Das war unrealistisch bis dorthinaus.

TP-Interview mit Peter Steglich, DDR-Delegationsleiter der KSZE-Nachfolgekonferenzen in Madrid und Wien sowie erster Botschafter der DDR in Schweden.

Frage:

Herr Steglich, Sie waren in der ehemaligen DDR delegiert für die Konferenzen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Wie sind Sie dazu gekommen?

Steglich:

Dazu gekommen bin ich eigentlich durch einen Beschluß des Ministers. Ich war an und für sich Abteilungsleiter für die nordischen Länder, und dann fand man, daß ich wohl auch für Gesamteuropa verantwortlich sein könnte im Sinne der diplomatischen Bearbeitung der Probleme, die es da gab. Ich wurde dann in die Abteilung für Grundsatzfragen versetzt und habe dort das Arbeitsgebiet Abrüstung und europäische Sicherheit übernommen.

Frage:

Konnten Sie bei den KSZE-Verhandlungen frei entscheiden oder waren Sie an Vorgaben gebunden?

Steglich:

Die Vorbereitungen lagen natürlich im gesamten Mechanismus der diplomatischen Arbeit für Auslandseinsätze wie in der UNO, der KSZE und anderswo. Jede Delegation hatte eine Direktive. Sie wurde im Außenministerium in den zuständigen Fachabteilungen, also in meiner Abteilung, erarbeitet, und diese Direktive wurde generell, egal ob das die UNO, die KSZE oder anderes betraf, dem Politbüro zur Bestätigung vorgelegt. Das heißt, der Außenminister hat unseren Entwurf der Direktive mit einem Begleitschreiben an Honecker geschickt mit dem Wortlaut: „Ich schlage vor, daß das Politbüro diese Direktive berät …“, und er wurde dann nach der Beratung wieder an uns zurückgeschickt. In der Regel ging der Entwurf der Direktive durch und wurde so für uns verbindlich.

Frage:

Haben Sie es immer leicht mit Ihren Verhandlungspartnern aus den westlichen Ländern gehabt?

Steglich:

Wissen Sie, da wird im Grunde genommen viel Theater gemacht. Wir hatten es natürlich nicht leicht, wir hatten es auch nicht unverschämt schwer. Es gibt an und für sich in einer Konferenzarbeit wie der KSZE zwei Verhaltensweisen. Die eine ist die offizielle – dort werden die Reden gehalten und da fliegen die Fetzen; da wird kritisiert und da wird sozusagen der Schlagabtausch geführt. Und dann gibt es die andere, die informelle Seite, da gab es auch persönliche Kontakte zwischen den Diplomaten. Die gingen soweit, daß man zum „du“ überging, daß man sich mit den Vornamen ansprach. Man traf sich, aß miteinander, jeder kannte die Stärken und Schwächen des anderen. Doch die persönliche Ebene wurde von der offiziellen strikt getrennt. Ich habe heute noch gute persönliche Kontakte zu meinem ehemaligen Widersachern aus der Bundesrepublik Deutschland, Jörg Kastl und Ekkehard Eickhoff. Kastl witzelte einmal, als wir einen großen Schlagabtausch geführt hatten, nach der Sitzung: „Na, heute haben wir wieder unser Geld verdient.“
Mit meinen Partnern aus der Bundesrepublik tauschte ich auch Reden aus. Jeder wußte also, wer was sagt . Einmal kam einer zu mir und sagte: „Das ist ein bißchen scharf formuliert, können wir das nicht ein bißchen abschwächen?“ Da sagte ich: „Nein, kann ich nicht abschwächen, geht nicht.“ Worauf er sagte: „Da muß ich mal Bonn fragen, ob ich erwidern muß.“ Also es war immer ein bestimmtes Maß an menschlichem Miteinander zwischen den Delegationen.

Frage:

Also keine Konfrontationen zwischen Ost und West?

Steglich:

Doch, doch, die gab es schon; denn das war die offizielle Politik. Und die bestimmte natürlich den Ton. Das war ganz klar. Ich kann Ihnen ein Beispiel nennen, das war in Madrid. Da wurde die Eröffnungsrede gehalten von einem Staatssekretär des Außenministeriums der DDR. Genscher trat auch auf als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Er brachte natürlich – und ich denke schon zu Recht – die Selbstschußanlagen an der Grenze zur Sprache und überraschte damit die DDR-Delegation. Prompt kam ein scharfes Telegramm aus Berlin an uns: „Die DDR-Delegation hat zu erwidern …“ Dort waren Vorgaben verbaler Art aufgelistet, die man im diplomatischen Sprachgebrauch überhaupt nicht praktizieren konnte. Wir haben das dann abgeschwächt. Da war die offizielle Linie. Und wir konnten natürlich dahinter nicht zurückgehen, aber an Formulierungen wurde gearbeitet. Der persönliche Umgang mit unseren Partnern wäre natürlich schwer gewesen, wenn man einander gar nichts zu sagen gehabt hätte. Aber die offizielle Politik dominierte selbstverständlich die Verhaltensweisen.

Frage:

Wie wurde denn auf der inoffiziellen Ebene über die DDR-Grenze gesprochen?

Steglich:

Natürlich wurde die Grenze kritisiert, auch ich habe inoffiziell gesagt: „Wieder ein Toter an der Grenze, ist ein Toter zuviel.“ Das sagte ich natürlich auch meinem Partner aus der Bundesrepublik. Aber ich habe gleichzeitig gesagt: „Aber dann sorgen Sie doch mit dafür, daß die Leute die Grenze nicht verletzen, dann gibt es auch keine Toten.“ Das war ungefähr dann auch der private Umgangston.

Frage:

Das hört sich ziemlich zynisch an.

Steglich:

Ja natürlich, das hat mir ein belgischer Botschafter auch gesagt: „Da waren Sie aber heute reichlich zynisch!“ Na schön, was sollte ich sagen. Sollte ich sagen: „Ich bin auch dafür, daß wir die Grenze durchlässig machen.“ Das haben wir intern in der DDR dann versucht durchzufechten. Dort haben wir dann gesagt: „Versucht doch mal wie andere Staaten, ein normales Grenzregime einzurichten.

Frage:

Also wurde von der westlichen Seite sehr wohl die Grenze bzw. die Art der Grenzsicherung angeprangert?

Steglich:

Natürlich ist sie angeprangert worden. Es fiel der Begriff Stacheldraht und ähnliches mehr. Das waren schon harte Auseinandersetzungen. Natürlich nicht in dem Maße, wie es dann die Medien des Westens verbreitet haben. Keinesfalls. Es war immer eingekleidet in bestimmte Formulierungen, aber in der Sache war die Kritik hart.

Frage:

In Prozessen z.B. gegen die Politbüromitglieder oder in öffentlichen Veranstaltungen ist häufig die Rede davon gewesen, daß eben von westlicher Seite diese Grenze offiziell niemals angeprangert worden sei.

Steglich:

Das ist offiziell immer ein Thema gewesen. Das kann ich keinesfalls abstreiten. Wir haben auch darüber in die DDR Bericht erstattet. Aber es gab einen Unterschied: Wenn beispielsweise die Staatsspitze der DDR zu einem Besuch irgendwo hinfuhr, dann wurden diese Dinge schwach oder überhaupt nicht angesprochen. Auf einer Konferenz, wie z.B. der KSZE, wurden sie sehr stark angesprochen. Wenn wir in die DDR berichteten, bekamen wir immer zu hören: „Aber bei dem Spitzengespräch mit dem ‘so und so’ ist das doch auch nicht kritisiert worden.“ Natürlich wurde das dort nicht angesprochen. In Spitzengesprächen zwischen Staatschefs gibt es irgendeine Etikette, die das nicht zuläßt. Aber in Konferenzen, wie der KSZE, wo es zur Sache ging, sind diese Dinge eindeutig genannt worden.

Frage:

Also eher auf „unterer“ Ebene, wo keiner Handlungsbefugnis hat, etwas zu ändern?

Steglich:

Wir konnten nur zur Kenntnis nehmen und das weitergeben. Das war’s dann. Etwas anderes war nicht möglich.

Frage:

Keine Reaktionen?

Steglich:

Wissen Sie, diese Berichterstattung war eine Routineberichterstattung. Jeder wußte um die Grenzproblematik. Man hat darüber in der DDR, im Außenministerium, nicht gesprochen. Es gab aber täglich eine Information des Ministeriums an die Parteispitze …

Frage:

… also an das Politbüro …

Steglich:

… besonders an Honecker und ein paar ausgewählte Mitglieder des Politbüros – nicht an alle. In den Informationen standen solche Dinge auch drin. Nur wurden sie in dem Sinne gar nicht mehr zur Kenntnis genommen oder sie wurden nicht mehr aufgenommen, weil die Auseinandersetzung um die Grenze ja nicht nur in der KSZE geführt wurde, sondern direkt über die Medien oder ähnliches. Das war sozusagen Alltag, das war Routine. Man wußte um die Grenze, man wußte um die Probleme und hat mit ihnen gelebt.

Frage:

Sind bei Ihren Berichterstattungen z.B. Worte gefallen wie: „Die sollen sich gefälligst nicht in unsere inneren Angelegenheiten einmischen.“

Steglich:

Das brauchten die uns gar nicht zu sagen, das haben wir denen schon selber gesagt: „Das Grenzregime und die Grenzproblematik ist eine interne Angelegenheit eines jeden Staates. Das geht Sie, bitteschön, nichts an.“ Das waren die Standardformulierungen, die wir dort gebraucht haben. Auch: „Mischen Sie sich nicht in unsere inneren Angelegenheiten ein, auch was die Grenze betrifft.“

Frage:

Hat der Westen jetzt mehr die Grenze als solche oder die Art der Grenzsicherung insbesondere kritisiert?

Steglich:

Er hat beides gemacht. Die Grenze als solche weniger, aber die Art der Grenzsicherung um so mehr. Das gipfelte natürlich in Madrid in dem, was Genscher über die Selbstschußanlagen vorgebracht hat. Das war eine Überraschung auch für die DDR-Führung. Später wurden diese Selbstschußanlagen ja durch die Vermittlung von Strauß abgebaut.

Frage:

Hätten die Selbstschußanlagen nicht bereits aufgrund des „Korbes 3“ der Helsinkivereinbarungen abgebaut werden müssen?

Steglich:

Das ist ein Grundfehler. „Korb 3“ hat mit dem Abbau der Minen im Grunde genommen nichts zu tun.

Frage:

Hat Helsinki überhaupt etwas mit dem Abbau der Minen etc. zu tun?

Steglich:

Nein, auch nicht.

Frage:

Mir wurde von diversen Interviewpartnern gesagt, die Selbstschußanlagen standen bereits seit Helsinki zur Debatte.

Steglich:

Na gut, das kann ich jetzt nicht beurteilen, ich bin kein Militär. Vor Helsinki und in Helsinki war das kein Thema. Das wurde es aus meiner Sicht erst ab Madrid.

Frage:

Also wurden die Selbstschußanlagen erst durch den Milliardenkredit von Strauß abgebaut?

Steglich:

Im Grunde genommen – schon, weil das eine souveräne Entscheidung der DDR war. Erst Strauß hat über gewisse Kanäle dahin gewirkt, daß dieser Abbau vonstatten geht. Natürlich hatte diese Kritik, die auf solchen Konferenzen wie der KSZE geübt wurde, Einfluß darauf gehabt. Aber es war eine souveräne Entscheidung der DDR.

Frage:

Die durch den Straußkredit initiiert wurde?

Steglich:

Ja. Selbst wenn es in Helsinki oder auf den Nachfolgekonferenzen beschlossen worden wäre, hätte es die DDR garantiert nicht gemacht. Das war eine innere Angelegenheit.

Frage:

Warum hat sich die DDR überhaupt so schwer getan, Beschlüsse, die auf diesen KSZE-Verhandlungen gefaßt wurden, umzusetzen?

Steglich:

Das hat sie eigentlich gar nicht. Vieles, was auf den Konferenzen beschlossen oder als Empfehlungen angenommen wurde, war bereits internes Regelwerk in der DDR. Das war die Angleichung an internationale Verpflichtungen und ähnliches mehr. Es gab bestimmte Dinge, die besonders sensibel waren. Z.B. das Problem „Ausreise“. Und natürlich die Einreise in die DDR. Beispielsweise wollte die DDR den Mindestumtausch nicht abschaffen, was der Westen natürlich wollte. Das war ein Streitpunkt. Oder die Menschenrechtsgruppen später. Das war ein Problemfall. Oder bestimmte Regeln für die Ausreise aus der DDR. Bekanntlich wurde ja in Wien beschlossen, daß Ausreiseanträge – auch wiederholt – gestellt werden dürfen usw., und im Falle einer Ablehnung zu begründen war, warum eine Ausreisegenehmigung nicht erteilt wurde. Das waren für die DDR Knackpunkte. Im Großen und Ganzen waren die großen Linien der KSZE für die DDR kein Thema. Sie wurden es dann, als die Menschenrechtsgruppen in der DDR solche Dinge aufgriffen und damit in der DDR auftraten.

Frage:

War das, was diese Gruppen verlangten, nicht mehr legitim?

Steglich:

Ich glaube, man darf das nicht isoliert betrachten. Das muß man im Kontext der gesamten Entwicklung in der DDR betrachten. Je mehr es dem Ende zuging, desto zugespitzter wurden die Debatten. Die Menschenrechts- und Bürgerrechtsgruppen griffen natürlich diese KSZE-Dokumente auf und erhoben das alles zu Forderungen. Die DDR-Führung war dagegen der Meinung, sie brauche nur das zu machen, was gerade mal für sie tolerabel war. Das differierte natürlich in gewisser Weise mit den weitreichenden KSZE-Forderungen. Insofern war die KSZE zwar ein Element, aber man muß es, glaube ich, vor einem anderen Hintergrund sehen. Ich nenne hier ein Beispiel: Die Kirchenpolitik der DDR, das behaupte ich, war im weitesten Sinne relativ human. Bis in die letzten Jahre. Da begann die DDR die Rechte und die Möglichkeiten für die Kirchen ganz massiv einzuschränken. Natürlich gab es dann Widerstand.
Wissen Sie, die Leute, die in der DDR das Sagen hatten, also die politischen Entscheidungsträger, fühlten sich mehr und mehr unwohl, aber das war nicht allein eine Folge der KSZE, sondern das war eine Folge der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung im Staate. Die KSZE kam dann hinzu. Und je auswegloser und problematischer die Lage im Lande war, desto stärker wurden die Forderungen des Westens. Auch eigentlich normal.

Frage:

Und die Politiker der DDR standen ganz gewaltig unter Druck.

Steglich:

Absolut. Sie standen gewaltig unter Druck. Nur mit dem Druck sind die verschiedenen politischen Entscheidungsträger unterschiedlich umgegangen. Beispielsweise während des Wiener Treffens, das war auch die Gorbatschow-Zeit, hatten die Sowjetunion oder Ungarn und Polen viel mehr Spielräume und Bewegungsräume für Vereinbarungen zugelassen als Rumänien und die DDR. Teilweise war Rumänien sogar noch nachgiebiger als die DDR. Das hing von der Lage im Lande ab. Gorbatschow und seine Leute wollten mehr öffnen – sie suchten sozusagen das Verständnis und die Vereinbarung mit dem Westen – und andere kapselten sich mehr und mehr ab.

Frage:

Und Honecker verbot sogar den „Sputnik“.

Steglich:

Genau, das war das Schlimme an der Sache.

Frage:

Honecker lehnte sich sozusagen gegen den „eigenen Papst“ auf.

Steglich:

Das ist richtig, und es gab nicht wenige Spannungen zwischen Moskau und Berlin über Fragen der KSZE. Das ging in Wien sogar soweit, daß Honecker darauf bestand, daß extra eine Delegation aus der Sowjetunion nach Berlin kommen mußte, damit die DDR das Wiener Dokument des Wiener-Folgetreffens schließlich akzeptiert. Er sagte ihnen aber gleich, daß er den Texten hinsichtlich der Menschenrechtsgruppen zwar zustimmt, aber nicht daran denke, das in der DDR auch zu realisieren.

Frage:

Würden Sie eine solche Haltung Honeckers noch als politisch oder schon als kriminell bezeichnen?

Steglich:

Nein, nicht kriminell, aber als politisch dumm, kurzsichtig und in gewisser Weise irrelevant.

Frage:

Soweit Honecker die Menschenrechte verwehren wollte, könnte das minimal auch als Freiheitsberaubung aufgefaßt werden. Warum also nicht kriminell?

Steglich:

Ich bin kein Jurist, aber ich könnte das Thema „Menschenrechte“ gut und gerne diskutieren, weil ich behaupte, der Begriff der „Menschenrechte“ ist viel, viel weiter auszulegen, als es die KSZE in einzelnen Punkten festgelegt hat. Aber natürlich spielen die Menschenrechte eine große Rolle, und es war ja ein Manko in der DDR, daß gerade die wahrnehmbaren Menschenrechte in der DDR – wie die Bewegungsfreiheit und die Informationsfreiheit zu großen Teilen – systematisch außer Kraft gesetzt worden sind. Das war nicht nur politisch dumm, das war – ich weiß nicht, wie es bezeichnen soll – unrealistisch bis dort hinaus.

Frage:

Hätte in Anbetracht der Festlegungen auf den KSZE-Konferenzen – von Helsinki bis Wien – die Mauer nicht gänzlich abgebaut werden müssen, um diese Festlegungen zu realisieren?

Steglich:

Na ja, ob gänzlich, das will ich nicht sagen, aber man hätte zumindest – wir waren ja ziemlich stabil – ein ganz normales Grenzregime einrichten müssen. Das ehemalige Politbüromitglied Hermann Axen, in einem Interview darauf angesprochen, hat auch Selbstkritik geübt. Sinngemäß sagte er, daß nach der Schlußakte von Helsinki große Fehler gemacht worden sind. Auch er war der Meinung, daß ein ganz normales Grenzregime hätte eingerichtet werden müssen.

Frage:

Wie es zwischen „normalen“ Staaten üblich ist?

Steglich:

Ja, mit Grenzübergängen, mit normalen Ein- und Ausreisemöglichkeiten, wie es im Grunde jeder westliche Staat praktiziert.

Frage:

Also die Mauer auf jeden Fall dann weg.

Steglich:

Na gut, die Mauer hätte zwar nicht weggemußt, aber sie wäre soweit durchlöchert worden wie ein Schweizer Käse und hätte im Grunde keine Bedeutung mehr gehabt. Der Fehler, einer der strategischen Fehler bestand aus meiner Sicht darin, daß man die Mauer befestigt hat, daß man das immer schlimmer gemacht hat, daß das Grenzregime noch mehr angezogen wurde. Man hätte nach dieser relativen Entspannung, die in der Folgezeit nach Helsinki entstanden ist, ganz normal handeln, den Bürgern freie Aus- und wieder Einreise gewährleisten müssen, das wäre die richtige Reaktion gewesen. Dann wäre, glaube ich, vieles ganz anders gelaufen.

Frage:

Wäre man dazu verpflichtet gewesen in der DDR?

Steglich:

Nein, verpflichtet kann man nicht sagen, denn die ganzen Vereinbarungen von Helsinki standen immer unter dem Vorbehalt einer souveränen Entscheidung eines souveränen Staates. Immerhin hat die DDR das Schlußdokument von Helsinki in einer Auflage von 1 Million Exemplaren verteilt, was sehr viel ist für ein sozialistisches Land. Kein westliches Land hat in irgendeiner Zeitung die Schlußakte von Helsinki im Wortlaut abgedruckt.

Frage:

Sogar das Neue Deutschland, das damalige Zentralorgan der SED, war zum ersten Mal in seiner Geschichte ausverkauft, weil dort das Dokument voll abgedruckt war.

Steglich:

Sehr richtig, und das ist in vielen anderen Zeitungen später auch so geschehen. Das zeigte natürlich auch, daß die Leute das verfolgt haben und daß sie ganz genau wußten, was gemeint ist.
Wenn ich das mal am Rande erwähnen darf: In der Vorbereitungszeit zum ersten Helsinki-Schlußdokument, da wußte auch der Westen nicht genau, was er mit der Schlußakte eigentlich anfangen sollte. Das entwickelte sich erst später. Es kam das Belgrader Treffen, das war die Zeit von Jimmy Carter, der die Menschenrechte „entdeckte“, und es ging dann in andere Regierungen des Westens über. Als die merkten, ja mein Gott, was können wir denn alles mit dieser Schlußakte und mit den Folgedokumenten der KSZE anfangen, haben die genauer die Praktiken in den sozialistischen Ländern studiert und daraus ihre Forderungen entwickelt.

Frage:

Sie sagen zwar, daß die Staaten nicht verpflichtet gewesen wären, gewisse Sachen umzusetzen, aber die Initiative ging, wie ich das in Ihrem Buch ja auch bestätigt gefunden habe, von östlicher Seite aus; hat man sich denn da keine Gedanken über die Glaubwürdigkeit gemacht, wenn mitgefaßte Beschlüsse nicht umgesetzt werden?

Steglich:

Doch, das schon, aber wissen Sie, das Hauptthema der gesamten KSZE war im strategischen Denken der Sowjetunion und der sozialistischen Staaten die Festigung des status quo und der militärischen Entspannung. Das war eine sicherheitspolitische Frage. Das war doch für die Leute im Osten nicht in erster Linie eine Menschenrechtsfrage, sondern die Menschenrechte wurden vom Westen dann sozusagen als Element entdeckt und sie haben es dann entwickelt …

Frage:

… und den sozialistischen Staaten dann sukzessive aufgedrückt …

Steglich:

… genau, sukzessive aufgedrückt …

Frage:

… mal ganz abgesehen davon, daß die Meinungen über die Menschenrechte sowieso gespalten sind …

Steglich:

… absolut; von vornherein gab es zwei Meinungen über die Menschenrechte, das ist ganz klar: die westliche und die östliche Auffassung. Aber im Mittelpunkt des ganzen KSZE-Prozesses, das war noch die Breschnew-Zeit, stand die Festigung des status quo. Ich erinnere mich noch, die Reden in Helsinki – auch die der westlichen Staatsmänner – drehten sich im Grunde genommen um dieses Thema. Und für den Osten und damit natürlich auch für die DDR, war Helsinki die Festigung des status quo und damit, das wurde propagiert, sozusagen die Lösung der deutschen Frage. Was natürlich nicht stimmte. Man glaubte, durch die Festschreibung der Grenzen und die Anerkennung der beiden deutschen Staaten in einem internationalen Prozeß, wäre die deutsche Frage gelöst – durch die Existenz von zwei souveränen Staaten. Genau das Gegenteil stellte sich später heraus.

Frage:

Hat man denn auf östlicher Seite kein Empfinden dafür gehabt, daß das Grenzregime, so wie es praktiziert wurde – es hat ja auch eine Menge Tote und Verletzte gegeben -, von der westlichen Seite als menschenrechtswidrig angesehen wurde und letzten Endes ja auch menschenrechtswidrig war?

Steglich:

Das war natürlich menschenrechtswidrig und so hat es der Westen auch betrachtet. Und das wurde auch, wie ich es Ihnen schon sagte, in gehöriger Form bei den KSZE-Verhandlungen vorgetragen. Das war immer einer der Punkte. Ich will nicht sagen, der entscheidende Punkt, weil der Westen einen ganzen Komplex von Fragen aufrollte. Ihm ging es um viel mehr, nicht nur um ein Grenzregime. Ihm ging es um die Religionsfreiheit, um Informationsfreiheit und um die Bewegungsfreiheit der Menschen im Osten.

Frage:

Und um die Abschaffung des Kommunismus’ überhaupt.

Steglich:

Das sowieso. Daß es dann so schnell ging, haben die sich dann auch nicht träumen lassen. Aber es war letztendlich nicht deren Erfolg, sondern es waren die eigenen Fehler, die zum Untergang des Systems geführt haben.

Frage:

Haben Sie sich persönlich unter Druck gesetzt gefühlt oder hatten Zweifel? Oder haben Sie sich gesagt: Fahr deine Linie; und was gefordert wurde, ist an Ihnen abgeprallt?

Steglich:

Wissen Sie, die Diplomaten sind in gewisser Weise wie Soldaten. Da gibt es eine Direktive und dann wird’s gemacht. Aber leugnen kann und will ich auch gar nicht, daß man sich natürlich Gedanken gemacht und mit einigen engeren Vertrauten gesprochen hat. Wir hatten Freitagabend in Wien z.B. immer einen sogenannten Entspannungstag, einen Saunaabend, da haben wir uns hingesetzt und so im engeren Kreise Dinge diskutiert. Und das ist dann eingeflossen in bestimmte Überlegungen. Nur, muß ich Ihnen sagen, ab einer bestimmten Ebene, auch im Außenministerium, gab es nicht die Bereitschaft, z.B. Honecker oder dem Politbüro vorzuschlagen: Also laßt uns mal die Direktive ändern und laßt uns mal etwas lockerer sein. Das war in der Endphase dann so, als es überhaupt nicht mehr ging, dann mußte das gemacht werden, aber bis dahin war das kein Thema. Aber Gedanken haben wir uns wohl gemacht.

Frage:

Haben Sie nicht mal anklingen lassen, daß der Westen mit seinen Forderungen vielleicht Recht haben könnte und wollten mehr Freiheiten, um Konzessionen machen zu können?

Steglich:

Nein, das habe ich nicht gemacht. Ganz sicher war ich im Wesen davon überzeugt, daß unsere Politik schon die richtige war. Denn für uns standen nicht die Einzelfragen irgendeines Korbes, sondern für uns stand das breite Spektrum der Entspannungspolitik im Vordergrund. Die war für uns wichtig.

Frage:

Ist durch das praktizierte Grenzregime die Entspannung nicht bis zuletzt irgendwo sabotiert worden?

Steglich:

Nein, das kann man eigentlich nicht sagen. Nach der Annahme der Schlußakte von Helsinki gab es eine Periode der relativen Entspannung. Das wurde allgemein anerkannt. Später stieg die Spannung wieder. Aber das war nicht eine Folge der Erfüllung oder Nichterfüllung der KSZE-Verpflichtungen, sondern das war eine Folge der allgemeinen internationalen Lage. Da gab es wieder Aufrüstung, es gab den NATO-Doppelbeschluß und ähnliches mehr. Das waren Dinge, die dann zu großen Spannungen führten. Es kamen natürlich auch die ideologischen Auseinandersetzungen ins Spiel, das ist gar keine Frage. Aber im wesentlichen ging es um die Verhinderung eines Krieges. Das darf man heute nicht vergessen. Die Realität des Ausbruches eines Krieges war relativ groß.

Frage:

Heute stehen oder standen ja eine Menge von Funktionsträgern aus der ehemaligen DDR vor Gericht, wegen Totschlag durch aktives Tun oder Totschlag durch Unterlassen. Hätten sie sich das alles ersparen können, wenn sie schon in den 70er oder 80er Jahren alles etwas gelockert hätten?

Steglich:

Das weiß ich nicht. Wissen Sie, mir scheint, daß in diesen Prozessen sehr viel im Grunde genommen übertrieben worden ist, denn sehr viele von den sogenannten Funktionsträgern wußten ja gar nicht, worum es geht. Bestimmte Entscheidungen sind ja in einem relativ kleinen Kreis getroffen worden, sechs oder acht Leute haben da etwas gemeinsam mit der Sowjetunion gemacht. Vorwiegend war es militärisch begründet. Irgendwelche Politbüromitglieder, die mit Wirtschaftsfragen zu tun hatten, außer Günter Mittag vielleicht, haben da wenig damit zu tun gehabt.

Frage:

Diese Politbüromitglieder haben aber auch Beschlüsse, die das Grenzregime betrafen – inwiefern diese kausal oder nicht kausal für die Todesschüsse an der Grenze waren, sei mal dahingestellt -, mit abgenickt.

Steglich:

Gut, das kann ich im einzelnen nicht beurteilen, weil das unsere Thematik nicht betraf. Denn wenn wir Direktiven oder irgend etwas anderes eingebracht haben, die vom Politbüro zu beschließen waren, dann waren das allgemein gehaltene Beschlüsse, die mit der Grenzsicherung oder dem Grenzregime null zu tun hatten. Ich war einmal in einer Politbürositzung, wo es um die Schlußakte von Helsinki ging. Da traten einige, die sogenannten Hardliner wie Albert Norden, Paul Verner, auch Kurt Hager und Erich Mielke, der nie etwas gesagt hat, auf und stellten die Schlußakte in Frage, weil denen als alte Klassenkämpfer doch klar war, daß das, was in Helsinki vereinbart worden war – das war noch nicht so viel wie in Wien – ihre Position in Frage stellte. Da hörte man Sätze wie: „Die gehen doch an unsere Grundlagen, die gehen an das, was wir eigentlich nicht wollen.“ Die Alten liefen da schon irgendwie Sturm. Als 1975, das weiß ich noch ganz genau, eine Debatte über die Schlußakte von Helsinki geführt wurde, hat Honecker die Leute unterbrochen und gesagt: „Das brauchen wir nicht mehr zu beschließen, das ist Fakt, das ist beschlossen, da brauchen wir nicht mehr dran rumzureden, wir müssen nur noch entscheiden, was ich dort in Helsinki in meiner Rede sage.“ Nur die alten „Kämpfer“, die mußten natürlich dagegen sein, weil sie merkten: das führt in der Endkonsequenz zu dem, was sie nicht wollten.

Frage:

Honecker hat sich nach Ihren Worten zwar dafür eingesetzt, daß die Schlußakte (inklusive Korb 3) angenommen wird, aber umgesetzt wurde letzten Endes relativ wenig.

Steglich:

Da habe ich ein bißchen eine andere Meinung, weil vieles, was festgeschrieben war, im Grunde genommen von der DDR praktiziert wurde. Hier will ich jetzt mal die Reisesachen und die Informationstätigkeit ausklammern, aber vieles, vieles, was in der Schlußakte stand, war normal praktizierte Politik.

Frage:

Aber die Leute wollten im Grunde genommen auch an den Geschäften keine Schlange stehen …

Steglich:

… das ist der Punkt …

Frage:

… sie wollten reisen, sie wollten andere Freiheiten und das ist nach Helsinki eben – wenn überhaupt – nur sukzessive bzw. überhaupt nicht realisiert worden.

Steglich:

Das ist richtig, das ist einer der Punkte. Man hat zu wenig darauf geachtet, das richtig umzusetzen, im breitesten Sinne.

Frage:

Man wollte wohl eher, daß alles schön auf dem Papier steht, um nach außen zu dokumentieren: Das alles haben wir, aber innen drin, wo man nicht reinsehen konnte oder nicht reinsehen lassen wollte, haben die Leute gemeckert von morgens bis abends.

Steglich:

Natürlich. Gut, Versorgungslücken spielten in der KSZE keine Rolle, das waren interne Dinge eines Staates. Nur, wären die wahrnehmbaren Möglichkeiten richtig realisiert worden – darunter verstehe ich Reisepolitik, Informationspolitik und anderes mehr -, dann hätte das ganz deutlich zu einer Entspannung und auch zu einer Entkrampfung im Staate geführt.

Frage:

Vermutlich hätte auch nur der reisen können und wollen, der, wie im Westen auch, das nötige Kleingeld- oder Großgeld dazu gehabt hätte. So viele wären es daher wohl nicht gewesen.

Steglich:

Genau. Es gab z.B. Informationsrunden mit der evangelischen Kirche, Stolpe war einer unserer Gesprächspartner, der sagte: Geben Sie den Menschen wenigstens das Gefühl, daß sie reisen können. Es sei eine andere Frage, ob man es realisieren kann, ob sie materiell dazu in der Lage sind. Das ist übrigens heute noch genauso. Reisen darf jeder, aber ob er es wirklich kann, das ist eine andere Frage.

Frage:

Ist überhaupt etwas konkret umgesetzt worden, was in den KSZE-Verhandlungen festgeschrieben worden ist und wo die Bürger- und Menschenrechtsgruppen sagen konnten: Das ist gemacht worden, damit sind wir zufrieden.

Steglich:

Das ist dann schon gemacht worden, und zwar in der Zeit der Regierung von Hans Modrow. Er hat in einer generellen Regelung – ich vermag nicht zu sagen, ob das dann Gesetzeskraft hatte -, festgeschrieben, daß alles, was in der KSZE festgelegt worden war, für verwirklichungspflichtig erklärt wurde. Das setzte dann natürlich auch voraus, daß alles das, was vereinbart war, dann auch tätige Praxis wurde. Aber das ist im Großen und Ganzen eine zu kurze Zeit gewesen, um das wirklich zu realisieren.

Frage:

Meine Frage zielte eher darauf, ob es bereits unter Honecker konkrete Umsetzungen von KSZE-Festlegungen gab?

Steglich:

Natürlich gab es auch Dinge, die vorher passiert sind, also gewissermaßen unter Honecker, ohne daß ich sagen möchte, daß das allumfassend war. Die Einrichtung von Berufungsgerichten z.B. wurde unter Honecker verwirklicht. Oder die Aufhebung der Todesstrafe. Auch das waren KSZE-Forderungen. Partiell ist nicht wenig passiert, auch in der Honecker-Ära. Ich möchte auch folgendes noch mal im nachhinein sagen, das ist auch meine These: In der Anfangsphase der KSZE, also zwischen 1973 und 1975, sogar bis hin in den Anfang der 80er Jahre, gehörte die DDR aus dem Grunde, daß die KSZE sozusagen die Festigung des status quo in Europa bewirken sollte, zu den Aktivisten im KSZE-Prozeß. Später, als sich das dann auf die Menschenrechte, auf Korb 3 einengte, da wurde die Sache natürlich immer schlimmer. Und ganz zum Schluß war die DDR irgendwie ein erklärter Gegner der KSZE, weil sie aufgrund vieler Forderungen nicht mehr ein noch aus wußte. Sie wurde vom KSZE-Aktivisten zum de-facto-Gegner des Prozesses. Das ist eine Spanne, die sich im wesentlichen natürlich aus den innenpolitischen Entwicklungen erklärt, die dann eingetreten sind.

Frage:

Also hinsichtlich der Forderungen bezüglich des Korbes 3?

Steglich:

Darum geht es. Man darf dennoch nicht vergessen, zu sagen, daß vieles, was in den KSZE-Dokumenten steht, bereits gängige Politik war. Da hat die DDR sogar viele Vorschläge eingebracht, auch in Korb 3. Diese Dinge sind eingegangen in die Formulierungen der KSZE. Das heißt, wir waren sehr rege beteiligt am Prozeß der Abfassung von Dokumenten. Es gab natürlich auch Elemente, wo die Delegation dann die Direktive erhielt, beispielsweise, was Korb 3 betrifft, zwar anwesend zu sein, aber nicht mehr mitzuarbeiten. Das war die Endphase. Das zeigt schon, wie sich die DDR mutiert hat in diesem Prozeß.

Frage:

Also beschränkte sich die DDR nur noch auf die Abrüstungs- und Wirtschaftsfragen?

Steglich:

Na ja, in der Sache ging’s um den status quo, das war das A und O.

Frage:

Und da funkte der Westen dann mit den Menschenrechten dazwischen, womit der Osten nicht gerechnet hatte und konnte sich dem nicht mehr verschließen?

Steglich:

Sehr richtig. Man konnte sich dem nicht mehr verschließen und die Stimmung im Lande selbst wurde immer stärker. Die Menschen haben diese Festlegungen genommen und politische Forderungen abgeleitet. Und das ging der damaligen Führung der DDR zu weit, die immer glaubte, selbst festlegen und bestimmen zu müssen, was gut für den Staat ist. Und das ist eigentlich schlecht für jeden Staat, wenn dessen Regierung meint, sie hätte das Monopol auf die Festlegung von irgendwelchen Dingen. Ich glaube schon, daß es eine Gesellschaft im Ganzen sein muß, die Regeln des Zusammenlebens erfindet. Das ist mehr eine philosophische Betrachtung, die ich hier nicht weiter erörtern will, aber die DDR ist hier natürlich kollidiert mit dem, was die Menschen wollten.

Frage:

Ging die Vorstellung, die Gorbatschow über sein Europäisches Haus entwickelt hat weiter als die der KSZE, die ja nur den status quo im Sinn hatte?

Steglich:

Ja, ich glaube schon. Ich kann das jetzt nicht im einzelnen belegen, was die sowjetische Führung da gedacht hat. Aber ich glaube schon, es ging deutlich weiter. Nehmen wir nur den Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Dort gingen die Vorstellungen der Sowjetunion im wesentlichen sehr viel weiter. Auch zu den Menschenrechten. Ich nenne Ihnen hier ein kleines Beispiel, das zeigt, wie weit sie damals schon gingen. Zu Beginn des Wiener Treffens, das war 1986, sagte mir der sowjetische Delegationsleiter: Du, der Schewardnadse hat eine Mitteilung für den Fischer. Sag dem mal, die Sowjetunion schlägt vor, ein Treffen über die menschliche Dimension in der KSZE in Moskau durchzuführen. Das schlug natürlich bei Fischer ein wie eine Bombe. Die Sowjetunion hatte vorher nie über Menschenrechte mit ihren Verbündeten geredet und plötzlich kommt der sowjetische Außenminister zu Beginn der Konferenz in Wien und verlangt eine Konferenz über Menschenrechte in Moskau. Natürlich schlug das sowohl im Westen als auch im Osten ein wie ein Geschoß. Der Fischer fühlte sich düpiert und der Westen sagte: Die wollen uns doch bloß an der Nase herumführen, das meinen die doch nicht ernst. In Wirklichkeit meinten das sowohl die sowjetische Führung als auch Gorbatschow und Schewardnadse sehr ernst. Sie bekamen diese Konferenz über die menschliche Dimension in der KSZE, die allerdings in drei Phasen stattfand. Die erste in Paris, die zweite in Kopenhagen und die dritte in Moskau. Die Absicht war also da, sie waren offenbar bereit, das Land zu öffnen. Hier sagte mir auch der sowjetische Delegationsleiter: Du, wir brauchen mal so eine Konferenz und solche Festlegungen, damit wir das Land weiter öffnen können. Das war also nicht nur bloßes Gerede, sondern ich glaube, dahinter steckte politischer Stil.

Interview: Dietmar Jochum, 16.12.2002

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