„Wir stehen an der Seite Israels – und gleichzeitig treten wir antisemitischen Bestrebungen jeder Art deutlich entgegen“.

Rede der Niedersächsischen Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann zu TOP 42 „75 Jahre Staat Israel – Antisemitismus konsequent entgegentreten, jüdisches Leben in Niedersachsen schützen“.

Es gilt das gesprochene Wort!

„Sehr geehrte Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

als Ben Gurion vor 75 Jahren den Staat Israel ausrief, erhielt das jüdische Volk endlich eine Heimat, einen eigenen Staat – nach Jahrhunderten der Gewalt, der Verfolgung und der Vertreibung und – vor allem – nach der Shoa: dem grausamen Völkermord der deutschen Nationalsozialisten an rund einem Drittel aller damals in Europa lebenden Jüdinnen und Juden.

Aus den präzedenzlosen Verbrechen des Holocaust, aus dem Versuch der Nationalsozialisten, das jüdische Volk auszulöschen, erwächst die besondere Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland – unser aller Verantwortung – gegenüber dem Staat Israel.

Um es klipp und klar zu sagen: Wir stehen an der Seite Israels – und gleichzeitig treten wir antisemitischen Bestrebungen jeder Art deutlich entgegen.

Es lässt sich kaum bestreiten, dass der 75. Jahrestag der Staatsgründung Israels im Schatten einer tiefreichenden innenpolitischen Polarisierung des Landes steht – auch wegen einer heftig umstrittenen Justizreform der amtierenden Regierung, gegen die zahlreiche israelische Bürgerinnen und Bürger mutig Protest erheben.

Sie bekräftigen auf beeindruckende Weise, dass Israel – trotz aller Krisen und Konflikte, die es seit der Staatsgründung erlebt hat – ein vitales demokratisches Gemeinwesen darstellt.

Und das in einer Region, in der außer Israel autoritäre Regime dominieren.

Diese Tatsache zeigt aber auch, dass der Staat Israel nach wie vor verwundbar ist. Zurzeit sind es vor allem feindselige Autokratien wie der Iran und Syrien, die das Existenzrecht des Staates Israel in Frage stellen und zu untergraben versuchen.

Dabei wird die prekäre Lage der Palästinenser in gefährlicher Weise instrumentalisiert. Das Konfliktpotenzial im Nahen Osten erreicht auch uns in Deutschland und Niedersachsen:

Ich erinnere nur an die heftigen antiisraelischen Kundgebungen im Mai 2021 in vielen deutschen Städten.

Ich denke, uns allen ist sehr bewusst, wie wichtig die Existenz des Staates Israel auch für die in Deutschland, in Niedersachsen, lebenden Jüdinnen und Juden ist.

Wir sind dankbar, dass es in Niedersachsen wieder eine lebendige jüdische Gemeinschaft mit jüdischen Gemeinden und zahlreichen kulturellen und religiösen Veranstaltungen gibt. In diesem Zusammenhang freue ich mich besonders, dass der Präsident des Landesverbands der jüdischen Gemeinden, Herrn Michael Fürst, und die 1. Vorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, Frau Dr. Rebecca Seidler, heute hier sind, um unserer Debatte zuzuhören.

Bei aller Freude über jüdische Kultur in Niedersachsen sind wir aber alle miteinander – und zwar nicht nur aufgrund der deutschen Geschichte, sondern auch und gerade als Menschen, als Demokratinnen und Demokraten – aufgefordert, wachsam zu bleiben und jeglicher Form von Antisemitismus entschlossen entgegenzutreten.

Denn Antisemitismus und Judenhass sind keineswegs nur ein Teil unserer Geschichte – sie sind ein bedrohlicher Teil unserer Gegenwart.

Die Anzahl antisemitischer Straftaten und Vorfälle ist weiterhin alarmierend hoch.

Antisemitische Narrative werden nicht nur im Internet verbreitet. Sie sind auch in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens präsent.

Antisemitismus ist ein Angriff auf das, worauf unsere Demokratie beruht: die unantastbare Würde des Menschen.

„Die Geschichte lehrt, aber sie hat keine Schüler“, so heißt es in einem Roman der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann.

Lassen Sie uns also viel öfter Schülerinnen und Schüler sein.

Lassen Sie uns einander zuhören, lassen Sie uns aus der Geschichte lernen und lassen Sie uns voneinander lernen.

Und: Lassen Sie uns gemeinsam auch andere, insbesondere junge Menschen, für die Demokratie begeistern.

Zeigen wir ihnen, welche Möglichkeiten sie bietet.

Zeigen wir Ihnen aber auch, wie verletzlich die Demokratie ist.

Denn die Mechanismen zur Beeinflussung öffentlicher und privater Meinungen sind gerade heute mächtiger als je zuvor. Der Ton und die teilweise demokratiefeindlichen, hetzerischen, menschenverachtenden Auswüchse in den sogenannten sozialen Netzwerken sind das beste Beispiel dafür.

Das bedeutet: Wir benötigen weiterhin einerseits eine wirksame Antisemitismusprävention durch Aufklärung, Fort- und Weiterbildung – und andererseits, da spricht die Justizministerin, auch eine konsequente Anzeige und Verfolgung antisemitischer Straftaten.

Ein klares Signal hat bereits die vormalige Landesregierung im Oktober 2019 gesetzt, als sie das Amt eines Landesbeauftragten gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens geschaffen hat.

An dieser Stelle freue ich mich sehr, den jetzigen Landesbeauftragten, Herrn Prof. Dr. Gerhard Wegner, unter uns zu sehen.

Nur ein Jahr später, im Jahr 2020, wurde eine Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität bei der Staatsanwaltschaft Göttingen eingerichtet, die regelmäßig auch antisemitische Straftaten verfolgt.

Darüber hinaus sind wir als niedersächsische Landesregierung in der Prävention von Antisemitismus breit aufgestellt. Allein in meinem Haus werden vom Landes-Demokratiezentrum mit Landes- und Bundesmitteln zahlreiche Kernmaßnahmen gefördert:

  1. So gibt es ein „Empowermentprojekt“ des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden. Das Projekt soll die Vielfalt jüdischen Lebens sichtbar machen und den Dialog zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Bürgern stärken.
  2. Fördern wir das Projekt „Perspektiven gegen Antisemitismus“ der Volkshochschule Celle e.V. Dieses Vorhaben dient Multiplikatoren-Fortbildungen für Mitarbeiter vor allem aus der öffentlichen Verwaltung.
  3. Fördern wir die landesweite Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Niedersachsen – vielleicht besser bekannt unter der Abkürzung RIAS.
  4. Und viertens: Die Fortbildung: „Antisemitismus als Herausforderung muslimischer Communities“.

Dieses Vorhaben nimmt – wie der Name schon sagt – verstärkt die Prävention des islamistisch motivierten Antisemitismus in den Blick.

All diese Maßnahmen werden ergänzt durch Beratungs- und Unterstützungsangebote von landesweiter Bedeutung.

Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle die drei Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.

Darüber hinaus besteht im Rahmen des Landesprogramms für Demokratie und Menschenrechte eine ressortübergreifende Fachgruppe Antisemitismusprävention.

Expertinnen und Experten aus verschiedenen Professionen diskutieren dort aktuelle Themen der Antisemitismusprävention und erarbeiten Vorschläge für konkrete Maßnahmen.

Zu guter Letzt bilden wir angehende Richterinnen und Richter zu dem Themenkomplex fort. Und mit Erfolg: Die Fortbildungen sind sehr nachgefragt.

Unseren so eingeschlagenen Weg werden wir zielstrebig und konsequent weitergehen.

Deshalb unterstützt die Landesregierung den von den Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der CDU eingebrachten Antrag, dem Antisemitismus konsequent entgegenzutreten und jüdisches Leben in Niedersachsen zu schützen.

Er ist ein klares Zeichen, dass wir als Demokratinnen und Demokraten über Parteigrenzen hinweg in dieser Frage zusammenstehen und zeigen:

Niedersachsen zeigt klare Kante gegen Antisemitismus!

Genauso wie das Existenzrecht Israels zur Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland gehört, gehört der Schutz des jüdischen Lebens zur Staatsräson Niedersachsens.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!“

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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