Urteil vom
24. April 2024, Az. L 18 AS 684/22: Der 18. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg hat sich in seiner
Entscheidung mit der Frage befasst, ob ein Berliner Jobcenter berechtigt war,
ein Geldgeschenk als Einkommen bzw. Vermögen auf das Bürgergeld anzurechnen.
Das Geldgeschenk in Höhe von 65.250,- € hatten die drei Leistungsempfänger von
ihrer Nachbarin erhalten, um nach Mekka reisen zu können. Im konkreten Fall hat
der 18. Senat die Frage der Anrechenbarkeit bejaht.
Die Kläger – Vater, Mutter und ihr minderjähriger Sohn – leben in einer
gemeinsamen Wohnung im Norden von Berlin. Sie bezogen vom Jobcenter unter
anderem von Juni 2018 bis einschließlich Dezember 2019 Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts (Bezeichnung seit Januar 2023: Bürgergeld) nach dem
Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II). In eben diesem Zeitraum gewährte
ihnen das Jobcenter Leistungen in Höhe von insgesamt rund 22.600,- €. Die 1971
geborene Mutter kümmerte sich regelmäßig um die Nachbarin der Familie – die
pflegebedürftige, 1926 geborene und inzwischen verstorbene Frau R. Anfang Mai
2018 überwies Frau R. einen Betrag in Höhe von 65.250,- € auf das Konto der
Mutter. Wie Frau R. später angab, handelte es sich hierbei um ein Geschenk, das
dazu dienen sollte, den Klägern den lang gehegten Wunsch einer Reise nach Mekka
zu ermöglichen. Die Kläger informierten das Jobcenter nicht über die
Geldzuwendung; stattdessen wurde der Betrag noch im selben Monat vom Konto
abgehoben.
Anfang 2020 wurde das Jobcenter vom Landeskriminalamt im Rahmen eines laufenden
Ermittlungsverfahrens gegen die Eltern (siehe hierzu „Weitere Informationen“
unten) über den Geldeingang informiert. Das Jobcenter nahm daraufhin sämtliche
Bewilligungsbescheide für den Zeitraum von Juni 2018 bis Dezember 2019 zurück
und forderte die Kläger auf, die ihnen gewährten SGB II-Leistungen in Höhe von
insgesamt rund 22.600,- € zu erstatten. Das Jobcenter argumentierte, dass die
Kläger im genannten Zeitraum nicht hilfebedürftig gewesen seien. Die hiergegen
gerichtete Klage der Familie vor dem Sozialgericht (SG) Berlin blieb ohne
Erfolg.
Gegen das Urteil des SG Berlin legten die Kläger Mitte 2022 Berufung zum LSG
Berlin-Brandenburg ein. Sie machten geltend, dass es sich um eine
zweckgebundene Schenkung gehandelt habe, die sie von Frau R. als Dank für die
jahrelange liebevolle Pflege erhalten hätten. Als religiöse Familie sei es ihr
sehnlichster Wunsch gewesen, einmal nach Mekka zu reisen. Sie hätten nicht
gewusst, dass sie das Jobcenter über den Geldeingang informieren müssten. Das
Geld hätten sie bestimmungsgemäß verwendet. Die Reise nach Mekka, die sie zu
fünft (die drei Kläger sowie zwei weitere Personen) angetretenen hätten, habe
sie insgesamt rund 55.600,- € gekostet. Darin enthalten seien neben den
Aufwendungen für Flug, Schiff, Übernachtung und Verpflegung auch die Kosten für
einen religiösen Guide, der sie begleitet habe. Belege zu ihrer Reise könnten
sie allerdings nicht vorlegen. Alles sei, wie es der Üblichkeit entspreche, in
bar ohne Quittung bezahlt worden. Außerdem habe sich die Mutter, wie mit Frau
R. abgesprochen, für 7.000,- € noch „die Zähne machen lassen“. Mit dem
restlichen Geld (ca. 3.000,- €) seien – ebenfalls nach Absprache mit Frau R. –
Schulden getilgt und ein Betrag gespendet worden.
Das LSG hat die Berufung der Kläger nunmehr mit seinem Urteil vom 24. April
2024 zurückgewiesen und damit die erstinstanzliche Entscheidung des SG
bestätigt. Es hat ausgeführt, dass die Rücknahme- und Erstattungsbescheide des
Jobcenters rechtmäßig seien. Die Kläger seien im streitigen Zeitraum nicht hilfebedürftig
gewesen. Aufgrund der ihnen im Mai 2018 zugeflossenen einmaligen Einnahme in
Höhe von 65.250,- €, die rechtlich als Einkommen (in Bezug auf den Zeitraum von
Juni bis November 2018) bzw. als Vermögen (in Bezug auf den Zeitraum von
Dezember 2018 bis Dezember 2019) einzustufen sei, hätten ihnen ausreichende
Mittel zur Deckung ihres Bedarfs zur Verfügung gestanden. Die Kläger könnten
sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es für sie grob unbillig wäre,
wenn die von Frau R. gewährte freiwillige Zuwendung als Einkommen
berücksichtigt werde. Bezieher von Bürgergeld seien grundsätzlich verpflichtet,
im Rahmen der Selbsthilfe jegliche Einnahmen zur Sicherung ihres
Lebensunterhalts zu verwenden. Anders verhalte es sich zwar in Fällen, in denen
– wie hier – eine Geldzuwendung mit einem objektivierbaren Zweck verknüpft sei,
dessen Verwirklichung durch die Berücksichtigung bei der Berechnung der
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vereitelt würde. Indes seien auch
solche Geldzuwendungen nicht in unbegrenzter Höhe privilegiert. Obergrenze für
die Nichtberücksichtigung derartiger Zuwendungen seien nach den
Gesetzgebungsmaterialien die geltenden Vermögensfreibeträge, die im damaligen
Zeitraum für die Kläger insgesamt 16.500,- € betragen hätten. Der Restbetrag in
Höhe von 48.750,- € reiche zur Bedarfsdeckung aus. Schließlich sei nicht von
einem zwischenzeitlichen Verbrauch der Mittel auszugehen. Die von den Klägern
vorgetragene Behauptung, insgesamt rund 55.600,- € für die Reise nach Mekka
ausgegeben zu haben, sei nicht belegt. Es widerspreche der Lebenserfahrung,
eine Flugreise mit Kosten von mehr als 5.000,- € in bar zu bezahlen. Auch
fehlten jegliche Angaben zum Zeitpunkt der Reise, die neben Flugtickets und
Belegen über Hotelübernachtungen zum Beispiel auch durch Ein- und
Ausreisestempel im Reisepass belegbar wären.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision nicht
zugelassen. Die unterlegenen Kläger können beim Bundessozialgericht die
Zulassung der Revision beantragen.
Weitere Informationen:
Die Eltern wurden 2021 bzw. 2022 in einem strafgerichtlichen Verfahren jeweils
zu einer Geldstrafe wegen Betruges zu Lasten des Jobcenters verurteilt. Das
Ermittlungsverfahren war eingeleitet worden, nachdem einem Pflegehelfer von
Frau R. die hohe Kontoabbuchung aufgefallen war.