Rechtsgrundlage ist kompliziert, aber nicht konstruiert.

TP-Interview mit Oberstaatsanwalt Bernhard J a h n t z.

TP: Herr Jahntz, die Angeklagten im Politbüro-Prozeß sagen, sie hätten nicht die Macht gehabt, die Mauer- und Grenztoten zu verhindern. Provozierende Frage an Sie: Warum klagen Sie Unschuldige an?

Jahntz: Wir klagen keine Unschuldigen an. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen sind die Angeklagten hinreichend verdächtig, sich im Sinne der Anklage strafbar gemacht zu haben. Die Angeklagten h a t t e n die Macht, das tödlich wirkende Grenzregime zu ändern. Und sie hatten eine Rechtspflicht, eine Handlungspflicht verletzt, indem sie eben nicht die Humanisierung des Grenzregimes unternommen haben. Das machen wir ihnen zum Vorwurf, d.h. allen Angeklagten außer den Angeklagten Mückenberger und Dr. Hager. Diesen werfen wir aktives Tun vor.

TP: Professor Uwe Wesel wirft Ihnen hinsichtlich dieser Rechtspflicht Konstruktion vor.

Jahntz: Rechtliche Grundlage ist das zur Tatzeit geltende DDR-Recht; diese Grundlage ist kompliziert, aber nicht konstruiert.

TP: Die Angeklagten berufen sich ja darauf, daß die DDR ein anerkannter Staat innerhalb der UNO war, sowie auf den Grundlagenvertrag von 1972. Desweiteren führen sich für sich ins Feld, daß ihnen juristisch nie etwas zum Vorwurf gemacht wurde. Wieso jetzt die Anklage, worauf begründen Sie, daß die westdeutsche Justiz befugt ist, hier darüber zu verhandeln?

Jahntz: Zunächst eines zur Klarstellung: nicht die „westdeutsche Justiz“ verhandelt eine Strafsache, sondern die Justiz der Bundesrepublik Deutschland. Zum zweiten: Es gibt vielfältige politische Beziehungen in der Welt zwischen Staaten, wie es früher in der DDR so schön hieß, unterschiedlicher Gesellschaftsordnung. Auch der Nationalsozialismus hatte diplomatische Beziehungen zu diesem und jenem Staat, und das hat uns zu Recht nicht daran gehindert, sofern strafrechtliche Schuld ausgemacht wurde, anzuklagen, und, wenn die Gerichte mitgezogen haben, auch zu verurteilen. Die Tatsache, daß also ein Staat Mitglied der Völkergemeinschaft war oder ist, die DDR UNO-Mitglied war, hindert nicht daran, einzelnen Personen, Individuen, wenn man bei ihnen strafrechtliche Schuld findet, sie ihnen vorzuwerfen und dies gerichtlicher Klärung zuzuführen.

TP: Woraus beziehen Sie Ihre Befugnis konkret?

Jahntz: Unsere Befugnis ergibt sich aus dem Einigungsvertrag. In dem ist festgelegt, daß zwar grundsätzlich alle staatlichen Akte Bestand haben sollen, daß gleichwohl aber strafbares Unrecht durch den neuen Gesamtstaat Bundesrepublik Deutschland verfolgt werden kann und muß. Danach gehen wir vor.

TP: Sie stützen Ihre Anklage hinsichtlich der vier jüngeren Angeklagten auf Totschlag durch Unterlassen. Wieso nicht durch aktives Tun?

Jahntz: Die Anklageschrift geht davon aus, daß die grundlegenden Beschlüsse und Gestaltungen des Grenzregimes vor dem Beitritt dieser vier Angeklagten als Mitglieder des Politbüros erfolgt sind, daß danach das Grenzregime eben aufrechterhalten wurde, daß es also keines positiven Tuns mehr bedurfte, um etwas ins Werk zu setzen. Daraus haben wir in Verbindung mit verschiedenen Artikeln der Verfassung der DDR gefolgert und das auch dargelegt, daß eine Rechtspflicht bestand, das Grenzregime zu humanisieren. Dieser Pflicht nachzukommen haben diese vier Angeklagten unterlassen.

TP: Es besteht die Möglichkeit, daß das Bundesverfassungsgericht ein Urteil, sofern eines zu Ungunsten der Angeklagten erfolgt, aufheben wird.

Jahntz: Es ist völlig verfrüht, Mutmaßungen über ein noch gar nicht gesprochenes Urteil anzustellen. Nun hat zwar das Bundesverfassungsgericht 1994 einstweilige Anordnungen erlassen, durch welche die Vollstreckung rechtskräftig wegen Todesschüssen an der Grenze verhängter Urteile gestoppt worden ist. Es gibt aber eine Entscheidung desselben Senats des Bundesverfassungsgerichts, einer anderen Kammer, aus dem Jahre 1992 betreffend Willi Stoph, in der ein solcher Antrag, bezogen nicht auf Vollstreckung, sondern auf das Erkenntnisverfahren, mangels Erfolgsaussicht gar nicht erst zur Entscheidung angenommen worden ist. Ich bin zuversichtlich, daß das Bundesverfassungsgericht die Verfolgungspraxis der Strafjustiz bestätigen wird.

TP: Die Anwälte sehen das anders. Sehen Sie in ihren Anträgen Wahrnehmung ihrer Rechte oder Prozeßverschleppung?

Jahntz: Es bestand bisher kein Anlaß, die Ablehnung eines Antrages mit der Begründung der Prozeßverschleppung zu beantragen.

TP: Die Angeklagten berufen sich auch darauf, nach bestehenden Gesetzen gehandelt zu haben.

Jahntz: Das ist ein legitimes Verteidigungsvorbringen. Unsere Auffassung ist das aber nicht, sonst hätten wir nicht anklagen können. Der Einigungsvertrag legt uns auf, und das macht dann aus, daß wir nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen, daß wir nur solche Taten anklagen und verfolgen dürfen, die zur Tatzeit am Tatort strafbar waren, also nach dem Strafrecht der DDR. Nach dem beurteilen wir die Angeklagten und nach dem haben sich die Angeklagten nach der Auffassung der Staatsanwaltschaft und nach vorläufiger Bewertung im Eröffnungsbeschluß strafbar gemacht.

TP: Ist das jetzt von Ihnen eine Vermutung, daß die Angeklagten im Politbüro die Macht hatten oder woraus leiten Sie das ab?

Jahntz: Wir erheben keine Anklagen aufgrund von Vermutungen. Wie schon eingangs gesagt: Als Ergebnis der Ermittlungen, aufgrund der Fülle des Materials, das wir gesichtet haben, ergibt sich, daß das Politbüro, und das kann man in Büchern einiger der Angeklagten auch nachlesen, daß das Politbüro die Macht- und Schaltzentrale in der DDR war. Wie in Staaten dieser Gesellschaftsordnung üblich, ist es das Parteiorgan, das die Grundentscheidungen trifft, die dann in den Staatsorganen als den ausführenden Organen umzusetzen sind. Diese ausführenden Staatsorgane konnten in der DDR nicht ohne oder gar gegen den Willen des Politbüros handeln. Das haben wir durch eine Fülle von Beweismaterial belegt, und das hat dann auch das Gericht dazu veranlaßt, das Verfahren zu eröffnen.

TP: Von den Angeklagten bzw. ihren Verteidigern wird Ihnen ja vorgeworfen, Sie würden die historischen Gegebenheiten nicht berücksichtigen, so z.B. daß die DDR im Warschauer Pakt eingebunden war.

Jahntz: Die Staatsanwaltschaft hat bei ihrer Anklage berücksichtigt, daß die DDR bei ihren Grenzsicherungsmaßnahmen nicht im luftleeren Raum handelte, daß die DDR Mitglied im Warschauer Vertrag war.

TP: Die Angeklagten machen im Hinblick auf Grenzsicherungsmaßnahmen geltend, es habe der DDR an der nötigen Souveränität gefehlt, die Grenzsicherungsmaßnahmen aufzuheben oder zu mildern.

Jahntz: Die DDR war in Fragen des Grenzsystems so souverän, daß sie die Art und Ausgestaltung des Grenzregimes auf jeden Fall selbstverantwortlich bestimmen konnte. Es hat sich ja gezeigt, daß es der DDR z.B. in den beginnenden 80er Jahren möglich war, die Entscheidung über den Abbau der SM-70-Anlagen zu treffen – das ist ja allgemein bekannt. Trotzdem blieb der Schußwaffengebrauch an der innerdeutschen Grenze bestehen. All diese Umstände hat die Staatsanwaltschaft bei der Abfassung der Anklageschrift berücksichtigt. Demzufolge geht die Staatsanwaltschaft davon aus, daß die DDR grundsätzlich in der Lage war, ihr Grenzregime selber frei zu gestalten in dem Sinne der Anforderungen, wie sie die Anklageschrift an die Angeklagten stellt. Stichwort: Humanisierung des Grenzregimes.

TP: Nun verweist ja Egon Krenz insbesondere auf die Briefe von Abrassimow, daß die DDR eben nicht die Souveränität in Grenzsicherungsfragen hatte wie Sie das darstellen.

Jahntz: Ich werde auf diese oder andere Einzelheiten der laufenden Hauptverhandlung nicht eingehen. Das Ergebnis ihrer Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift niedergelegt: Die DDR w a r in der Lage, ihr Grenzregime nach eigenem Belieben auszugestalten.

TP: Wobei nur noch einmal die Frage offenbleibt, ob das Politbüro für all das die Verantwortung trägt…

Jahntz: Auch die grundsätzliche Frage „Machtstellung des Politbüros im Staate“ und demzufolge die Frage strafrechtlich vorwerfbarer Schuld der Angeklagten, die Mitglieder des Politbüros waren, hat die Staatsanwaltschaft durch die Anklageerhebung beantwortet: Das Politbüro hatte die Macht im Staate DDR und somit auch die Macht zur Einwirkung auf das Grenzregime dergestalt, daß sie es hätte humanisieren können.

TP: Gehen wir mal davon aus, hier findet eine Verurteilung statt: Im Eröffnungsbeschluß heißt es, daß Haftstrafen möglicherweise gar nicht angetreten werden müssen. Wieso hier trotzdem ein Verfahren?

Jahntz: Das steht im Eröffnungsbeschluß nicht drin. Der Eröffnungsbeschluß verhält sich allerdings zu dem von uns beantragten Haftbefehl mit Haftverschonung. Dazu hat das Gericht dargelegt, warum es von dem Erlaß eines Haftbefehls bei der gegenwärtigen Konstellation abgesehen hat. Der Haftbefehl setzt außer dem dringenden Tatverdacht, der sicher vorliegt, auch Fluchtgefahr voraus. Und in diesem Zusammenhang ist dann argumentiert worden mit den einstweiligen Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts, nämlich wie folgt: Wenn denn derzeit auch rechtskräftige, nämlich durch den BGH bekräftigte Verurteilungen nicht vollstreckt werden können, dann besteht eben keine Fluchtanreiz bietende, nämlich zu verbüßende Strafe – derzeit. So hat das Landgericht argumentiert, man könne eben derzeit eine Fluchtgefahr nicht begründen und dürfe einen Haftbefehl nicht erlassen. Das ist sicherlich eine vertretbare Begründung.

TP: Werden zivilrechtliche Ansprüche in diesem Verfahren mitverhandelt?

Jahntz: Nein.

TP: Die Verteidiger haben Ihnen vorgeworfen, einen zu langen Anklagesatz vorgelesen zu haben.

Jahntz: Die Anklageschrift, genauer der Anklagesatz, hat den Verfahrensgegenstand zu bezeichnen, und das muß je nach der Art des Verfahrensgegenstandes eindeutig sein. Bei einem sehr komplexen Verfahrensgegenstand wird naturgemäß der Anklagesatz nicht nur wenige Zeilen oder Seiten umfassen können. So ist es auch hier.

TP: Nach Ansicht der Verteidigung hat der Anklagesatz die Schöffen beeinflußt.

Jahntz: Ein Anklagesatz muß verlesen werden, auch die Schöffen müssen mit dem Verfahrensgegenstand vertraut gemacht werden wie die Angeklagten. Das ist vom Gesetz so vorgesehen, so sieht es die Strafprozeßordnung im demokratisch verfaßten Rechtsstaat vor, und daran kann auch kein Angeklagter etwas ändern.

TP: Gibt es weitere Verfahren gegen Funktionsträger der ehemaligen DDR?

Jahntz: Es laufen derzeit eine Vielzahl von Verfahren, u.a. zwei Hauptverhandlungen, eine gegen Angehörige des Kollegiums des Ministeriums für Nationale Verteidigung, eine gegen die Chefs der Grenztruppen der ehemaligen DDR, mit ähnlichen Tatvorwürfen, wenn auch von der Verantwortung her angesiedelt auf vergleichsweise niedrigerer Ebene.

TP: Wieviele Verfahren wird es in Zukunft noch geben. Gibt es da etwas, wovon die Öffentlichkeit noch nichts weiß?

Jahntz: Es gibt eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren wegen einzelner Todesfälle, die hier noch im Hause anhängig sind. Wie lange die Ermittlungen im einzelnen dauern werden, vermag ich nicht zu sagen.

TP: Herr Modrow hat in einem Brief an Bundeskanzler Kohl behauptet, es hätte eine Übereinstimmung zwischen Kohl und Gorbatschow gegeben, politische Funktionsträger der ehemaligen DDR juristisch nicht zu verfolgen. Hätte Kohl die juristische Kompetenz gehabt, irgendwelche Straffreiheit zuzusagen?

Jahntz: Die Staatsanwaltschaft hat sich nach den gesetzlichen Bestimmungen zu richten. Das ist der Einigungsvertrag, in dem ist uns die Möglichkeit und die Pflicht zur Verfolgung von Straftätern, gleich welche Funktion sie in der DDR hatten, zuerkannt. Danach handeln wir. Was Politiker besprochen haben, dürfen wir nicht berücksichtigen. Wir haben nach den gesetzlichen Grundlagen vorzugehen und dies ist für uns der Einigungsvertrag in Verbindung mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch und dem Strafgesetzbuch der DDR und unserem Strafgesetzbuch.

Interview: Dietmar Jochum/TP Presseagentur Berlin, 1996

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin/Gerald Wesolowski

Dieses Interview mit Oberstaatsanwalt Bernhard Jahntz, das am 16. April 1996 im „Neuen Deutschland“ als Vorabdruck aus dieser Dokumentation erschien, sorgte für Stimmung unter fünf Angeklagten des Politbüroprozesses (Horst Dohlus, Kurt Hager, Günther Kleiber, Egon Krenz und Erich Mückenberger). Sie gaben dazu eine gemeinsame Erklärung ab, die am 19. April 1996 ebenfalls im „Neuen Deutschland“ abgedruckt wurde. Der Vollständigkeit halber wird sie hier wiedergegeben:

Rechtsverdrehungen eines Staatsanwalts

Erklärung von fünf Angeklagten im Politbüro-Prozeß zum TP-Interview mit Oberstaatsanwalt Jahntz

„Neues Deutschland“ veröffentlichte am 16. April 1996 ein Interview mit Oberstaatsanwalt Jahntz, dem Anklagevertreter im sogenannten Politbüroprozeß. Als Angeklagte in diesem völkerrechtswidrigen Prozeß haben wir im Verlauf der bisherigen Verhandlungen in ausführlichen Erklärungen (die z.T. im ND auszugsweise wiedergegeben wurden) die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft als rechtswidrig und als willkürliche Konstruktion zurückgewiesen. Der bisherige Prozeßverlauf – wie auch das vorliegende Interview – machen deutlich, daß Herr Jahntz im Gegensatz zu seinen Behauptungen keine Rechtsgrundlage für die Verfolgung von Hoheitsträgern der DDR besitzt.

Er will offenbar nicht zur Kenntnis nehmen, daß die Deutsche Demokratische Republik niemals ein Teil der Bundesrepublik war. Sie gehörte nie zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der BRD. Der von der Adenauerregierung verkündete und bis in die 70er Jahre vertretene Alleinvertretungsanspruch der BRD für alle Deutschen, wie die Hallsteindoktrin, war ein Auswuchs des Kalten Krieges. Das konnte jedoch nichts daran ändern, daß die DDR ein souveräner Staat, Mitglied der UNO und von 136 Staaten diplomatisch anerkannt war.

Herr Jahntz will weiterhin nicht zur Kenntnis nehmen, daß es nie eine „innerdeutsche Grenze“ gab. Die DDR war durch Verträge über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten verbunden und gehörte zu den Teilnehmerstaaten des Warschauer Pakts. Daraus erwuchsen ihre Verpflichtungen, die auch das Grenzregime betrafen. Die DDR konnte dieses Regime nicht ohne Zustimmung der anderen Staaten des Warschauer Pakts ändern, da eine Funktion der Grenze in der Wahrung der Sicherheitsinteressen der sozialistischen Staaten, in der Erhaltung des Friedens zwischen den Militärblöcken NATO und Warschauer Pakt bestand.

Herr Jahntz erklärt, daß eine Rechtspflicht bestand, „das Grenzregime zu ändern“. Er kann jedoch nicht widerlegen, daß die Beschlüsse des Politbüros des ZK der SED und sämtliche das Grenzregime betreffenden Gesetze und Verordnungen der Volkskammer, des Staatsrates, des Nationalen Verteidigungsrates dazu beitragen sollten, daß Grenzverletzungen vermieden werden, daß niemand zu Schaden kam. Wenn es dennoch zu Zwischenfällen an der Grenze kam, so ist dies ausschließlich auf die Verletzung des militärischen Sperrgebiets zurückzuführen. Die Zwischenfälle sind bedauerlich. Sie können jedoch nicht dem Politbüro, den bewaffneten Kräften und schon gar nicht den Grenzsoldaten angelastet werden.

Herr Jahntz erklärt, der Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR fordere, „daß wir nur solche Taten anklagen und verfolgen dürfen, die zur Tatzeit am Tatort strafbar waren, also nach dem Strafrecht der DDR“. Bis zum heutigen Tag hat die Staatsanwaltschaft keinen einzigen Fall vorgelegt, der dieser Forderung genügt. Die nachträgliche, dem Rückwirkungsverbot widersprechende Kennzeichnung von Taten, die „zur Tatzeit am Tatort strafbar“ waren, kann nur durch Rechtsverdrehungen zur Anklage benutzt werden.

Herr Jahntz beruft sich auf den Einigungsvertrag als Rechtsgrundlage für die Anklage gegen uns. Es ist schon merkwürdig, daß dieser Vertrag sich ausschließlich gegen Bürger der DDR richten soll, aber die Bundesrepublik nicht verantwortlich gemacht wird für den Mord an Grenzsoldaten der DDR, für die das Leben vieler Menschen bedrohenden Handlungen von Fluchthelfern und Menschenhändlern. Solange die Verantwortung der BRD für Zwischenfälle an der Grenze ausgeklammert bleibt, kann der Einigungsvertrag nicht als Rechtsgrundlage betrachtet werden.

Alles in allem: Oberstaatsanwalt Jahntz, der weitere Ermittlungsverfahren gegen Bürger der DDR ankündigt, befindet sich immer noch im Schützengraben des Kalten Krieges. Wir fordern die Einstellung aller politischen Prozesse gegen Bürger der DDR, die ausschließlich Ausdruck der Sieger- und Rachepolitik gegen die DDR sind.

Berlin, 17.4.1996

Horst Dohlus, Kurt Hager, Günther Kleiber, Egon Krenz, Erich Mückenberger

Zu dieser Erklärung erhielt auch Oberstaatsanwalt Bernhard Jahntz Gelegenheit zu einer Stellungnahme. Er beließ es bei dem Interview.

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