„Uli Honess für alle“.

In Berlin fanden am 4. und 5. November die 4. Gefangenentage statt.

Von Dietmar Jochum, TP Berlin.

Im Senatssaal der Berliner Humboldt-Universität fand bereits am 4. November anlässlich der 4. Berliner Gefangenentage auch die Podiumsdiskussion „Uli Hoeness für alle“ statt. In der Vorankündigung hieß es: „Solange es den Strafvollzug in seiner gegenwärtigen Form gibt, sollte er darauf ausgerichtet sein, nicht nur wenigen Prominenten, sondern immer mehr Menschen eine vorzeitige Entlassung zum Halbstrafen- und Zweidritteltermin zu ermöglichen. Wir suchen einen Erklärungsansatz, wie es zu den unterschiedlichen Quoten
bei der vorzeitigen Entlassung im Vergleich der Bundesländer kommt. Wieso belegt Berlin immer einer hinteren Platz?“ Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren: Dirk Behrendt (vormals Rechtspolitiker im Abgeordnetenhaus Berlin, Bündnis 90/Die Grünen), Dr. Thomas Galli (vormals Anstaltsleiter der sächsischen JVA Zeithain), Prof. Dr. Frieder Dünkel (vormals Uni Greifswald), Ria Halbritter (Vorstandsmitglied der Berliner Strafverteidigervereinigung) und Sören Volkens (Richter am Landgericht Berlin). Moderiert wurde die Veranstaltung von dem Berliner Rechtsanwalt Lawrence Desnizza. Ursprünglich war auch der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Thomas Fischer auf dem Podium vorgesehen, der jedoch kurzfristig absagte.

Woran liegt es nun, dass immer weniger Inhaftierten eine vorzeitige Entlassung zum Halbstrafen- oder Zweidrittelzeitpunkt ermöglicht wird – vor allem, dass Berlin das einsame Schlusslicht bei solchen Entscheidungen darstellt?

Jeder der Teilnehmer beantwortete die Frage aus seiner Sicht.

Nachdem die Berliner Rechtsanwältin Dr. Ursula Groos sowie Prof. Dr. Frieder Dünkel Eingangsstatements bzw. -referate gehalten hatten, wurde die Podiumsdiskussion durch Rechtsanwalt Lawrence Desnizza als Moderator eröffnet.

Nach Auffassung von Rechtsanwältin Ria Halbritter müssten sich die im Berliner Strafvollzug gemachten Behandlungsangebote deutlich in einer höheren Entlassungsquote wiederspiegeln, was aber nicht der Fall sei. Sie unterschied hier zwei Fallgruppen, bei denen zum einen bis zur Aussetzungsprüfung – etwa zum Zweidrittelzeitpunkt – mit den Gefangenen „gar nichts passiert“ sei, weil innerhalb von sechs Monaten acht verschiedene Sozial- bzw. Gruppenleiter für sie zuständig gewesen waren und es so unmöglich gewesen sei eine günstige Prognose hinzubekommen. Zum anderen gäbe es dagegen diejenigen, die bis zur Entscheidungsprüfung alles absolviert hätten, um eine günstige Prognose zu erhalten, was auch die Vollzugsanstalten so gesehen und positive Stellungnahme an die zuständigen Strafvollstreckungskammern abgegeben hätten. Obwohl diese den Vollzugsanstalten in ihren Stellungnahmen gefolgt seien, hätte das Kammergericht auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft eine positive Entscheidung wieder aufgehoben in vielen Fällen. Die Handlungsvorgaben des Kammergerichts, so Halbritter, imponierten in einer  – wie sie es nennen wollte – „Theorie der doppelten Negation“: „Scheißegal, was man mache, es sei immer schlecht.“

Sören Volkens betonte, nur für sich sprechen zu können. Wenn er jemand vor sich sitzen habe, dann habe er nur einen Bericht der Vollzugsanstalt und müsse für sich entscheiden, ob er das Risiko übernehme, ihn vorzeitig zu entlassen oder nicht. Das sei aber – „bei allem Respekt“ – ein archaisches Modell, das man wahrscheinlich schon in der Antike angewandt habe. Der individuelle Richter wird für sich entscheiden müssen – „ja oder nein“. Statistische Überlegungen habe er nicht angestellt, sondern sich auf seine richterliche Intuition verlassen. Das Testprogramm dafür sei, das zu verbalisieren. Wenn er das ins Papier kriege – das sei so ähnlich wie mit einer Verurteilung -, ohne sich dabei zu verrenken, dann müsse das doch wohl richtig sein. Das sei sein Testprogramm. Vor dem einen verantwortet man das, vor dem anderen nicht. Mehr könne er im Moment zu dem Thema nicht beitragen.

Auf die Frage, ob der § 57 des Strafgesetzbuches (Aussetzung von Freiheitsstrafen zur Bewährung) einen solch großen Ermessensspielraum zulasse, dass es bei der Anwendung große Unterschiede gäbe, bemerkte Frieder Dünkel, dass es offensichtlich so sei, „dass wir eine unterschiedliche Landschaft haben“. Wenn man jedoch guten Willens sei, könnte man etwas machen und mit der jeweiligen Anstalt ein Konzept erarbeiten. Er habe in Freiburg die Erfahrung gemacht, dass es dort persönliche Anhörungen durch Richter gegeben habe, wobei man dann das, was das Bundesverfassungsgericht immer fordere, der Anstalt als Aufgabenstellung geben könne, nämlich dass Entscheidungen im Sinne einer positiven Prognose getroffen werden könnten. Er glaube aber, dass es ein Irrweg sei, auf dem Wege einer Individualprognose weiterzukommen. Es sollte daher zu normativen Regelungen, wie er sie vorgeschlagen habe, kommen, um den Spielraum einzugrenzen. Er wünschte sich auch, so Frieder Dünkel, dass die Vollzugsgesetze viel striktere Vorgaben im Sinne des Übergangsmanagements machten. Das hätten jetzt zwar einige Bundesländer getan und somit zumindest in der Endphase zwingend solche Maßnahmen (etwa Ausgänge, Urlaub, Freigang) vorgesehen sind. In Bayern sei das aber nicht der Fall, er könne sich auch nicht vorstellen, dass Bayern ein solches Gesetz machen würde in absehbarer Zeit. Von daher sei es schon misslich, dass diese Föderalismusreform dazu beigetragen habe, „dass wir jetzt einen Flickenteppich haben“, in dem Maße, wo doch sehr unterschiedliche Maßstäbe gesetzt sind.

Thomas Galli betonte schon zu Beginn der Diskussion, dass nach seiner Erfahrung die Vollzugsanstalten äußerst restriktiv mit vollzugsöffnenden Maßnahmen und positiven Stellungnahmen zu vorzeitigen Entlassungen umgingen. Daher fände er es richtig, wenn der Gesetzgeber hier schon Grenzen gezogen hätte und weniger Ermessens- und Beurteilungsspielraum bei dieser Frage zuließe. Er wies nochmals darauf hin, dass der Strafvollzug eher rückfallverschärfend denn rückfallvermindernd wirke. Die schädlichen Wirkungen des Strafvollzugs seien daher strikt zu begrenzen. Da spiele auch die konkrete Entlassungsvorbereitung eine wesentliche Rolle. Die Entlassungsvorbereitung beschränke sich jedoch allenfalls, wenn überhaupt, darauf, dem Gefangenen einen Wohnraum zu besorgen. Die allermeisten bekämen nicht einmal mal eine Arbeit, betonte Galli, so dass es bei der Wohnraumbesorgung verbleibe.

Dirk Behrendt bestätigte ausdrücklich, dass die Aussetzungspraxis in Berlin nicht zufriedenstellend sei. Als Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus habe er zuletzt im Jahre 2015 die Entlassungspraxis in Berlin bei der Senatsverwaltung für Justiz abgefragt. Danach entlasse Berlin 7,72 Prozent der Gefangenen vorzeitig, während es in Bayern sogar über 23 Prozent seien – demnach dreimal mehr als in Berlin. Eine Halbstrafenentlassung gäbe es in Berlin schon gar nicht. Auf seine Frage an den Senat, woran es liege, dass in Berlin so wenige Gefangene vorzeitig entlassen würden, habe sich ein ehemaliger Staatssekretär zu der Antwort verstiegen, dass dies an der besonderen Gefangenenpopulation der Stadt liege. In Berlin gäbe es sozusagen andere Gefangene als in den übrigen Bundesländern. Behrendt witzelte, dass da etwas dran sein könnte, nämlich bayrische Viehdiebe dürfte es in Berlin in der Tat nicht geben. Wenn man jedoch den Vergleich mit Hamburg ziehe, wo die Gefangenenpopulation nach statistischen Werten wahrscheinlich 1:1 übereinstimme, dann müsste zumindest eine Ähnlichkeit mit Berlin vorhanden sein. Da sei aber nicht der Fall. Hamburg wäre viel besser und sei schon immer bedeutend besser als Berlin gewesen. Danach ließe sich die These des Staatssekretärs leicht widerlegen. Das Erklärungsmodell sei eine Art Pingpong zwischen den Knästen und den über eine vorzeitige Entlassung entscheidenden Strafvollstreckungskammern. Es sei bis zum heutigen Tage so, dass immer mal wieder intensiver betont werde, was im Knast alles nicht gemacht würde, was der Knast an Resozialisierungsmaßnahmen tun müsste zur Vorbereitung einer vorzeitigen Entlassung, während auf der anderen Seite die Unabhängigkeit der Strafvollstreckungskammern betont würde. Das sei ein Argument, das Justizsenator Heilmann immer gerne ins Feld geführt habe, wenn auf Missstände hingewiesen wurde. Behrendt betonte: Beide seien verantwortlich dafür. Den Strafvollstreckungskammern konzedierte er jedoch, dass sie einen Gefangenen schlechterdings rauslassen könnten, wenn er zuvor im Knast nicht entlassungserprobt worden sei. Dabei hatte er jedoch – ebenso wie Volkens – übersehen, dass rechtzeitige Klagen (so genannte Anträge auf gerichtliche Entscheidung) von Gefangenen auf so genannte Behandlungsmaßnahmen bei den Strafvollstreckungskammern oft total ins Leere liefen und laufen. Das habe dann aber weniger mit Mut und politischer Ausrichtung zu tun, wie sie in den letzten 5 Jahren unter Justizsenator Heilmann ausgerichtet war. Oder die Strafvollstreckungskammern seien doch nicht so unabhängig wie dies Senator Heilmann vorgegeben hat.

Das Resümee der 4. Gefangenentage in Berlin? Man kann getrost sagen, es ist mal wieder über das Thema geredet worden. Auch wenn wohl richtige Feststellungen getroffen wurden, wird es doch eher weiter gehen wie bisher. Für die Gefangenen aber wird sich auf absehbare Zeit wenig oder gar nichts ändern. Das liegt nicht nur an den Haftanstalten oder den Strafvollstreckungskammern. Auch Anwälte müssten sich selbst hinterfragen, ob sie Missstände engagiert genug angehen.

„Ulli Hoeness für alle“ wird wohl noch lange auf sich warten lassen.

Fotos obere Reihe: 1. Humboldt-Universität zu Berlin; Foto  2: (v.l.n.r.): Dr. Dirk Behrendt, Dr. Thomas Galli, Prof. Dr. Frieder Dünkel, Lawrence Desnizza, Ria Halbritter und Sören Volkens.

Fotos untere Reihe (v.l.n.r.): 1. Rechtsanwältin Dr. Ursula Groos, Berlin; Foto 2: Prof. Dr. Frieder Dünkel, Greifswald, jeweils am Rednerpult.

Bildquellen/Collage: TP Presseagentur Berlin/dj

Da BGH-Richter Thomas Fischer absagte, hier ein Interview („Verhört von der ZEIT“) mit ihm:

Dieser Beitrag wurde am 07.01.2017 aktualisiert.

4 Antworten

    • Es kann in der totalen Institution Gefängnis nicht klappen, jedenfalls nicht für die Mehrheit der Inhaftierten. Dafür gibt es mehrere Gründe, vor allem aber hat das Leben in Haft nicht das geringste mit dem Leben in der freien Gesellschaft zu tun. Man kann nicht außerhalb des Wassers schwimmen lernen, und man kann nicht in Haft auf ein Leben in Freiheit vorbereitet werden.

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