Neuköllns Bezirksbürgermeister Hikel unter Beschuss der Berliner Strafverteidigervereinigung.

„Vereinigung Berliner Strafverteidiger*innen mahnt zur Achtung der Gewaltenteilung auch in Wahlkampfzeiten – Irreführung der Bürger löst keine Probleme“.

Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus Berlin versuchen derzeit vor allem auch CDU und SPD, sich auf Kosten der unabhängigen dritten Gewalt, der Justiz, zu profilieren, so die Berliner Strafvereinigung in einer gestrigen Mitteilng. Martin Hikel, Bezirksbürgermeister in Berlin-Neukölln (SPD), spreche den Richterinnen und Richtern den Willen ab, „konsequent zu urteilen“. Sie sollen nicht „denken, dass sich alles mit Sozialstunden lösen lässt.“ Der Strafrahmen von fünf Jahren Gefängnis bei Gewalttaten gegen Polizei und Feuerwehr müsste „konsequent ausgereizt“ werden, zitiert die Berliner Strafverteidigervereinigung den Neuköllner Bezirksbürgermeister.

Rechtsanwalt Clemens Hof, Mitglied im Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, im Einzelnen dazu „Wahlkampf auf dem Rücken der Justiz zu betreiben, ist eine einfache Wahlkampfstrategie, denn Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind kraft Amtes zur Zurückhaltung angehalten und können sich daher gegen übergriffige Politiker nur schlecht öffentlich zur Wehr setzen. Das ist von jenen offensichtlich einkalkuliert. Wer so Wahlkampf macht, nimmt aber bewusst in Kauf, dass die Bürgerinnen und Bürger über die Arbeitsweise der Justiz in die Irre geführt werden und das Vertrauen in die Justiz verlieren.  

Bedenklich sind diese Forderungen zudem, weil Martin Hikel bei den Bürgerinnen und Bürgern die Fehlvorstellung erzeugt, die Fälle aus der Silvesternacht seien bereits geklärt und die Justiz müsste nun einfach nur noch schnell und hart verurteilen. Das versteht er offenbar unter Rechtsstaat. Ihm hätte auffallen können, dass der ‚kurze Prozess‘ schon im Sprichwörtlichen für einen schlechten Prozess steht. Natürlich ist damit aber nicht gemeint, dass sich Verfahren jahrelang hinziehen sollten, bis überhaupt eine Anklage oder Einstellung des Verfahrens erfolgt. 

Dennoch: Mehr Respekt vor der Arbeit der Justiz stünde auch Bezirkspolitikern im Wahlkampfmodus gut an. Im Rechtsstaat muss vor einem Urteil geklärt sein, wer was gemacht hat. Das gilt gerade dann, wenn man hohe Strafen fordert: Gerade diese Fälle sollten im Interesse aller Beteiligten sorgfältig ermittelt sein. 

Die Forderung nach einem schnellen Verfahren im Jugendrecht ist schon vernünftiger, aber eben kein Selbstläufer: Auch im Jugendrecht muss ja geklärt werden, wer wofür belangt werden soll. Sozialstunden sind dabei nur eine von verschiedenen Maßnahmen, die Richterinnen und Richter tagtäglich anwenden. Bei so manchen verfestigt zudem erst der Jugendknast den schlechten Weg. Unser Jugendstrafrecht funktioniert und wird weltweit als vorbildlich für die Verhinderung krimineller Karrieren angesehen. Das wird bei der politisch-medialen Konzentration auf Mehrfach- und Intensivtäter gerne vergessen.

Es ist zudem merkwürdig, aber auch durchschaubar, wenn ein Politiker wie Martin Hikel nun die Verantwortung diesen Stadtteil an die Strafjustiz abschieben will. Denn immerhin ist er ja seit März 2018 Bezirksbürgermeister von Neukölln, zuvor war es bekanntlich Franziska Giffey selbst. Dass es dort, aber auch nicht nur dort, Probleme gab und gibt, ist sogar noch länger bekannt, Heinz Buschkowsky lässt grüßen. Als Bezirksbürgermeister wäre es daher ehrlicher von Martin Hikel, wenn er sich nicht reflexhaft an der Strafjustiz abarbeiten würde, sondern zunächst einmal versuchen würde, bei der Bezirksverwaltung auf die Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten zu gehen. Oder zu erzählen, dass sich in Neukölln in vergangenen Jahren Vieles verbessert hat, wie auch schon zu lesen war. Vielleicht sogar aufgrund der Tätigkeiten der Verwaltung und der Strafjustiz? Warum stimmt er trotzdem lieber in den Ruf nach Strafe ein?“


„Als Strafverteidiger*innen meinen wir, dass diese Form des Wahlkampfes unseriös und Gift für den Rechtsstaat und die Stimmung in unserer Gesellschaft ist. Politiker*innen sollten nicht den Eindruck erwecken, die Strafjustiz beziehungsweise harte Strafen könnten gesellschaftliche Probleme lösen. Rechtsstaat findet nicht dann statt, wenn die härtesten und schnellsten Urteile gefordert werden.“

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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