Die Psychiaterin Ute Lewitzka fordert einen neuen Anlauf zur Regelung der Sterbehilfe sowie ein Gesetz für die Suizidprävention.
Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) fordert einen Neuanlauf zur Regelung der Sterbehilfe und schlägt dazu eine Regierungskommission vor. Die Vorstandsvorsitzende der DGS, die Psychiaterin Ute Lewitzka, sagte der Wochenzeitung „Das Parlament“: „Ich habe die inständige Hoffnung, dass man sich noch einmal Zeit nimmt und mit Fachleuten einen Entwurf auf den Weg bringt, der auch der Vielfalt des Themas gerecht wird. Wir müssen vor allem die Menschen schützen, die nur vorübergehend betroffen sind oder die aus sozialen Gründen sagen, sie wollen nicht mehr leben.“
Lewitzka argumentierte: „Wir brauchen eine Regelung, weil die Suizidassistenz ja schon stattfindet. Und es ist leider so, dass es auch einige hanebüchene Fälle gibt, die wir weder für uns noch für uns nahestehende Menschen haben wollen. Eine Regelung, mit deren Hilfe der Prozess überwacht werden kann, muss es geben. Was wir jetzt brauchen könnten, wäre eine Regierungskommission zur Erarbeitung eines Konzepts der Suizidhilfe und eines Suizidpräventionsgesetzes.“
Die TP Presseagentur Berlin dokumentiert das in der Wochenzeitung „Das Parlament“ heute erschienene Interview im vollen Wortlaut:
Das
Parlament: Frau
Lewitzka, der Bundestag hat sich nicht auf eine Reform der Sterbehilfe
verständigen können. Sind Sie erleichtert?
Lewitzka: Ich bin tatsächlich erleichtert. Unterstützt hätte ich eher
den Entwurf von Castellucci, aber der war auch nicht ideal. Am Ende bin ich
froh, dass beide Entwürfe vom Tisch sind. Ich habe die inständige Hoffnung,
dass man sich noch einmal Zeit nimmt und mit Fachleuten einen Entwurf auf den
Weg bringt, der auch der Vielfalt des Themas gerecht wird. Wir müssen vor allem
die Menschen schützen, die nur vorübergehend betroffen sind oder die aus
sozialen Gründen sagen, sie wollen nicht mehr leben.
Das
Parlament: Würden Sie
sagen, der Bundestag muss sich weiter um eine Neuregelung der Sterbehilfe
bemühen oder kann alles bleiben, wie es jetzt ist?
Lewitzka: Wir brauchen eine Regelung, weil die Suizidassistenz ja schon
stattfindet. Und es ist leider so, dass es auch einige hanebüchene Fälle gibt,
die wir weder für uns noch für uns nahestehende Menschen haben wollen. Eine
Regelung, mit deren Hilfe der Prozess überwacht werden kann, muss es geben. Was
wir jetzt brauchen könnten, wäre eine Regierungskommission zur Erarbeitung
eines Konzepts der Suizidhilfe und eines Suizidpräventionsgesetzes.
Das
Parlament: Das
Bundesverfassungsgericht hat 2020 das 2015 erlassene Verbot der
geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Wie kann das geforderte Schutzkonzept des
Staates geltend gemacht werden?
Lewitzka: Das ist schwer, weil wir über ganz unterschiedliche Menschen
sprechen. Wenn es um einen sterbenskranken Patienten geht, der nur noch wenige
Wochen zu leben hat, wäre die Auffassung der Mehrheit vermutlich, dass die
Möglichkeit der Suizidhilfe gewährt werden sollte. Oder geht es um einen
Menschen in einer Lebenskrise oder mit einer schweren Depression?
Wir brauchen eine Regelung mit unterschiedlichen Fristen und Zugängen zu den
Betroffenen. Wir müssen hinter die Motive schauen. Geht es vielleicht um die
Angst, in ein Pflegeheim zu müssen oder spielt Einsamkeit eine Rolle. Da geht
es nicht um Suizidhilfe, sondern um Beratung von Menschen in suizidalen Krisen.
Das
Parlament: Das gängige
Mittel für die Selbsttötung ist Natrium-Pentobarbital. Haben Sterbewillige
überhaupt eine Chance, an dieses Medikament heranzukommen?
Lewitzka: Dafür sorgen die Sterbehilfeorganisationen. Das kostet nach
meiner Kenntnis im Schnitt zwischen 4.000 und 9.000 Euro, dann werden die
Prozesse in Gang gesetzt. Es gibt auch Ärzte, die sich daran beteiligen.
Die Organisationen haben ihre eigenen Strukturen aufgebaut und verfahren
danach. Die Sterbehilfeorganisationen besorgen den Menschen dann entweder
Natrium-Pentobarbital oder andere Substanzen, die genutzt werden.
Das
Parlament: Sie fordern
Suizidprävention vor Sterbehilfe. Warum?
Lewitzka: Wenn Suizidhilfe einer breiten Masse der Bevölkerung zur
Verfügung gestellt wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Methode auch
genutzt wird. Die wirksamste Möglichkeit, suizidpräventiv zu handeln, ist also
eine Methodenrestriktion. Das Gegengewicht zur Suizidhilfe ist der Ausbau
niedrigschwelliger Beratungsangebote und eine bessere Versorgung von Menschen
mit psychischen Erkrankungen. Das muss vor der Suizidhilfe geregelt werden.
Das
Parlament: Was treibt
Menschen in den Suizid?
Lewitzka: Ich habe beruflich mit psychisch kranken Patienten zu tun, ich
kenne aber auch Menschen, die „nur“ in einer Lebenskrise stecken. Jeder, der
schon einmal eine schwere Lebenskrise durchgemacht hat, weiß, dass auch
Sinnfragen dahinter stehen können und das Gefühl, so nicht mehr weiter leben zu
wollen. Es sind viele Faktoren, die Menschen in den Suizid treiben, darunter
soziale Krisen, finanzielle Nöte und, als stärkster Risikofaktor, eine
psychische Erkrankung. Diese Faktoren lassen sich aber beeinflussen, und da ist
die Gesellschaft gut beraten, den Cocktail nicht leichtgängig zur Verfügung zu
stellen.
Das
Parlament: Welche
Erkrankungen sind das?
Lewitzka: Depressionen gehören natürlich dazu, aber auch
Abhängigkeitserkrankungen, etwa Alkoholsucht, führen zu einem höheren Risiko.
Junge Menschen mit Psychosen, zum Beispiel Schizophrenie, zählen ebenfalls zu
den Patienten mit einem deutlich erhöhten Suizidrisiko. Menschen können auch
mehrere psychische Erkrankungen haben, zum Beispiel eine Depression und eine Angststörung.
Das
Parlament: Welche
Altersgruppe oder welches Geschlecht ist besonders betroffen?
Lewitzka: Es nehmen sich ein Drittel mehr Männer als Frauen das Leben,
das Risiko steigt bei Frauen und Männern mit zunehmendem Lebensalter. Wir sehen
zwischen 50 und 60 Jahren die meisten Suizide, auf der anderen Seite ist in der
Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen der Suizid die zweithäufigste
Todesursache. Es betrifft also die ganze Lebensspanne.
Das
Parlament: Begleitend
zur Reform von 2015 sollte die Hospiz- und Palliativversorgung gestärkt werden,
ist das nach Ihrer Einschätzung gelungen?
Lewitzka: Es ist seither viel auf den Weg gebracht worden, aber wir
dürfen jetzt nicht stehen bleiben. Die Hospizversorgung muss weiter ausgebaut
werden, weil es Regionen ohne Hospizangebote gibt. Es müssen in der
Palliativmedizin außerdem Strukturen aufgebaut werden, die es den Menschen
ermöglichen, zu Hause zu sterben. Auch die Trauerbegleitung muss ausgebaut
werden. Wir sind noch lange nicht da, wo wir sein müssten, um alten und kranken
Menschen das Gefühl zu geben, an einem Ort gut sterben zu können und die
deswegen die Suizidassistenz nicht in Anspruch nehmen.
Das
Parlament: Wie verträgt
sich eine Demenz mit dem Wunsch nach Sterbehilfe?
Lewitzka: In anderen Ländern ist die sogenannte vorausschauende
Verfügung legalisiert worden, das hat erschreckend zunehmende Zahlen gebracht.
Wenn Menschen dement sind, entscheidet dann ein anderer über die
Suizidassistenz. Das ist eine Grenze, die ich schwer aushalten kann. Auch angesichts
unserer Geschichte sollten wir in Deutschland einen anderen Weg gehen.
Das
Parlament: Wie gehen
Mediziner mit der Verantwortung für Sterbehilfe um?
Lewitzka: Ganz unterschiedlich. Viele Ärzte sagen in Umfragen, es ist in
Ordnung, dass es die Suizidassistenz gibt, deutlich weniger Ärzte würden sich
daran beteiligen. Wir müssten als Mediziner viel besser ausgebildet werden im
Umgang mit Sterbewünschen. Manchmal wird die Hochleistungsmedizin
weitergeführt, obwohl es keinen Sinn mehr macht. Wir müssen als Ärzte
aushalten, dass ein Patient sterben will.
Das
Parlament: Lange
hatten Ärzte große Angst vor Strafverfolgung im Kontext der Suizidhilfe. Ist
die Angst nach dem Karlsruher Urteil verflogen?
Lewitzka: Ich glaube, die Ärzte sind jetzt etwas entspannter. Bei vielen
Medizinern steht aber immer noch ein Fragezeichen hinter der Suizidassistenz.
Es gibt allerdings auch Ärzte, die den Eindruck erwecken, sie könnten über
Leben und Tod entscheiden. Das finde ich ganz schwierig. Wir wissen aus
Ländern, wo die sogenannte Euthanasie in Kliniken üblich ist, viel zu wenig,
was das mit dem Pflegepersonal und den Ärzten macht.
Das
Parlament: Welchen Rat
geben Sie Menschen, die Ihnen sagen, dass Sie sterben wollen?
Lewitzka: Ich nehme diese Menschen mit ihrem Sterbewunsch erst einmal
an, um vorurteilsfrei mit ihnen in Kontakt zu kommen. Die Gründe können so
unterschiedlich sein, vom hochbetagten Mann, der nicht ins Altenheim will, bis
hin zur jungen Frau, deren Beziehung gerade kaputt gegangen ist. Ich lade die
Menschen ein, sich ihre Motive genau anzuschauen und werbe dafür, sich Zeit zu
nehmen, um die Entscheidung zu durchdenken. Meine Patienten sind am Ende eines
Heilungsprozesses oft froh, dass sie nicht den Weg des Suizids gegangen sind.
Das Gespräch führte Claus Peter Kosfeld
Dr. Ute Lewitzka ist Psychiaterin am Universitätsklinikum Dresden und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.