsorgeaufwendungen als
Sonderausgaben abgezogen werden konnten, im Jahr 2021 sind es 92 %. Ab dem Jahr
2025 werden sämtliche Altersvorsorgeaufwendungen ungekürzt als Sonderausgaben
abziehbar sein.
Das BVerfG hat in seinem bereits erwähnten Rentenurteil hinsichtlich der vom Gesetzgeber zu treffenden Übergangsregelungen u.a. formuliert: „In jedem Fall sind die Besteuerung von Vorsorgeaufwendungen für die Alterssicherung und die Besteuerung von Bezügen aus dem Ergebnis der Vorsorgeaufwendungen so aufeinander abzustimmen, dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird.“ In der steuerrechtlichen Literatur und in zahlreichen Verfahren vor den Finanzgerichten und dem BFH wird geltend gemacht, die gesetzliche Übergangsregelung führe in vielen Fallgruppen zu einer doppelten Besteuerung; dies sei verfassungswidrig.
Zur sog. doppelten Besteuerung von Renten II – Bei privaten Renten kann es systembedingt nicht zu einer doppelten Besteuerung kommen.
31. Mai 2021 – Nummer 020/21 – Urteil vom 19.05.2021
X R 20/19.
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einer zweiten Entscheidung vom
19.05.2021 (X R 20/19) zahlreiche weitere Streitfragen zum Problem der sog.
doppelten Rentenbesteuerung geklärt. Er hat nicht nur über die Behandlung von
Leistungen aus der freiwilligen Höherversicherung zur gesetzlichen Altersrente
und Fragen der sog. Öffnungsklausel entschieden. Er hat auch klargestellt, dass
es bei Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten außerhalb der Basisversorgung
(kurz: privaten Renten), die – anders als gesetzliche Altersrenten – lediglich
mit dem jeweiligen Ertragsanteil besteuert werden, systembedingt keine
Doppelbesteuerung geben kann. Zudem hat er entschieden, dass zum steuerfreien
Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers
gehören, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen
Hinterbliebenenrente. Die Revision der Kläger, die eine doppelte Besteuerung
eines Teils der bezogenen Renten beanstandet hatten, blieb ohne Erfolg.
Der Kläger war als Zahnarzt Pflichtmitglied eines berufsständischen
Versorgungswerks, blieb allerdings freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen
Rentenversicherung. Er erhielt im Streitjahr 2009 von der Deutschen
Rentenversicherung Bund eine Altersrente und Zusatzleistungen aus der dortigen
Höherversicherung. Zudem bezog er mehrere „Rürup“-Renten, ebenso zahlreiche
Renten aus privaten Kapitalanlageprodukten. Das Finanzamt setzte für die
gesetzliche Altersrente einschließlich der Leistungen der Höherversicherung den
sich nach der gesetzlichen Übergangsregelung ergebenden Besteuerungsanteil von
58 % an. 42% der ausgezahlten Rente blieben steuerfrei. Im Hinblick auf die hohen
Beitragsleistungen des Klägers in zwei Versorgungssysteme wandte das Finanzamt
die sog. Öffnungsklausel an. Diese ermöglicht es, in bestimmten Konstellationen
die Rente zumindest teilweise mit dem günstigeren Ertragsanteil zu versteuern.
Die „Rürup“-Renten des Klägers brachte das Finanzamt mit dem
Besteuerungsanteil, die sonstigen privaten Leibrenten – wie vom Gesetz
vorgesehen – mit dem Ertragsanteil in Ansatz. Das Finanzgericht wies die
hiergegen gerichtete Klage ab.
Die Kläger hielten die Entscheidung der Vorinstanz aus mehreren Gründen für
unzutreffend. Sie meinten die gesetzliche Altersrente, eine der „Rürup“-Renten
und diverse Renten aus privaten Versicherungen würden unzulässigerweise doppelt
besteuert, weil nach ihren Berechnungen die aus versteuertem Einkommen
erbrachten Beiträge höher seien als der steuerfreie Teil der zu erwartenden
Rentenzahlungen.
Der BFH sah dies anders. Er entschied, dass die Leistungen aus der freiwilligen
Höherversicherung zur gesetzlichen Altersrente (§ 269 Abs. 1 SGB VI) als Teil
der Rente einheitlich mit den regulären Rentenbezügen zu versteuern sind. Dass
jene Leistungen sozialversicherungsrechtlich zu einer überdurchschnittlichen
Versorgung aus der gesetzlichen Rentenversicherung führen und ausschließlich
aus eigenen Beiträgen des Versicherten finanziert wurden, erachtete der BFH als
unerheblich.
Dagegen teilte der BFH die Auffassung der Kläger, dass die gesetzliche
Öffnungsklausel, die bei überobligatorisch hohen Einzahlungen in ein
Altersvorsorgesystem der Gefahr einer doppelten Besteuerung von Renten
vorbeugen soll, nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur auf Antrag des
Steuerpflichtigen anwendbar ist. Sie hätte danach im Streitfall keine Anwendung
finden dürfen, weil die Kläger keinen entsprechenden Antrag gestellt hatten.
Trotzdem blieb ihre Revision auch in diesem Punkt ohne Erfolg, denn die
unzutreffende Anwendung der Öffnungsklausel verletzte die Kläger nicht in ihren
Rechten. Die ihnen durch die Anwendung der Öffnungsklausel zu Unrecht gewährte
Entlastung fiel nämlich höher aus als der Betrag, der ohne Geltung der
Öffnungsklausel für das Streitjahr als doppelt besteuert anzusehen wäre. Die
Frage, ob Steuerpflichtige, die bewusst keinen Antrag auf Anwendung der
gesetzlichen Öffnungsklausel zur niedrigeren Besteuerung ihrer Altersrente
stellen, überhaupt eine doppelte Besteuerung rügen können, musste daher offen
bleiben.
Der BFH stellte zudem klar, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die
jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers, sondern auch die eines etwaig
länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente zu rechnen sind. Im
Streitfall war daher auch der steuerfrei bleibende Teil einer späteren – bei
statistischer Betrachtung wahrscheinlichen – Witwenrente der Klägerin zu
berücksichtigen.
Regelmäßige Anpassungen einer der Basisversorgung dienenden gesetzlichen oder
„Rürup“-Rente sind nach Auffassung des BFH auch in der Übergangsphase in voller
Höhe und nicht – wie von den Kläger begehrt – mit dem geringeren individuellen
Besteuerungsanteil zu berücksichtigen. Der BFH bestätigte insoweit seine
bisherige Rechtsprechung.
Hinsichtlich der streitigen Renten des Klägers aus privaten
Kapitalanlageprodukten außerhalb der Basisversorgung konnte der BFH keine
doppelte Besteuerung feststellen. Die für diese Renten geltende
Ertragsanteilsbesteuerung kann nach Ansicht des X. Senats bereits systematisch
keine doppelte Besteuerung hervorrufen, weil der durch das Gesetz festgelegte
Ertragsanteil in zulässiger Weise die Verzinsung der Kapitalrückzahlung für die
gesamte Dauer des Rentenbezugs typisiert. Diese Art der Besteuerung verlangt
nicht, dass die Beitragszahlungen in der Ansparphase steuerfrei gestellt
werden.
Mögliche doppelte Besteuerung künftiger Rentnergenerationen muss vermieden werden.
Dazu Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher und Cansel Kiziltepe, zuständige Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion:
Es darf keine Doppelbesteuerung von Renten geben. Dies gilt sowohl für heutige als auch für künftige Rentnergenerationen. Die SPD-Fraktion im Bundestag spricht sich deshalb in der kommenden Legislatur für eine Einkommensteuerreform aus, bei der die steuerliche Abzugsfähigkeit von Rentenbeiträgen verbessert wird.
„Der Bundesfinanzhof hat heute zwei Klagen zur doppelten Besteuerung von Renten abgewiesen. Eine solche Doppelbesteuerung liegt vor, wenn sowohl die Rentenbeiträge aus versteuertem Einkommen geleistet werden, als auch die darauf beruhende Altersrente der Besteuerung unterliegt.
Der Bundesfinanzhof hat erneut bestätigt, dass die nachgelagerte Besteuerung von Renten verfassungsgemäß ist. In seinen Urteilen hat das Gericht aber erstmals konkrete Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung einer doppelten Besteuerung von Altersrenten festgelegt. Anders als bisher von der Finanzverwaltung angenommen, dürfen der Grundfreibetrag, die Steuerfreistellung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen und der Werbungskostenpauschbetrag nicht bei der Ermittlung des steuerfreien Rentenanteils berücksichtigt werden.
Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit, dass heutige Rentner der Doppelbesteuerung unterliegen gering. Das Risiko einer Doppelbesteuer besteht aber für künftige Rentnergenerationen.
Für die SPD-Fraktion im Bundestag ist klar, dass es weder für heutige, noch für künftige Rentnergenerationen zu einer Doppelbesteuerung ihrer Renten kommen darf. Die Finanzverwaltung muss nun prüfen, ob dies schon heute in Einzelfällen vorkommt. Um in Zukunft eine Doppelbesteuerung abzuwenden, muss in der kommenden Legislatur im Rahmen einer Reform der Einkommensteuer die steuerliche Abzugsfähigkeit von Rentenbeiträgen verbessert werden.“
Rentenbesteuerung: Doppeltes Abkassieren muss noch vor der Wahl beendet werden.
„Auch wenn die beiden konkreten Klagen keinen Erfolg hatten, ist heute dennoch ein guter Tag für alle Rentnerinnen und Rentner. Der Bundesfinanzhof hat dankenswerterweise erstmals Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung einer Doppelbesteuerung der Renten festgelegt. Die Bundesregierung hat vom Bundesfinanzhof eine regelrechte Klatsche einstecken müssen. Meine Einschätzung, dass die Doppelbesteuerung vor allem künftige Rentenjahrgänge betreffen wird, wurde voll und ganz vom Bundesfinanzhof bestätigt“, erklärt Matthias W. Birkwald, rentenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, anlässlich der Urteilverkündung des Bundesfinanzhofes (BFH) zur Doppelbesteuerung.
Birkwald weiter:
„DIE LINKE hat als erste Fraktion die Proteste von mittlerweile 142.000 Klägern und Klägerinnen gegen die Doppelbesteuerung ernst genommen. Schon im Mai 2019 haben wir die Bedenken des BFH-Richter Dr. Egmont Kulosa und die Stellungnahmen vieler Steuerexpertinnen und Steuerexperten aufgegriffen und einen Antrag mit einfachen Lösungsvorschlägen in den Bundestag eingebracht. Im Finanzausschuss waren sich am 29. Januar 2020 Gewerkschaften, Sozialverbänden und viele Sachverständige bei einer öffentlichen Sachverständigenanhörung einig: Der Übergang zur nachgelagerten Besteuerung war schlampig vorbereitet und führt in der Übergangsphase bei zu vielen heutigen und vor allem bei künftigen Rentnerinnen und Rentnern zu einer ungerechten Doppelbesteuerung. Die Bundesregierung darf sich jetzt nicht mehr wegducken. Sie muss das Vertrauen in eine gerechte Besteuerung wiederherstellen.
DIE LINKE fordert deshalb:
1. die sofortige Anhebung des Grundfreibetrags von 9.744 auf 14.400 Euro jährlich, um kleine und mittlere Renten steuerfrei zu stellen;
2. die Doppelbesteuerung der Renten so weit wie möglich einzudämmen und darum die Stufen bis zur vollständigen nachgelagerten Rentenbesteuerung von 2040 bis 2070 zu verlängern;
3. eine außerordentliche Rentenerhöhung, die zu einem lebensstandardsichernden Rentenniveau und einer automatischen Neuberechnung des individuellen Rentenfreibetrags führen muss.
Damit soll sichergestellt werden, dass die Rente auch netto wieder den Lebensstandard sichert und alle Rentnerinnen und Rentner – über das gesamte Leben betrachtet – von der nachgelagerten Besteuerung profitierten. Alle Rentnerinnen und Rentner müssen mindestens so viel Rente steuerfrei erhalten, wie sie vorher während ihres aktiven Berufslebens in Form von steuerpflichtigen Beiträgen eingezahlt haben!“
Sachsens Finanzminister Vorjohann zu den heutigen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs zur Besteuerung von Altersrenten.
Zu den heutigen Entscheidungen des X. Senats des Bundesfinanzhofes (BFH) in den Verfahren X R 33/19 sowie X R 20/19 zur sogenannten doppelten Besteuerung von Altersrenten sagt Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann: »Der Bundesfinanzhof hat heute klare Urteile gefällt. Die Revisionen der Kläger hatten keinen Erfolg. Dennoch hat der BFH zu den noch offenen Fragen bei der Berechnung einer vermeintlichen Doppelbesteuerung Stellung genommen. Damit ist die bisherige Berechnungspraxis der Steuerverwaltung teilweise überholt. Wir werden uns als Freistaat Sachsen auf Bund-Länder-Ebene für eine schnellstmögliche Umsetzung der Urteilsgrundsätze einsetzen.«
Hintergrund
Rechtliche Grundlage der heutigen Besteuerung der Altersrenten ist das Alterseinkünftegesetz, das seit dem 1. Januar 2005 gilt. Durch das Gesetz erfolgte ein Systemwechsel bei der Besteuerung von Altersrenten zur nachgelagerten Besteuerung. Zur Umsetzung dieser grundlegenden Umstellung der Rentenbesteuerung sieht das Gesetz eine Übergangsphase bis 2040 vor. Bei der Gesetzesanwendung darf es zu keiner verfassungswidrigen doppelten Besteuerung der Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezüge kommen.
In den beiden beim BFH heute entschiedenen Verfahren rügten die Kläger jeweils eine verfassungswidrige doppelte Besteuerung ihrer Renteneinkünfte. Die Finanzgerichte hatten die Klagen abgewiesen. Auf die Revisionen der Kläger hin hat sich der BFH mit bislang nicht abschließend geklärten Detailfragen zu den Berechnungsparametern für die Ermittlung einer doppelten Besteuerung von Renten auseinandergesetzt und zu Gunsten der Steuerpflichtigen entschieden, dass bei der Berechnung des steuerfreien Rentenbezugs insbesondere der sog. Grundfreibetrag, der das steuerliche Existenzminimum jedes Steuerpflichtigen sichern soll und die Beiträge zu Kranken- und Pflegeversicherungen außer Ansatz bleiben. Darüber hinaus hat er aber auch die von der Finanzverwaltung bislang praktizierte Annahme bestätigt, dass zum steuerfreien Rentenbezug nicht nur die jährlichen Rentenfreibeträge des Rentenbeziehers gehören, sondern auch die eines etwaig länger lebenden Ehegatten aus dessen Hinterbliebenenrente.
Auch wenn die Kläger in den beiden BFH-Verfahren mangels Vorliegen einer doppelten Besteuerung im Einzelfall unterlegen sind, müssen die in den Urteilsgründen aufgestellten Berechnungsvorgaben des BFH nun von der Finanzverwaltung beachtet werden.
Bereits bisher hatte der BFH entschieden: Die »Beweislast« für das Vorliegen einer verfassungswidrigen doppelten Besteuerung tragen die Steuerpflichtigen.
Aktuell sind in Sachsens Finanzämtern mehr als 8.000 Einsprüche mit Verweis auf eines der beiden Verfahren vor dem BFH anhängig.