„Europa kann sich keine Hängepartie leisten“.

Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, warnt im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ vor einer Hängepartie bei der Wahl der neuen EU-Kommission und großem Schaden für die europäische Demokratie.

Der EVP-Vorsitzende Manfred Weber fordert schnell Klarheit für die erneute Wahl von Ursula von der Leyen zur EU-Kommissionspräsidentin und warnt in der Wochenzeitung „Das Parlament“ vor einer Hängepartie. „Europa kann sich in herausfordernden Zeiten wie diesen keine Hängepartien leisten“, erklärte Weber im Interview. Es gehöre mit Blick auf die Kommissionspräsidentin zur guten demokratischen Tradition, „dass die Kandidatin des Wahlgewinners nominiert wird“. Diese Erwartung habe er an Bundeskanzler Olaf Scholz, „auch als Vertreter der Sozialdemokraten“, und an Präsident Emmanuel Macron als Liberalen. „Man kann nicht immer von Demokratie reden, und wenn es dann darauf ankommt, wird taktiert“, warnt Manfred Weber davor, dass ansonsten „großer Schaden für die europäische Demokratie“ drohe. Die politische Mitte sei zwar durch Verluste anderer Parteien geschwächt, „aber sie ist stark genug, um Europa auf Kurs zu halten“, so Manfred Weber. 

Mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine ist Weber überzeugt, dass die Bürgerinnen und Bürger in Europa weiter hinter dem bisherigen Kurs der Europäischen Union stehen, auch wenn in Deutschland nun auch Parteien gestärkt wurden, die diese Unterstützung kritisch sehen: „Das europäische Lebensmodell, der European Way of Life, ist sehr, sehr wertvoll und ich bin mir sicher, dass die Europäerinnen und Europäer dies schätzen. Deshalb sind sie bei aller Herausforderung auch dazu bereit, einen Preis für diese Werte zu bezahlen und der ist im Moment vor allem die Unterstützung für die Ukraine.“

Die TP Presseagentur Berlin dokumentiert das am 15.06.2024 in der Wochenzeitung „Das Parlament“ erscheinenende Interview vorab im vollen Wortlaut: 

Herr Weber, lastet nach diesem Europawahlergebnis mehr Verantwortung auf der EVP?

CDU, CSU und EVP haben von den Wählerinnen und Wählern viel Vertrauen bekommen. Viel Vertrauen bedeutet aber natürlich auch viel Verantwortung für Europa, für den Zusammenhalt, für die Zukunft. Dessen sind wir uns bewusst.

Die EVP konnte aber nicht verhindern, dass die demokratische Mitte bei der Wahl insgesamt verloren hat. Hätte sie den Zulauf zu den Rechtspopulisten noch stärker bremsen können?

Die EVP ist die einzige politische Kraft der demokratischen Mitte, die an Mandaten sogar zugelegt hat. Das ist in dieser herausfordernden Zeit nicht selbstverständlich. Es gibt Länder, in denen Radikale zugelegt haben, in anderen Ländern haben sie verloren. Klar ist nach dieser Wahl: Die einzige politische Kraft, die den Zulauf für die Radikalen stoppen kann, ist die EVP. Auf Deutschland übersetzt bedeutet dies: CDU und CSU sind das Bollwerk gegen die Extremen und Nationalisten, wie die AfD.

Trotzdem gibt es europaweit den Zulauf zu radikalen Kräften. Das kann Sie doch nicht zufrieden stellen? 

Es scheint mir ein Grundproblem der Ampel-Parteien in Deutschland zu sein, dass sie zu sehr ihrer politischen, teils ideologischen Agenda folgen und zu wenig auf das hören, was die Menschen umtreibt. Deshalb haben sich die Leute von der Ampel abgewendet. Und das ist in der EU mit den Brüsseler Ampel-Parteien, also dem linken Spektrum dort, ganz ähnlich. Wir werden Populismus und Radikalismus nur dann stoppen können, wenn wir die Sorgen aufgreifen und die Probleme lösen. Darauf muss der Fokus liegen und deshalb ist es notwendig, dass die Politik in der EU bürgerlicher wird..

Das Bild einer EU, die an den Menschen vorbei agiert, beispielsweise auch durch den Green Deal von Ursula von der Leyen, propagieren die Rechtspopulisten in Europa. Werden Sie jetzt vielleicht Fratelli d’Italia benötigen, um Ihre Spitzenkandidatin erneut zur EU-Kommissionspräsidentin wählen zu lassen? 

Die politische Mitte mag durch die Verluste anderer Parteien vielleicht geschwächt sein, aber sie ist stark genug, um Europa auf Kurs zu halten. Das liegt vor allem daran, dass die EVP eine bürgerliche Politik aus der Mitte heraus durchsetzen wird. Wir werden – und das wiederhole ich gebetsmühlenartig – mit allen demokratischen Kräften in Europa sprechen, natürlich sind wir schon jetzt mit Sozialdemokraten und Liberalen im Kontakt. Wir sind offen für Gespräche mit all denen, die konstruktiv für Europa mitarbeiten wollen.

Ein Dementi ist das nicht… 

Nochmal: Wir sprechen derzeit mit den Sozialdemokraten und Liberalen. Es ist jetzt der Europäische Rat am Zug mit der Nominierung der Kandidatin.

Auch im Rat könnte es dazu kommen, dass Italien die Personalie von der Leyen unterstützt.

Ich gehe davon aus, dass Ursula von der Leyen im Europäischen Rat eine breite Zustimmung bekommen wird. Europa kann sich in herausfordernden Zeiten wie diesen keine Hängepartien leisten.

Auf wen können Sie sich im Rat neben den 13 Staats- und Regierungschefs der EVP denn verlassen? Ohne Deutschland und Frankreich wäre ein Vorschlag doch kaum denkbar.

Es gehört zur guten demokratischen Tradition, dass die Kandidatin des Wahlgewinners nominiert wird. Diese Erwartungshaltung haben wir an Bundeskanzler Olaf Scholz, auch als Vertreter der Sozialdemokraten, und an Präsident Emmanuel Macron als Liberalen.

Dann wartet noch die Bestätigung im EU-Parlament. Dort sind wir wieder bei Ihrer Verantwortung als Wahlsieger. Gemeinsam mit Sozialdemokraten und Liberalen gäbe es eine solide Mehrheit. Was tun Sie, damit es zu dieser pro europäischen Mehrheit kommen kann? Appelle alleine werden es kaum richten? 

Sozialdemokraten und Liberale haben der EVP und mir als Wahlgewinner 2019 die Unterstützung verweigert. Das darf nicht mehr passieren. Man kann nicht immer von Demokratie reden, und wenn es dann darauf ankommt, wird taktiert. Ich gehe davon aus, dass wir einen Weg gemeinsam finden werden.

Das hört sich so an, als ob Sie die Vorgänge nach der Europawahl 2019 noch nicht vergessen hätten? Damals traten Sie als Spitzenkandidat an, gewannen die Wahl und am Ende schlug der Rat überraschend Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin vor.

2019 ist ein großer Schaden für die europäische Demokratie entstanden. Aber jetzt geht es um die Zukunft. Und da sollten wir sehr sensibel mit der Frage umgehen, welches Signal wir den Wählerinnen und Wählern geben.

Da wären wir wieder beim Appell. Einen solchen gab es diese Woche auch im Deutschen Bundestag vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Sie hatten Selenskyj zu Jahresbeginn in Kiew getroffen…

Die Situation der Ukraine macht uns bewusst, dass wir in außergewöhnlichen Zeiten leben. Es herrscht Krieg in Teilen Europas, der uns ganz unmittelbar betrifft. Der russische Aggressor bedroht uns direkt und bekämpft uns hybrid in vielfältiger Weise. Putins Ziel ist, die Demokratien zu schwächen und zu spalten, er hat Angst vor der Idee der Freiheit. Präsident Selenskyj erinnert uns zu Recht an diesen fundamentalen Kampf, den die Ukraine um ihre Freiheit und unsere Werte führt. Wir haben die moralische und faktische Pflicht, sie dabei zu unterstützen, wo es nur geht. Dafür braucht es europäische Einheit und Stärke.

Die Unterstützung der Ukraine wird inhaltlich eine der entscheidenden Fragen im neuen EU-Parlament sein. Deutschland schickt nun mit dem BSW eine weitere Partei, die diese Unterstützung kritisch sieht, die Partei erhielt auf Anhieb einigen Zuspruch. Stehen die Menschen in Europa weiter an der Seite der Ukraine? 

Davon bin ich überzeugt und das wird sich auch nicht grundlegend ändern. Das europäische Lebensmodell, der European Way of Life, ist sehr, sehr wertvoll und ich bin mir sicher, dass die Europäerinnen und Europäer dies schätzen. Deshalb sind sie bei aller Herausforderung auch dazu bereit, einen Preis für diese Werte zu bezahlen und der ist im Moment vor allem die Unterstützung für die Ukraine.

In Sachen EU-Beitritt meldete die Kommission kurz vor der Europawahl, dass die Ukraine alle Auflagen für Aufnahmegespräche erfüllt habe. Werden damit die Beitrittsgespräche in dieser Wahlperiode beginnen, trotz des Krieges? 

Die Ukraine braucht eine europäische Perspektive. Die Menschen dort kämpfen darum, dass sie Teil Europas sein und dies selbständig entscheiden können. Die Ukraine hat einen aufwendigen Weg bis zur EU-Mitgliedschaft vor sich und muss dafür die Beitrittskriterien erfüllen. Wichtig ist mir, dass die Beitrittsperspektive real ist. Die tapferen Ukrainerinnen und Ukrainer dürfen nicht auf den St. Nimmerleinstag vertröstet werden.

Manfred Weber (51) ist Partei- und Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP). Dem Europäischen Parlament gehört er seit 2004 an. Weber ist auch Stellvertretender Parteivorsitzender der CSU.

Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin

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