Die auf
aktienrechtliche Fragestellungen spezialisierte 5. Kammer für Handelssachen des
Landgerichts München I hat unter ihrem Vorsitzenden Dr. Helmut Krenek heute mit
Endurteil (Az. 5 HK O 15710/20) die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse der
Wirecard AG zum 31.12.2017 und 31.12.2018 sowie der darauf aufbauenden
Gewinnverwendungsbeschlüsse der Hauptversammlungen festgestellt.
Dabei musste die Kammer nicht abschließend entscheiden, ob die
Saldenbestätigungen für Treuhandkonten bei einer asiatischen Bank tatsächlich
gefälscht waren und die entsprechenden Third Party Acquiring-Geschäfte
zumindest im Wesentlichen nicht stattgefunden haben, worauf sich der
klagende Insolvenzverwalter berufen hatte. Nach diesem Vortrag müsste von einer
Überbewertung von Aktiva ausgegangen werden, woraus sich aufgrund von § 256
Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG die Nichtigkeit ergibt.
Denn selbst wenn die vom ehemaligen Vorstandsvorsitzenden geltend gemachte
Existenz dieser Gelder auf anderen Konten stimmen sollte, würde sich die
Nichtigkeit der Jahresabschlüsse dennoch ergeben. In diesem Fall läge ein
Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung vor, weil die
Einzahlungen der Gelder dann auf anderen Konten hätten aufgefunden werden
müssen. Dadurch wären gläubigerschützende Vorschriften verletzt, was gem. § 256
Abs. 1 Nr. 1 AktG ebenfalls die Nichtigkeit der Jahresabschlüsse zur Folge hat.
In beiden Sachverhaltskonstellationen bejahte die Kammer auch die Erheblichkeit
des Fehlers, weil die Überbewertung etwa 39 % bzw. 41 % der jeweiligen
Bilanzsummen von knapp € 1,9 Mrd. bzw. etwas mehr als € 2,3 Mrd. ausmachte.Die
Nichtigkeit der Jahresabschlüsse hat aufgrund der gesetzlichen Regelung in §
253 Abs. 1 Satz 1 AktG die Nichtigkeit der in den Hauptversammlungen der Jahre
2018 und 2019 gefassten Gewinnverwendungsbeschlüsse zur Folge.Eine
Beweisaufnahme zur Existenz der Third Party Acquiring-Geschäfte musste daher
nicht stattfinden, weil der abweichende Vortrag vor allem des dem Verfahren als
Streithelfer auf Seiten der Beklagten beigetretenen früheren
Vorstandsvorsitzenden zu keinem anderen Ergebnis führte als der Vortrag des
Klägers.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Zur Erläuterung der Third Party Acquiring-Geschäfte:
Bei ihnen bediente sich die Beklagte in Regionen, in denen sie selbst nicht
über die erforderlichen Lizenzen verfügte, Partnerunternehmen (TPA-Partner) zur
Durchführung von Zahlungsvorgängen im Zusammenhang mit Kreditkartentransaktionen,
wobei diese TPA-Partner die erforderlichen Lizenzen haben sollten. Die Beklagte
sollte dann ihre Kunden – also Händler – an die TPA-Partner vermitteln, die
sodann die Zahlungsabwicklung für diese Kunden übernehmen sollten. Die
Abwicklungsgebühren vereinnahmten die TPA-Partner, obwohl sie eigentlich der
Beklagten hätten zustehen sollen. Die TPA-Partner sollten dann eine Provision
erhalten, die dann wiederum durch den jeweiligen TPA-Partner auf Treuhandkonten
eingezahlt und nicht an die Beklagte ausgeschüttet werden sollte.
Verfasserin der Pressemitteilung:Vorsitzende Richterin am Landgericht München I
Dr. Anne-Kristin Fricke – Pressesprecherin.
Jahresabschlüsse der Wirecard AG für Jahre 2017 und 2018 nichtig.
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