Konkret geht es um dieAuslieferung der queeren Aktivistin Maja (Simon) T. an Ungarn am 28.06.2024.
Maja (Simon) T., mutmaßliches Mitglied einer linksextremistischen Gruppe, soll 2023 mit weiteren Autonomen an Angriffen auf Rechtsextreme in Budapest beteiligt gewesen sein. Die ungarischen Behörden haben deshalb die Überstellung beantragt. Im vergangenen Dezember wurde Maja T. in Berlin festgenommen und saß seitdem in U-Haft.
Maja (Simon) T. ist deutsche(r) Staatsangehörige(r), doch das Kammergericht in Berlin entschied dennoch, dass es zulässig sei, T. nach Ungarn auszuliefern.
Zwar hob das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung noch am Freitag per einstweiliger Anordnung auf, die Berliner Behörden hatten aber bereits vollendete Tatsachen geschaffen und die Auslieferung an Ungarn sofort und unverzüglich in die Wege geleitet.
Die Berliner Strafverteidigervereinigung hat sich nun heute in einer Pressemitteilung zur Auslieferung von Maja (Simon) T. geäußert:
„Den Behörden ausgeliefert?”.
Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft war
in der Nacht zum 28.06.2024 nach Presseberichten in ein Vorgehen mindestens des
sächsischen LKA federführend eingebunden (sie schreibt in ihrer
Pressemitteilung selbst, sie habe die Auslieferung umgehend veranlasst), das
offenbar auf die Vereitelung von Rechtsschutz einer deutschen Person gegenüber
ihrer Überstellung nach Ungarn gerichtet war.
Auch mit einigen Tagen Abstand konnte
dieser Eindruck nicht entkräftet werden, sondern wurde durch die erfolgten
Presserecherchen leider eher noch verstärkt.
Die deutschen Behörden
sind nun aufgerufen alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um diesen Vorgang
rückgängig zu machen und weiteren Schaden von Maja T. abzuwenden.
Die Berliner
Generalstaatsanwaltschaft und die Justizsenatorin müssen erklären, weshalb hier
alles ganz schnell gehen musste, anstatt sich hinter Formalien zu verstecken.
Die
Generalstaatsanwaltschaft Berlin muss darlegen, wie und warum sie
sich vom LKA Sachsen dazu bringen lassen konnte, einem dort offenbar mit
Eigeninteressen betriebenen Schnellverfahren nachzugeben, anstatt sich die
Zeit zu nehmen, die gerade auch in derartigen Verfahren den
Staatsanwaltschaften obliegende Aufsichtsfunktion mit Blick auf die
Wahrung von Grundrechten auszuüben.
Auch die Politik darf
hier nicht wegschauen: Was will sie bei der Duldung derartiger Vorgehensweisen
im eigenen Land zukünftig noch autoritären Staaten entgegenhalten? Vielleicht,
dass sie einfach nicht schnell genug waren?
1.
Nach Presseberichten sollen die Polizeibeamten, die in diesem Fall sich
außergewöhnlich schnell an die Vollziehung der Auslieferungsentscheidung des
Kammergerichts machten, noch am Freitagmorgen zwischen 3 und 4 Uhr nachts
aufgefordert worden sein, die Entscheidung aus Karlsruhe abzuwarten. Das LKA
Sachsen habe sich dann noch einmal bei der Generalstaatsanwaltschaft rückversichert.
Die Behörde habe jedoch mitgeteilt, dass eine Entscheidung des BVerfG in der
Sache keine aufschiebende Wirkung hätte. Daraufhin habe das LKA die
Auslieferung fortgesetzt. Gegen 8.30 Uhr habe das Bundesverfassungsgericht die
Berliner Generalstaatsanwaltschaft per Telefon informiert, dass man über einen
Eilantrag in der Sache berate. Die Generalstaatsanwaltschaft habe sich darauf
jedoch erst am späten Freitagvormittag zurückgemeldet und mitgeteilt, dass Maja
T. seit 10 Uhr an Ungarn übergeben worden sei.
2.
Bemerkenswert ist im konkreten Fall dabei zunächst, dass die italienische
Justiz zuvor die Auslieferung eines italienischen Staatsbürgers in demselben
Verfahren wegen der rechtsstaatswidrigen Haft- und Verfahrensbedingungen in
Ungarn für unzulässig erklärt hat.
3.
Es musste der Generalstaatsanwaltschaft Berlin bei dieser Ausgangslage daher
bereits von sich aus klar sein, dass hier der Wunsch der sächsischen Polizei,
Maja T. unmittelbar nach Verkündung der Entscheidung des KG nach Österreich und
dann nach Ungarn zu überstellen, der Vereitelung weiterer – erwartbarer
– rechtsstaatlicher Überprüfungen in Deutschland dienen sollte.
4.
Bereits dies stellt einen für eine Justizbehörde inakzeptablen Vorgang
dar. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ist sich offenbar nicht mehr ihrer
Stellung als rechtliches Kontrollorgan bewusst, sondern versteht sich nun
offenbar als Dienstleister für andere Staaten.
5.
Das muss insbesondere allen, die Grundrechte in Anspruch nehmen dürfen, zu
denken geben: Die federführende Justizbehörde versteckt sich hinter einer
allgemeinen Rechtsauskunft, anstatt von sich aus gegenüber der Polizei auf die
Ermöglichung eines erwartbaren Rechtsschutzbegehrens einer deutschen Person
durch eine bereits angekündigte oder jedenfalls höchstwahrscheinlich zu
erwartende Eilentscheidung des BVerfG zu drängen. Zumal sie jedenfalls ab 08.30
Uhr selbst vom BVerfG informiert worden war, dass über den Eilantrag
entschieden werde. Wir fragen: Was hat die Generalstaatsanwaltschaft ab 08.30
Uhr gemacht?
6.
Aus unserer Sicht führt das Bundesverfassungsgericht in seiner Pressemitteilung diese Uhrzeiten nicht ohne Grund detailliert auf – es spricht eine Fassungslosigkeit aus der Pressemitteilung, die wir teilen.
7.
Die Sache hat insbesondere deswegen einen giftigen Beigeschmack, weil hier die
Behörden ganz offensichtlich auf dem Rücken einer einzelnen Person ein Exempel
für weitere Gesuchte statuieren wollten. Denn dem Vernehmen nach hatte die
Generalstaatsanwaltschaft Dresden betreffend der weiteren Gesuchten zuvor
offenbar erklärt, dass der Auslieferung nach Ungarn nur widersprochen werde,
wenn sich die Personen dem hiesigen Verfahren stellen würden und zugleich vor
dem Ermittlungsrichter ein Geständnis abgeben würden.
Offenbar ist also der Umgang mit Maja T. in den Aufbau einer Drohkulisse zur
Geständniserpressung bei Dritten eingebunden.
Dass man in Sachsen offenbar meint, mit einem derartigen Vorgehen das
Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken, ist gerade im allgemeinen
gesellschaftlichen Klima bereits bedenklich. Dass die Berliner
Generalstaatsanwaltschaft sich mit
derartigen Methoden offenbar gemein machte und damit als letztes
Korrektiv ausfiel, zeigt, dass rechtsstaatliche Brandmauern auch in Berlin
offenbar bereits porös sind.
Tricksereien zur Verhinderung der Anrufung von
(Verfassungs-)Gerichten kennt man eigentlich aus Staaten, die gemeinhin
nicht als Rechtsstaaten angesehen werden.
8.
Ebenfalls inakzeptabel ist vor diesem Hintergrund die dazu ergangene
Presseerklärung der Generalstaatsanwaltschaft. Sie stellt den untauglichen
Versuch dar, das Geschehene als vollkommen normal darzustellen. Sie führt
juristisch unbewanderte Leser mit dem Rechtsbegriff der „sofortigen
Vollziehbarkeit“ in die Irre und will damit suggerieren, es sei nach einer Auslieferungsbewilligung
normal, dass die Person trotz angekündigtem Rechtsschutzbegehren noch mitten in
der Nacht aus dem eigenen Land geschafft wird. Das ist eine in diesem
Zusammenhang würdelose PR-Taktik. Denn auch bei einer „sofortigen
Vollziehbarkeit“ haben die Behörden die Grundrechte zu achten. Dass dies
so nicht ausdrücklich im Grundgesetz steht (wie Vieles, was sich erst durch die
Konkretisierung der Verfassung durch das BVerfG ergibt), ändert daran nichts.
9.
Mit dem Blick auf die aktuell viel diskutierte „Resilienz“ des BVerfG
zeigt dies aber ein „Resilienz“-Problem des Grundgesetzes
schlechthin: Vieles ist dort nicht ausdrücklich geregelt und auch nicht alles
vom BVerfG entschieden. Trotzdem hielten sich die Behörden bislang schlicht
daran, Grundrechtsschutz zumindest zu ermöglichen. Was ist der
Grundrechtsschutz wert, wenn er durch derart simple Tricks
unterlaufen werden kann? Dieser Umgang mit der Verfassung muss eigentlich
auch diejenigen in Sorge versetzen, die für „Linke“ nicht viel übrig
haben.
10.
Denn unabhängig von dem zugrundeliegenden Vorwurf, zu dem wir uns hier nicht positionieren, muss sichergestellt werden, dass Grundrechtsträger auch im Auslieferungsverfahren den Behörden nicht ausgeliefert sind. Das Rechtsstaatsprinzip verpflichtet selbst Behörden im Bekämpfungsmodus, effektiven Grundrechtsschutz zu ermöglichen. Wenn der Staatsschutz das vergisst, bekämpft er selbst den Rechtsstaat, den er zu schützen vorgibt.
Fotoquelle: TP Presseagentur Berlin
Man könnte meinen, dass die Strafverteidigervereinigung das StGB nicht kennt.
Gem. dem dort festgeschriebenen Weltrechtsgrundsatz, hätte man T. auch hier längst anklagen können.
Das deutsche Strafrecht gilt nach § 3 des Strafgesetzbuchs (StGB) für Taten, die im Inland begangen werden. Die Norm setzt das sogenannte Territorialitätsprinzip um.
Im Völkerrecht sind neben diesem verschiedene weitere Anknüpfungsprinzipien anerkannt, welche die Begründung einer Strafgewalt legitimieren. Hierzu zählt auch das sogenannte Weltrechtsprinzip (bzw. Weltrechtsgrundsatz oder Universalitätsprinzip). Dieses ermöglicht „die weltweite Verfolgung extraterritorialer Taten unabhängig vom Tatort und der Staatsangehörigkeit von Täter bzw. Opfer“.
Hierbei handelt der Staat nicht nur im eigenen Interesse, sondern im Interesse der Staatengemeinschaft, wobei sowohl gemeinsame Sicherheitsinteressen als auch universell anerkannte Rechtsgüter bzw. als gemeinsam anerkannte Werte betroffen sein können.
Im deutschen Strafrecht findet sich das Weltrechtsprinzip in § 6 StGB und § 1 des Völkerstrafgesetzbuchs (VStGB) wieder. Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages wurden befragt, inwieweit aufgrund der Regelungen zum Weltrechtsprinzip in Deutschland Handlungen wie willkürliche Tötungen, Folter, Körperverletzungen und willkürliche Inhaftierungen strafrechtlich verfolgt werden. Dazu:
Weltrechtsgrundsatz im Strafgesetzbuch
Nach § 6 Nr. 1 bis 9 StGB gilt das deutsche Strafrecht unabhängig vom Recht des Tatorts, für bestimmte Taten, die im Ausland begangen werden: Hierzu zählen beispielsweise Kernenergie-, Sprengstoff- und Strahlungsverbrechen in den Fällen der §§ 307 und 308 Abs. 1 bis 4 StGB, des § 309 Abs. 2 StGB und des § 310 StGB, Angriffe auf den Luft- und Seeverkehr, Menschenhandel, unbefugter Vertrieb von Betäubungsmitteln oder Geld- und Wertpapierfälschung. Weiterhin sind nach § 6 Nr. 9 StGB Taten umfasst, die auf Grund eines für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen zwischenstaatlichen Abkommens auch dann zu verfolgen sind, wenn sie im Ausland begangen werden, wobei teilweise vertreten wird, dass § 6 Nr. 9 StGB nicht (nur) auf das Weltrechtsprinzip zurückzuführen sei, da die vertragliche Verfolgungspflicht auch an andere Umstände, wie z. B. die Staatsangehörigkeit des Täters, anknüpfen könne.
Über die Verweisung in § 6 Nr. 9 StGB wird allerdings kein strafrechtlicher Tatbestand geschaffen. Sofern sich die Bundesrepublik Deutschland lediglich aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags zum Erlass eines Straftatbestands verpflichtet hat, aber ein solcher noch nicht erlassen wurde, soll dieser nicht angewendet werden dürfen (Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 103 Abs. 2) usw.
Der Beschluss des BVerfG befaßt sich mit einer Beschwerde des Simon T.
Nicht aber mit einer Maja T.