Von Hausgeistern und Treppenbögen im Neuen Kriminalgericht in Moabit.

Von Hausgeistern und Treppenbögen im Neuen Kriminalgericht in Moabit.

Rezension von Dietmar Jochum, TP Berlin.

Eine Festschrift zum 100. Geburtstag des Neuen Kriminalgerichts in Moabit lässt nichts Gutes erahnen. Schon im Vorwort wird von der zum Zeitpunkt des Jubiläums noch amtierenden Justizsenatorin Karin Schubert hervorgehoben, dass die Moabiter Richterinnen und Richter – „lange bevor die Teilung Deutschlands beendet war“ – über in der DDR geschehenes Unrecht urteilten. Wie es sich dagegen mit der Bewältigung des in keinem Verhältnis zum sog. DDR-Unrecht stehenden NS-Unrechts verhielt, übergeht die Senatorin dabei geflissentlich. Irgendwo im Buch erfahren wir zwar, dass der an zahlreichen Todesurteilen mitwirkende Volksgerichtshofsbeisitzer Hans Joachim Rehse immerhin mal wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurde; als der Bundesgerichtshof in der Revision aber darauf hinwies, dass ein Richter voll verantwortlich ist und daher kein „Gehilfe“ sein könne, sprach ihn eine Berliner Schwurgerichtskammer (im Kriminalgericht) trotzdem frei. Berufen konnte sich die Kammer ausgerechnet auf eine frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, „derzufolge jemand, der in Naziverblendung die damaligen Urteile und einschlägigen Gesetze für rechtmäßig gehalten hat, nicht wegen Rechtsbeugung belangt werden könne“. Rehse starb zwar, bevor sich der BGH erneut mit dieser Entscheidung beschäftigen konnte, das oberste deutsche Gericht distanzierte sich aber erst im Jahre 1995 von seiner bisherigen Rechtsprechung. Soviel zum Thema „Aufarbeitung des NS-Unrechts“ im Berliner Kriminalgericht. In der Festschrift erfahren wir dagegen mehr vom („Hätten Sie gedacht, dass …“) Papierverbrauch der Kopierstelle des Landgerichts, von der Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kriminalgericht, vom Kaffeeverbrauch in der Gerichtskantine und von „Seufzerbrücken“, „Jungfernstiegen“, „Treppenbögen“, „Siebentem Himmel“ und – last but not least – vom „Tuten und Blasen“.
Ein gewisser Richter am Landgericht a.D. Friedrich-Karl Föhrig darf sich in der Festschrift hämisch darüber mokieren, dass „dasselbe Menschenrecht, das Zwangsernährung eines Menschen vorschreibt, der lieber stürbe, Zwangswaschungen (verbietet)“. Im Sinn hat er dabei ungewaschene Angeklagte, die aber , so der Ex-Richter, in den Sälen 500 und 700 dank der dortigen Architektur „weit weg“ vom Schwurgerichtsvorsitzenden sitzen. Diese Architektur, giftet und geifert Föhrig weiter, „erstickt in solchem Falle den Verteidiger und verkürzt seine Einwände aufs Elementare, belästigt noch den Protokollführer, lässt hingegen die Kammer frei auch durch die Nase atmen“. Dagegen findet er „aus Aufklärungsgründen positiv“: Der Vorsitzende rieche als erster, wenn der Zeuge allzu intensiv gefrühstückt habe.
Und dann wieder ein Loblied auf die „moderne Baukunst“, die sich nirgendwo augen- (und ohren-) fälliger manifestiere als im Saal B 129. Dort habe ein „herausgehoben hoher DDR-Militär“ die sprachliche Wendung „innerdeutsche Grenze“ verabscheut und sie eisern durch „Demarkationslinie“ ersetzt. Bei den Beteiligten sei das Wort aber stets als „Demokrationslinie“ angekommen. „Sprachfehler“, fragt Föhrig, „Schwierigkeiten mit Fremdwörtern lateinischer Provenienz“, „Freudsche Fehlleistung“? „Dreimal nein!“, insistiert der Laudator fürs Grobe, „der neue Hausgeist war’s. Der, der die Wahrheit erzwingt.“
Und der bei Richter Föhrig offensichtlich noch mächtig gewaltig und nachhaltig im Kopf herumspukt.
Der Zeitgeist hatte ihn indes schon im „bedeutungslosesten Raum“ im Kriminalgericht, der „öffentlichen Toilette“, in Form von als Graffitis an Wände und Türen gekritzelten Spottversen der Lächerlichkeit preisgegeben. Föhrig larmoyant: „Häufig witzig und geistvoll, betrafen sie Kollegen, überwiegend plump und albern, waren sie auf einen selbst gemünzt.“
Sein vorläufiges Fazit: „Spritzig konnte der Hausgeist sein. Dumpf präsentiert sich der Zeitgeist.“ Man könnte auch sagen: Ein Blick in des Volkes Spiegel kann manchmal ganz schön grausam sein, vor allem dann, wenn nicht alles gebilligt wird, was in seinem Namen geschieht.

Alois Wosnitzka (Hrsg.): Das Neue Kriminalgericht in Moabit. Festschrift zum 100. Geburtstag. Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2006, 184 Seiten, 25 Euro.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

*