Vor dem Staatsakt für Wolfgang Schäuble erinnert sich im Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ der ehemalige Fraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) an die jahrzehntelange Zusammenarbeit. Schäuble sei „unabhängig“ gewesen und „konnte auch unbequem werden – vor allem im Gespräch mit Menschen, von denen er meinte, dass sie intellektuell nicht auf Augenhöhe mit ihm sind.“ Er habe aber auch „unbequem“ sein können, „wenn es um bestimmte politische Projekte ging.“ So sei in dessen Zeit als Bundesfinanzminister ein „Nein zu bestimmten Ausgabenwünschen meistens nicht zu knacken“ gewesen.
Unter dem Bruch mit Helmut Kohl nach der CDU-Spendenaffäre habe Wolfgang Schäuble „mehr gelitten, als er es zeigte“, so Volker Kauder. Dass er als bis dato „organischer Nachfolger“ Kohls als Kanzlerkandidat nicht mehr in Frage kam, habe dazu geführt, „dass er – wie wir alle – das Gefühl hatte, dass es da nicht sehr gerecht zugegangen ist. Aber er hat gewusst, dass Politik so sein kann und man sie nicht planen kann wie eine Beamtenkarriere.“ Sein Wort habe aber auch danach ganz unabhängig von seinen Ämtern großes Gewicht gehabt. „Es wurde mucksmäuschenstill, wenn er sich in der Fraktion zu Wort meldete. Jeder wusste dann: Jetzt kommt etwas Besonderes.“
Die TP Preseagentur Berlin dokumentiert das in der Wochenzeitung „Das Parlament“ erschienene Interview mit Volker Kauder im vollen Wortlaut:
Das
Parlament: Herr Kauder, gibt es Freundschaft in der Politik?
Volker Kauder: Es gibt in der Politik Freundschaft, wenn die Freundschaft schon
vor der Politik bestanden hat, aber ich habe auch während meiner politischen
Arbeit im Parlament gute Freunde gefunden.
Das
Parlament: War Wolfgang Schäuble ein Freund für Sie?
Volker Kauder: Wolfgang Schäuble war ein Freund, und wir hatten ja viele
gemeinsame Jahrzehnte in der Politik.
Das
Parlament: Was beschreibt ihn in seinem Wirken am besten? Unabhängig,
unparteiisch oder unbequem?
Volker Kauder: Alles drei. Er war unabhängig und konnte auch unbequem werden –
vor allem im Gespräch mit Menschen, von denen er meinte, dass sie intellektuell
nicht auf Augenhöhe mit ihm sind. Das hat er dann auch gezeigt. Er konnte aber
auch unbequem sein, wenn es um bestimmte politische Projekte ging. Das habe ich
in meiner Zeit als Fraktionsvorsitzender immer wieder erlebt, vor allem als er
Finanzminister war. Sein „Nein“ zu bestimmten Ausgabenwünschen war meistens
nicht zu knacken.
Das
Parlament: Schäuble war die 1990er Jahre hindurch Vorsitzender der
Unionsfraktion, Sie fast in der gesamten Ära Merkel. Hat diese Gemeinsamkeit
Ihre Beziehung verändert?
Volker Kauder: Nein. Sicher war es für mich gut, dass Wolfgang Schäuble die
Erfahrung als Fraktionsvorsitzender auch hatte und wir beide wussten, dass es
nicht immer einfach war, Chef der Bundestagsfraktion zu sein: die Truppe
zusammenzuhalten, zur gleichen Zeit aber auch die Regierungsarbeit zu
unterstützen. Deswegen konnten wir uns bei großen Herausforderungen schon
aufeinander verlassen.
Das
Parlament: Sie sagten, dass Schäuble nicht zuletzt als Finanzminister unbequem
sein konnte. Derweil hatten Sie der Kanzlerin die Mehrheit zu sichern. Wie
schwer war das, wenn Schäuble mal anderer Meinung als Merkel war – etwa als er
in der Euro-Krise für ein zeitweiliges Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro
warb?
Volker Kauder: Da habe ich mit ihm mehrfach gesprochen, und da kam dann der
typische Wolfgang Schäuble: „Ich habe meine Meinung, aber als Minister der
Kanzlerin Angela Merkel bin ich loyal“. Da wusste man, dass er anderer Meinung
ist als sie, dies aber nur sehr verhalten zeigt. Dass er seine Meinung zeigt,
war selbstverständlich für ihn. Aber er hat sich loyal verhalten, was ihm in
dieser Frage sicher nicht leicht fiel.
Das
Parlament: Auf dem Trauerstaatsakt für Schäuble spricht auch der französische
Staatspräsident. Was war für Schäuble die deutsch-französische Freundschaft –
und umgekehrt?
Volker Kauder: Dass der französische Staatspräsident kommt, ist schon eine
außergewöhnliche Würdigung des politischen Lebens von Wolfgang Schäuble. Ich
halte es aber auch für angemessen. Schon in frühester politischer Tätigkeit hat
er sich für die deutsch-französische Zusammenarbeit eingesetzt; das war ihm ein
Herzensanliegen. Er hat immer gesagt, der Rhein dürfe uns nicht trennen, und
sah in der deutsch-französischen Freundschaft den wahren Motor der europäischen
Einigung. Das hat er seine ganze politische Arbeit hindurch verfolgt.
Das
Parlament: Bei einem Empfang zu Schäubles 70. Geburtstag, zu dem Sie als
Fraktionschef eingeladen hatten, sagte Christine Lagarde, die heutige EZB-Präsidentin:
„Europa hat eine Seele, aber Europa hat auch ein Herz – und das schlägt in
Wolfgang Schäuble.“ Machen Sie sich Sorgen um Europa, nachdem dieses Herz nun
aufgehört hat zu schlagen?
Volker Kauder: Die Europäische Union ist zur Zeit in keinem wirklich guten
Zustand. So haben wir etwa zu lange Entscheidungswege in der EU. Diese
Schwierigkeiten dürfen uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wolfgang
Schäubles Satz „Europa ist unsere Zukunft“ stimmt. Ohne dieses Europa sähe
alles viel schlimmer aus. Wir durften als erste Nachkriegsgeneration erfahren,
dass Europa die wirkliche Friedensversicherung für uns war – schon allein das
rechtfertigt es, sich für dieses Europa bedingungslos einzusetzen.
Das
Parlament: Was war Ihr erster Eindruck von Schäuble, als sie sich Anfang der
1970er Jahre kennenlernten?
Volker Kauder: Er war damals Bezirksvorsitzender der Jungen Union Südbaden, ich
Kreisvorsitzender in Konstanz. Ich erinnere mich noch gut an die ersten
Begegnungen, die beeindruckend waren durch seine brillanten Analysten, seine
Reformvorschläge auch für die CDU und seinen Willen, Dinge, die er für richtig
hielt, auch umzusetzen. Wir haben freundschaftlich, aber nicht immer
spannungsfrei zusammengearbeitet.
Das
Parlament: Neun Tage nach der Deutschen Einheit wurde Wolfgang Schäuble Opfer
des Attentats, das ihn für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl fesselte.
Welchen Eindruck machte er auf Sie, als Sie ihn danach erstmals wieder
trafen?
Volker Kauder: Wir waren als die Kandidaten aus Baden-Württemberg für die
Bundestagswahl 1990 nach Offenburg eingeladen, als er dort zum ersten Mal nach
dem Attentat wieder in die Öffentlichkeit kam. Ich stand auf der Bühne, als
Wolfgang Schäuble im Rollstuhl zu uns kam. Da sind mir die Tränen gekommen. Ich
habe ihn bewundert – man sah, dass er nicht gesund war, das hat mich sehr
mitgenommen. Aber später spürte man, dass er dies überwunden hat. Er wollte
auch nie auf die Situation im Rollstuhl angesprochen werden und ich kann mir
vorstellen, dass die Leistungen, die er danach erbracht hat, für viele Menschen
mit Behinderungen ermutigend sein könnten.
Das
Parlament: Im Februar 2000 trat er im Zuge der CDU-Spendenaffäre vom Partei-
und Fraktionsvorsitz zurück. Wie haben Sie das erlebt, vor allem den Bruch
zwischen dem Parteipatriarchen und Einheitskanzler Helmut Kohl und
Schäuble?
Volker Kauder: Das war für mich und für viele alles sehr verstörend. Es machte
mich auch sehr betroffen, weil ich gedacht hatte, dass Wolfgang Schäuble die
organische Nachfolge von Helmut Kohl sein und uns in die neue Zeit führen
könnte. Ich glaube, er hat unter dieser Situation mehr gelitten, als er es
zeigte, und dass er – wie wir alle – das Gefühl hatte, dass es da nicht sehr
gerecht zugegangen ist. Aber er hat gewusst, dass Politik so sein kann und man
sie nicht planen kann wie eine Beamtenkarriere.
Das
Parlament: Sein Wort hatte auch danach ganz unabhängig von seinen Ämtern großes
Gewicht – oder täuscht der Eindruck?
Volker Kauder: Der Eindruck täuscht nicht, das war so. Ich habe das ja in 13 Jahren
als Fraktionsvorsitzender erlebt: Es wurde mucksmäuschenstill, wenn er sich in
der Fraktion zu Wort meldete. Jeder wusste dann: Jetzt kommt etwas Besonderes.
Das
Parlament: Als Schäuble 2017 dienstältester Abgeordneter in einem
gesamtdeutschen Parlament wurde und diese Zeitung dies vermelden wollte,
verwies er darauf, dass SPD-Übervater August Bebel eine längere
Parlamentszugehörigkeit aufweise, wenn man dessen Abgeordnetenzeit im
Norddeutschen Bund von 1867 bis 1871 berücksichtigt. Diese Jahre wollte er
nicht übergangen wissen, auch wegen Bebels damaligen Warnungen vor der Annexion
Elsass-Lothringens und den Folgen für das Verhältnis zu Frankreich. Was sagt
das über den CDU-Politiker und was über den Menschen Wolfgang Schäuble?
Volker Kauder: Wolfgang Schäuble war trotz seiner Ämter in der Exekutive
leidenschaftlicher Parlamentarier. Er hat mit dieser Aussage zu Bebel diese
Leidenschaft für das Parlament besonders gezeigt, und er konnte auch Leistungen
anerkennen, die aus anderen Fraktionen kamen. Zu einem leidenschaftlichen
Parlamentarier gehört, sich zwar im Parlament diskutierend zu streiten, aber
auch zu sehen, dass in Situationen, in denen das Land vor besonderen
Herausforderungen steht, die Zusammenarbeit nötig ist. Es war ihm auch als
Bundestagspräsident wichtig, dass die demokratischen Parteien in wesentlichen
Fragen zusammenstehen, um sich so der Angriffe der rechten Seite erwehren zu
können. Er wusste, dass das Parlament für die Zustimmung zur Demokratie eine
entscheidende Aufgabe hat.